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Streit ums Humboldt ForumGefakte gute Zeit

Ulrich Gutmair
Kommentar von Ulrich Gutmair

Das Berliner Stadtschloss sollte eine goldene Vergangenheit heraufbeschwören. Diese Illusion ist geplatzt. Es repräsentiert antidemokratische Traditionen.

Schöne Kulisse: Das Humboldtforum im wiederaufgebaute Stadtschloss in Berlin Foto: Stefan Ziese/Imagebroker/imago

D eutschland war wiedervereinigt, die Nachkriegszeit vorbei. Was sollte nun mit dem Zentrum der alten und neuen deutschen Hauptstadt geschehen, in dem einst das Stadtschloss der Hohenzollern gestanden hatte – und nun der asbestbelastete Palast der Republik? Wie sollte sich die Nation der Welt und sich selbst gegenüber präsentieren?

In England, Spanien oder Frankreich wäre die Frage wohl mit einem internationalen Architekturwettbewerb beantwortet worden. Das wäre auch angemessen gewesen für ein Land, das eine fast hundertjährige Geschichte von Militarismus, Imperialismus, Massenmord und Diktatur hinter sich zu lassen hoffte: ein modernes Gebäude zu errichten, das eine bessere Zukunft symbolisiert.

Das wünschte sich auch die Hälfte der Deutschen. Aber ein rückwärtsgewandtes Bürgertum setzte sich durch, das sich in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zu flüchten trachtete. Das war das geschichtspolitische Programm, das sich hinter der Forderung nach dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses verbarg.

Jetzt holt diese Vergangenheit die Schlossfans ein. Ausführlich wurde in den vergangenen Jahren über die verhängnisvolle Rolle diskutiert, die das Haus Hohenzollern bei der Machtübernahme und für den Machterhalt der Nazis gespielt hat. Der schönfärberische Name Humboldt Forum wird nichts nützen: Das Schloss repräsentiert die antidemokratischen Traditionen eines reaktionären Herrscherhauses.

In einer weiteren ironischen Volte steht das Schloss auch für die Kritiker der mit dem Humboldt Forum verbundenen Sammlungen nicht für eine vermeintlich bessere Vergangenheit, sondern für die Geschichte des deutschen Imperialismus. Vor allem die Sammlung des Ethnologischen Museums, die hier gezeigt werden soll, strotzt vor Raubkunst. Für manche Nachfahren der Opfer der mörderischen deutschen Kolonialherrschaft ist das Grund genug, den Abriss der gestern eröffneten Schlossattrappe zu fordern.

Der Zorn ist verständlich, die Forderung selbst aber führt in die Irre. Die Barockfassade Schlüters entstand lange vor der Ära des Imperialismus. Dessen Repräsentanz steht schräg gegenüber: Der protzige Berliner Dom ist das monumentale Zeugnis des Wilhelminismus und also des deutschen Imperialismus.

Der Berliner Flaneur Franz Hessel hielt den Dom für ein Monstrum. Er hoffe, die Zeit möge kommen, „in der man dieses Gebäude so kurzentschlossen abreißt, wie man es jetzt mit hässlich gewordenen Privathäusern tut“, schrieb er vor hundert Jahren. Damals hatten die Menschen noch Mut zur Zukunft.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).
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21 Kommentare

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  • Endlich haben wir wenigstens wieder die Heimstatt unseres alten Kaisers Wilhelm.

    Und was der so gesagt und geschrieben hat:

    "Die Presse, die Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß - I believe the best would be gas."

    Na ja, er war eben auch nur ein Kind seiner Zeit.

    Aber eines mit Weitblick:

    "Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung."

  • Der Bau hat doch für alle was. Zwei Außenseiten Moderne und zwei Außenseiten über Spenden finanzierter Barock.

    Demokratischer, alle Positionen einbindend, kann es doch gar nicht sein 🤔

  • "Es geht hier nicht um einen Schönheitspreis - diesen hätte sicher der an gleichem Ort getilgte Palast der Republik gewonnen"



    Ist das Ironie oder leider doch nicht?

  • Die Inschrift unter dem riesigen Kreuz auf dem Dach des Humboldt Forum lautet :"Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, dass im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind."

