Streit um Solarenergie in Brandenburg: Der Platz an der Sonne
Ein skrupelloser Investor, eine überforderte Kommune: Der Solarpark in Döllen ist keine Werbung für eine Energiewende, die die Menschen mitnimmt.
A uf dem Hof von Miriam Thiel ist der Tisch gedeckt. Kaffeekanne, Wasserkaraffe, selbst gebackener Kuchen, den Schatten spendet die Linde. Eine Brandenburger Idylle, wäre da nicht der Lärm.
„Im Mai hat es angefangen“, sagt Miriam Thiel, die im vergangenen Jahr mit ihrem Mann ein Haus in der Prignitz gekauft hat. „Corona und Berlin haben an unseren Nerven gezehrt“, erzählt sie. Im Frühjahr ist Thiel dann mit Pferd, Hund und Katzen ganz nach Zarenthin gezogen. Elf Häuser und 30 Menschen zählt das Dorf zwischen Kyritz und Perleberg. Döllen mit 180 Einwohnern ist drei Kilometer entfernt. Die Prignitz ist die am dünnsten besiedelte Region Deutschlands.
Kaum war Thiel in Zarenthin angekommen, ging es los. „Drei Monate lang dauerten die Bauarbeiten, von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends“, zählt sie auf. Fünfhundert Meter von ihrem Haus entfernt wurden Pfähle in den Acker gerammt. Pfähle, auf denen bald Solarmodule angebracht sein werden. „Solarenergie ist an sich was Gutes“, sagt Thiel. In Zarenthin ist sie das Ende der Idylle.
Den Platz an der Sonne hat sich nun die CEE Group gesichert. Für das Hamburger Unternehmen ist der Solarpark Döllen ein „Leuchtturmprojekt“. Mit einer Fläche von 123 Hektar wäre er nach Werneuchen mit 164 Hektar der zweitgrößte Solarpark Brandenburgs. „Die Produktion von sauberer Energie ist für den Klimaschutz unabdingbar und unter dem Einfluss der aktuellen geopolitischen Entwicklungen zudem zu einem Freiheitsthema geworden“, erklärt Detlef Schreiber, CEO der CEE Group.
Miriam Thiel, Anwohnerin
Für Anwohnerinnen wie Miriam Thiel ist der Solarpark Döllen kein Freiheitsprojekt, sondern das „Ergebnis von Willkür“. Sie ist nicht die Einzige, die das so sieht. Zum Treffen auf ihren Hof hat sie einige Mitstreiter mitgebracht. Beim Gespräch unter der Linde wird deutlich, dass sich viel Wut aufgestaut hat in Zarenthin, Döllen, Dannenwalde und anderen Dörfern, die zur Amtsgemeinde Gumtow, Landkreis Prignitz gehören. Wut auf den Projektentwickler, der Bewohner und Gemeinde unter anderem mit einem gefälschten Gutachten getäuscht hat. Wut auf den Eigentümer der Fläche, einen ehemaligen LPG-Vorsitzenden, der sie an den Projektentwickler verpachtet und das Geschäft seines Lebens gemacht hat. Wut auf die Gemeinde, die mit dem Bebauungsplanverfahren völlig überfordert war. Miriam Thiel sagt: „Der Solarpark Döllen ist in einem rechtsfreien Raum entstanden.“
Der Projektentwickler, der den Döllener Solarpark durchgeboxt hat, ist die Firma Antlike Solar aus der Nähe von Rostock. Inzwischen hat Antlike das Projekt an die CEE in Hamburg weiterverkauft. Der Solarmarkt boomt, auch ohne Förderung. „Am Anfang hatten wir keine Ahnung, wie das läuft“, sagt Helmut Adamaschek. „Das haben die ausgenutzt.“
Auch Helmut Adamaschek ist zu Miriam Thiel auf den Hof gekommen. Seit dreißig Jahren lebt er in der Prignitz, inzwischen ist er Ortsvorsteher in Dannenwalde, das wie Zarenthin und Döllen zur Amtsgemeinde Gumtow gehört. Auch in Dannenwalde und in Gumtow selbst gibt es Anträge für Solarparks, erzählt Adamaschek, der in Berlin über zwanzig Jahre lang die Geschäfte des Landesverbands der Heinrich-Böll-Stiftung geführt hat. In Dannenwalde wurde mit der Mehrheit der Einwohner eine 50 Hektar große Anlage akzeptiert. Auch in Gumtow hat sich eine knappe Mehrheit für den Bau einer 70 Hektar großen Solaranlage ausgesprochen. In vier anderen Dörfern der Gemeinde wurden Projekte durch Petitionen der Anwohnerinnen und Anwohner abgelehnt.
