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Sprachliche Anpassungen in der LiteraturGeschichten, nicht: Geschichte

Kinderbuch-Klassiker von diskriminierenden Begriffen zu befreien ist keine Zensur – es hält die Werke lebendig. Eine Bedingung aber gibt es.

Mehr Versionen, mehr Leser – das Wichtigste ist doch, dass Bücher lebendig bleiben Illustration: Katja Gendikova

A uf einer Poetry-Slam-Bühne hätte Walther von der Vogelweide heute keine Chance. Heute kann man ihn fast nur noch durch Nachdichtung verstehen. Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf die Kulturdebatte um sprachliche Anpassungen in literarischen Werken.

Jüngster Fall: Der Thienemann-Verlag bringt eine Neuausgabe von Michael Endes Kinderbuchklassiker „Jim Knopf“ heraus, in der das N-Wort gestrichen ist, aus „Eskimos“ „Inuit“ geworden sind, die Illustrationen verändert wurden: Jim hat nun eine hellere Hautfarbe, keine wulstigen rosafarbenen Lippen und auch keine Tabakpfeife mehr.

Toll, sagt die Pro-Fraktion, unsere Gesellschaft ist heute vielfältiger als früher und Bücher sollten keine rassistischen Stereotype reproduzieren. Die Contra-Fraktion sieht darin eine Ent-Historisierung und einen Eingriff in die Kunstfreiheit – schlicht: Zensur.

Beide Argumente sind berechtigt – und greifen doch zu kurz. Während die einen das Fortwirken der Diskriminierung in den Neufassungen literarischer Werke übersehen, betrachten die anderen die Frage rein synchron, also literarische Werke nur als Produkte ihrer Zeit.

Alle mal entspannen!

Entspannter wird es, wenn man die Sache diachron betrachtet. Und zwar so: Diskriminierende Begriffe entwickeln sich mit der Zeit, und alles – also auch die Neufassungen – sind Zeugnisse ihrer Zeit.

Ein konkretes Beispiel: Victor Hugos Stück „Der König amüsiert sich“ wurde nach seiner Uraufführung im Jahr 1832 sofort verboten. In Deutschland sieht man die Franzosen gern als revolutionäres Volk, aber tatsächlich folgten auf die Revolution – nach ein paar Jahren Republik und Kaiserreich – wieder über 30 Jahre Monarchie. So saß 1832 König Louis-Philippe auf dem Thron. In Hugos Drama wird der königliche Hof als korrupt und dekadent dargestellt – Sittenlosigkeit! –, und der Hofnarr versucht, seinen König zu ermorden – Regizid!

Natürlich kam das Motiv des Königsmordes bei Louis-Philippe nicht gut an. In seinem Vorwort zu dem Stück, das heute bei verschiedenen Verlagen erhältlich ist, beschreibt Victor Hugo die Zensur seiner Zeit. Ausgerechnet diese Zensur gibt uns heute Auskunft über das Jahr 1832, über die Sorgen des Königs. Auch die Bearbeitung des Hugo-Stoffes in der Oper „Rigoletto“ durch Giuseppe Verdi, der einige Aspekte der Handlung änderte, um die Zensurprobleme in Italien zu umgehen, ist ein Zeitzeugnis.

Übrigens würde man „Der König amüsiert sich“ heute nicht mehr als „problematisch“ unter dem Aspekt der Anstiftung zu Gewalt oder Unsittlichkeit einstufen, sondern könnte sagen, das Stück benötige eine Triggerwarnung, weil es eine übergriffige, inzestuöse Vater-Tochter-Beziehung darstellt.

„Altes Weib“ wird „Alte Krähe“

Die sprachlichen Anpassungen von Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“, Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“, Roald Dahls „Matilda“ oder auch Michael Endes „Jim Knopf“ sind – wenn man so will – eine Art Zensur, die heutige gesellschaftliche Normen und Werte widerspiegelt und damit selbst ein Stück Geschichte ist. Im 23. Jahrhundert werden die Menschen unsere heutigen Neufassungen als Zirkel benutzen können, um unsere Zeit zu umreißen, als Archiv für die Werte des beginnenden 21. Jahrhunderts – dazu gehören auch die Debatten darüber. Es findet also keine Geschichtsklitterung statt, sondern das Gegenteil: eine Geschichtsschreibung.

Es wäre zu kurz gegriffen, anzunehmen, dass durch punktuelle Begriffsänderungen Diskriminierung oder Gewalt in Büchern grundsätzlich beseitigt werden. In „The Witches“ von Roald Dahl wird das Schimpfwort „altes Weib“ durch „alte Krähe“ ersetzt. In der Szene beschwert sich eine alte Frau in einem Restaurant, dass ihr Steak zu hart sei, und verlangt ein anderes Stück. Daraufhin bringt der Kellner den Teller in die Küche, beschimpft sie als „altes Weib“ und spuckt zusammen mit den Köchen und Küchenjungen auf das Essen. In dieser Szene werden Machtverhältnisse sichtbar, die sich nicht dadurch auflösen, dass das „alte Weib“ durch eine „alte Krähe“ ersetzt wird.

