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Telefonat mit PutinFalsche Nummer

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Das Telefonat von Scholz mit Putin kommt zum irritierenden Zeitpunkt. Jetzt gilt es, die Ukraine aufzurüsten und in eine starke Position zu versetzen.

Sehr viel näher sind sich Scholz und Putin seit ihrem Treffen am langen Tisch im Kreml vor zwei Jahren offenbar nicht gekommen Foto: Mikhail Klimentyev/dpa

K ann sich die Ukraine noch auf ihre Verbündeten verlassen? Diese Frage wird in Kyjiw immer öfter gestellt. Wenn die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in Brasilien zum G20-Gipfel zusammenkommen, ist die ukrainische Sorge, unter die Räder der Weltpolitik zu geraten, größer als je zuvor seit Kriegsbeginn. Die westliche Sehnsucht nach einer Normalisierung der Beziehungen mit Russlands Putin-Regime ist allgegenwärtig.

Bundeskanzler Olaf Scholz mag seinen Anruf beim Kremlchef drehen und wenden wie er will, eines ist unzweifelhaft: Der Anruf geschah auf deutsche Initiative, und damit war Deutschland der Bittsteller, während Wladimir Putin Bitten entgegennimmt. Kein Wunder, dass Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj erzürnt ist. Scholz möchte in den Wahlkampf ziehen als „Friedenskanzler“, der mit Putin spricht, und er will in Brasilien landen als großer Staatsmann, der eben vom Telefonat mit Putin kommt.

Der Ukraine aber ist nicht damit geholfen, wenn ihre vorgeblichen Verbündeten gegen ihren Willen in Moskau anrufen. Wer da anruft, ob Olaf Scholz oder Elon Musk, ist Putin egal: Entscheidend ist, dass man um seine Gunst bettelt. Sein Kriegsziel ist eine ukrainische Kapitulation, sei es auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch. Wer ihn um Nachgiebigkeit bittet, entlarvt aus seiner Sicht nur die eigene Nachgiebigkeit. Verhandlungen mit Putin darf es nur aus einer Position der Stärke geben.

Gerade jetzt müssen die großen Militärmächte des Westens alles in die Schlacht werfen, was sie zur Verfügung haben. Russland steht mit dem Rücken zur Wand, die täglichen Verluste an der Front sind auf Rekordniveau, die Wirtschaft schwankt und inzwischen braucht Moskau sogar Schützenhilfe aus Nordkorea. In dieser Situation telefoniert ein kluger Weltdiplomat nicht mit Moskau. Sondern er sorgt dafür, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, Russland die militärische Niederlage beizufügen, ohne die es keine Verhandlungslösung geben kann.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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25 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen.

  • Kaum hat das Telefonat geendet, lässt Putin die Ukraine mit großflächigen Bombardements verwüsten mit dem Ziel, die ukrainische Zivilgesellschaft vor dem Winter durch das Zerstören von Energie- und Wärmeproduktion zu terrorisieren und ins Elend zu stürzen.



    Frau Wagenknecht und Herr Höcke werden uns natürlich all das als Aktion „des Westens“ verkaufen.

  • Ich kann dem Kommentar von Dominic Johnson nur zustimmen. Das Signal, dass von diesem Telefonat ausgeht, ist nicht wünschenswert. Letztlich konnte Putin es wieder dazu nutzen, seine absurden Forderungen vom Sommer zu wiederholen: Die Ukraine soll die vier Oblaste abtreten, die Russland voreilig "annektiert" hat, auch wenn es sie am Boden zum Teil noch nicht mal ansatzweise vollständig kontrolliert, die Ukraine soll sich "entmilitarisieren" (extreme Verkleinerung des Militärs bis zur absoluten Wehrunfähigkeit, keine ausländischen Waffen mehr) und "neutral" werden (keine militärischen Bündnispartner). Und natürlich die "Entnazifizierung", die letztlich nichts anderes bedeutet, als die Einsetzung einer russlandfreundlichen Marionettenregierung.

    Scholz hat zwar nach eigener Aussage Putin zum Rückzug aufgefordert, aber er sollte wissen, dass dieser ohnehin nicht darauf eingehen wird. Was bringt diese Aufforderung also, außer das Scholz sagen kann "Ich hab's versucht."?

    Ich unterstelle Scholz, dass er dieses Telefonat aus rein innenpolitischen Gründen geführt hat, und das kann ich nicht anders bewerten als "schäbig".

    • @kritikderkritikderkritik:

      In der aktuellen Situation finde ich es aus mehreren Gründen sinnvoll, unmittelbar mit Putin zu sprechen. Zum Einen ist klar, dass der aktuell NICHT von sich aus, angekrochen kommt: Er wartet darauf, von Trump im Januar seinen Wunsch-"Frieden" serviert zu bekommen. Da lohnt es sich klarzustellen, dass die Ukraine nicht NUR die USA als Unterstützung hat.



      Daneben ist es auch für die Ukraine in Thema, wenn in Europa Jene die Kriegsmüden und Ohnemichel einsammeln, die immer wieder "Verhandlungen" fordern, aber insgeheim damit "Kapitulation" meinen. Denen den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist auch in Selenskys Interesse.

      Damit das etwas bringt, kommt es natürlich auch massiv darauf an, was bei so einem Telefonat gesagt wird. Putin sollte schon das Gefühl vermittelt bekommen, dass das eine Chance für ihn ist, den Krieg zu beenden, WENN er bereit ist die Siegerpose mal für einen Moment ad acta zu legen.

  • Ist wohl so. Aber irgendwas muss Olaf der (Schlaf-) Mützenichfraktion ja bieten. Bald ist’s vorbei. Aber ob das, was dann kommt, besser ist?

  • Ist wieder ein Sack Reis in China umgefallen...? Der Anruf von "Bald-Ex-Kanzler" Scholz ist irrelevant, insbesondere auch unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Lage in Deutschland.

    Interesant wird es erst, wenn Trump sich einmischt. Er wird zwar mehr als 24 Stunden brauchen, um den Krieg zu beenden. Er könnte aber der game changer sein, vielleicht auch deshalb, weil er unberechenbar ist und keine Skrupel hat. Meines Einschätzung, wer am Ende am meisten profitieren wird: die USA.

  • "Der Anruf geschah auf deutsche Initiative" nach vorheriger Abstimmung mit Verbündeten.

  • Man muss wohl bedauerlicherweise konstatieren, dass der Fisch mittlerweile geputzt ist.

    Ob Scholz einen auf dicke Hose macht und Putin anruft, um nichts zu erreichen, oder ob er ein Gedicht aufsagt, das ist Jacke wie Hose.

    Selenskyj macht in seiner Verzweiflung einen Kotau bei Trump und Deutschland und Europa bleiben bei ihrer Strategie, die Ukraine am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.

    Mission accomplished. Dafür sind so viele Menschen gestorben, das ist bitter.

    • @Jim Hawkins:

      Auch Trump, bzw. die USA wird die Ukraine verhungern lassen, egal welche Erlaubnis nun erteilt wurde (wie just geschehen). Einfach Putin geben, was er will, dann wird er schon aufhören. Das wird Trump's Strategie sein, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden.

      Bedauerlich.

    • @Jim Hawkins:

      Ich stimme zu und ergänze:



      Die Ukraine wird unter den gegebenen Umständen kein Nato-Mitglied, weder bei einem heißen noch bei einem lauwarmen Krieg. Das ist so nicht vorgesehen. Und: Wie sollte man dafür auch die 32 Mitgliedstaaten in ein Boot bekommen?



      Die Kernfrage ist: Wie und wo macht Hr. Putin weiter? Sein Fernziel ist nach wie vor (auch gegenüber Hr. Scholz formuliert) den Einfluss der USA in Europa zu minimieren und den "Westen" zu spalten und weitestgehend zu schwächen.



      Konkreter: Seine "Sicherheitsinteressen" liegen in der Ukraine (ob als Vasall oder als "SSR"), im Baltikum, in Finnland, in Georgien und in Moldavien, längerfristig auch in Polen.