  • Man sollte Architekturkritik ja schon mal gar nicht denen überlassen, die sich dafür interessieren. Und noch weniger denen, deren Hobby darin besteht jegliche Abivalenz aus der Welt zu verbannen. Und wenn ich hier etwas lese von einem "modernen Gebäude, das eine bessere Zukunft symbolisieren soll", dann überkommt mich schon mal das Grausen. Was hierzulande und heutzutage als modern gilt kann man in Berlin schon oft genug erleiden. Ob Kreissparkassen auf dem Kulturforum, Quetschkommoden auf der Museumsinsel oder die monumentalen Schießschartenmonstren, das sind wirklich wahre Monumente der Mutlosigkeit. Die stehen auch nicht für irgendeine Aufgeklärtheit sondern für blanke Ignoranz und natürlich zuallererst für Gier. Das neue alte Stadtschloss ist ja auch zuallererst für die Touristen gebaut. Das ist erkennbar ein Freilichtmuseum, dass damit wirklich irgendwer "gute, alte Zeiten" verbindet ist eigentlich kaum vorstellbar. Für solche Leute wäre im Gegenteil irgendein modernes Gebäude ein noch viel stärkerer Stachel und Reiz für ihre romantischen Illusionen. Die jetzt eröffnete realexistierende Lüge hingegen, kann hingegen sogar heilsame Wirkung haben. Kein Mahnmal des Kolonialismus sondern ein Mahnmal der Selbstvergessenheit. Für die Allermeisten ist das Schloss ohnehin aber nur ein halbwegs organisches, farblich beruhigendes Element, das nicht besonders stört. Es könnte viel schlimmer sein. Demnächst kommt ja mit der Wippe noch ein herrlich schrecklicher Kommentar dazu, dann merkt auch der Letzte, dass wir Deutschen weiterhin mit uns selber völlig überfordert sind. Na ja, aber dann haben die armen Schulklassen auch mal ein bisschen Abwechslung. Das ist dann sozusagen gelebte Ambivalenz, das Bespielen der Vergangenheit, Wippen am Schloss, Baden im Kupfergraben und Chillen mit Livemusik vorm Dom.

  • Es geht hier nicht um einen Schönheitspreis - diesen hätte sicher der an gleichem Ort getilgte Palast der Republik gewonnen - sondern um eine Klarstellung des Recht-Habens, repräsentiert in dieser neuen, Pseudo-Retro-Barock-Architektur:



    Auf drei Fassaden "authentischer" Barock, die übrigen 96 % des Baukörpers sind eine Erfindung zur statischen und ideologischen Unterstützung dieser Rekonstruktion.



    Jede Gesellschaft hat die Architektur, die sie verdient.

    • @Ein Freund der Erde:

      Über geschmack lässt sich schwer streiten, aber Ihr Nachsatz verrät schon, dass Ihnen die Ästhetik der Gebäude wohl weniger wichtig ist als ihr politischer Symbolgehalt. Der Stachel sitzt wohl tief, dass der Augapfel der Parteibonzen ausgerechnet dem Bild weichen musste, dass sie so dringend meinten zerschlagen zu müssen.

      Nun zum Geschmack: Ich empfand in der Tat den Lampenladen - ein machtbesoffen-prunksüchtiges, vergiftetes Ungetüm, das bei allem Dominanzanspruch einfach nicht in seine gewachsene Gesellschaft passt - als treffendes Abbild des SED-Staats. Schön ist allerdings aus meiner Sicht etwas anderes, und das Stadtschloss kommt an diesen Begriff deutlich näher heran.

  • Für mich bedarf es keines besonderen Kommentars, ob Pro oder Contra. - Mir gefällt die neu geschaffene Situation auf das Stadtbild bezogen.

  • In Großbritannien hätte man moderne Architektur gewagt. Aber mit Sicherheit trotzdem nicht die sehr viel mehr als nur hundert Jahre währende Epoche des britischen Imperialismus hinter sich gelassen.

  • „Es repräsentiert antidemokratische Traditionen“

    Oh je, dann wird es in europäischen Metropolen aber bald ziemlich triste und trostlos, wenn wir alle Gebäude abreißen, die in ähnlicher oder noch älterem Stil dort stehen…

    • @Paul Rabe:

      Diese Gebäude standen schon. In Berlin hat man extra eins wieder aufgebaut, nachdem schon was Anderes da stand. Völlig andere Geschichte...

  • "... Es repräsentiert antidemokratische Traditionen."

    Und peinlich isses. Ein Monument der Kleinbürgerlichkeit.

    • @Nansen:

      Was haben Sie gegen z. B. Handwerker, kleine Kaufleute und Volksschullehrer?

      Das Humboldt-Forum dürfte eher ein Monument der Großbürgerlichkeit sein.

      Kleinbürger haben nicht so viele Millionen locker.

      • @rero:

        Ich bin mal von nem Kleinbürger gefragt worden, ob er mir zu großbürgerlich sei.😁



        Aber nein, gegen die von dir genannten Leute hab ich nichts. (Ich dürfte auch selbst ein Kleinbürger sein.)



        Ich störe mich nur an der verbreiteten Obrigkeitshörigkeit, als deren Resultat ich unter anderem diese in Beton verschalte Restauration der guten alten Zeit betrachte. Seit 1918 nix gelernt.



        Na wenigstens kriegen wir den Kaiser nicht zurück. Aber für einen Adelskomödianten wie von und zu Gutenberg kann es jederzeit wieder reichen.