Überhaupt handelt das ganze Kinderbuch „The Witches“ von Gewalt: Es beginnt mit dem Tod der Eltern, die auf offener Straße von einem Nashorn gefressen werden. Der verwaiste Sohn muss daraufhin zu seinen beiden Tanten ziehen, die grausam zu ihm sind. In der Comicadaption von Péné­lope Bagieu sterben die Eltern hingegen bei einem Autounfall, ebenso in der Verfilmung von Robert Zemeckis: Hier muss der Junge nicht zu seinen Tanten, sondern zu seiner Großmutter, und die Handlung spielt in den USA der 1960er Jahre und greift Elemente der Rassentrennung auf. Roman, Comic, Film: drei Varianten ein und derselben Geschichte. In einem anderen Buch von Roald Dahl, „Matilda“, heißt es im Original: Das Mädchen „fuhr mit Joseph Conrad auf Segelschiffen aus alten Zeiten. Sie reiste mit Ernest Hemingway nach Afrika und mit Rudyard Kipling nach Indien.“

Im Jahr 2023 wurde der britische Schriftsteller Rudyard Kipling durch John Steinbeck ersetzt, der nicht „nach Indien“, sondern „nach Kalifornien“ ging, um den Verdacht des Kolonialismus zu entkräften. Auch Jane Austen wurde anstelle von Joseph Conrad eingefügt, um nicht nur männliche Vorbilder zu zitieren. Im Grunde ist es wie bei den Stilübungen von Raymond Queneau, wo ein und dieselbe Alltagsepisode in mehr als hundert Varianten erzählt wird. Auch verschiedene Versionen eines Buches können nebeneinander existieren – einmal mit Kipling, einmal mit Austen.

Fatal wäre, wenn die neue Version das Original ersetzen würde. Man braucht beide oder mehrere Versionen

Viele Versionen sind viel besser als eine

Voraussetzung ist allerdings, dass neben der Neufassung auch das Original im Umlauf bleibt. Fatal wäre, wenn die neue Version das Original ersetzen würde. Man braucht beide oder mehrere Versionen – wie bei der Bibel, von der es allein in deutscher Sprache 45 Übersetzungen gibt, die sehr unterschiedlich sind, mal textgetreu, mal frei, mit oder ohne Fußnoten, in geschlechtergerechter Sprache oder für Kinder.

Und mit dem Stichwort Zielgruppe sind wir direkt in der Marktwirtschaft. Es wäre auch zu kurz gegriffen, zu glauben, dass ein Verlag bei sprachlichen Anpassungen nur aus ethischen oder moralischen Gründen handelt. Denn natürlich spielen auch ökonomische Motive eine Rolle. Verlage wollen Bücher verkaufen. Durch die Adaption klassischer Texte können sie sich eine neue Leserschaft erschließen.

Die Frage ist: Was sagt es über unsere Zeit aus, wenn sich ein Verlag heute bessere Verkaufschancen verspricht, wenn ein Mädchen Bücher von Jane Austen statt von Joseph Conrad liest?

Wie dem auch sei, Lindgren, Ende und Dahl können es als Kompliment auffassen, wenn ein Verlag sich noch die Mühe macht, ihre Bücher für die heutige Zeit zu „übersetzen“ – sie teilweise an das anzupassen, was für einen zeitgenössischen Kulturkreis „verständlich“ im Sinne von „akzeptabel“ wird.

Literatur muss so unberechenbar sein wie die Welt selbst

Denn so hätte der Thienemann-Verlag auch denken können: Na gut, dann bringen wir eben andere Bücher auf den Markt als Michael Ende. Aber nein, sie machen sich die Mühe, „Jim Knopf“ marktfähig zu machen, weil sie an Endes Werk glauben. Und diachron kann man auch damit rechnen, dass irgendwann eine Zeit kommt, in der Menschen merken: Jim Knopf mit einer helleren Hautfarbe zu illustrieren, das hat einen Namen. Es heißt Colorism, eine Unterform des Rassismus, der schwarze Menschen mit hellerer Haut bevorzugt.

Hat der Verlag in dem Versuch, Rassismus zu vermeiden, unbeabsichtigt eine andere Form von Rassismus reproduziert? Und was ist mit dem Sexismus im Roman? In der Welt von Jim Knopf gibt es nur eine Handvoll Frauen in stereotypen Rollen: die Hausfrau, die gern Mutter wäre, die Prinzessin, die entführt wird und von Jim gerettet werden muss, die strenge Lehrerin oder die Meerjungfrau.

Die Contra-Fraktion wettert meist gegen die sogenannte Cancel Culture und Wokeness – eine unterkomplexe Sichtweise. Zudem wird oft übersehen, dass es auch von konservativer Seite Kon­trol­le und Zensur von Literatur gibt. Nach Angaben der Schriftstellervereinigung PEN America wurden zwischen Juli 2021 und Juni 2022 rund 1.648 Titel an amerikanischen Schulen auf den Index gesetzt. Verboten werden vor allem Bücher, die sich mit Rassismus oder geschlechtlicher Vielfalt beschäftigen, wie „The Bluest Eye“ von Toni Morrison oder „Gender Queer: A Memoir“ von Maia Kobabe. Von Cancel Culture ist in diesen Fällen seltsamerweise nicht die Rede.

Die Tatsache, dass Lindgren, Ende und Dahl den Anpassungen nicht mehr zustimmen können, macht die Debatte natürlich hitziger. Aber wer weiß. Vielleicht hätten sie nicht verbissen auf ihrer Version beharrt, sondern wären entspannt gewesen. Deshalb sage ich es jetzt schon: Wenn ein Verlag in hundert Jahren meine Bücher noch einmal lektorieren will, um sie für die Leserschaft des 22. Jahrhunderts verständlicher zu machen: bitte sehr. Da bin ich entspannt – und da wünsche ich mir generell mehr Entspanntheit.

Nehmen wir unseren Walther von der Vogelweide: Diu welt ist allenthalben ungenâgen vol. Oder in der Übertragung von Peter Rühmkorf: Die Welt ist allenthalben unberechenbar.

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59 Kommentare

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  • Nur ist es doch gar nicht realistisch, dass mehrere Versionen eines Buches nebeneinander zu kaufen sind.