      Der "Westen" sollte alles, was Hr. Putin sagt, bitter ernst nehmen. Es dürfte eigentlich nur noch darum gehen, die Verteidigungsfähigkeit der Nato substantiell zu verbessern, mit allem, was der "Westen" aufbringen kann.



      Solange Russland über Atomwaffen verfügt, kann man nicht viel mehr machen, auch wenn seine konventionellen Streitkräfte technisch und personell nicht viel wert sind.



      Und das: Hr. Scholz sollte besser mit unserem Verbündeten Polen/Hr. Tusk den Kontakt suchen und verbessern anstatt ihn weiter vor den Kopf zu stoßen.

      • @Vigoleis:

        Vielen Dank für diese sinnvollen und notwendigen Ergänzungen.

  • Die Ukraine verdient bessere Unterstützung von D und Europa.



    Let's go!

  • Ach, Scholz wollte einfach nur mal wieder mit jemandem reden, der ihn so richtig an der Nase rumführt. Das hatte er ja lange nicht mehr.

    Äh, Moment...

  • "In dieser Situation telefoniert ein kluger Weltdiplomat nicht mit Moskau. Sondern er sorgt dafür, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, Russland die militärische Niederlage beizufügen, ohne die es keine Verhandlungslösung geben kann."



    Klasse Idee. Jetzt müssen Sie nur noch verraten, wie man sicher verhindern kann, dass ein konventionell unter Druck geratenes Russland zur Atombombe greift.

    • @XXX:

      Ganz einfach: Putin ist kein Selbstmörder. Seine leeren Drohungen sollte man nicht beachten.

  • Eigentlich gibt es für das Telefongespräch nur einen Vertrag Grund: Die klare Ansage, dass Tauruss geliefert wurde wenn die russischen Raketenmorde nicht sofort aufhören

  • Wenn Russland mit dem Ruecken zur Wand steht, ist es doch genau der richtige Zeitpunkt fuer Verhandlungen, aus einer Position der Staerke.



    Und wieso sollten die Europaeer die Gespraeche und folglich die Zukunft Europas Trump ueberlassen statt selber Kontakt mit Putin aufzunehmen?

  • "müssen die großen Militärmächte des Westens alles in die Schlacht werfen.. "

    "Russland die militärische Niederlage beizufügen, ohne die es keine Verhandlungslösung geben kann.."

    Martialische Rethorik die der Autor an den Tag legt. Im ersten Moment dachte ich aus Versehen auf der Seite der Deutschen Militärzeitung gelandet zu sein.

    Über den Sinn von Scholz Telefonat mit Putin kann man streiten, Fakt ist aber, dass die Unterstützung für die Ukraine in der EU bröckelt, sowohl von politischer Seite, als auch unter der Bevölkerung.

    Es werden anscheinend immer weniger, die der Ukraine zutrauen die militärischen Ziele zu erreichen. Und Trumps Amtsantritt deutet auch nicht gerade auf eine positive Entwicklung aus ukrainischer Sicht hin.

    Ich glaube daher, dass der Autor mit der Erkenntnis, dass Russland mit dem Rücken zur Wand steht oder gar schwer angeschlagen ist, ziemlich allein auf weiter Flur steht.

    Sobald die USA als Unterstützer abspringen, werden die Westeuropäer das "geschachere" um die Zukunft der Ukraine eröffnen. Scholz telefonische Anfrage war ein erster Vorgeschmack.

    Die Frage wird sei, wie sich dann die osteuropäischen EU Staaten verhalten.

    • @Sam Spade:

      Vielleicht muss man aus dem Lande Churchills kommen und nicht aus dem pazifismusbesoffenen Deutschland, um Johnsons Rhetorik nicht als martialisch zu empfinden, sondern lediglich als schnörkellos. Johnson sagt im Kern nichts anderes als eine Gruppe internationaler Wissenschaftler, Politiker und Militärs, die kürzlich vor einer Neuauflage des Münchener Abkommens und der Illusion warnten, damit ließe sich Frieden erreichen www.ruhrbarone.de/...en-handeln/239102/