In Döllen hat Antlike Solar das Land für den Solarpark von Detlef Hein gepachtet, dem Geschäftsführer der Agrar GmbH Döllen. Schlechte Böden seien das, argumentierte die Solarfirma in der Gemeindevertretung, den Bodenwert gab sie mit 15 bis 25 an, das wäre mehr Sand als fruchtbarer Boden. Denn schon damals galt ein Kriterium der Gemeindevertretung: Ab einem durchschnittlichen Bodenwert 28 soll kein Solarpark genehmigt werden. Gute Böden sollen Ackerland bleiben und kein Energieland werden. Als sich herausstellte, dass die Böden in Döllen im Schnitt einen Bodenwert von 33 haben, hat die Gemeinde den Solarpark trotzdem genehmigt. „Das Landwirtschaftsamt hatte die Bodenwerte nicht geprüft“, sagt Helmut Adamaschek.
Kurze Zeit später berichtete die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ), dass Antlike das Blendgutachten gefälscht haben soll. Ein solches Gutachten soll sicherstellen, dass die Solarpaneele Autofahrer nicht blenden, so sollen Unfälle vermieden werden. Ein österreichisches Gutachterbüro hatte bemerkt, dass Antlike ganze Textpassagen aus einem Gutachten entnommen hatte, das die Firma für einen Solarpark in Nordrhein-Westfalen erstellt hatte. Während Politiker wegen solcher Plagiate zurücktreten müssen, geschah in Döllen – nichts. Stattdessen wurde ein neues Gutachten angefertigt.
„Cowboys sind das“, sagt Miriam Thiel. „Eine Geschichte wie aus Unterleuten“, sagt Adamaschek und empfiehlt Thiel den gleichnamigen Roman von Juli Zeh, in dem es um einen geplanten Windpark geht, der ein fiktives brandenburgisches Dorf namens Unterleuten spaltet.
Lügen, Verleumdungen, Desinformation
Wie in „Unterleuten“ spielt auch in Döllen ein ehemaliger LPG-Vorsitzender eine Hauptrolle. Dem Vernehmen nach 1.500 Euro pro Hektar bot Antlike Solar Detlef Hein an. Es war ein Geschäft, das er nicht ablehnen konnte. Helmut Adamaschek sagt: „Dafür bekommt er das Zehnfache des Ertrags, den sein Acker sonst bringt – fürs Nichtstun.“ Inzwischen bieten Solarfirmen über 3.000 Euro Pacht pro Hektar an.
Fortan machte Hein, der auch Gemeindevertreter ist, Stimmung im Dorf für das Vorhaben. Dennoch sprach sich bei einer ersten Befragung mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner gegen den Solarpark aus. Hein sah seine Felle davonschwimmen. In der MAZ machte er vor allem Zugezogene aus Berlin wie Miriam Thiel für die Ablehnung verantwortlich. „Zivilisationsgestörte Leute kommen hierher“, ließ er sich zitieren, „und bringen unsere Ordnung durcheinander“.
Hein wollte wieder Ordnung schaffen, seine Ordnung. In einem Brief an alle Bewohner sprach er von „Lügen, Verleumdungen und Desinformation“, berichtete das Magazincorrectiv.org. Die Einschüchterung zeigte Wirkung. Siebzehn Haushalte zogen ihre Unterschrift zurück. Antlike Solar und Detlef Hein hatten nun die knappe Mehrheit im Dorf. Die Gemeinde gab grünes Licht, der Platz an der Sonne war ihnen sicher. „Mafiöse Strukturen“, sagt Miriam Thiel, wenn von der Vorgeschichte des Solarparks Döllen die Rede ist.
Solarstrom, das ist bislang das Aschenputtel unter den Erneuerbaren Energien in Deutschland. Der Anteil der Photovoltaik lag 2021 nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz von Robert Habeck (Grüne) bei 21,4 Prozent. 38,4 Prozent lieferten Windanlagen an Land, noch einmal 10,4 Prozent Windanlagen auf See. Windkraft erzeugt bislang also doppelt so viel Strom wie durch Sonnenenergie gewonnen wird.