    Der Verlag wird nur noch die neuen Jim-Knopf Bücher verkaufen.

    So wie auch Astrid Lindgrens Bücher nur noch mit "Südseekönig" vertrieben werden.

    • @rero:

      Ich bin dazu übergegangen, Bücher, die ich in meiner Kind- und Jugendzeit gelesen habe (Stadtbücherei), hektisch einzukaufen. Solange es die Originale noch gibt, nicht nur im Giftschrank einiger Archive.

      • @sollndas:

        Das ist wohl die einzige Möglichkeit.

        Nur ist das wohl nicht, was Herr Robinet im Sinn hatte.

  • »In der Welt von Jim Knopf gibt es nur eine Handvoll Frauen in stereotypen Rollen.«

    Eher sind alle Erwachsenen in stereotypen Rollen, nicht aber Kinder. Prinzessin Li Si ist nämlich ziemlich taff und harrt nicht ihrer Rettung. Vielmehr ist sie mit reichlich »Widerspruchsgeist« (schönes Wort auch, besonders für ein Kinderbuch) gesegnet, der zwar dazu führt, dass sie von den 12 oder 13 Piraten entführt wird (was alle siehst-du-wir-haben-es-doch-gewusst-Pädagogen in selbstgefällige Verzückung versetzt) aber letztlich dazu führt, dass die Piraten resolzialisiert werden. Lang lebe der Widerspruchsgeist!

    • @Bernardo Januar:

      Liggers - das mir eigene - Widerborst - schätze ich aber auch sehr! Wollnich

  • Höchste Zeit, dass jede Art von Literatur durchgegendert wird und eine gerechter Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund eingeführt werden muss. Aus Moby Dick könnte man auch ein Einhorn machen.

  • Ich bin ja bei vielem dabei, aber



    zum Einen kann es ja auch " "Die Hexen" - Frei nach Roald Dahl" heißen, wenn der Inhalt zu stark verändert wird



    und zum anderen braucht niemand wirklich eine Bibel, egal in welcher Version. Wenn an einem Buch zu viel aus politischen Gründen geändert werden muss (und das gilt nicht nur für das "Buch Gottes"), ist es fraglich, ob es denn überhaupt gelesen werden muss. Meistens geschieht das gerade bei Kinderbüchern eh nur aus der Nostalgie der Eltern und der Verlag, der ein Kinderbuch inhaltlich umschreiben lässt, um es neu aufzulegen, macht dies meist aus Profitgründen und nicht aus Liebe zur Kunst.



    Dann doch lieber ein gutes Buch einer guten zeitgenössischen Schriftsteller:in. Die soll es immerhin auch noch geben.

    • @Hannes Schreiter:

      Ach, ist schon hilfreich, Bibel, Odyssee oder Rumi zu kennen. Zeitgenössische Literatur weiß das natürlich.

    • @Hannes Schreiter:

      Da sollte man schon differenzieren zwischen religiösen Schriften und Literatur.

      Musterbeispiel sind die Koran Übersetzungen. Im arabischen als Reimprosa (Sadsch) verfasst. Orientierten sich deutsche Übersetzungen an der Versform, wie Friedrich Rückert 1888, mussten Einschränkungen bei der wörtlichen Übersetzung in Kauf genommen werden. Wurde sich eher am Inhalt orientiert, wie Rudi Paret 1966, ging das Reimschema verloren.

      Die Koranübersetzungen zeigen deutlich die Schwierigkeiten auf, dem Original religiöser Schriften bei einer Übersetzung stilistisch und inhaltlich gleichermaßen gerecht zu werden

  • Man sollte Kinder nicht für blöd halten. Eltern werden vom Nashorn gefressen - fantasiereich, witzig, absurd und traurig zugleich.



    Eltern sterben bei Autounfall - realitätsnah, beängstigend, könnte jedem Kind passieren.



    Da bleibt man doch besser beim Nashorn.



    Das Lesen älterer Literatur gibt dem Leser, auch dem jungen, einen Einblick in andere Welten. Das fällt auch unter das Stichwort "Bildung".

  • „Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle rumort und die Schlafmütze schlief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: Du Taugenichts! da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst dir die Knochen müde und läßt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot.“

    Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts. 1826

    „Unter dem Fenster unserer Wohnung im dritten Stock rauschte der tägliche Berufsverkehr vorbei. Der Regen klatschte gegen die Scheibe und das ständige Pling der WhatsApp-Nachrichten ließ mich nicht pennen. Dann kam auch noch mein Alter rein und zog mir die Decke weg, die ich mir gerade in der Hoffnung auf eine Extrarunde Schlaf über den Kopf gezogen hatte. ‚Fauler Sack!Mach dass du aus dem Bett kommst! Hotel Mama ist aus, ab sofort wird malocht!‘

    Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts. 2024

    • @Klabauta:

      Hihi, witzig. Heutzutage haben die Taugenichtse eine zusätzliche Option: anstatt in die weite Welt können sie auch ins Internet ziehen.

    • @Klabauta:

      Schönes Beispiel. Aber ich weiß nicht, ob jugendliche Taugenichtse 2024 "mein Alter" und "pennen" sagen.

      • @Karla Columna:

        Erwischt. Ich fürchte, ich bin zu alt, um mit einer zeitgemäßeren Sprache aufwarten zu können.

  • An sich finde ich das Argument überzeugend, wenn eben, wie gesagt wird, verschiedene Versionen erhalten bleiben. Es ist aber anzunehmen, dass dies an sich nicht geschieht, vielleicht im Museum oder im Rahmen des Gebrauchtmarktes.



    Auch der Verlag 'glaubt' nicht an das Werk und überarbeitet es deshalb, sondern versteht, dass Jim Knopf (um bei dem Beispiel zu bleiben) einfach eine sehr starke, bekannte Marke ist, die ggf. weniger gekauft wird, wenn dem Befinden der bildungsbürgerlichen Eltern, die selbst mit dem Buch aufgewachsen sind, nicht entsprochen wird. Da geht es mMn. insb. um ökonomisches Kalkühl - was man auch in Bezug auf den Punkt des Colorism belegen kann, denn der führt dazu, dass sich das Buch ggf. (noch) besser so verkauft.

    Ich gehöre weder der einen noch der anderen Fraktion an, kann aber nicht verstehen, weshalb insbesondere die Eltern der bewegten Franktion nicht einfach die tollen modernen Kinderbücher lesen, die es ja auch massenweise gibt und lieber an dem alten Kram rumfummeln. Man kann diesen ja zurecht kritisieren, aber dann kauf ich doch lieber ein progressives Kinderbuch und unterstütze diese Autor*innen, anstatt die ollen Kammellen weiter zu fördern...

  • Leider können "sprachlichen Anpassungen" auch zu "Verschlimmbesserungen" führen.

    Inuit statt Eskimo:



    de.wikipedia.org/w...Eskimo#Bezeichnung

    Alte Krähe statt altes Weib:



    www.dwds.de/wb/Kr%C3%A4he#ot-1

    Zudem sollte vermieden werden, dass "sprachlich angepasste" Texte dann Aussagen transportieren, die sie zuvor nicht hatten.

  • Diskriminierende Begriffe wie das N-Wort müssen aus Kinderliteratur heraus, damit sich rassistische Begriffe nicht schon von Kindheit an verfestigen.

    Bei allen anderen inhaltlichen Eingriffen in Kinderliteratur bin ich skeptisch.

    Ich denke dabei immer an einen Vater aus dem Kindergarten, der für seine Tochter Hänsel und Gretel zensierte, weil er das Gefühl hatte, es wäre zu grausam für ein Kind, zu erfahren, dass Eltern ihre eigenen Kindern im Wald aussetzen. Ganz zu schweigen von einer bösen Hexe. Diskriminierend für Frauen und historisch fragwürdig, ob es Hexen in dieser Weise gab und sie dann auch noch in Lebkuchenhäuser wohnten.

    Klar, kann man aus der bösen Hexe eine ältere Sozialarbeiterin machen, die für Hänsel und Gretel mehr Hilfe als Bedrohung ist, und Lebkuchen verteilt. Das ist natürlich möglich, aber ist es auch sinnvoll? Oder ist das da nicht auch ein bisschen Geschichtsklittung und Weichspülung? Zumal Märchen ja auch eine gewisse quadratische Funktion für Kinder darstellen.

    Mir wäre es schon wichtig, auch das Original zur Verfügung zu haben. Bei Märchen, aber auch bei Kinderbüchern. Bei Büchern für Erwachsenen sowieso. Es könnte ja Ausgaben für Eltern geben, die Geschichten lieber weich gezeichnet haben möchten. Kann man dann ja so raus bringen, aber bitte mit genauen Hinweis, dass es nicht die Originalausgabe ist.

    • @Karla Columna:

      Bei meinem Kind hat sich nichts verfestigt. Kinder sind nicht doof und es ist ihnen durchaus vermittelbar, dass Worte immer kontextabhängig zu verstehen sind und es wichtig ist zu beachten, wer welche Worte in welchem Zusammenhang benutzt.

      • @BrendanB:

        Da muss ich Ihnen widersprechen. Es gibt Wörter, die werden von Betroffenen kontextunabhängig als äußerst diskriminierend empfunden. Das N-Wort zum Beispiel. Oder mittlerweile auch das Z-Wort.

        Überlegen Sie sich einfach ein Schimpfwort, dass Sie und einer Gruppe, der sie angehören, sehr verletzen würde, und dann setzen Sie das doch mal an der entsprechenden Stelle ein. Würden Sie wollen, es stünde in einem an sich wunderbaren Buch? (Wenn Ihnen kein solches Wort einfällt, dann seien Sie froh, versuchen Sie sich aber doch mal in die Situation anderer einzufühlen, die von solchen Wörtern betroffen sind und sich ständig rechtfertigen müssen.)

        Kinder sind tatsächlich nicht doof, aber je öfter solche Wörter benutzt werden, desto mehr sind die Wörter eben auch im Kopf. Und ich hätte es absurd gefunden, meinem fünf- oder sechsjährigen Kind die Stelle von Pippis Vater entweder unkommentiert vorzulesen, als ob es völlig neutral wäre, das Wort zu benutzen (wäre ein ungünstiger Lerneffekt fürs Kind) oder eine Diskussion anzufangen, dass ich dieses Wort zwar vorlese, aber eigentlich im Alltag nicht benutze. Ich fand es viel einfacher Pippis Vater einfach nur "König" zu nennen. Und die aktuelle Ausgabe mit "Südseekönig" und "Taka-Tuka-Sprache" finde ich sehr gelungen. Das wäre auch im Sinne Lindgrens gewesen, der es bestimmt fern gelegen hätte, Menschen zu diskriminieren.

    • @Karla Columna:

      "Es könnte ja Ausgaben für Eltern geben, die Geschichten lieber weich gezeichnet haben möchten."



      Dafür gibts Disney. Hat mit dem Original praktisch nichts zu tun, dafür ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Astrid Lindgrens oder Michael Endes Werke sind aber wohl noch länger von der disneyschen Namenswiederverwertung ausgeschlossen...

      • @IjonTichy:

        Das mit "weich gezeichneten Ausgaben" war natürlich eher ironisch gemeint, aber ja, Disney wären dafür ein Beispiel. Und viele Eltern mögen das eben so.