      Ansonsten zitiere ich der Einfachheit halber mal Irina Scherbakowa, die sich einen klaren Blick erhalten hat: "Seiner Aggressivität kann man nur mit eigener Stärke begegnen. Eine andere Sprache akzeptiert er nicht. (...) Es gab Verhandlungen, die Verträge Minsk I und II. Er hat sie alle gebrochen. So lange Putin meint, zu gewinnen, ist es sinnlos." taz.de/Irina-Scher...d-Flucht/!6039574/

      Leider glaubt man in der SPD ungebrochen an die alten Phrasen von "Dialog" und "im Gespräch bleiben". Die Lockerungsübungen gegenüber dem BSW wird Putin erfreut zur Kenntnis genommen haben, hat aber umgehend die Angriffe eskalieren lassen.

      • @Schalamow:

        Das sind doch ziemliche Plattitüden die sie da anführen. Realität ist doch, dass der Westen der Ukraine gerade einmal soviel Unterstützung hat zukommen lassen um nicht unterzugehen. Mehr auch nicht. Keiner hat Interesse an einem russischen Desaster in der Ukraine und den damit verbundenen Unwägbarkeiten.

        Alleine die Vorgaben der sogenannten Partner zur Verwendung der gelieferten Waffen sind doch gegenüber einem Land, welches um seine Existenz kämpft geradezu absurd. Und es sagt auch einiges aus über die Bereitschaft der Ukraine zum Sieg zu verhelfen.

        Aus dieser Perspektive erfüllt das Gerede von "Putin versteht nur Stärke" oder "alles in die Schlacht werfen" lediglich Alibifunktionen.

        Die Handlungen der Verantwortlichen spiegeln sie jedenfalls nicht wieder.

        Die einzigen die Stärke gegenüber Putin gezeigt haben, waren die Ukrainer.

        • @Sam Spade:

          Verstehe den Einwand nicht. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Sie monieren einerseits Johnsons angebl. martialische Rhetorik, um andererseits den mangelnden Einsatz des Westens zu beklagen. Ja, was denn nun?

          Und habe ich irgendwo den Eindruck erweckt, ich hielte die westliche Unterstützung für ausreichend? Da bin ich ganz bei Johnson. Ansonsten mögen das alles für Sie ja Selbstverständlichkeiten sein, aber bei den beiden Kreml-Parteien und ihrem Anhang sieht das doch völlig anders aus, von der notorischen Realitätsverweigerung in der Mützenich-SPD ganz zu schweigen.



          Dass "keiner ein Interesse am russischen Desaster" habe, ist schlicht falsch. Polen und die baltischen Staaten haben sich da unmissverständlich positioniert, und auch die finnische Außenministerin hat sich jüngst sehr deutlich geäußert. www.morgenpost.de/...utin-alles-zu.html Je näher man an Russland dran ist, desto klarer sieht man offenbar.



          PS. Nach aktuellen Medienberichten hat Biden inzwischen den Einsatz von US-Waffen im russischen Hinterland genehmigt.

  • Wieviel Artikel seit Beginn des russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hab ich schon gelesen, die behaupten, genau jetzt sei nicht die Zeit für Verhandlungsansätze, sondern nur für militärische Schützenhilfe?! Und warum funktioniert das verdammt noch mal nicht, dass Politiker das einmal so ausführen?! Wenn diese Hartnäckigkeit eines Tages doch Erfolg zeigt, ändere ich meine Weltsicht. Vorher allerdings macht sie mich eher verrückt als dass ich sie irgendwo verstehen könnte.

    • @poesietotal:

      Scholz wollte doch sicher Verhandlungsansätze diskutieren. Scheint aber nix genutzt zu haben...und klappt auch nur, wenn der Gegenüber ebenfalls an Verhandlungen interessiert ist.

  • Es ging ja auch weder um Russland noch um die Ukraine, sondern allein um deutsche Innenpolitik, sprich Wahlkampf und den ganzen Rattenschwanz. Was kümmert uns die Welt?

  • Es kommt schon darauf an, was man in so einem Telefon bespricht und wie man reagiert.



    Gäbe es eine neue Position z.B. zu Taurus-Lieferungen, wäre die Vermutung naheliegend, dass Scholz das Gespräch auf eine richtige Weise geführt hat.