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Situation im GazastreifenNetanjahus Todesfalle

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Israels Premierminister mag wirklich hoffen, mit seinem Angriff die iranische Regierung zu stürzen. Was er erreicht hat: vom Grauen in Gaza abzulenken.

Drei Kinder trauern um ihren Vater Mohammed Ghaben, der auf dem Weg zu einem Hilfsgüterverteilzentrum in Gaza getötet wurde Foto: Jehad Alshrafi/AP/dpa

E nde Mai hat die von den USA und Israel unterstützte Gaza Humanitarian ­Foundation (GHF) damit begonnen, Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter im Gazastreifen zu verteilen. Dafür hat Israel seine völkerrechtswidrige Totalblockade des palästinensischen Gebiets nach drei Monaten endlich etwas gelockert. Die dubiose Privatorganisation ist umstritten.

Völlig unklar ist, wer genau dahintersteht und wie sie sich finanziert. Weder die UNO noch große Hilfsorganisationen kooperieren mit ihr, weil sie in ihr ein Instrument Israels sehen, die Menschen aus bestimmten Regionen zu vertreiben und mit den Verteilzentren in den Süden zu locken.

Laut dem von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsministerium sterben fast täglich Menschen, die auf Hilfe hoffen, weil israelische Soldaten oder verbündete Milizen das Feuer auf sie eröffnen. Mehr als 400 Menschen sollen in den letzten drei Wochen bei solchen Vorfällen umgekommen und mehr als 3.000 Menschen verletzt worden sein. Die vermeintliche Hilfe entpuppt sich als Todesfalle.

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Die UNO und die großen Hilfsorganisationen hatten genau vor solchen Zuständen gewarnt. Doch Israel hat das Hilfswerk der Vereinten Nationen, UNWRA, das den Gazastreifen lange großflächig versorgte, verboten. Nie belegte Vorwürfe, ­UNRWA würde Islamisten in ihren Reihen dulden, dienten dabei als Vorwand. Das Verbot des Hilfswerks führte zu einem Vakuum und schließlich mit zu den furchtbaren Zuständen, die heute in Gaza herrschen.

Mit seinem verbrecherischen Großangriff auf den Iran mag Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hoffen, die Atomanlagen des Iran zerstören und vielleicht sogar die iranische Führung stürzen zu können. Das ist sein Lebenstraum.

Ein anderes Ziel hat er jedoch schon erreicht: Er hat es geschafft, die Welt von dem Grauen in Gaza abzulenken, für das er verantwortlich ist. Die von seiner in Teilen rechtsextremistischen Regierung absichtlich herbeigeführte Hungerkatastrophe im Gazastreifen ist aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit geraten – ebenso die Tatsache, dass weiterhin nahezu täglich Dutzende Menschen bei israelischen Luftangriffen getötet werden.

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Der deutschen Politik ist das offensichtlich immer noch egal

Es ist gut, dass die Linke zusammen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen für Ende Juli zu einer Großdemonstration in Berlin gegen Israels genozidale Kriegsführung in Gaza aufruft.

Eine Mehrheit der Deutschen lehnt Israels brutales Vorgehen ab, das Menschenrechtsorganisa­tio­nen bereits als Völkermord bezeichnen. Sie fordern von der EU, das Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen. Länder wie Spanien und Irland sind schon lange dafür.

Doch die deutsche Politik bleibt davon seltsam unberührt. Deutschland sperrt sich dagegen und weiß dabei so sympathische Regierungen wie die von Giorgia Meloni und Viktor Orbán an seiner Seite. Gleichzeitig genehmigt Merz weiter Waffenlieferungen an Israel. Ob Israel damit Kriegsverbrechen begeht oder nicht, ist ihm offensichtlich egal.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax arbeitet als Themenchef im Regieressort der taz. Er ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus.
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18 Kommentare

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  • es ist nicht nur netanyahu, der von gaza ablinken will, es sind auch objektiv die meisten westlichen medien, die kaum über gaza berichten. wie die russischen angriffe auf die ukraine sollte die faktenlage in gaza täglicher bestandteil der nachrichten sein. vergleicht man tagesschau und heute mit den spanischen nachrichten zum beispiel, fragt man sich, wer hier in deutschland in den redaktionen sitzt, und warum hier entschieden wird, all diese bilder den deutschen zuschauenden vorzuenthalten.

