Streit ums Humboldt Forum: Gefakte gute Zeit
Das Berliner Stadtschloss sollte eine goldene Vergangenheit heraufbeschwören. Diese Illusion ist geplatzt. Es repräsentiert antidemokratische Traditionen.
D eutschland war wiedervereinigt, die Nachkriegszeit vorbei. Was sollte nun mit dem Zentrum der alten und neuen deutschen Hauptstadt geschehen, in dem einst das Stadtschloss der Hohenzollern gestanden hatte – und nun der asbestbelastete Palast der Republik? Wie sollte sich die Nation der Welt und sich selbst gegenüber präsentieren?
In England, Spanien oder Frankreich wäre die Frage wohl mit einem internationalen Architekturwettbewerb beantwortet worden. Das wäre auch angemessen gewesen für ein Land, das eine fast hundertjährige Geschichte von Militarismus, Imperialismus, Massenmord und Diktatur hinter sich zu lassen hoffte: ein modernes Gebäude zu errichten, das eine bessere Zukunft symbolisiert.
Das wünschte sich auch die Hälfte der Deutschen. Aber ein rückwärtsgewandtes Bürgertum setzte sich durch, das sich in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zu flüchten trachtete. Das war das geschichtspolitische Programm, das sich hinter der Forderung nach dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses verbarg.
Jetzt holt diese Vergangenheit die Schlossfans ein. Ausführlich wurde in den vergangenen Jahren über die verhängnisvolle Rolle diskutiert, die das Haus Hohenzollern bei der Machtübernahme und für den Machterhalt der Nazis gespielt hat. Der schönfärberische Name Humboldt Forum wird nichts nützen: Das Schloss repräsentiert die antidemokratischen Traditionen eines reaktionären Herrscherhauses.
In einer weiteren ironischen Volte steht das Schloss auch für die Kritiker der mit dem Humboldt Forum verbundenen Sammlungen nicht für eine vermeintlich bessere Vergangenheit, sondern für die Geschichte des deutschen Imperialismus. Vor allem die Sammlung des Ethnologischen Museums, die hier gezeigt werden soll, strotzt vor Raubkunst. Für manche Nachfahren der Opfer der mörderischen deutschen Kolonialherrschaft ist das Grund genug, den Abriss der gestern eröffneten Schlossattrappe zu fordern.
Der Zorn ist verständlich, die Forderung selbst aber führt in die Irre. Die Barockfassade Schlüters entstand lange vor der Ära des Imperialismus. Dessen Repräsentanz steht schräg gegenüber: Der protzige Berliner Dom ist das monumentale Zeugnis des Wilhelminismus und also des deutschen Imperialismus.
Der Berliner Flaneur Franz Hessel hielt den Dom für ein Monstrum. Er hoffe, die Zeit möge kommen, „in der man dieses Gebäude so kurzentschlossen abreißt, wie man es jetzt mit hässlich gewordenen Privathäusern tut“, schrieb er vor hundert Jahren. Damals hatten die Menschen noch Mut zur Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee