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Sondierungen für JamaikaMerkels Machtwörtchen

Lange hat die Kanzlerin die Gespräche abwartend verfolgt. Nach dem fast ergebnislosen Ende der ersten Runde spricht sie.

Sondierungspause auf dem Balkon: Nur Angie blickt nach vorne Foto: dpa

Berlin taz | Was sagt eigentlich die Chefin? Diese Frage konnte man sich angesichts der schriller werdenden Misstöne bei den Jamaika-Sondierungen stellen. Bei dicken Brocken, etwa der Flüchtlingspolitik, liegen Union, FDP und Grüne himmelweit auseinander. Die Papiere, die bisher veröffentlicht wurden, bleiben meist wolkig. Und die Beschimpfungen auf Sandkastenniveau nahmen zuletzt überhand.

Am Freitagvormittag, zwei Wochen nach Beginn der Gespräche über eine Regierung, bricht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihr Schweigen. Schnurstracks geht sie vor der Parlamentarischen Gesellschaft auf die wartenden Journalisten zu, stellt sich vor die Mikrofone und legt los. Sie gehe zwar weiterhin von schwierigen Beratungen aus, sagt Merkel. „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“

Jamaika kann gelingen, signalisiert Merkel damit. Die erste Runde der Sondierungen ist abgehakt, alle Themen, von der Finanz- über die ­Agrar- bis zur Innenpolitik, wurden einmal besprochen. Doch die Ergebnisse sind dürftig. Nur schemenhaft ist zu erkennen, was eine schwarz-gelb-grüne Regierung erreichen könnte. Und bei Knackpunkten wie der Klima- oder der Flüchtlingspolitik liegt man in heftigem Clinch.

Durch die Blume bog Merkel allen Beteiligten noch einmal bei, was auf dem Spiel steht. Es gehe um die Frage, ob eine Regierung leisten könne, was die Menschen erwarteten, sagt sie in der kalten Herbstluft. Nämlich die ­Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man auch in zehn Jahren noch gut in Deutschland leben könne. Das ist ein Appell an die staatspolitische Verantwortung. Motto: Leute, reißt euch jetzt bitte mal zusammen.

Grundregel für erfolgreiche Bündnisse

Die Gespräche müssten so geführt werden, dass jeder Partner seine Identität zur Geltung bringen könne, sagt Merkel weiter. Jeder, das ist eine Grundregel für erfolgreiche Bündnisse, muss dem anderen Raum lassen – und ihm Erfolge gönnen.

Merkels Worte wirkten denn auch wie Balsam. Als am späten Nachmittag die Parteienvertreter vor die Presse traten, bemühten sich alle um kommunikative Abrüstung.

„Konstruktiv und stimmig“ seien die Gespräche verlaufen, sagte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Alle würden übers Wochenende ihre Hausaufgaben machen. CDU-Mann Michael Grosse-Brömer, der den erkrankten Peter Tauber vertritt, sagte, die erste Etappe habe man erreicht, jetzt nehme man die nächste in den Blick. Auch CSU-Generalsekretär An­dreas Scheuer sprach von einer Phase 2: „Wir werden den Laufzettel jetzt abarbeiten.“ Und der Grüne Michael Kellner sagte: „Es liegen jetzt alle Zutaten auf dem Tisch, jetzt muss man daraus einen möglichst leckeren Teig rühren.“

Diskussions­bedarf bei der Außenpolitik

Schaut man auf die Inhalte, besteht offenbar weitgehend Konsens über die Notwendigkeit der Entlastung von Familien. Alle Beteiligten erklärten, nun aber wirklich etwas gegen Kinderarmut tun zu wollen. Grüne und CSU wollen die Kinderrechte im Grundgesetz festschreiben. Außerdem will man sich für Bürokratie­abbau und Vollbeschäftigung einsetzen.