        Doch interessant ist auch da: Disneys "Schneewittchen" wirkt heutzutage entschärft, galt aber z. B. damals, als Walt Disney den Film herausbrachte, selbst für Erwachsene noch als spannungsgeladen und dramatisch. (gibt eine Doku darüber).

        Unsere Sehgewohnheiten ändern sich, unsere Lesegewohnheiten auch.

        Märchen sind da ein gutes Beispiel. Die Märchenbuchausgaben für Kinder entsprechen wirklich nicht dem Original von den Gebrüdern Grimm (das sprachlich inzwischen auch schwer verständlich ist; inhaltlich bei weitem grausamer und gewaltvoller.)

        Und bei Märchen wiederum wäre auch keiner dagegen, diese weiterzuerzählen und zu verändern. Das Cinderella-Motiv ist z. B. bei "Drei Nüsse für Aschenbrödel" aufgegriffen und doch verändert worden. Deshalb ist es nicht schlechter geworden, sondern ganz im Gegenteil.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Lesen Kinder noch Werke von Michael Ende?



    Wird es nicht eher Zeit, dass Kinderbücher geschrieben werden über „Deal-Emma das listige Smartphone"?

    • @95820 (Profil gelöscht):

      „Lesen Kinder noch Werke von Michael Ende? Wird es nicht eher Zeit, dass Kinderbücher geschrieben werden über „Deal-Emma das listige Smartphone"?

      Weil folgendes vielleicht komisch oder befremdlich klingen könnte, ich meines es ehrlich ohne Hintergedanken:



      Für mich (als ehml. Vorleser für Kita-Knirpse) ist das gerade im Zusammenhang mit Kindergeschichten eine ganz wichtige Frage. Insbesondere mit Blick auf eine schon anbrechende Zukunft, wenn Emma, das listige KI-Smartphone gleich selbst mit dem Kind Kontakt/Kontakt? aufnimmt und selbst oder „Wie von selbst“!?... dem Kind was davon oder „Von sich“!? erzählt?!

      Die Phantasie von Kindern ist weit und intensiv. Die Welt der Erwachsenen kann verlockend sein. Kinder wollen, u. a., tun was Die Großen tun. Meine Nichte konnte laufen und war mitten im Sprechen lernen. Sie eroberte ein Smartphone, fast zu groß und zu schwer für ihre kleinen Hände. Das Smartphone tat keinen Mucks. Es war kaputt. Trotzdem und natürlich telefonierte L. mit ihrem Opa wirklich „wirklich“. Sie quietsche vor Vergnügen…

      Später: Wir legten uns mit der Kindergruppe ins Gras, schlossen die Augen und waren ganz still. Eines der Mädchen strahlte mich danach an: „Ich habe einen Schmetterling gehört“. Für mich hat sie ihn wirklich gehört. Auch wenn sie später feststellen wird, dass jedenfalls das menschliche Ohr Schmetterlinge nicht hören kann – „eigentlich“.

      Gute Kinderbuchautoren stelle ich mir so vor, dass sie nie die Fähigkeit verlieren, Schmetterlinge zu hören. Das will ich jedenfalls hoffen.



      Die Fähigkeit zur Phantasie und die Möglichkeit die zu leben ist für mich für die Entwicklung der Kinder unabdingbar.

      Wird, wenn ich so sagen kann, die „Wirklichkeit“ die Phantasie der Kinder überholen und kann sie diese zerstören? Oder wird sich diese Phantasie als unzerstörbar, weil lebensnotwendig, erweisen und sich listig neue Wege der Entfaltung suchen? Wer wird den Kindern dabei helfen?

      • @Moon:

        Young man - ik bün all door - sagt diesmal nich dee Swiinegel - Nein.



        Die gern pc-geschurigelte Astrid Lindgren



        “Die Wahrheit



        : „Ich sah schwimmende Lokomotiven!“



        Bis in die Haarspitzen von Drogen inspiriert: Berühmte Kinderbuchautoren packen aus, wie sie ihre Gedankenwelten entstehen ließen.



        taz.de/Die-Wahrheit/!5506909/

        Sie - hatte es natürlich leicht - die einschlägigen Pilze 🍄 wuchsen ihr auf der Wiese vor der Haustür!

        ps dem Mondschaf an die Hand - kenne ja etwas den sozialen Hintergrund.



        Gebe zu bedenken - meine Buchwelt der Kindheit bestand neben Robert Reineck aus WB WB WB und nochmals WB •



        Wobei ich logischerweise nicht Werner Brösel - der kam später;) - sondern die Foliantenbände unserer alten Dame*04 vom Alten aus Wiedensahl meine.



        Die ich anfangs mühselig hintermirher schlörte „schallend lachend auf dem Bauche liegend fand man ihn“ & Däh - als ich unlängst eine dreibändige purgierte Folianten Ausgabe Eulenspiegel Verlag durchging dachte ich - halt hier kommt doch - Sie ahnen es die Zwiebel 🧅 - war gesondert geheftet!



        Ich schweife - aber nur etwas ab - und an meinen Jüngsten denke - Asterix rauf und runter => über einen excellenten Strich verfügt und begeistert Architektur studiert - will ich sagen - die Kinder so frauman sie läßt entscheiden was sie von der Fülle des Angebots sich aneignen und was nicht



        Und wenn begnadete Autoren mit welchen Treibsätzen auch immer Kinderbücher schreiben - die Kindern gefallen - immer herdamit.



        Würde aber immer zB Henriette Bimmelbahn dazwischenmogeln!



