Sexuelle Selbstbestimmung: Uterus mit Reißzähnen
6.000 Menschen haben in Berlin gegen das Recht auf Abtreibung demonstriert. Tausende Feminist*innen haben diese blockiert.
Fast eine Stunde steht der sogenannte Marsch für das Leben still. Schon kurz nach dem Start der Demonstration von AbtreibungsgegnerInnen am Samstagnachmittag verhindern AktivistInnen mit einer Sitzblockade jedes Weiterkommen und schaffen es, die Route des Marsches durch mehrere Blockaden zu verkürzen. Um überhaupt auf die Route zu gelangen, hatten die FeministInnen sich offenbar als Teilnehmende des Marschs ausgegeben. Anderthalb Stunden nach dem Start sind die AbtreibungsgegnerInnen noch keinen Kilometer weit gekommen.
Gegen 13 Uhr hatten sich bei strahlender Septembersonne direkt vor dem Portal des Reichstags mehrere tausend Jugendliche, Ehepaare, Nonnen und Priester in langen Gewändern versammelt. Mit mehr als 20 Bussen sind sie aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, zur bundesweit größten Demo der sogenannten Lebensschutzbewegung aus christlichen FundamentalistInnen, Konservativen und Rechten, die unter anderem gegen Schwangerschaftsabbrüche mobil macht.
Die Seitenstraßen sind abgesperrt, um vor GegendemonstrantInnen abzuschirmen, hin zum Brandenburger Tor reiht sich Polizeiwanne an Wanne. Dass die Auftaktkundgebung auf dem Platz der Republik stattfindet, ist ein klares Signal: Die Politik soll endlich handeln. „Abtreibung ist nie ein Bagatelldelikt“, ruft Alexandra Linder, Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht. Zwar betont sie stoisch die Überparteilichkeit des Marsches, spricht sich aber mehrfach gegen Vorstöße aus der SPD aus, die Paragrafen 218 und 219a doch noch zu kippen. Und Präsenz zeigen vor allem Mitglieder von Union und AfD.
AfD-Spitzenfrau Beatrix von Storch ist da. Grußworte schickten neben der antifeministischen Publizistin Birgit Kelle oder dem Vorsitzenden der Werteunion Alexander Mitsch auch mehrere Bundestagsabgeordnete der Union, darunter Philipp Amthor und Sylvia Pantel. Linder betont, wie gut es sei, „dass wir uns immer weiter vernetzen“: Die Bewegung will expandieren.
Fundis wünschen sich zurück ins Mittelalter
Am Vorabend der Demo steht deswegen die Pro-Life-Aktivistin Maria Grundberger am Mikrofon und eröffnet in der St. Elisabeth Kirche in Berlin-Schöneberg den „Impact Congress“, der junge Leute für die Sache gewinnen soll. „Da habe ich zu der Frau gesagt: Ich habe ein Kind, aber keins auf dem Gewissen“, sagt Grundberger. Das Publikum klebt förmlich an ihren Lippen. Sie erzählt, wie sie Frauen in letzter Sekunde vor einer Klinik abfangen und überzeugen konnte, nicht abzutreiben. Von den bösen Blicken, die ihr die Krankenschwestern zuwarfen und von ihrer Facebook-Timeline, die voll sei mit „glücklichen Familien“, die es ohne ihren Einsatz nicht geben würde. Applaus.
Grundberger ist der Stargast des Kongresses von Pro Life Europe und Jugend für das Leben. Sie sei eine Inspiration, sagen die beiden Organisatorinnen. Um in Schulen und Universitäten präsenter zu werden, hat der Kongress gezielt Studierende und SchülerInnen eingeladen. In einem Workshop erklärt ein Jurist, wie man Hochschulgruppen gründen oder sich gegen den ASta durchsetzen könne. Die meisten der rund 50 Teilnehmenden sind aus ganz Deutschland und sogar aus Österreich extra nach Berlin gereist.
Die meisten kennen sich, wie sie erzählen, über befreundete Kirchengemeinden oder vergangene Märsche. Auf dem Kongress wollen sie das Image der „christlichen Fundis“ durch Glitzerfarbe auf bunten Plakaten aufmotzen. So richtig Lust auf Basteln hat aber niemand, lieber macht man sich über die GegendemonstrantInnen lustig. „Mittelalter. Das ist auch etwas, das sie oft rufen“, erzählt eine Teilnehmerin. „Aber da denke ich mir: Wenn im Mittelalter Abtreibungen verboten waren, dann möchte ich gerne wieder dahin zurück.“ Die Umstehenden lachen.
Gänzlich unvorbereitet möchte man sich den GegnerInnen dennoch nicht stellen. Darum wird der Samstagvormittag genutzt, um die eigenen Argumente zu verfestigen und über rechtliche Fragen oder die „Abtreibungslobby der WHO“ aufzuklären. Dann ziehen die Teilnehmenden gemeinsam los zum Marsch für das Leben.
