Studie zu Gewalt gegen Polizei: Nicht witzig, Herr Seehofer
Die Forderung des Innenministers nach einer Studie über Gewalt gegen Polizisten ist mehr als ein schlechter Scherz. Es geht um ihre Unantastbarkeit.
Es gibt Witze, die schreiben sich von selbst. Die allerbesten davon können jederzeit aktualisiert abgerufen werden. Als Bundesinnenminister Horst Seehofer vor gerade einmal zwei Wochen der Idee einer Studie zu Racial Profiling eine Absage erteilte, weil diese Ermittlungstechnik ja verboten sei und es deshalb einer Untersuchung nicht bedürfe, war so ein Witz geboren.
Innerhalb kürzester Zeit war das Netz voll von Dingen, die nicht mehr untersucht oder ermittelt werden müssten, weil sie schließlich nicht erlaubt seien: Einbruch, Totschlag, Diebstahl – alles verboten. Man fragte sich, wozu es überhaupt noch eine Polizei brauche, untersuche die doch im Wesentlichen Dinge, die es gar nicht geben dürfe.
Horst Seehofer, dieser Mario Barth der deutschen Innenpolitik, lässt sich angesichts dieses Selbstläufers nicht lumpen und legt nun nach. Nach Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei in Frankfurt am Main am vergangenen Wochenende will der Minister eine Studie über Gewalt gegen die Polizei beauftragen. Seehofers Fans erkennen den klassischen Recall, wie die Technik der variierenden Wiederholung eines Gags in der Stand-up-Comedy genannt wird, und füllen die Timelines auf Twitter und Facebook zügig mit Kommentaren, wie: „gewalt gegen beamte ist doch verboten, wozu dann eine studie?“
Zunächst aber spricht natürlich gar nichts gegen eine entsprechende Erhebung. Solide Empirie ist zweifellos die Grundlage einer informierten Debatte. Dass verschiedene Polizeibehörden bereits entsprechende Daten sammeln und veröffentlichen, geschenkt. Eine ausführliche bundesweite Untersuchung könnte die Zahlen schließlich sammeln, eine einheitliche Erfassung fördern, ihre Entstehung, ihre interne und mediale Verwertung einer kritischen Betrachtung unterziehen.
Denn allein die Meldungen bei Einsätzen verletzter Uniformierter halten einer detaillierten Überprüfung selten stand. Ein genauerer Blick auf die Zahlen während des G20-Gipfels zum Beispiel ließ diese deutlich schrumpfen, um mehr als die Hälfte nämlich.
Populistische Abwehr jeglicher Kritik
Aber Seehofer geht es bei seinem Vorschlag gar nicht um Genauigkeit oder überhaupt um die Durchführung einer soliden Studie, sondern nur um den kurzfristigen Lacher, respektive den Propagandaerfolg. Schließlich stehen die Polizeibehörden spätesten seit dem Schub der Black-Lives-Matter-Bewegung auch in Deutschland unter ungewöhnlich kritischer Beobachtung.
Die abzuwehren haben sich weite Teile der politischen Klasse, allen voran der Innenminister, zur vordringlichen Aufgabe gemacht. Und so werden ein paar zerschlagene Scheiben in Stuttgart zum drohenden Untergang des Abendlandes stilisiert, um nicht über Polizeigewalt diskutieren zu müssen. Der Frankfurter Rabatz wird zur Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hochgejuxt, um über rassistische Ermittlungspraxis den Mantel des Schweigens zu legen. Eine satirische taz-Kolumne wird zur menschenverachtenden Gewaltfantasie umgedeutet, um jeden Gedanken über die Asymmetrie der Macht zwischen bewaffneten Uniformierten auf der einen, ihren Opfern und Kritiker*innen auf der anderen Seite als Angriff auf eine demokratische Gesellschaft denunzieren zu können.
Gewiss: Die besinnungslose Liebe zur Polizei ist immer gut für einen bitteren Scherz, wächst sich aber zur sehr ernsten Gefahr aus. Denn sie ist auch stillschweigende Kumpanei mit den rechtsextremen und tatsächlich demokratiegefährdenden Netzwerken in den Sicherheitsorganen. Deren Aufklärung obliegt bislang vornehmlich Journalist*innen. Wie auch die, wie wir ja nun wissen, verbotene Praxis des Racial Profiling, nur wegen der geduldigen Selbstorganisation rassifizierter Betroffener und der medialen Berichterstattung darüber überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit kommt.
Hier: Studie ja. Dort: Studie nein – die Begründungen sind gleichgültig, da austauschbar. Seehofer geht es letztlich nicht darum, gesellschaftlichen Problemen und ihren Ursachen auf die Spur zu kommen, sondern nur darum, die Unantastbarkeit der Institution Polizei und die von ihr geschützte Ordnung zu verteidigen. „Warum denn untersuchen, es ist doch verboten …“ Der Witz funktioniert, weil er wahr ist. Glücklich, wer noch befreit darüber lachen kann.
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