  • Das Bild der Kinder, die den Verlust des erschossenen Vaters in ihrer kindlichen Seele nicht aushalten können. Ihre Verzweiflung, ihr Schmerz dass ihre kleinen Gesichter geschrieben ist, wo kein kindliches, trauriges Weinen mehr ausreicht, um den Verlust zu erfassen, nicht nur den üblichen gewaltvollen Verlust eines Elternteils für Kinder, was schon schrecklich genug ist, sondern auch noch den Verlust des vielleicht noch einzig verbliebenen Schützenden und Sicherheit gebenden Elternteils, während man versucht diese unaushaltbare Hölle der Existenz zu ertragen. Ich suche die ganze Zeit nach Worten, um zu beschreiben, was ich in diesem Kinderngesichtern sehe, wie fürchterlich es ist, wie sehr es mir das Herz zerreißt, selbst als Mutter eines Kindes, in ungefähr diesem Alter der Kinder auf dem Bild. Es treibt einem einfach nur die Tränen in die Augen, was Kinder dort tagtäglich erleiden und aushalten müssen. Diese Seelen sind für immer kaputt und verloren. Da ist auch nichts mehr therapierbar, selbst wenn sie jemals sicher wären, Dieser unermessliche Horror und die Folter durch den Krieg, die nicht nur zu einem Trauma werden, sondern zur dystopischen Endzeithölle für die Kinder Gazas!

  • Nein, ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass Netanyahu den Krieg will, seine "Heldentat" für Papi und die, die ihn vor den Folgen seiner Untaten erst einmal schützt.



    Wäre heute plötzlich eine blühende Demokratie im Iran am Ruder, hätte er seine Bomber nicht zurückgepfiffen, wäre meine Vermutung, er hätte sich geärgert.

    Warum und wie Netanyahu wohl bewusst die Opposition zu Tode umarmen wollte, hat Navid Kermani aktuell analysiert, auf den verweise ich hiermit.

  • Wer sich das Foto des Beitrags anschaut, und man sollte es länger tun, der wird verstehen, was sich in den Köpfen der Opfer unauslöschlich einprägen wird. Was sind die Resultate? Wer hat denn nun nicht alle Tassen im Schranke, möchte man Herrn Merz fragen. Man sollte ihm, und seinem Außenminister, das Foto schicken.

  • Es ist einfach unendlich grausam. Zwei Jahre unbeschreiblichen Horrors gegen Wehrlose (und Meldungen) und auch bei mir fängt es langsam an, auszublenden. Man kann konstanten Horror nicht ertragen. Und es ändert ja sowieso nichts. Diejenigen die Einfluss haben, haben diese Vernichtung gewählt. Die, die dagegen sind, werden entweder ignoriert oder sogar bekämpft. Eine kritische Masse zum Widerstand sieht nicht möglich aus.

    Danke dennoch - Herr Bax - dass sie nicht schweigen!

    Fazit:



    Wir sind alle Zeugen oder Mittäter - wiedermals. Möge Gott sich dieser Tragödie annehmen.

  • Danke für den Kommentar. Hier werden die richtigen Dinge beim Namen genannt: völkerrechtswidrige und verbrecherische Angriffe, rechtsextremistische Regierung Israels.

  • Es wäre hilfreich die Untätigkeit der EU und das Schweigen Deutschlands in einem etwas größeren Kontext zu betrachten. Für die EU ist Gaza nicht der Nabel der Welt, sondern die Bedrohung durch Russland hat Priorität.

    Der Zeitpunkt in dem Putin sich entschließen wird die Bündnisfähigkeit der Nato zu testen rückt durch das Weltgeschehen ja nicht weiter in die Ferne sondern kommt umso näher, je vehementer sich Trump öffentlich auf seinen Isolationismus beruft.

    Und wer 35 Jahre im Dornröschenschlaf verbracht hat, der steht halt irgendwann einmal vor der Situation sich nicht von heute auf morgen aus der Abhängigkeit lösen zu können.

    Das wissen die Europäer und das weiß auch Trump. Daher wird Europa nur im Fahrwasser der USA in Nahost agieren, aber nicht dagegen anschwimmen.

    Wer jetz auf Emanzipation setzt dürfte sich dann auch in absehbarer Zeit verwundert die Augen reiben, wenn Artikel 5 der Nato ausgerufen wird und man dann wahrnimmt, wer alles nicht zu Hilfe eilt. Etwas anderes zu vermuten wäre in dem Fall blauäugig

    Aus dieser Perspektive kann ich gut nachvollziehen, dass die Regierung alles unterlässt was zu einem Konflikt mit Israel und damit auch den USA führen wird.

    • @Sam Spade:

      "Der Zeitpunkt in dem Putin sich entschließen wird die Bündnisfähigkeit der Nato zu testen rückt durch das Weltgeschehen ja nicht weiter in die Ferne sondern kommt umso näher"

      Oh, manche würden nun sagen, dieser Zeitpunkt sei ohnehin nur erfunden. Näher rückt er wohl irgendwie trotzdem. Das liegt aber ausschließlich an der Kriegstreiberei im Westen.

    • @Sam Spade:

      Zur Ergänzung: Da der Iran Russland durch die Lieferung von Waffen unterstützt hat ist einen Unterbrechung dieser Hilfe eben auch in Europas Interesse. Auch ist davon auszugehen, dass nicht ohne Weiteres ein Verzicht auf Informationen des Mossad in Kauf genommen wird. Die Informationen zu Aktivitäten der Hisbollah in Süddeutschland zur Lagerung von großen Mengen Ammoniumnitrats kamen aus Israel.



