Sperrung eines Sees in Brandenburg: Baden verboten
Privater Eigentümer, willige Behörde: Die Sperrung der Badestelle in Groß Köris zeigt, wie schnell der freie Zugang zu Seen eingeschränkt werden kann.
Wenn Matthias Rackwitz am Zaun steht, hinter dem einmal die Dorfbadestelle war, kann er nur den Kopf schütteln. „Seit dem Krieg wurde hier gebadet“, sagt der 52-Jährige aus Groß Köris.
Rackwitz hat sogar die Brandenburger Landesverfassung mitgebracht zur Badestelle am Großen Karbuschsee im Landkreis Dahme-Spreewald südlich von Berlin. „Die Nutzung des Bodens und der Gewässer“, zitiert er aus Artikel 40, „ist in besonderem Maße den Interessen der Allgemeinheit und künftiger Generationen verpflichtet.“
An der nur zehn Meter breiten Badestelle am Karbuschsee ist die Allgemeinheit ausgesperrt worden. Vom privaten Eigentümer des Sees, der einige hundert Meter entfernt in einer Villa lebt und nun einen Zaun gezogen hat. Vom Naturpark Dahme-Heideseen, der auf einer Tafel informiert, dass an der Badestelle die seltene Art der Binsenschneide vorkommt. Und von der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) des Landkreises, die eine „temporäre“ Schließung der Badestelle für fünf Jahre genehmigt hat.
Matthias Rackwitz, Gartenbauingenieur, Anwohner und Vorsitzender im örtlichen Naturschutzbund, würde gern darüber lachen. In Wirklichkeit ist er stinksauer.
Andrang im Coronasommer
Diese Geschichte ist kein großer Skandal, es geht nicht um Korruption oder Machtmissbrauch, nicht um das große Geld. Es ist eine kleine Geschichte aus der Provinz, die davon erzählt, was passiert, wenn verschiedene Interessen aufeinandertreffen und wer am Ende am längeren Hebel sitzt. Und es ist eine Geschichte, die sich überall wiederholen kann. Trotz des Artikels 40 der Landesverfassung.
Begonnen hat die Geschichte vor zwei Jahren. Damals wurde der Managementplan des Flora-Fauna-Habitat-Gebiets „Heideseen bei Groß Köris“ beraten, zu dem auch der Große Karbuschsee gehört. In der abschließenden Fassung ist von der Binsenschneide, einer Sumpfpflanze, die früher zum Decken von Dächern verwendet wurde, nur an wenigen Stellen die Rede.
Besondere Schutzmaßnahmen werden im Managementplan nicht vorgeschlagen, erst recht keine Absperrung der Badestelle. „Auch bei einem ersten Vorort-Termin“, sagt Matthias Rackwitz, „war von einer Sperrung keine Rede.“ Er räumt allerdings ein, dass es von diesem Termin kein Protokoll gibt.
Zwei Jahre lang war dann am Karbuschsee alles wie immer. Die Bewohner von Groß Köris gingen, wenn es warm wurde, baden, die Sonne schien immer länger, der Regen wurde immer weniger, ein Brandenburger Sommer halt an einem Brandenburger See. Einem See allerdings, der nicht allen gehört, sondern zu weiten Teilen dem Berliner Handwerker Michael Müller, der sich die ehemalige Villa, die einmal zu einer Künstlerkolonie gehört hat, gekauft hat und seitdem dort lebt.
3.000 Seen und 33.000 Kilometer Fließgewässer gibt es in Brandenburg. Lange hat niemanden interessiert, wem die Seen gehören. Das änderte sich, als der Bund seine Gewässer verkaufen wollte. Nach Protesten und einer Onlinepetition kaufte das Land Brandenburg 2012 schließlich 65 Seen für 3,74 Millionen Euro.