        Wenn es nämlich zwischen zwei Runden Kids mal knisterte - war - als Henriette nicht zurückgegeben werden konnte - weil angeblich…,, usw Meine Große zog den Stecker - erwarb glücklicherweise für kleines ein Exemplar!



        Hoffe - ich habe mich unklar genug ausgedrückt! Newahr



        Normal Schonn! Woll

        • @Lowandorder:

          Na aber hallo - sagens doch klipp und klar, worauf es ankommt aber im Artikel doch etwas zu sehr in den Hintergrund tritt. Deshalb noch mal hervorgehoben:

          "Ich schweife - aber nur etwas ab - und an meinen Jüngsten denke - Asterix rauf und runter => über einen excellenten Strich verfügt und begeistert Architektur studiert - will ich sagen - die Kinder so frauman sie läßt entscheiden was sie von der Fülle des Angebots sich aneignen und was nicht"

          Was ich mir so bei den Wörtern denke ist das eine. Was sich die Kinder denken - und daraus machen, ist das andere. Und dass die darauf beharren ist schon ganz richtig.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Moon:

        A silent cry of a butterfly...



        Schön. Danke für die ausführlichen Zeilen. Ich habe Kinder und Enkel, und ich war selber Kind. Schäfchenwolken waren und sind mir Inspiration. Ich glaube, das sagte ich schon. Hoffentlich bleiben genug Zauber und Poesie in der realen Welt, damit Kinder ihre Phantasie bilden können.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          A silent cry of a butterfly...

          Ein Dank meinerseits an Sie.

          Auch für mich geht es ohne Schäfchenwolken nicht...Da ist es wichtig, das Mondschaf zu treffen.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          …sach ich doch s.o. - anschließe mich

  • Sprachliche Anpassungen

    Zu hören ist ja auch der Ruf, alle Bücher a posteriori gendergerecht, also in diskriminierungsfreie Sprache umzuschreiben.

    Das gäbe 'ne Menge Arbeit, angefangen bei der Bibel: „Ich lasse euch aber wissen, daß Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, der Mann aber ist das Haupt der Frau. Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, denn er ist Gottes Bild und Abglanz, die Frau aber ist des Mannes Abglanz. Denn der Mann ist nicht von der Frau sondern die Frau von dem Mann. Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen.“ (KORINTHER 11)

    Auch die Europa-Hymne käme nicht ungeschoren davon:



    „Brüder – überm Sternenzelt




    Muß ein lieber Vater wohnen.



    Wem der große Wurf gelungen,



    Eines Freundes Freund zu sein;



    
Wer ein holdes Weib errungen,




    Mische seinen Jubel ein!




    Wahrheit gegen Freund und Feind



    Männerstolz vor Königsthronen.“ usw.

    Die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte und das Grundgesetz nehmen wir unter gendersprachlichen Gesichtspunkten in der nächsten Stunde durch.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Nicht ganz korrekt. Bei sprachlichen Anpassungen in der Literatur geht es vorrangig um Diskriminierung und Rassismus. Und Begriffe die heute als abwertend betrachtet werden, wie z.B. das Wort "Weib", welches ursprünglich nicht abwertend gemeint war, heutzutage aber einen anderen Klang hat.

      "Männerstolz" kann ruhig Männerstolz bleiben. Stört sich wahrscheinlich keiner dran.

  • Ansichten und Beschreibungen aus früheren Zeiten werden durch Austausch von Wörtern nicht ungeschehen. Man soll es lesen oder sein lassen und darüber nachdenken. Jedoch nicht weg streichen!

  • So oder so ähnlich könnte es gehen. Lebendige Sprachen verändern sich. wichtig scheint mir, die (i) alten Texte auch in Originalversionen zu erhalten und die (ii) verschiedenen Versionen zu kennzeichnen. (ii) erlaubt LeserInnen die gezielte Auswahl und (i) den Interessierten und Forschern den Zeitgeist der Originalversion nachzuspüren. Bei besonderes schwierigen Texten könnte man eine Kommentierung beifügen. Nur Texte neu zu schreiben, wird Probleme wie Rassismus und Sexismus nicht aus der Welt schaffen; das geht nur durch vorgelebte Beispiele, offenen Dialog und Beseitigung der strukturellen Diskriminierung.

    Was Sexismus und das generische Maskulinum betrifft, denke ich auch, dass die KritikerInnen und entsprechende Forschungen die Geschichte des Verwendungskontexts zu wenig beachten. Wenn es einen kausalen Zusammenhang im Sinne von 'generisches Maskulinums gleich Sexismus' geben würde, dann dürfte es in all den Gesellschaften mit Sprachen, die keine Genera und somit kein generisches Maskulinum kennen, also die Mehrheit aller Sprachen, weniger oder keinen Sexismus geben. Davon habe ich in verschiedenen solcher Länder aber nichts gemerkt. Ganz im Gegenteil.

    • @Stoersender:

      Das ist wohl war, denn grammatische Geschlechter sind reine Konvention und haben nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Mehrere lebende Sprachen sind völlig neutral, was das Genus angeht, darunter das Türkische.

    • @Stoersender:

      Das ist wohl war, denn grammatische Geschlechter sind reine Konvention und haben nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Mehrere lebende Sprachen sind völlig neutral, was das Genus angeht, darunter das Türkische.



      Und herrscht in der Türkei mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern?

  • Allen Lerserinnen sei empfohlen: "1984" von George Orwell.

    • @Bolzkopf:

      Es ist schon ein Unterschied, ob ich als Verlag darauf darauf verzichte, weiter die Bezeichnung "Eskimo" zu verwenden, wenn ich weiß, dass einige Menschen so nicht bezeichnet werden wollen, und ob ich als Vater nicht möchte, dass meine Kinder unkommentiert das N-Wort lesen und vielleicht in ihren Sprachschatz übernehmen, weil sie sich nichts dabei denken -- oder ob ich als Staat Menschen, die "Krieg" sagen statt "Sonderoperation", ins Arbeitslager stecke.