Weiße Kreuze und Pastelfarben sind Vorgabe
Zwischen acht- und zehntausend Teilnehmende sind dorthin laut Veranstalter gekommen, rund 6.000 sind es nach Zählungen des antifaschistisches Pressearchiv- und Bildungszentrums apabiz. Auch einer der Organisatoren des österreichischen Marschs für das Leben ist vor Ort, Alexander Tschugguel, der im Gespräch mit der taz die extremen Einschränkungen des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche in den USA lobt: „Wir fahren weltweit Erfolge ein.“
Gegen 14.30 Uhr setzt sich auf der südlichen Seite der Spree der „Marsch für das Leben“ in Bewegung. Die meisten Teilnehmenden halten sich an die Vorgaben der OrganisatorInnen, nur Material des Bundesverbands zu verwenden: weiße Kreuze und in Pastellfarben gehaltene Schilder, die möglichst positive Botschaften transportieren. Viele singen und halten kleine Plastikföten in den Händen, einige laufen barfuß. Einige Schilder machen gegen die „Abtreibungsärztin Kristina Hänel“ mobil, ein Mann trägt ein T-Shirt, auf dem „Stop the Babycaust“ steht.
Schon bei der Auftaktkundgebung haben es die GegendemonstrantInnen immer wieder geschafft, bis auf Rufweite heranzukommen, auch Sprechchöre und Trillerpfeifen sind zu hören. Während sich eine Rednerin auf der Bühne gegen die Pille danach ausspricht und empfiehlt, sogenannte „Gehsteigberatungen“ zu verstärken und „mehr zu beten“, rollen GegendemonstrantInnen in Sichtweite ein gelbes Transparent aus. „75 Tote täglich durch unsicherer Abtreibungen“ steht darauf, doch die Polizei drängt sie schnell ab. Ebenso ergeht es FeministInnen, die es schaffen, mit Transparenten die Bühne zu erklimmen.
Gegendemos verliefen meist abseits
Die meisten GegendemonstrantInnen laufen aber abseits des Marschs. „Ich bin heute auf der Demo, weil wir Leuten wie denen keinen Raum bieten dürfen“, sagt eine junge Frau, die eine Vulva auf ihre Wange gemalt hat. Die 16-jährige Schülerin war am Freitag beim Klimastreik, am Samstag protestiert sie gegen die Kriminalisierung von ÄrztInnen, die darüber informieren, welche Methoden des Schwangerschaftsabbruchs sie anbieten. „Ich kann nicht glauben, dass es im 21. Jahrhundert noch solche Paragrafen im Strafgesetzbuch gibt“, sagt sie.
Mit etwa 1.500 anderen Menschen zieht sie unter dem Motto “Antifeminismus sabotieren – Abtreibung legalisieren“ durch Berlin. Aufgerufen dazu hat das queerfeministische Bündnis What the Fuck. Manche tragen bunte Perücken, andere halten Schilder und Transparente, fast alle rufen „My body, my choice – raise your voice“ oder „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“. Ein riesiger pinker Uterus mit ausgestreckten Mittelfingern und Reißzähnen thront über der Menge.
Am Hauptbahnhof angekommen, schließen sich einige Demonstrierende dem zweiten Protestzug unter dem Motto „Lieben und leben ohne Bevormundung“ an, organisiert vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, zu dem unter anderem Frauenorganisationen, Grüne, Linke und Gewerkschaften gehören. Andere versuchen, auf die Route der AbtreibungsgegnerInnen zu gelangen. Etwa 1.200 Menschen setzen sich vom Hauptbahnhof aus in Bewegung, unter ihnen die Linken-Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring und Grünen-Parteivize Gesine Agena.
Kompromiss zum Kotzen
Die vielen Demos und Aktionen machten ihr Mut, sagt Möhring der taz. „Wenn sich parlamentarisch noch mal was tun soll, ist es wichtig, dass der Druck nicht nachlässt.“ Agena sagt, ihre Partei wisse, „welche Gefahr von den Fundamentalisten ausgeht“. Diese versuchten, Frauenrechte zurückzudrängen. „Dabei verbinden sich christliche Fundamentalisten mit der AfD und das geht bis ins bürgerliche Spektrum – das sieht man an den Grußworten aus der Union.“
Die SPD hat den Kompromiss im Streit um Paragraf 219a mitgetragen. Gerade die organisierten Frauen in der Partei haben daran harsche Kritik geübt. „Wir finden den Kompromiss zum Kotzen“, sagen zwei Mitglieder der Berliner Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF). „Wir wollen, dass die SPD da noch mal rangeht.“
Auch Vertreterinnen der „Omas gegen Rechts“ sind gekommen. „Natürlich sind christliche Fundamentalisten Teil einer rechten Bewegung“ sagt eine. „Wir haben schon vor 50 Jahren für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekämpft“, sagt eine andere. „Dass diese jungen Frauen jetzt auf die Straße gehen müssen, damit keine Rückschritte gibt, ist doch unglaublich.“
In einer vorigen Version dieses Artikels wurde als Veranstaltungsort des „Impact Congress“ die Kirche St.-Elisabeth in Berlin-Mitte genannt. Das war ein Fehler. Es handelt sich um die St.-Elisabeth-Kirche in Berlin-Schöneberg. Wir bitten dies zu entschuldigen.
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