Der Unmut war auch deshalb so groß, weil der freie Zugang zu den Ufern in der Landesverfassung eher Versprechen als Realität ist. An der Spree kämpft deshalb die Bürgerinitiative „Ufer frei" mit blauen Kreuzen für diesen Zugang. Viele Kommunen verkaufen aber Wassergrundstücke, ohne den Uferweg abzusichern. (wera)
Dann kam der Sommer 2020, jener Sommer, in dem alle der Pandemie entfliehen und sich im Grünen vom Lockdown erholen wollten. Schnell galt der Karbuschsee als Geheimtipp, auch für die Berliner. Nicht nur an der Badestelle drängelten sich die Menschen, auch die Forstwege, die zum See führen, waren mit Autos vollgestellt. Der Versuch, das Seeufer mit dem schützenswerten Schilf und der Binsenschneide mit Kiefernpfählen zu schützen, blieb erfolglos.
Im Sommer darauf eskalierte die Lage. In einem Schreiben an die taz listet die Untere Naturschutzbehörde die Vorkommnisse am Karbuschsee auf: „Massive Verstöße durch illegales Parken“, „Befahren von Wald von bis zu 70 Pkws am Tag“, „Vermüllung und Verschmutzung im Bereich der Badestelle“ durch bis zu 200 Badegäste täglich.
Für die UNB war das der traurige Höhepunkt einer schon vorher festzustellenden „(Fehl-)Entwicklung bei der Nutzung der Naturbadestelle“. Den Antrag des Eigentümers, die Stelle zu sperren und den Zugang zum See einzuzäunen, hat die UNB dann „landschaftsschutzrechtlich genehmigt“.
Wessen Interesse wiegt mehr?
Seitdem steht in Groß Köris die Frage im Raum, was mehr wiegt. Der Schutz einer seltenen Art wie der Binsenschneide? Das Gewohnheitsrecht der Anwohner, an der kleinen Sandbucht zu baden? Oder das Interesse des privaten Seenbesitzers, seine Ruhe zu haben?
Dass Seen nicht einfach in Privatbesitz fallen dürfen, war ein großes Anliegen von Carsten Preuß. Bereits 2009 hatte der Brandenburger BUND-Vorsitzende eine Bundestagspetition gestartet, mit der die Bundesregierung aufgefordert wurde, „auf die Privatisierung von Gewässern in Ostdeutschland zu verzichten und die Seen den Ländern und Kommunen kostenlos zu übertragen“.
Zur Begründung sagte Preuß damals: „Die Seen müssen zu Erholungszwecken für jedermann zugänglich bleiben.“ 112.000 Unterschriften waren zusammengekommen. Als Reaktion auf die Petition hatte Brandenburg 2012 65 Seen vom Bund gekauft. Der Karbuschsee war aber schon damals privat.
Seit 2021 ist Carsten Preuß Leiter des Naturparks Dahme-Heideseen. Er hat den Konflikt am Karbuschsee von seinem Vorgänger Gunnar Heyne geerbt, der inzwischen Chef der Berliner Forsten ist. Gerne hätte die taz mit Preuß gesprochen und ihn gefragt, welches Interesse im Zweifel mehr wiegt. Denn ein Naturpark, so steht es in der Satzung, ist nicht nur für Naturschutz zuständig, sondern auch für Regionalentwicklung und nachhaltigen Tourismus.
Doch Preuß soll nicht mit der Presse sprechen. An seiner Stelle antwortet das Landesamt für Umwelt, dem der Naturpark Dahme-Heideseen zugeordnet ist. „Unterschiedliche Ziele werden in jedem Einzelfall abgewogen“, schreibt Behördensprecher Thomas Frey auf eine schriftliche Anfrage der taz. „In FFH-Gebieten sind die abgestimmten und behördenverbindlichen Managementpläne die Grundlage für Entscheidungen.“
Tatsächlich geht aber aus dem Managementplan nicht hervor, dass sich unmittelbar an der Badestelle, die dort als „geduldet“ klassifiziert wird, ein Vorkommen der geschützten Binsenschneide befindet. Das bestätigt auch LfU-Sprecher Thomas Frey. „Die Binsenschneide befindet sich nicht direkt an der Badestelle“, räumt er ein.