    • @Bolzkopf:

      Die orwellsche Intention von "Neusprech" war aber eine andere. Aber richtige Empfehlung. Großartiges Buch

      • @Sam Spade:

        Welches ist denn die Intention in diesem Falle ?

        • @Bolzkopf:

          Bei Neusprech im orwellschen Sinne geht es um die Reduktion der Sprache, ein möglichst geringer Wortschatz, mit dem Ziel die Möglichkeiten des denkens einzuschränken um eine freie Meinungsbildung "unmöglich" zu machen.

          Das war jetzt die Kurzfassung. Der Unterschied bezgl. der Intention Wörter mit negativer Konnotation durch positivere zu ersetzen gegenüber "Neusprech" sollte aber auch in der Kurzfassung erkennbar sein.

  • Natürlich ist es Zensur und eine grobe Verletzung der Kunstfreiheit und des Urheberrechts. Mit verschiedenen Übersetzungen desselben Werks lässt sich das nur bedingt vergleichen (es sei denn, der/die Übersetzer*in nimmt sich unerlaubte Freiheiten heraus und greift in den Text ein). Mal sehen, wann der "Index Librorum Prohibitorum" wiederkommt.

    • @Gothograecus:

      Die "Index Librorum Prohibitorum" hatte doch schon immer moderne Nachfolger.

    • @Gothograecus:

      Witzbold, jede:r Übersetzer:in "greift in den Text ein", was soll er:sie sonst machen? Es gibt keine objektive Übersetzung und eine sogar eine maschinelle Übersetzung ist nicht neutral (sondern höchstens undurchdacht, was das Ergebnis nicht besser macht).

  • Diese Eingriffe in die Literatur sind für mich ein Indiz dafür, dass es offenbar in der heutigen Zeit vielen Menschen nicht möglich oder unwichtig ist, die Handlungen und Figuren in ihrer zeitgenössischen Darstellung zu erklären, sprich in den Rahmen der Entstehung zu stellen. Unwillen oder Unbildung? Beides? In jedem Fall bedenklich. Ich bin froh, viele der Kinderbücher, welche jetzt auf diese Art "nachbehandelt" und verschlimmbessert werden im Original zu besitzen, meinen Enkeln daraus vorzulesen und die Unterschiede zu Heutigem zu erklären.

    • @Trabantus:

      Es geht hier oft um einzelne Wörter, die verändert werden. Der Stil der Autor:innen wird doch nicht verändert. Von klassischen Kinderbüchern gibt es aber öfter Ausgaben, die verkürzt und leichter geschrieben sind und für kleinere Kinder geeignet sein sollen. Da geht der Stil verloren. Solche Bücher sollen aber die Originale eh nicht ersetzen. Also warum ist es eine "Verschlimmbesserung", wenn Worte entfernt werden, die heute eindeutig nicht mehr sagbar sind? Ihre Enkel sind vermutlich nicht schwarz, sonst würden Sie vielleicht doch zögern, ihnen Sätze mit N-Wort vorzulesen und dann den historischen Zusammenhang zu erläutern, warum das in diesem Kinderbuch vorkommt. Vermutlich sind Sie auch keine Frau, sonst hätten Sie längst keine Lust mehr, einer Enkelin von dem xten Mädchen vorzulesen, das ängstlich weinend in der Ecke sitzt oder dem Jungen das Essen macht und die Kleidung wäscht, während sie Abenteuer erleben. Und der Junge sagt "Mit Mädchen kann man sowas einfach nicht machen"...

    • @Trabantus:

      Um den Anspruch adäquat gerecht zu werden, müsste man schon Kulturwissenschaften und Geschichte studiert haben. Bei Werken wie "Anton Reiser", den "Simplicissimus" oder "Les Misérables" kommt man schnell an seine Grenzen.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Trabantus:

      „Unwillen oder Unbildung? Beides? In jedem Fall bedenklich"



      Nein. Un-Bedenklich. Und Normal.



      Es ist schön, wenn Sie mit ihren Enkel*innen ein Seminar in Philosophie, Geschichte und Literatur abhalten können. Die Originaltexte sollen natürlich nicht verboten werden.



      Aber sollten nicht wir Großeltern die Lebenswelt der jungen Generation stärker zur Kenntnis nehmen? (s.🌛 🐑oben)

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Gerade weil ich die Lebenswelt meiner Enkel zur Kenntnis nehme werde ich es, wenn auch nicht in Seminarform, unternehmen, ihnen verstehen zu helfen, woher sie kamen und wie es zu ihrer Lebenswelt kam. Ihr Interesse daran vorausgesetzt. Zum Glück regen ihre Eltern sie zum Fragen an und setzen jede Menge Impulse, sich nicht mit (angeblichen) Gegebenheiten abzufinden. Traditionspflege sozusagen.

        • 9G
          95820 (Profil gelöscht)
          @Trabantus:

          Ich finde ihre Art ja gut. Das bisschen Ironie bitte überlesen.

    • @Trabantus:

      Das ist auch eine gute Methode. Gerade die Dinge, die einem heute aufstoßen, regen ja zum Nachdenken und darüber reden an. Insofern ein völlig richtiger Ansatz.



      Das entspricht aber auch dem Ansatz des Autors, denn der legt ja Wert darauf, dass die Originale nicht verschwinden und verfügbar bleiben, damit man sie mit den Bearbeitungen vergleichen kann. Insoweit ist das die gleiche Linie.