Das soll sich ändern, erst recht nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs und der Energiekrise, den er in Deutschland auslöste. Bis 2030 will die Bundesregierung 200 Gigawatt an sogenannter installierter Leistung erreichen, schreibt das Umweltbundesamt. So könnten bis dahin Freiflächenanlagen auf 0,5 bis 0,6 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Deutschlands installiert sein. „Das entspricht einer Fläche von 80.000 Hektar“, hat Helmut Adamaschek ausgerechnet. „Da können sie nur in Räume rein, die großflächig sind.“
Für Adamaschek besteht kein Zweifel, dass diese „großflächigen Räume“ vor allem in Ostdeutschland zu finden sind. In Brandenburg sind derzeit etwa 56.000 Anlagen installiert. Das geht aus dem Solaratlas hervor, den die Energieagentur Brandenburg im April veröffentlicht hat. 30 Prozent dieser Anlagen befinden sich auf Dächern. Freiflächenanlagen wie die, die in Döllen ans Netz gehen soll, haben einen Anteil von 70 Prozent. „Vor allem in der Prignitz und in der Uckermark“, sagt Helmut Adamaschek, „stehen Investoren wie Antlike Solar in den Startlöchern“.
Miriam Thiel sagt: „Die suchen ganz gezielt nach großen Flächen mit nur einem Eigentümer.“ In manchen Gemeinden in der Prignitz werden mehrere Anträge pro Woche gestellt. In Gumtow hat der Bürgermeister deshalb schon die Reißleine gezogen. Nur noch ein Antrag pro Gemeinderatssitzung wird bearbeitet, heißt es in einem Kriterienkatalog, den die Gemeinde inzwischen verabschiedet hat.
Dennoch wird der Druck zunehmen, ist sich Adamaschek sicher. Denn anders als bei Windanlagen, deren „Eignungsgebiete“ in Regionalplänen exakt ausgewiesen sind, liegt die Planungshoheit für Solarparks bei der Kommune. Es braucht nur einen kommunalen Bebauungsplan und schon kann es losgehen.
Für Adamaschek ist das auch eine Zerreißprobe für die Grünen. Er weiß, in welchem Dilemma sich Brandenburgs grüner Umwelt- und Landwirtschaftsminister Axel Vogel befindet. „Die Grünen stehen unter Stress“, sagt er. „Sie müssen die selbst gesetzten Klimaziele schaffen, aber dafür müssen sie sich auch mit der eigenen Klientel anlegen.“ Adamaschek weiß, wovon er spricht. Er war lange selbst Kreisvorsitzender der Grünen in der Prignitz. In Gumtow haben die Grünen 16 Prozent der Stimmen bei der letzten Kommunalwahl geholt. „Das ist viel für Brandenburg“, sagt er.
Von der Landesregierung im Stich gelassen
Wer sich die Finger nicht verbrennen will, erklärt sich für nicht zuständig. So hält es auch das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz in Brandenburg. Auf Nachfrage der taz erklärt Sprecher Sebastian Arnold: „Solaranlagen (…) unterliegen dem Baurecht, werden also von den Bauämtern im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens zugelassen. Flächennutzungs- und Bebauungsplanung ist Sache der Kommunen.“ Wenn überhaupt, sei das Infrastrukturministerium zuständig, so Arnold weiter. Das reagierte nicht einmal auf eine Anfrage der taz.
Es sind Dinge wie diese, die den Menschen in der Prignitz das Gefühl geben, von der Politik im Stich gelassen zu werden. Auf sich allein gestellt zu sein. Zerrieben zu werden zwischen skrupellosen Investoren, gierigen Flächenbesitzern und überforderten Verwaltungen. Vor einer Übermacht zu stehen, wie sie auch im Berlinale-Gewinnerfilm „Alcarràs“ mit der Geschichte von einer einer katalonischen Bauernfamilie, die einem Solarpark weichen muss, beschrieben wird. Gerade ist der Film in den Kinos angelaufen. Dennoch gibt Helmut Adamaschek seine Hoffnung nicht auf. „Es wäre doch mal was, wenn die Grünen sagen würden: Es muss eine verbindliche Abgabe der Solarfirmen an die Kommunen geben.“
Wem gehört der Platz an der Sonne? Das ist die Frage, die Adamaschek aufwirft. Bisher profitieren von den Solarparks nur die Verpächter und die Solarfirmen. Bei Windkraft ist das anders. Dort bekommen die Kommunen 0,2 Cent pro Kilowattstunde von den Betreibern der Anlagen. Bei Solarparks ist die Abgabe aber eine rechtliche Grauzone. Denn es gilt das sogenannte Kopplungsverbot, das heißt die Kommune darf ihr „Go“ für den Bebauungsplan nicht mit der Forderung nach einer Abgabe koppeln. „Also läuft das über die Hinterzimmer“, sagt Adamaschek. Vereinen in den Dörfern werden von Verpächtern Zusagen gemacht. Antlike hat einen Stromkostenzuschuss von 100 Euro pro Person jährlich zugesagt. Miriam Thiel wiederum hat beobachtet, wer plötzlich in den Dörfern Solarpaneele auf den Dächern hatte.
