Strategische Provokation der AfD: Die Grenze des Sagbaren
Wieder betreibt die AfD rassistische Hetze. Diesmal will Gauland SPD-Politikerin Özoğuz „in Anatolien entsorgen“. Dürfen wir das ignorieren?
Sie haben es schon wieder getan. Und schon wieder stellt sich die Frage: Reagieren oder ignorieren? Die Antwort scheint gefunden, aber ist sie die richtige?
AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat bei einer Wahlveranstaltung im thüringischen Eichsfeld davon gesprochen, die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz „in Anatolien“ zu „entsorgen“. Das berichtet die FAZ in der Ausgabe vom Montag.
Özoğuz hatte in einem Interview mit dem Tagesspiegel im Mai gesagt, die Leitkulturdebatte sei absurd, denn „eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“. Gauland griff diese Äußerung auf und sagte laut FAZ: „Das sagt eine Deutschtürkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ Das Publikum reagierte mit Applaus und vereinzelt mit Jubel.
So, und nun? Rassistisch ist das („…da, wo sie hergekommen ist“), entmenschlichend (man „entsorgt“ Gegenstände, nicht Personen), bedient Gewaltfantasien – und es ist kalkulierte Provokation. Gehört es als solche einfach ignoriert?
Weidel: Gaulands Wortwahl sei „Geschmackssache“
Das Muster ist wiederkehrend. Der „Mausrutscher“ von Beatrix von Storch war eine Variante, die Gauland-Äußerungen zu Boateng, die Höcke-Rede zum Holocaustmahnmal, und jedes Mal ist klar: Die AfD überschreitet bewusst Grenzen, macht von sich reden und rudert dann ein bisschen zurück.
Und so sagte Spitzenkandidatin Alice Weidel im „Morgenmagazin“ am Montag, Gaulands Wortwahl sei „Geschmackssache“, sie könne die Aussage jedoch im Kern unterschreiben. Gauland wiederum kann sich nicht mehr an seine Wortwahl erinnern.
Dass das Spiel mit der roten Linie zur Strategie der AfD gehört, ist kein Hirngespinst, das hat die Partei selbst bestätigt. Und doch läuft das Muster jedes Mal gleich ab, und jedes Mal tanzen die Medien den Empörungsreigen.
Also besser ignorieren. Das Einzige, was der AfD schaden kann, ist, wenn niemand über sie spricht. Empörung ist das Wasser des Medienphänomens AfD, und es muss ausgetrocknet werden.
Obwohl: nein.
Die AfD ist keine Eintagsfliege, trotz Abschwächen der Flüchtlingsdebatte hat sie gute Chancen auf ein zweistelliges Wahlergebnis. Sie wird nicht verschwinden. Und sie verschiebt die Grenze des Sagbaren Millimeter für Millimeter weiter, während in der Öffentlichkeit ein Gewöhnungseffekt eintritt.
Das heißt nicht, dass wir graduell alle zu Nazis werden. Aber.
Jedes Wochenende kämpfen Menschen in Deutschland bei Grillpartys damit, dass ihre Angehörigen sich die Sprache der Rechtspopulisten zu eigen machen. Täglich kämpfen Menschen in Deutschland mit der Furcht davor, selbst Ziel derartiger Hasstiraden zu werden. Oder davor, dass aus der verbalen Gewalt eine physische wird.
Stelen vor dem Sonnenblumenhaus
Seit Neuestem stehen vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen fünf Stelen, die an das Versagen unter anderem von Gesellschaft und Medien erinnern sollen. Nicht zuletzt Gleichgültigkeit spielte damals eine Rolle bei den rassistischen Angriffen auf das Wohnheim für Asylbewerber.
Wenn politische Parteien gewaltsame rassistische Sprache etablieren und dafür Applaus ernten, sollte niemand gleichgültig reagieren. Wenn PolitikerInnen einer Bald-Bundestagsfraktion genüsslich Gewaltfantasien füttern, muss darüber gesprochen werden. Immer wieder.
Darüber mögen sich die Gaulands und Weidels freuen. Aber es macht zumindest klar: Wer mit der AfD sympathisiert, kann aufhören, sich darüber zu beklagen, dass er oder sie „automatisch in die Nazi-Ecke gestellt“ wird. Jede solche Äußerung von AfD-SpitzenpolitikerInnen ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Partei die verbalen Grenzen zum Faschismus schnuppe sind – und taugt damit als Munition für die nächste Grillparty.
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