  • Der Vogelweide-Vergleich ist eine wenig sinnvolle Übertreibung. Wir verstehen mindestens die letzten 300 Jahre sprachlich schon weitgehend.



    Weib/wîb war mal einfach Gattin/erwachsene Frau, als vrouwe noch Herrin bedeutete, das auch..



    Das Minimum ist eine Notation: Schreibweise heutig, einzelne Wörter sind verändert. Um nicht so zu tun, als gäbe es keine historische Veränderung.

    Die Irritation, wenn man den britischen Kolonialismus in Dahls Büchern zum ersten Mal erkennt, die sollte indes eigentlich jeder und jede erleben dürfen, auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

  • Literatur wurde schon immer dem Zeitgeist angepasst, sonst wäre sie oftmals gar nicht mehr lesbar. Klassisches Beispiel die Schlegel /Tieck Übersetzungen von Shakespeare's Werken. Zur damaligen Zeit stark an die Romantik angelehnt.



    Demgegenüber stehen dann neuere Übersetzungen die wie Erich Frieds mehr im Realismus verortet sind oder die von Frank Günther oder Thomas Brasch.

    Werke die in der deutschen Muttersprache verfasst wurden, besonders Kinderliteratur, müssen sogar von Zeit zu Zeit überarbeitet werden damit sie, gerade für jüngere Leser, verständlich und lesbar bleiben. Bevor das "N-Wort" in die deutschsprachige Literatur Einzug gehalten hat, sprach man in der Zeit davor bevorzugt vom "Mohr". Der Begriff wird heute wohl kaum noch einen jungen Leser*in geläufig sein.

    Und auch die aktuellen Ausgaben von u.a. Pippi Langstrumpf oder Jim Knopf unterliegen ja dem, was der kanadische Psychologe Steven Pinker als euphemistische Tretmühle bezeichnet hat.

    Ist ein Wort erstmal zur Norm geworden, stellt sich nämlich ein Gewohnheitseffekt ein, ein Abnutzungseffekt. Ein solcher Effekt ist auch bei Euphemismen zu beobachten, bei den beschönigenden Wörtern und Ausdrücken. Denn wenn ein Wort, das als anstößig



    oder abwertend gilt, durch ein anderes, neutraleres ersetzt wird und dieses einmal



    zur Norm geworden ist, nimmt es dieselben negativen Konnotationen wie das alte



    Wort an und muss wiederum durch ein neues ersetzt werden.

    Daher finde es äußerst begrüßenswert, dass sich Verlage die Mühe machen, deutsche und internationale Klassiker vom " historischen Ballast" zu befreien und sie so einer heutigen Leserschaft zugänglich machen.

    • @Sam Spade:

      Hätten Sie einen Verweis auf die "euphemistische Tretmühle"?

      • @S.R.:

        Aus ihrer Anfrage ist für mich nicht ersichtlich, welche Bereiche ich unter "Verweis" abdecken soll. Daher eine Literaturempfehlung und ein Beispiel.

        Steven Pinker - Wörter und Regeln. Die Natur der Sprache (Spektrum Verlag)

        Ein Beispiel: Aus dem Krüppel wurde so der Invalide, aus dem Invaliden der Behinderte, aus dem Behinderten der Mensch mit Behinderungen, und der wird aktuell zum Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

        Hoffe damit die Anfrage in ihrem Sinne beantwortet zu haben.

        • @Sam Spade:

          Vielen Dank für die Literaturangabe. In der Tat war die Frage unklar formuliert.

  • Much all weesen un Huck by Mark Twain - bin gespannt! Woll



    &



    Nichts gegen Peter Rümkorf - But -

    Ich saz ûf eime steine



    Ich saz ûf eime steine



    und dahte bein mit beine:



    dar ûf satzt ich den ellenbogen:



    ich hete in mîne hant gesmogen



    daz kinne und ein mîn wange.



    dô dâhte ich mir vil ange,



    wie man zer welte solte leben:



    deheinen rât kond ich gegeben,



    wie man driu dinc erwurbe,



    der keines niht verdurbe.



    diu zwei sint êre und varnde guot,



    daz dicke ein ander schaden tuot:



    daz dritte ist gotes hulde,



    der zweier übergulde.



    die wolte ich gerne in einen schrîn.



    jâ leider desn mac niht gesîn,



    daz guot und weltlich êre



    und gotes hulde mêre



    zesamene in ein herze komen.



    stîg unde wege sint in benomen:



    untriuwe ist in der sâze,



    gewalt vert ûf der strâze:



    fride unde reht sint sêre wunt.



    diu driu enhabent geleites niht, diu



    zwei enwerden ê gesunt.

    Welche herrliche Sprachgewalt.



    Und was bitte - soll mir denn eine Poetry-Slam-Bühne dabei erzählen?!



    Erhellend - wie der Verlag bei Jim Knopf! Woll



    Und Enuit ist kein Deut besser wie Indianer = Indian 🇺🇸.



    Mußte derart dabei in den ☕️ prusten - daß ich glatt geneigt bin, die Reinigungskosten für die Tischdecke geltend zu machen! Newahr



    Finger weg. Normal schonn!



    Aber jeder und jede Zeit macht sich auf ihre Weise lächerlich!



    Wie sagte es doch eine meiner Lieblingsehrenamtlichen Richterinnen:



    “Natürlich sind wir Zigeuner. Was sollen wir sonst sein?



    Wir leben seit 2000 Jahren in dieser Stadt!“



    Na und erst Zigana Café & Bistro in der Elsaßstraße!;)



    Ja wie? Sofort umbenennen - So siehste aus •

    unterm——



    Anyway. Danke - lerne immer gern dazu! Gelle

  • Guter Artikel, danke.