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Sorge vor Eskalation in DeutschlandBangen und Zeichen setzen

Mobilisierungsaufrufe der Hamas für Freitag beunruhigen die jüdische Community und Behörden. Hamas und Samidoun sollen in Deutschland verboten werden.

150 Unterstützer der Hamas protestieren nach den Anschlägen in Israel am 9. Oktober in München Foto: Sachelle Babbar/Zuma Press/picture alliance

Berlin taz | Die Ansage des früheren Hamas-Führers Chalid Maschal ist deutlich. Am Freitag solle die islamische Welt „auf die Straße“ gehen. Man wolle zeigen, dass man „Teil des Kampfes“ für Palästina sei, und eine „Botschaft der Wut“ aussenden. Jetzt sei die Zeit, „mitzukämpfen“. Es ist ein Aufruf, der weiteren Terror gegen Israel befeuert – und der auch hierzulande die jüdische Community und Sicherheitsbehörden in große Sorge versetzt.

So wurde in der Community diskutiert, ob man aktuell Synagogen, besonders an Shabbat, oder jüdische Einrichtungen besuchen sollte. Die Fußballvereine Makkabi Berlin und Bad Segeberg setzten ihren Spielbetrieb aus. Der Zentralrat der Juden warnte, dass in sozialen Medien zu Gewalt gegen jüdische Einrichtungen am Freitag aufgefordert werde. Es bestehe eine „abstrakt erhöhte Gefährdungslage“ und mindestens die Gefahr von Trittbrettfahrern. Die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen seien „erneut hochgefahren worden“, man sei im ständigen Austausch mit Sicherheitsbehörden. Beide Seiten unternähmen „alles Mögliche, um die Sicherheit zu gewährleisten“.

Auch ein Sprecher des Bundeskriminalamts sagte am Donnerstag der taz, die Entwicklungen in Israel seien geeignet, „eine hohe Gefährdungsrelevanz auf die Sicherheitslage in Deutschland zu entfalten“. Neben Demonstrationen mit Unmutsbekundungen sei auch mit Sachbeschädigungen an oder nahe von israelischen Einrichtungen zu rechnen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) tauschte sich zuletzt dazu mit den InnenministerInnen der Länder aus. „Wir haben den Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen bundesweit weiter verstärkt“, erklärte sie am Donnerstag. Die Sicherheitsbehörden seien seit Beginn der Hamas-Terrorangriffe auf Israel sehr sensibilisiert.

Länder erhöhen Sicherheitsmaßnahmen

Der Umgang mit den Protesten und der Schutz jüdischer Einrichtungen ist letztlich Ländersache. So ordnete in NRW Innenminister Herbert Reul (CDU) höhere Schutzmaßnahmen vor jüdischen Gemeinden an. „Wir bleiben wachsam und zeigen Präsenz“, erklärte Reul. Die Beunruhigung der jüdischen Mit­bür­ge­r:in­nen nehme man „sehr ernst“.

Auch Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von einer erwartbaren Zuspitzung der Konflikte in der Hauptstadt und der „schwierigsten Phase ihrer Amtszeit“. Der Schutz jüdischer Einrichtungen werde nochmal verstärkt. Die Berliner Versammlungsbehörde verbot am Donnerstag zudem erneut antiisraelische Aufzüge. Verwiesen wurde auf die Gefahr für die öffentliche Ordnung und die Erfahrungen aus früheren Protesten. Auch in anderen Bundesländern kam es zu Verboten von antiisraelischen Demonstrationen.

Ein Sprecher von Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte der taz, die Schutzmaßnahmen für jüdische und israelische Einrichtungen in Berlin seien noch einmal „unmittelbar deutlich erhöht“ worden. Berlinweit seien sämtliche Polizeikräfte für die Lage sensibilisiert. Streifenfahrten an gefährdeten Objekten wurden verstärkt, zudem verdeckte Aufklärungen und „brennpunktorientierte Raumschutzmaßnahmen“ gestartet.

Verbote der Hamas und Samidoun angekündigt

Bundeskanzler Olaf Scholz nannte es am Donnerstag „abscheulich“, dass auf deutschen Straßen der Terror der Hamas gefeiert worden sei. Das werde man „nicht tatenlos hinnehmen“. Er kündigte an, dass sowohl die Hamas als auch die Gruppe Samidoun, die zuletzt die Terrorangriffe auf Israel bejubelt hatte, verboten werden sollen. „Unser Vereinsrecht ist ein scharfes Schwert. Und dieses Schwert werden wir als starker Rechtsstaat hier ziehen“, erklärte Scholz. Die Verbote waren bereits seit Tagen gefordert worden.

Ein Sprecher von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bestätigte der taz: „Das Bundesinnenministerium wird ein Betätigungsverbot für die Hamas in Deutschland erlassen.“ Die Gruppe ist bereits von der EU als Terrororganisation eingestuft und wird in Deutschland von Gerichten als ausländische terroristische Vereinigung bewertet. „Das Betätigungsverbot wird ein weiterer Schritt sein, um jegliche Aktivitäten in Deutschland zu unterbinden“, erklärte der Sprecher.

Samidoun habe wiederum „auf widerwärtige Weise in Berlin den Terror der Hamas verherrlicht“ und werde deshalb verboten, führte der Sprecher weiter aus. Beide Verboten würden „sehr intensiv vorbereitet“ und „schnellstmöglich“ vollzogen. Zum Zeitpunkt und der konkreten operativen Umsetzung könne man im Vorfeld keine Informationen erteilen.

Faesers Sprecher betonte, dass „gerade wir in Deutschland eine besondere Verantwortung haben, Bedrohungen gegenüber Jüdinnen und Juden und gegenüber dem Staat Israel mit aller Konsequenz zu verfolgen und zu unterbinden“. Dies gelte „angesichts der entsetzlichen Terrorangriffe der Hamas auf die israelische Bevölkerung jetzt noch einmal mehr“.

Kleine, aber umtriebige Gruppe

Die Hamas war in Deutschland bisher nicht verboten, weil sie hierzulande keine feste Vereinsstruktur besitzt. Der Verfassungsschutz rechnet der Gruppe in Deutschland rund 450 Un­ter­stüt­ze­r:in­nen zu. Die Bundesrepublik werde von der Hamas vor allem als Rückzugsraum betrachtet und für Spendensammlungen oder die Rekrutierung neuer AnhängerInnen genutzt. Mit dem Betätigungsverbot sollen diese Aktivitäten nun unterbunden werden. Auch die Hisbollah war so 2020 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt worden.

Auch Samidoun ist kein fester Verein und soll nur wenige dutzend Aktivisten haben. Die aber sind sehr umtriebig. Die Gruppe hatte bereits kurz nach Beginn der Hamas-Angriffe auf Israel in Berlin-Neukölln Baklava an Passanten verschenkt – und dies auf Social-Media-Kanälen als „Feier des Sieges des Widerstands“ begründet. Die Terrorattacken der Hamas bejubelte die Gruppe: „Der Widerstand erhebt sich“.

Zuletzt hatte die Gruppe in verschiedenen Städten zu weiteren antiisraelischen Protesten aufgerufen – die teils verboten wurden. Dennoch versammelten sich Sympathisierende mit den Hamas-Terrorangriffen auf den Straßen. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte zuletzt erklärt, man stehe mit dem Bundesinnenministerium zur Verbotsfrage von Samidoun in Kontakt. Der Berliner Verfassungsschutz hatte die Gruppe schon länger unter Beobachtung, zuletzt soll auch das Bundesamt gefolgt sein.

Samidoun wurde 2011 in den USA gegründet und unterstützt palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen. Auf Kundgebungen wurde aber wiederholt auch die Beseitigung Israels gefordert. Das Netzwerk ist mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) verbandelt, die von Sicherheitsbehörden als terroristisch eingestuft wird. Zumindest in Israel gilt auch Samidoun selbst als terroristisch.

Inzwischen ermittelt auch die Bundesanwaltschaft gegen die Hamas. Dies allerdings wegen der Tötungen und Entführungen auch von deutschen StaatsbürgerInnen durch die Gruppe bei deren Terrorangriffen in Israel. Nach taz-Informationen ist den Behörden bisher eine mittlere einstellige Zahl von deutschen Entführten bekannt.

Aktualisiert um 17.15 Uhr am 12. Oktober 2023

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16 Kommentare

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  • Die Hamas will alle Juden vernichten. Das ist kein Terrorismus und erst Recht kein palästinensischer Freiheitskampf, sondern reinster Antisemitismus, wie ihn nur unsere Vorfahren von 33-45 in Reinform gelebt haben.



    Allein deshalb ist mir unverständlich, warum die Hamas hier nicht verboten ist.



    Und Israel ist umgekehrt uneingeschränkt durch uns zu unterstützen.

  • Verbieten und Ausweisen sind die richtige Methode für diese Terroristen

  • Man kann nur ungläubig staunen, dass eine Terrororganisation wie die Hamas bisher in Deutschland legal agieren kann.

  • "Inzwischen ermittelt auch die Bundesanwaltschaft gegen die Hamas. Dies allerdings wegen der Tötungen und Entführungen auch von deutschen StaatsbürgerInnen durch die Gruppe bei deren Terrorangriffen in Israel. Nach taz-Informationen ist den Behörden bisher eine mittlere einstellige Zahl von deutschen Entführten bekannt."



    /



    In dem Absatz oben hab ich herausgelesen, dass eine Einschränkung adressiert wurde, aber in der taz wurde ausführlich berichtet über einen Prozess in Koblenz.



    Dass es auch anders geht, hat sich in Deutschland zeigen lassen:



    Stichwort WELTRECHSTPRINZIP



    "Das Oberlandesgericht Koblenz ist das erste weltweit, das ein solches Urteil fällt.



    Rechtsgeschichte geschrieben



    Entsprechend fallen die Reaktionen aus: Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus N. Beeko, bezeichnete das Urteil als „ein historisches Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit“. Amnesty erwarte, dass in Deutschland und in weiteren Staaten auf diesen Erkenntnissen aufbauend weitere Prozesse nach dem Weltrechtsprinzip angestrengt werden. Dieses Prinzip ermöglicht die Strafverfolgung von schweren Verbrechen, unabhängig davon, wo sie begangen wurden."



    taz.de/Historische...-Koblenz/!5825396/

  • Ein Verbot ist richtig und wichtig.