Spürbar war der Diskussions­bedarf bei außenpolitischen Themen. In dem entsprechenden Papier tauchen die von der FDP infrage gestellten Russlandsanktionen gar nicht auf. Über die Höhe der Verteidigungsausgaben, ein von Grünen und FDP gefordertes Rüstungsexportgesetz und die von der Union geplante Anschaffung von Kampfdrohnen wollen die Unterhändler zunächst noch „vertieft diskutieren“, heißt es darin.

Das gilt auch für eine „mögliche Verlängerung, Weiterentwicklung oder Beendigung laufender Mandate“ für Bundeswehreinsätze. Die Grünen haben zuletzt mehrfach gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gestimmt. Würden sie als ­Koalitionäre dabei bleiben, gäbe es für sieben der 13 mandatierten Einsätze keine eigene Regierungsmehrheit mehr.

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6 Kommentare

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  • „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“ Angie Merkel

     

    Ja, man muss sie kennen, um zu verstehen, dass hier eine dicke versteckte Drohung drinnen steckt. Und an wenn sie sich wohl richtet?

     

    Wahrscheinlich an die CSU - die ungeliebte Schwesterpartei, die eigentlich weiter nach Rechts will, jetzt aber grüner und liberaler werden soll.

     

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jamaika wirklich mehr wird, als eine Konstruktion Angela Merkel abermals ins Kanzleramt zu befördern.

     

    Und alles bleibt so schön, wie Merkel es empfindet? Na dann Prost: Eine kaputte EU, ausgefranzt durch Wirtschaftskrisen, Schulden, Rechtsextremismus in Regierungen, Wanderungsbewegungen von Armen, Ablehnung von Flüchtlingen, Mauscheleien und Betrug untereinander und ein dramatischer Anstieg der Bedeutung der EU - weil diese die Außengrenzen definiert und diese immer wichtiger werden. Wer sich nur den Punkt EU ansieht, der erkennt schon, dass wir uns eine debile, daniederliegende und Weiter-So-Merkel-CDU-Regierung gar nicht leisten können. Sollte so eine Stillstandsregierung wirklich die Amtsgeschäfte übernehmen, dann wird sich das langfristig bitter auswirken. Und jetzt ist noch kein Wort über das Insektensterben, die verfgifteten Nahrungsmitteln in Discountern und die industrielle Landwirtschaft gesagt, die dringend, maximal schnell gestoppt werden müsste.

     

    Und dann sitzten die Grünen mit den Parteien zusammen, die explizit weiter die Landwirtschaft KO hauen wollen, denen alles eigentlich egal ist, solange ihre priviligierten Schichten weiter profitieren. Mag sein, dass Neuwahlen keine Lösung sind, aber vielleicht wären sie eine Lösung für Angela Merkel.

  • Wer sich, halb schadenfroh, halb genervt, die Koalitionsverhandlungen ansieht, möge bedenken, dass die Wähler den betreffenden Parteien gar keine andere Wahl gelassen haben, als sich zusammenzuraufen. Eine Wunschkoalition ist es für keinen der Vier.

     

    Anderswo geht es übrigens, siehe Griechenland: Keiner hätte gedacht, dass die stramm linksorientierte „Syriza“ mit der stramm rechtspopulistischen „Anel“ eine Regierung bilden könnte, die schon seit 2 Jahren geräuschlos funktioniert!

  • "Nämlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man auch in zehn Jahren noch gut in Deutschland leben könne."

    Ich kann mir vorstellen, wer da mit "man" gemeint ist. Desweiteren ist interessant, dass nur Deutschland erwähnt wird.

  • Wie gut, daß Merkel Medien hat, die für sie übersetzen was sie eigentlich meint.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Dier Satz:

    "Nämlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man auch in zehn Jahren noch gut in Deutschland leben könne."

    sagt alles. Der raubt die Hoffnung auf Veränderung und läßt vermuten, dass die Alarmglocken nicht gehört wurden oder ignoriert werden.

    Das wird alles, nur nicht heiter!

  • "Die Gespräche müssten so geführt werden, dass jeder Partner seine Identität zur Geltung bringen könne, sagt Merkel weiter."

     

    Das kann ja ein richtig teurer Spaß werden mit der erneuten Kanzlerschaft dieser Dame.