Spannungen in Jerusalem: Einpeitschen am Heiligtum
Itamar Ben-Gvir ist Israels Minister für Nationale Sicherheit. Nun war der rechte Politiker am Tempelberg – offenbar eine bewusste Provokation.
Der Tempelberg, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, ist einer der am meisten umkämpften Orte im palästinensisch-israelischen Konflikt.
Für Jüdinnen und Juden ist der Berg heilig, weil dort bis zu seiner Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. der Zweite Tempel stand. Mit der Zerstörung begann die jüdische Diaspora – womit Jerusalem zum Sehnsuchtsort vieler Jüdinnen und Juden wurde.
Im Islam stellt er die drittheiligste Stätte dar. Das Gelände ist außerdem zu einem Symbol eines erhofften palästinensischen Staates geworden und verbindet die Palästinenser*innen im Gazastreifen, im Westjordanland, in Israel und weltweit symbolisch miteinander.
Ben-Gvir: Zeiten haben sich geändert
Verwaltet wird der Tempelberg von der jordanischen Waqf-Stiftung. Derzeit gilt laut ungeschriebenem Status quo, dass nur Muslime auf dem Tempelberg beten dürfen. Nichtmuslime dürfen den Tempelberg zu bestimmten Zeiten besuchen, jedoch nicht dort beten.
Besuche von jüdisch-israelischen Politiker*innen auf dem Plateau werden von palästinensischer Seite als besondere Provokation und als Bedrohung des Status quo verstanden. Gleichwohl räumen seit einigen Jahren verschiedene extrem rechte jüdische Knessetabgeordnete dem Tempelberg Priorität ein und besuchen den Ort regelmäßig – sie müssen diese jedoch zuvor genehmigen lassen. Zuletzt besuchte Ben-Gvir den Tempelberg im vergangenen März.
Die militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert und sich den Schutz von al-Aksa auf die Fahnen geschrieben hat, warnte, dass ein Besuch des Ministers für Nationale Sicherheit auf dem Tempelberg „die Situation in die Luft jagen“ werde.
Ben-Gvir twitterte kurz nach seinem Besuch: „Die israelische Regierung, der ich angehöre, wird sich einer abscheulichen Mordorganisation nicht ergeben. […] Wenn die Hamas denkt, dass sie mich abschrecken wird, wenn sie mich bedroht, dann lasst sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben.“
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich zu dem Tempelberg-Besuch seines Ministers zunächst nicht, aber er wird nicht wie geplant nächste Woche nach Abu Dhabi (Vereinigten Arabischen Emirate) fliegen. Es wäre der erste öffentliche Besuch des neuen Regierungschefs in dem Golfstaat gewesen. Diese Ankündigung kam Stunden nach dem Tempelberg-Besuch, der international, auch in den Emiraten, auf breite Ablehnung stieß.
Sorgen vor dem Frühjahr: Ramadan und Pessach gleichzeitig
Auch die palästinensische Autonomiebehörde kritisierte den Besuch als „beispiellose Provokation“. Der israelische Oppositionsführer Yair Lapid und verschiedene israelische Nichtregierungsorganisationen verurteilten den Besuch ebenfalls scharf.
„Ben-Gvir ist an einer Eskalation interessiert“, erklärt Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt in Jerusalem konzentriert: „Ben-Gvir hat in der Vergangenheit erklärt, dass die Moscheen auf dem Tempelberg vorübergehend seien. Sein politisches Lager glaubt, dass Eskalation der Weg ist, um ihre Ziele zur jüdischen Vorherrschaft auch auf dem Tempelberg durchzusetzen – jüdische Vorherrschaft, so wie sie in der Koalitionsvereinbarung dieser neuen extrem rechten Regierung festgehalten ist.“
Mit Sorge blicken viele Israelis und Palästinenser*innen außerdem auf das kommende Frühjahr. Wie schon im vergangenen Jahr überschneiden sich auch in diesem Ramadan und Pessach im April. Ramadan ist für gewöhnlich ohnehin eine Zeit erhöhter Spannung in Jerusalem, zumal wenn es mit dem höchsten jüdischen Fest zusammenfällt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist