Soll man mit Rechten reden?: Man muss es tun
Darf man Rechte zu Uni-Veranstaltungen einladen? Linke sollten sich diese Fragen gar nicht erst stellen. Bloß keine Konfliktscheu.
Immerhin: Es kann als geklärt gelten, ob man sich mit Menschen, die aus linker Sicht missliche Ansichten hegen, in einem Raum aufhalten darf. Etwa in einer U-Bahn. Oder in einem Parlament. So klug sind jene, die von Rechtspopulisten als die politisch Korrekten verdammt werden, selbst. Immerhin: Man weiß, dass die AfD mit beachtlichem Wahlerfolg in allen Landesparlamenten vertreten ist, seit einem Jahr auch im Bundestag. Aber, um ein durchaus heftig debattiertes Buch von Daniel-Pascal Zorn, Maximilian Steinbeis und Per Leo zu zitieren, muss man deshalb „Mit Rechten reden“?
Das lieber doch nicht. Man will die Gefahr per Kommunikationsbann in Schach halten, denn nach wie vor leben die linken Milieus von dem, was der eingängigste Satz des deutschen Theaterautors Bertolt Brecht in seinem 1941 verfassten Stück „Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ war: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Die Parabel auf die politische Karriere des Adolf Hitler und seines Gefolges kann als Passepartout politisch-kommunikativen Handels noch heute gelten, ein Evergreen: Bloß nicht dran rühren, bloß keine Chance zur Artikulation geben – es könnte die, so stellt man es sich vor, noch unvergiftete bzw. nach 1945 (oder: 1968, im Zauberjahr der linken Revolte) entgiftete Umwelt, „das Volk“ reizen und zu böser Nachahmung verleiten.
Man will sich die Teufel vom Leib halten, bloß „keine Bühne bieten“. Und einer der jüngsten Fälle ist der eines Philosophieprofessors der Universität Siegen, der Thilo Sarrazin und Marc Jongen in ein Seminar eingeladen hatte – der eine ein schwindelerregend erfolgreicher Buchautor vor allem zu Migrationsfragen, der andere ein Geisteswissenschaftler, der für die AfD im Bundestag ein Mandat innehat. Professor Dieter Schönecker aus Siegen nun will mit beiden in universitätsinternen Veranstaltungen weder über das Rechte noch über Fragen der Einwanderung von nichtdeutschen Menschen sprechen, sondern über Meinungsfreiheit – das betonte er ausdrücklich.
Selbst den Counterpart geben
Eine Universitätsveranstaltung im kleinen Kreis, möchte man meinen: Na und? Nun wurde aber Schöneckers Lehr- und Debattenabsicht bekannt, weil seine Vorgesetzten ihm die Finanzierung der Einladungen stornierten. Niels Werber, Dekan der Philosophischen Fakultät der Hochschule, schrieb in einem Leserbrief an die FAZ, die den Fall inklusive eines Textes von Schönecker selbst opulent aufgriff: „Ein offener Diskurs hätte sehr wohl einen Ort an der Universität Siegen. Die Möglichkeit, außerhalb der grundständigen Lehre eine hochschulöffentliche Podiumsdiskussion oder ein Streitgespräch […] zum Thema Redefreiheit durchzuführen, an der sich dann auch Vertreter anderer Positionen beteiligen könnten, hat Herr Schönecker nicht genutzt.“
Auf die Idee, dass Schönecker selbst den Counterpart gibt, ist der Dekan offenbar nicht gekommen – und auch nicht darauf, dass die in dem Seminar sitzenden Studierenden so in der Praxis lernen, sich mit Positionen, die nicht zum akademischen Mainstream zählen, auseinanderzusetzen. Obwohl eigentlich naheliegend, bezeichnet sich doch Schönecker selbst als geistig sowohl der AfD als auch Sarrazin fernstehend.
Ihm geht es um Auseinandersetzung – also um die gelegentlich üble Anstrengung, sich mit Haltungen und Argumenten auseinanderzusetzen, die ethisch und moralisch nicht geteilt werden und die nicht ein grundsätzliches Einverständnis mit dem gegebenen linken oder linksliberalen Comment mitbringen: Sich in vegan orientierenden Zirkeln über die Frage „Ist Käse nicht doch manchmal okay?“ zu streiten ist einfach – sich mit den Zahlen- und Gedankenwelten Sarrazins und Jongens auseinanderzusetzen jedoch nicht: Da muss man sich, will man vulgäre „Oh, da bin ich aber empört“-Floskeln vermeiden, schon wärmer anziehen. Echter demokratischer Zwist ist in der Regel nicht kuschelig.
Dass es gelingen kann, haben Leute wie Philipp Amthor von der CDU bewiesen, der im Bundestag eine glühende Rede wider die AfD-Hetzerei gehalten hat – argumentativ mit dem Grundgesetz im Gepäck, wütend ob der Verdrehungen der AfD. Oder der Soziologe Armin Nassehi, der sich per Briefwechsel mit dem rechten Stichwortgeber Götz Kubitschek ein Gefecht lieferte, an dessen Ende der liberale Gesellschaftswissenschaftler die entscheidende Differenz zum völkisch orientierten AfD-Nahen markieren konnte: Wir teilen, so musste man es verstehen, nichts an Grundannahmen.
