Streit über Coronabonds: Tausend Ökonomen gegen Merkel
Ökonomen aus ganz Europa fordern Coronabonds. Sie sehen Gesundheit und Leben von Millionen Bürgern „existenziell bedroht“.
Nun wird ein neues Instrument ausprobiert: Seit dem Wochenende kursiert unter den Ökonomen ein offener Brief, den bereits mehr als 1.000 Experten aus ganz Europa unterschrieben haben. In ihrem Text werben sie für „European Renaissance Bonds“, wie sie die Coronabonds nennen. Denn die Ökonomen fürchten, dass es demnächst zu einer neuen Eurokrise kommen könnte, die aber „unvergleichlich schlimmer“ wäre als die Verwerfungen der Jahre 2010 bis 2012.
Aus Sicht der Ökonomen kann es nicht funktionieren, dass jedes Land seine Corona-Kosten allein stemmt, indem es separate Kredite aufnimmt und dafür eigene Staatsanleihen ausgibt. Denn die Corona-Kosten sind so immens, dass die öffentlichen Haushalte in allen Ländern in extreme Defizite rutschen werden – auch in Deutschland. „Die Bundesrepublik ist als Exportnation sogar besonders gefährdet“, warnt Finanzökonomin Doris Neuberger, die den offenen Brief unterzeichnet hat.
Die Ökonomen fürchten, dass es zu einem Teufelskreis kommt: Wenn die Staatssschulden explodieren, steigen auch die Zinsen, weil die Investoren „Risikoaufschläge“ verlangen. Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland könnte also schlicht das Geld ausgehen, um die Epidemie und ihre Folgekosten zu bekämpfen. Diese Not kann den europäischen Nachbarn jedoch nicht egal sein, denn auch sie wären gefährdet, wenn das Virus weiter grassiert und ganze Länder im Elend versinken. Die Ökonomen warnen: „Gesundheit und Leben von Millionen Bürgern sind existenziell bedroht.“
Bundesregierung setzt auf ESM
Kanzlerin Merkel und SPD-Finanzminister Scholz hingegen setzen lieber auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), um Ländern wie Italien oder Spanien beizustehen. Der ESM ist ein Rettungsschirm, der 2012 in der Eurokrise aufgespannt wurde und der bis zu 410 Milliarden Euro an Krediten vergeben könnte.
Doch die Ökonomen warnen davor, ESM-Gelder anzuzapfen. „Länder wie Italien oder Spanien würden stigmatisiert“, fürchtet Finanzökonomin Neuberger. „Wer bei einem Rettungsschirm anklopfen muss, wird automatisch als offizieller Pleitekandidat gebrandmarkt. Die Risikoaufschläge würden erst recht steigen.“ Coronabonds hingegen hätten den Charme, die Spekulation auf den Finanzmärkten auszuhebeln: „Die Investoren könnten nicht mehr einzelne Euroländer gegeneinander ausspielen, weil es ja nur noch ein Papier gäbe.“
Neuberger ist „verhalten optimistisch“, dass es tatsächlich zu Coronabonds kommen könnte: „Es ist bemerkenswert, dass sich selbst konservative Ökonomen dafür einsetzen.“
Inzwischen bröckeln die Fronten auch in der Union. CDU-Vorstandsmitglied Elmar Brok sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „dass wir uns angesichts der Opferzahlen im Süden nicht vorstellen können, was in italienischen, spanischen, französischen Seelen los ist.“ Brok hält „klar definierte und begrenzte“ Coronabonds für „unvermeidbar“. Ähnlich sehen es CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sowie der Vizepräsident des Europaparlaments, Rainer Wieland.
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