Die AfD und der Berliner Anschlag: „Geplante Provokation“

Der Tabubruch gehört zur Strategie der AfD – so auch nach dem Anschlag in Berlin. Das Reiz-Reaktions-Schema ist immer das gleiche.

Der Mund von Marcus Pretzell

War schon kurz nach dem Anschlag mit der ersten Provokation zur Stelle: AfD-Politiker Marcus Pretzell Foto: dpa

BERLIN taz | Kurz vor dem Berliner Anschlag hatte der AfD-Bundesvorstand ein Strategiepapier beschlossen: Die Partei will mit Provokationen und Tabu-Themen auf Stimmenfang gehen. In dem Papier heißt es, die AfD solle im Bundestagswahlkampf gezielt Themen ansprechen, die den Bürgern Sorgen bereiteten, von den etablierten Parteien aber nicht offen diskutiert würden. Mit „sorgfältig geplanten Provokationen“ wolle man die anderen Parteien zudem zu nervösen und unfairen Reaktionen verleiten. Je mehr die AfD von ihnen stigmatisiert werde, desto positiver sei das für ihr Profil.

Neu ist das nicht. Parteichefin Frauke Petry hatte Ähnliches intern schon mehrfach propagiert – und selbst in die Realität umgesetzt. In Interviews etwa, wenn sie sagte, dass Polizisten, um illegale Grenzübertritte zu verhindern, in letzter Konsequenz auch auf Flüchtlinge schießen müssten. Oder wenn sie darüber sinnierte, ob man den Begriff „völkisch“ nicht auch positiv besetzen könne. Auch Gaulands Einlassungen über die Nachbarschaft des Nationalspielers Jérôme Boateng gehören in diese Kategorie, genauso wie die Reaktionen von AfD-Politiker auf den Anschlag an der Gedächtniskirche.

Da wünschte Sven Tritschler, Chef der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, dem SPD-Vize Ralf Stegner auf Twitter „fast Bekanntschaft mit einem Lkw-Reifen“. Stegner hatte geschrieben, dass es absolute Sicherheit in einer freiheitlichen Demokratie nicht gebe. Tritschler ist einer der aussichtsreichen AfD-Kandidaten für die Wahl in Nordrhein-Westfalen. André Poggenburg, Fraktionschef in Sachsen-Anhalt vom rechten Rand der Partei, twitterte: „Das Gutmenschengejaule zu Terror in Berlin wird gleich einsetzen.“

Die Nachricht mit dem vermutlich größten Ekelfaktor setzte Marcus Pretzell, Spitzenkandidat in NRW, auf dem Kurznachrichtendienst ab: „Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote!“, schrieb er am Montag um 21.15 Uhr. Gut eine Stunde nach der Tat. Fakten waren zu diesem Zeitpunkt noch so gut wie keine bekannt. Aber was soll’s? Schnell machte sich Empörung im Netz breit. Pretzells Einlassung wurde vielfach retweetet und kommentiert. Und wurde damit größer und größer.

Das Reiz-Reaktions-Schema ist immer das Gleiche: Auf die Provokation folgt die Aufmerksamkeit, darauf die Empörung und noch mehr Aufmerksamkeit. Dann hat die AfD, was sie will: Alle hören, was sie sagt. Sie kann ihre Themen platzieren.

Für Journalisten ist das ein Dilemma, denn sie sind Teil dieser Strategie. Will man über alles Relevante berichten, gehören die gezielten Provokationen der AfD mitunter dazu. Schließlich ist es nicht bedeutungslos, wenn die Chefin einer Partei, die bald im Bundestag sitzen wird, den Begriff des „Völkischen“ rehabilitieren will.

Für Journalisten ist die AfD-Strategie ein Dilemma, denn sie sind Teil davon

Und doch bekommt auch mit kritischer Berichterstattung die Partei, was sie will: Aufmerksamkeit. Da Ignorieren aus journalistischer Perspektive aber auch auch keine Lösung sein kann, bleibt nur das kritische Abwägen in jedem Einzelfall. Das wird im kommenden Jahr zu einer Herausforderung für die Medien werden.

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