Telegram-Chef festgenommen: Gewaltige Dreckschleuder

Telegram-Chef Pawel Durow wurde festgenommen. Er soll zu wenig gegen kriminelle Aktivitäten unternehmen. Endet die Narrenfreiheit für die Tech-Bosse?

Telegram-Gründer Pawel Durow Foto: imago/reuters (montage taz)

Kapital kennt keine Länder, Grenzen und Gefängnismauern. Ka­pi­ta­lis­t*in­nen jedoch, egal wie viel Kapital sie angehäuft haben, können nicht immer der Gravitation der von schnöden Sterblichen bewohnten Welt entkommen. Am Samstagabend musste das Pawel Durow auf die harte Tour erfahren. Der Gründer des Messengerdienstes Telegram wurde in Paris beim Verlassen eines Privatjets in Gewahrsam genommen. Ihm wird eine bunter Strauß an Beihilfen und Unterlassungen vorgeworfen.

Telegram nämlich ist in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten Plattformen zur unkontrollierten Verbreitung von Desinformation, extremistischer Propaganda und Gewaltaufrufen geworden. Grund dafür ist unter anderem die einfache Bedienung, inklusive der Möglichkeit über unkompliziert einzurichtende Kanäle hundertausende Menschen zu erreichen. Selbst die Social-Media-Abteilungen traditioneller Medien experimentierten mit Telegram-Kanälen, um ihre Reichweiten zu erhöhen und neue Zielgruppen anzusprechen.

Der lange vorgehaltene verhältnismäßig gute Ruf des Messengers gründete noch auf die Konflikte Durows in Russland. Dort hatte er schon als Chef der ebenfalls von ihm gegründeten Social-Media-Plattform VKontakte in Auseinandersetzungen mit Putins Zensurbehörden wiederholt die Sperrung Oppositioneller verweigert. Später dann warb Telegram als einer der ersten Messenger mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Kommunikation. Dass diese für die Massenkanäle gar nicht zur Verfügung steht, dazu nicht der voreingestellte Standard ist und sie außerdem als nicht besonders sicher gilt, tut der Populärität der App keinen Abbruch.

Durow und Telegram vertreten derweil eine Ideologie maximaler Redefreiheit und verweigern jegliche Moderation oder Einflussnahme auf die Inhalte der offenen Kanäle. Ob das tatsächlich aus Überzeugung oder einfach nur Bequemlichkeit und Geiz geschieht, ist im Ergebnis egal. Der Messenger ist eine Dreckschleuder von so gewaltigem Ausmaß, dass sich auch deutsche Behörden, bis hin zur Ministerialebene, mit ihr zu befassen versuchten. Ganz einfach gestaltete sich das nicht, lehnt Durow für gewöhnlich doch nicht nur die Zusammenarbeit, sondern überhaupt die Kommunikation mit staatlichen Institutionen ab.

Signalwirkung für Musk und Zuckerberg

Selbst für die üblichen Lobbyisten in Brüssel und den wichtigeren Hauptstädten der westlichen Welt war Durow offenbar das Geld zu schade. Von größeren Investitionen zur Schaffung von Abhängigkeiten in der lokalen Politik ganz abgesehen. Anders als beispielsweise Twitter/X-Chef Elon Musk mit seiner Tesla-Fabrik bei Berlin hat Pawel Durow keine Bilder mit dem deutschen Bundeskanzler im Fotoalbum.

Diese demonstrative Arroganz und auch die Tatsache, dass Durow seit 2021 französischer Staatsbürger ist, dürfte zu seiner aktuell etwas unpässlichen Lage geführt haben. Konsularische Hilfe wird dem unnahbaren Unternehmer, der noch einen Pass der Vereinigten Arabischen Emirate besitzt, nun ausgerechnet aus seiner früheren Heimat Russland angeboten. Nachdem die Versuche, Telegram dort zu sperren, wiederholt scheiterten, folgte ein Strategiewechsel. Seit einigen Jahren wird der Messenger außerordentlich wirksam vom russischen Propagandaapparat funktionalisiert.

Dass man Durow nun aus Moskau als Helden der Redefreiheit feiert, ist deshalb eine so ironische wie folgerichtige Wendung der Geschichte. Der Größenwahn, die narzisstische und zum Teil auch kriminelle Energie vieler erfolgreicher Start-up-Eigner (praktisch alles Männer), sind perfekte Andockpunkte für Geheimdienste, die ihren Einfluss auf neuen Informationskanälen geltend machen wollen. Die absichtlich obskur gehaltenen Eigentumsverhältnisse der größeren digitalen Plattformen helfen dabei, Abhängigkeiten zu verschleiern. Auch die genauen Besitzverhältnisse von Telegram bleiben bislang unklar.

Die Festnahme des Gründers kann deshalb auch dazu beitragen, mehr Transparenz über die geschäftlichen Aktivitäten seines Unternehmens herzustellen. Andererseits mag das Vorgehen der französischen Behörden auch ein Signal sein, dass man bereit ist, generell robuster und vor allem persönlich gegen die bisher kaum greifbaren Chefs der digitalen Plattformen vorzugehen. Tatsächlich wird es spannend zu beobachten sein, wie lange der Multimilliardär in Untersuchungshaft oder gar als Verurteilter im Strafvollzug verbleiben muss.

Sollte ein französisches Gericht ihn der Vorwürfe der Billigung und Förderung von Straftaten wie Hassrede und Gewaltaufrufen für schuldig befinden, drohen Durow bis zu 20 Jahre hinter Gefängnismauern. Das wäre keine schlechte Präzedenz als Strafe für fehlende Moderation, die auch Musk und Facebooks Marc Zuckerberg aufmerksam zur Kenntnis nehmen dürften.

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Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei.

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