Allerdings gehe es seinem Amt am Karbuschsee nicht allein um die Binsenschneide. „Insgesamt wurde die Ufervegetation durch Tritt, Lagerfeuer, Stand-up-Paddling, Anlegen von Booten und Ähnliches sehr in Mitleidenschaft gezogen und zurückgedrängt“, so Frey. „Das betraf nicht nur die direkte Badestelle, sondern auch weitere Uferbereiche.“
Nichts zu machen also? Waren es verantwortungslose Badegäste, die Matthias Rackwitz und den anderen in der Gemeinde das Badevergnügen genommen haben?
Kleine Lösung gesucht
In Groß Köris wollen sie sich damit nicht abfinden. Inzwischen hat auch der Gemeinderat die Aufhebung der Sperrung gefordert. „Das Votum war einstimmig“, sagt Gemeindevertreterin Birgit Mittwoch der taz, „das kommt bei uns nicht allzu häufig vor.“ In Groß Köris gebe es nur noch wenige Seen, die öffentlich zugänglich seien. „Das kann man an einer Hand abzählen.“ Sie will nun versuchen, wenigstens einen Kompromiss zu erreichen. Zusammen mit der örtlichen Schule will sie ein Projekt entwickeln, wie der Zugang zur Badestelle wieder geöffnet und gleichzeitig beschränkt werden könne. „Da wollen wir die Schüler einbeziehen“, sagt Mittwoch. „Es kann doch nicht sein, dass private Eigentümer entscheiden, ob abgesperrt wird oder nicht.“
Im zuständigen Amt Schenkenländchen hat man den Beschluss des Gemeinderats zur Kenntnis genommen. „Wir haben das an die Untere Naturschutzbehörde weitergereicht“, sagt Amtsdirektor Oliver Theel der taz. Allerdings habe die UNB darauf den Bescheid nicht zurückgenommen, sondern noch einmal ausdrücklich bestätigt. „Wir selbst können da nichts machen“, sagt Theel.
Für den Amtsdirektor ist die Sperrung ein schwieriges Thema. „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, gesteht er. Natürlich verstehe er das Anliegen der Bewohner zu baden. Aber er sehe auch die massiven Schädigungen der Natur. „Die Leute bleiben nicht an der Badestelle, sondern weichen ins Schilf aus“, ärgert er sich. „Sie legen Decken über das Röhricht oder machen Lagerfeuer.“
Nicht nur am Karbuschsee hat Theel solche Entwicklungen beobachtet, sondern auch am nahen Tonsee. „Bis zu 2.000 Leute kommen da manchmal an einem Tag“, sagt er. „Solche Auswüchse könnten schon aus hygienischen Gründen eine Sperrung erfordern.“ Den Naturschutz bräuchte es also nicht, um einen Zaun zu ziehen. Der Tonsee ist, obwohl er im Naturpark liegt, kein FFH-Gebiet.
Nun, da die neue Badesaison bevorsteht, will Gemeinderatsvertreterin Birgit Mittwoch noch einmal das Gespräch mit dem Eigentümer suchen, der für die taz nicht erreichbar war. Auch Amtsdirektor Oliver Theel würde sich einer „kleinen Lösung“, wie er es nennt, nicht in den Weg stellen. „Wir wollen doch auch, dass das Baden wieder möglich ist“, sagt er und betont, dass die Sperrung nur für fünf Jahre angeordnet sei. „Danach kann man den See wieder nutzen.“
Matthias Rackwitz kann darüber nur lachen. „Nach fünf Jahren gibt es hier keine Badestelle mehr, dann ist alles zugewachsen“, sagt er und schüttelt erneut den Kopf. „Dann gibt es auch an der Badestelle die Binsenschneide, und dann wird für immer gesperrt.“
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