        Schneidig gegelte Grüße 😁

        • @Nansen:

          Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl Freiherr von und zu Guttenberg - wa!

          unterm—— in memoriam —-



          Olle Kutscheit - Präsi VG KÖLN - gab mal Klausuren zurück “Westphalen!“ - “Von Westphalen bitte!“ “Oh! Mangelhaft - Scheiße - Herr Graf!“



          www.fgvw.de/



          (ps Von der Hirschdrückjagd derer von Westphalen in Westfälisch Sibirien &



          JagdG “…Ist! der Jagdschein zu entziehen!“



          &



          KTGs “Sie sind ein Eisenarsch!“ als BVM!



          Ein andermal! Woll. 🪖🪖🪖🪖🪖🪖-



          “Parademarsch Parademarsch - der Haupmann hat‘n 🕳 im Arsch!“ 🎶 🎶



          Peter Köhler in ~ Neuss Deutschland -



          Kultur ILSE LEGE: „Herr Kramer, Gespenster“ - In der NS-Provinz -



          Von PETER KOHLER 21.07.1995



          www.nd-aktuell.de/...er-ns-provinz.html



          “… Da ist der freundliche Pastor, der sich später als SA-Mann erweist. Da ist die fanatische Nazi-Megäre, die schon Verrat wittert, wenn ein Junge „Parademarsch, Parademarsch, der Hauptmann hat 'n Loch im Arsch“ sagt.“

  • Ich war bin kein Befürworter des Aufbaus der Schlossattrappe. Mann hätte den "Lampenladen" sanieren sollen,so als "Zeitzeuge". Wirklich schöne Architektur war das nicht unbedingt.Doch wenn ich mir so die modernen Bauten anschaue,dann ist da auch nicht viel los mit ansprechender Ästhetik. Die rekonstruierte Barockfassade sieht da einfach besser aus,das Gebäude passt wenigstens in die Umgebung. Die ja auch aus größtenteils nach dem Krieg wiedererrichteten Bauten besteht.Die moderne Teilfassade hätte man sich wirklich sparen können. Obwohl sie als abschreckendes Beispiel schon geeignet ist. Man stelle sich vor es wäre ein ganzes Gebäude in dem Stil errichtet worden!

  • ich werfe mal "ceci n`est pas une pipe" in den Raum.



    ein Nachbau eines Hohenzollernschlosses macht es noch nicht zu einem Hohenzollernschloss....



    es ist einfach eine hässliche Architektur und die Idee etwas Historisches zu schaffen ist so absurd, wie sie nur sein kann. Es ist heutige Architektur mit Anwandlungen an potjomkinsche Dörfer, reine Fassade. Nicht ehrlich.



    Fragwürdig auch die Idee der Erbauer dahinter, das Symbol das Prestigegebäude der DDR durch eine Theaterfassade einer vorherigen Zeit zu ersetzen.



    Wo anders heißt das Siegerarchitektur...



    Aber nun steht es da, letztlich sind es Steine... jetzt soll man was vernünftiges draus machen.



    Auch einer historisierenden Theaterfassade kann man eine demokratische und moderne Nutzung und Umdeutung angedeihen lassen, aber das ist Tageswerk. Das Haus die Hülle, toter Stein der nur im Auge des Betrachters eine Bedeutung haben kann. Und Bedeutungen lassen sich ändern.

  • Leider gibt es mit der Ausnahme der Oper von Sydney kein Beispiel für ein allgemein akzeptiertes modernes Gebäude. Und weil man nicht wollte, dass die Innenstadt durch einen Brutalismus-Waschbeton-Klotz verschandelt wird, hat man sich für das bewährte entschieden, eben die Barockfassade. Den ultimativen Beweis, dass es mit moderner Architektur immer schief geht, hat Franco Stella mit der Spreeseite des Schlosses erbracht.

    • @OldFrank:

      "Und weil man nicht wollte, dass die Innenstadt durch einen Brutalismus-Waschbeton-Klotz verschandelt wird..."

      Hat man doch. Die Rückseite ist hässlich modern :-)

  • Rein architektonisch betrachtet handelt es sich um die bessere Vergangenheit. Seit dem Bau des Schlosses (dem Original) ist auf deutschem Boden bedauerlicherweise weit und breit nichts Schönes mehr rausgekommen. Weshalb hätte man also ein Risiko eingehen sollen, wenn man von alten Postkarten bereits ein tolles Gebäude kennt?

    Das Königliche Schloss selbst war ja bereits eine Anspielung auf gute alte Zeiten, da der eigentliche Barock ebenfalls bereits der Vergangenheit angehörte. Und wer würde Rom oder Versailles einreißen wollen?

    Gerne kann man über den Inhalt diskutieren. Mein Alternativvorschlag wäre ein Legoland.

    • @DiMa:

      "Seit dem Bau des Schlosses (dem Original) ist auf deutschem Boden bedauerlicherweise weit und breit nichts Schönes mehr rausgekommen."

      Sehr steile These. Mir fallen allein in Dresden ein paar Gebäude ein :-)