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Nicht sehr elegant hat diesen Konflikt die frühere taz- und heute Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski gelöst, die eine Lesung in einer der wichtigsten Buchhandlungen Bayerns absagte, weil in dieser auch Bücher aus dem Götz Kubitschek gehörenden Antaios-Verlag zum Verkauf im Regal stehen, neben Kubikmetern an liberal und linksliberal gesinnter Literatur. Sie wolle nicht in einem Geschäft auftreten, das mit rechten Büchern Geld verdiene. Davon abgesehen, dass mit diesem Argument die Existenz einer Buchhandlung (hier muss auch Geld verdient werden) mit der einer spirituellen Kuschelhöhle verwechselt wird: Die Autorin geht nur halbherzig auf den Einwand des Buchhändlers ein, der meinte, um sich mit Rechten auseinanderzusetzen, müssen man deren geistige Hervorbringungen wenigstens mal gelesen, zumindest zur Kenntnis genommen haben.
Zugegeben: Stokowski, die so vielen der Linken voraushat, dass ihre Texte stets anregen, gelegentlich verstören, aber nie langweilen, steht mit ihrer ethisch-privaten Lebenspraxis nicht allein. Gedeckt wird sie, wenn man so will, von höchster Stelle. Jürgen Habermas nämlich verficht entschieden, dass am Diskurs nur teilnehmen darf, wem Vernunft attestiert werden kann. Vor zwei Jahren sagte der Philosoph in einem Interview mit den Blättern für deutsche und internationale Politik: „Nur die Dethematisierung könnte dem Rechtspopulismus das Wasser abgraben.“ Und weiter: „Daraus dürften demokratische Parteien für den Umgang mit Leuten, die solchen Parolen nachlaufen, eigentlich nur eine Lehre ziehen: Sie sollten diese Art von ‚besorgten Bürgern‘, statt um sie herumzutanzen, kurz und trocken als das abtun, was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus.“ Sätze, die durchgeatmet werden müssen: Welch elitäre Gönnerhaftigkeit, was für ein Entzug jeder Fähigkeit zum demokratischen Sprechen.
Diskursfurchtlos
Denn was ist überhaupt rechts? Klar, völkischer Dreck, Hitler reloaded etc. – der ganze Lärm um wenig, denn die AfD ist weit entfernt von dem, was Mehrheit genannt werden könnte. Linke haben in den vergangenen Jahren viel zu viele Haltungen (und jene, die so argumentierten) als rechts bezeichnet und diskreditiert. Frauen wie Necla Kelek, weil sie am Islam viel auszusetzen hat; wer an der Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel herummäkelte, war plötzlich auch rechts, abenteuerlicherweise Sahra Wagenknecht oder Wolfgang Streeck; wer die Ehe für alle bürgerrechtlich geboten fand, war, aus queeristischer Sicht, rechts – der Beispiele ließen sich noch viele anfügen, man bräuchte viele Zeitungsseiten Platz.
Wenigstens diese Diskursfurchtlose sei noch genannt, in linken Kreisen gleichwohl eine Unperson, Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins und Autorin des Buches „Die potente Frau“, das auch als eine Kritik am #MeToo-Diskurs gelesen werden kann. In der Süddeutschen Zeitung schrieb sie nun, zum Thema „Mit Rechten reden“ und besonders zu Habermas: „Versuchen wir uns nur kurz einmal vorzustellen, wie man sich so fühlt als ein Mensch, der elitenfern in, sagen wir, Sachsen lebt, aus Frust AfD-Wähler ist und von linken Intellektuellen liest, die ihn als regressiv und blockiert, also im Grunde als geistig zurückgeblieben bezeichnen. Von Intellektuellen, die nicht mit ihm reden, sich nicht mit ihm auseinandersetzen, sondern ihn schlichtweg, um das Wort von Habermas zu verwenden, ‚abtun‘ wollen. Man darf vermuten, dass sich der Frust dieses Menschen und sein Hass auf die Elite nur noch verstärkt. Die Leitmedien? Lügenpresse. Die Kulturelite: Realitätsfern gefangen in ihrer Blase. Nur noch mit sich selbst und genderneutralen Toilettentüren beschäftigt.“
Mit Rechten reden? Die Frage darf sich Linken nicht stellen. Man muss. Schläger und Mobs gehören der Polizei überantwortet, Redende muss man selbst stellen. Bloß keine Konfliktscheu, das Denken in Wertegemeinschaften und Verschnupftheitsblasen ist aus der Zeit, nur der starke Rahmen grundgesetzlich geschützter Meinungsfreiheit kann zählen – das wird dann allerdings für manche Linke ungemütlicher. Die Mentalitäten der wohlfeilen Empörung, der Beleidigthaftigkeit fundamentaler Sorte müssen in die politischen Kinderzimmer zurückgebracht werden. Wer um Pluralität, um Diversität kämpfen will, ihren Erhalt und ihren Ausbau, kommt am Streit mit jenen, die politisch ganz anderes wollen, nicht vorbei. Ein Meinungskampf, der nur durch das Grundgesetz begrenzt wird, nicht durch den linken Mainstream ethisch-moralischer Maßstäbe. Tut man es nicht, könnten sich die Sarrazins und Jongens erfolgreich als Diskriminierte inszenieren. Das kann niemand wollen.
Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Textes hieß es, Margarete Stokowski gehe „nicht einmal auf den Einwand des Buchhändlers ein, der meinte, um sich mit Rechten auseinanderzusetzen, müssen man deren geistige Hervorbringungen wenigstens mal gelesen, zumindest zur Kenntnis genommen haben.“ Margarete Stokowski geht in ihrer Stellungnahme allerdings auf diesen Punkt ein, sie zitiert aus einer Mail an den Buchhändler: „Ich teile Ihre Sichtweise, dass man die Positionen von Rechten kennen sollte, um gegen sie zu argumentieren. Wo wir wohl unterschiedlicher Auffassung sind, ist die Frage, ob man deren Bücher dann auch kaufen sollte bzw. zum Kauf anbietet.“ (https://www.rowohlt.de/news/stellungname-margarete-stokowski)
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