      Der letzte Absatz von Bax ist auch mal wieder ulkig… als wäre es besser die iranische oder türkische Regierung inhaltlich auf seiner Seite zu wissen oder eben Akteure wie die Hamas oder Hisbollah.

  • Mal wieder auf den Punkt gebracht, danke Herr Bax.

  • Danke Herr Bax für diesen Artikel.



    Die Lage im Gaza ist haarsträubend grauenvoll und es ist ein Debakel, dass keine westliche Regierung klar Stellung zu den Kriegsverbrechen bezieht.



    Wo ist ein Ende der Waffenlieferungen?



    Vehementer Einsatz für humanitäre Hilfe?



    Sanktionen gegen Israel?

  • "Nie belegte Vorwürfe, ­UNRWA würde Islamisten in ihren Reihen dulden, dienten dabei als Vorwand."

    1. ist das eine glatte Lüge.



    www.israelheute.co...filtrieren-lassen/

    www.juedische-allg...gen-und-antworten/

    2. hat das UNRWA die Arbeit, für die die gewählte Regierung zuständig ist, nämlich die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten vollständig übernommen und somit der Hamas es erst ermöglicht, sich um ihr Kernanliegen zu kümmern: dem Terror und Krieg gegen Israel.

  • Dreckskerle, Drecksarbeit, Dreck am Stecken - ein deutscher Bundeskanzler mit Jura-Examen sollte sein Völkerrecht und Menschenrecht kennen und einhalten.



    Wann lernt der ältliche Knabe im Amt endlich mal die Grundlagen? Warum auch sagt ihm das niemand in seinem Amt?

    Das ist Vertreibung, Aushungerung, totale Kontrolle. Statt dessen brauchen wir das Ende aller Besatzung, die Anerkennung des Staates Palästina auch durch die BR Deutschland und Klartext gegenüber dem Netanyahu.

  • Niemand denkt mehr in Kategorien wie "from the river to the sea" als eine Atombombe. Und ihre Absender: Der frühere iranische Präsident Ali Rafsanjani machte den Vorschlag, über einen Atomschlag auf Israel nachzudenken. Da der Iran neunzig Millionen Einwohner habe, Israel aber nur zehn Millionen und die Fläche des Irans fast sechzigmal so groß sei wie jene Israels, würde »schon eine einzige Atombombe in Israel alles auslöschen«.

    Die Palästinenser:innen können Israel auf Knien danken, dass Israel ihnen durch ihren Einsatz im Iran das Leben rettet.

    "Israels verbrecherischer Großangriff auf den Iran?"

    Kann man auch anders sehen:

    Wirtschaftswoche: "Krieg und Frieden"



    www.wiwo.de/politi...den/100135014.html

  • Wenn man vermeiden will, dass das G-Wort fällt, dann muss man dafür sorgen, alles unsystematisch wirken zu lassen. Also keine Todeslager oder so was. So viel Nahrung liefern, dass es nicht reicht, aber in den Zeitungen immer von "Verteilzentren" berichtet wird. Tote gibt es nur zufällig bei Bombenangriffen oder wenn Soldaten "bedroht" werden. Der Rest stirbt an Hunger oder an Krankheiten. Denn die Krankenhäuser waren ja alle Zentralen der Terroristen.

    • @Semon:

      So ist es. Und das erklärte Ziel einiger der schlimmsten Kriegsverbrecher wie Smotrich, Ben Gvir und Netanjahu selbst ist die Vernichtung der Palästinenser, zumindest in Gaza. Und Deutschland liefert weiter Waffen. Toll!!

    • @Semon:

      Klingt für mich als Erklärung sehr viel komplizierter als ggf. In Erwägung zu ziehen, dass Israels erklärtes Ziel eben KEIN Genozid ist. Auch wenn der Krieg auf Grund seiner asymmetrischen Struktur sehr viel Leid verursacht und man sicher über Sinn, Umfang und Handhabe des Vorgehens diskutieren kann. Und mögliche Kriegsverbrechen aufgeklärt und untersucht werden müssen.



      Ich würde mich ja freuen, wenn mehr Akteure die Kapitulation und komplette Entwaffnung der Hamas (meinetwegen auch mit freiem Geleit nach Qatar), sowie die sofortige Freilassung aller Geiseln fordern würden. Sobald das passiert ist, kann man die Intention ja prüfen. Hören Israels Angriffe dann auf, wäre die Ursache für die aktuelle Lage geklärt. Tun sie es nicht ebenso.

  • Ja, die Geschichte wiederholt sich nicht; sie wechselt die Seiten



    Drecksarbeit machen und dennoch anständig bleiben.