Für den geplanten Solarpark in Gumtow hatte der Betreiber eine Abgabe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde im Jahr mündlich zugesagt, das wären jährlich 300.000 Euro. Dann zog er das Angebot wieder zurück und war nur noch zu einer Abgabe von 100.000 Euro bereit. „Und auch die 100.000 Euro hat er nur zugesagt, weil wir Krawall gemacht haben“, betont Angela Jandt.
Jandt lebt im Nachbardorf von Miriam Thiel, auch sie ist eine Zugezogene. „Wegen Corona habe ich Berlin nicht mehr ausgehalten“, sagt sie unter der Linde von Miriam Thiel. Seitdem engagiert sie sich in der Prignitz, kaum eine Gemeinderatssitzung lässt sie aus in Gumtow.
Was muss zusammenkommen, damit sie einen Solarpark in Ordnung findet? Angela Jandt sagt: „Die Gemeinde muss davon profitieren, das erhöht die Akzeptanz.“ Aber auch die Bewohner können profitieren. Für eine zweite Anlage in Dannenwalde haben die Investoren einen Strompreis von 18,5 Cent pro Kilowattstunde zugesagt, das wäre die Hälfte des aktuellen Preises. Möglich ist das, weil PV-Freiflächenanlagen die günstigste Form der Stromerzeugung sind. Wichtig seien auch ein transparentes Verfahren und Naturverträglichkeit, fügt Jandt hinzu. „Und natürlich die Größe.“
Ihrer Meinung nach müsste die Fläche für einen Solarpark auf 50 bis 75 Hektar begrenzt sein. Für Döllen würde das heißen: die Hälfte. Außerdem sei eine Flächendeckelung für Solarparks auf zwei Prozent der Gemeindefläche nötig, wie es etwa für Windparks gilt. Für all das, findet Jandt, sei auch die Landesregierung verantwortlich. „Doch bislang gibt es da nur eine Empfehlung der Grünen“, ärgert sie sich. Darin steht, dass PV-Freiflächenanlagen nicht in Schutzgebieten entstehen dürfen. Adamaschek fordert, dass Brandenburg, ähnlich wie Niedersachsen, Eignungsgebiete nicht nur für Windkraft, sondern auch für Solarenergie festlegt.
Vom Land im Stich gelassen, gehen die Kommunen in Brandenburg inzwischen eigene Wege. Manche von ihnen lehnen Solaranlagen rundherum ab. Andere haben ein Moratorium erlassen und hoffen auf das Ende des Kopplungsverbots und eine Erhöhung der Abgabe von 0,2 Cent auf 0,4 Cent pro Kilowattstunde.
Wieder einen anderen Weg geht die Gemeinde Gumtow. Der Kriterienkatalog, den der Gemeinderat verabschiedet hat, ist auch ein Lernprozess. Er regelt zum Beispiel, dass kein Solarpark gegen den Willen der Bewohner entstehen darf. Darüber hinaus sollen sie „die Möglichkeit haben, sich am Solarpark als Anteilseigner zu beteiligen“.
Helmut Adamaschek will, dass von der Energiewende alle profitieren. Döllen sieht er als Niederlage. „Aber auch eine Niederlage“, meint er, „kann gut sein für die Demokratie, wenn die Menschen anfangen, sich einzumischen.“
Miriam Thiel tut sich schwer, das Gute im Schlechten zu sehen. Sie muss künftig mit der Solaranlage in Döllen leben. „Wenn ich mit dem Pferd um das Gelände herum reite“, sagt sie, „dauert das eine Dreiviertelstunde.“
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