    Schon alleine um die Geldflüsse an die Terroristen aus Deutschland zu unterbinden und die Handlanger der Hamas strafrechtlich belangen zu können.

    Noch wichtiger wäre es, wenn sich palästinensische Vereine mit einer klaren Verurteilung des Terrors melden würden.

  • 6G
    665119 (Profil gelöscht)

    Die gab es noch nicht!!?

  • Hoffentlich werden wir am Freitag in Deutschlands Städten keine Massen von gewaltverherrlichenden antisemitischen Judenhassern erleben.

    • @DocSnyder:

      Dies zu verhindern oder zu stoppen ausreichend Mittel und Möglichkeiten.

  • Bei diesen Demonstrationen pro Palästina sind aber auch deutsche linke Gruppierungen dabei. Und diese Gruppen verherrlichen die Terrorwelle gegen Israel als „Freiheitskampf“. Links, progressiv – aber antisemitisch wie z.B. die Palästina-Solidarität-Duisburg.



    Das sind nach meiner Meinung Terroristenversteher. Die Szene der Antisemiten und Israelhasser ist dort traditionell breit aufgestellt und reicht von Linken über Neonazis bis zu Islamisten.

    • @Der Cleo Patra:

      Mir sind auch Personen bekannt, die zwar die Morde der RAF als legitim betrachten, aber gegen Klima-Kleber wettern. Verrückte Welt.

  • Es überrascht mich ehrlich gesagt, dass die Hamas in Deutschland bisher nicht verboten war, aber dann wird es ja höchste Zeit.

    • @Agarack:

      Mich überrascht es nicht, sondern es erschüttert mich zutiefst, dass dieser nazi-partei-ähnliche Verein noch nicht verboten ist in Deutschland - wo ist da das noch hundert Generationen verpflichtende deutsche "Nie wieder!" ??? Die verantwortlichen Politiker sollten zurücktreten. Mit denen ist eben keine Brandmauer zu machen!

      Wikipedia schreibt über die offizielle Einstufung der Hamas durch den Bund:

      "Das Bundesverwaltungsgericht entschied 2004, die Hamas sei eine einheitliche Organisation, deren humanitäre Aktivitäten nicht von den terroristischen und politischen getrennt werden könnten."

      Die NSDAP hatte übrigens auch ihr "Winterhilfswerk", aber im historischen Ergebnis ihres Wirkens kann dieses humanitäre Feigenblatt wohl kaum die desaströsen Partei-Wirkungen Gleichschaltung, Weltkrieg und gleich eine ganze Handvoll Genozide vorher nicht gekannten Ausmaßes aufwiegen.

      So muss das bei der Hamas sicher längst auch gesehen werden! So funktionieren eben Verbrechersyndikate: Kleine Wohltaten tun sie ein paar Leuten und gewinnen durch die Erzählung davon an minimaler Sympathie im Volk, aber im Großen und Ganzen führen sie nur Böses im Schilde!

      Hamas? Pfui bah!

  • Ich begrüße ein Verbot der Hamas in Deutschland,



    denn die Hamas hat sich nun endgültig als rein terroristische Organisation erwiesen.



    Wir mit unserer schrecklichen Vergangenheit dürfen auf deutschem Boden niemals Organisationen dulden, welche die Vernichtung Israels zum ziel haben.

    Trotzdem müssen wir auch kritisch über die Siedlungspolitik von Israel reden und dass die den Palästinensern keinen eigenen Staat zugestehen. Denn ohne Klärung dieser Themen wird es dort ewig ein Konfliktherd bleiben.

    Also Kritik an Israel ist demokratisch legitim, Antisemitismus ist kriminell.

    • @Rudi Hamm:

      Den Siedlungsbau kann man kontrovers diskutieren. Er wird aber gnadenlos überbewertet. Kein Palästinenser kommt zu Schaden weil Häuser gebaut werden. Würde man nicht darauf bestehen das es im Staat Palästina keine jüdische Minderheit geben dürfe, wäre das ganze auch nur noch halb so brisant. Wie man auch darüber denken mag, es kann keine Rechtfertigung für Terror sein, ich verstehe nicht wie man die Ereignisse vom 8ten Oktober noch mit "ja aber der Siedlungsbau" kommentieren kann.

      • @Hannes Hartmann:

        Naja, auf Besetzung folgt Landnahme und Vertreibung. Die Aussage "Kein Palästinenser kommt zu Schaden weil Häuser gebaut werden." ist also Leugnung.

        • @Uranus:

          ... und sicher, darf Landnahme keine Rechtfertigung dafür sein, Zivilist*innen zu ermorden. An sich ist es wohl schwierig, sich auf zeitliche Abschnitte zu begrenzen. Es gibt laufend Reaktionen auf (jeweils) vorangegangene. Gegeneinander aufrechnen ist aber auch schwierig.