Schwarz-rote Regierung in Berlin: Giffeys langer Schatten

Eine tief gespaltene Berliner SPD verhilft der CDU zur Macht. Die Sozialdemokraten und die Stadt werden das teuer bezahlen müssen.

Franziska Giffeyträgt ein rotes Kostüm

Dass die einstige Regierungschefin eines Landes auch dem Kabinett ihres Nachfolgers angehört, ist selten Foto: Jörg Carstensen/dpa

Der Weg zu einer schwarz-roten Landesregierung in Berlin ist bereitet: Nach der SPD am Sonntag hat am Montagabend auch ein CDU-Parteitag für den Koalitionsvertrag gestimmt. Am Donnerstag wird Kai Wegner vom Abgeordnetenhaus zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt. Sein zehnköpfiges Regierungsteam ist bereits bekannt. Und nur zwei Frauen dürfen weiterhin im Amt bleiben: Die SPD-Innensenatorin soll einen von der CDU diktierten Law-and-Order-Koalitionsvertrag umsetzen. Und Franziska Giffey zieht vom Roten Rathaus um in die Senatsverwaltung für Wirtschaft.

Dass die einstige Regierungschefin eines Landes auch dem Kabinett ihres Nachfolgers angehört, hat es in Deutschland seit mehr als 60 Jahren nicht mehr gegeben. Doch als Wirtschaftssenatorin hat die Noch-Regierende den Posten mit der wohl geringsten politischen Strahlkraft abbekommen. Ausgerechnet Giffey, die sich in den eineinhalb Jahren Rot-Grün-Rot vor fast jede Kamera und jedes Mikrofon drängte, soll nun vor allem im Hintergrund Senatspolitik gestalten. Aber mehr war für die SPD-Landeschefin nicht mehr drin nach den Schlappen bei der Wiederholungswahl und bei der SPD-Mitgliederabstimmung über die Koalition am Sonntag.

Zweieinhalb Monate nach der Wahl haben sich die politischen Verhältnisse in der Hauptstadt damit komplett verkehrt: Statt einer fast sicheren und auch rechnerisch möglichen Fortsetzung von Rot-Grün-Rot regiert künftig Schwarz-Rot mit dem einst wegen angeblich fehlender Koalitionspartner als „einsamen Kai“ verspotteten Wegner an der Spitze. Einsam ist es inzwischen vor allem um Giffey.

Denn nach dem knappen Ausgang des SPD-Mitgliederentscheids wird die Kritik an ihr aus den eigenen Reihen immer lauter. Der einstigen Bundesfamilienministerin werden zahlreiche Fehler vorgehalten, die erst zu der Wahlniederlage geführt haben und dann zu dem überraschenden Schritt, als Juniorpartnerin von sich aus auf das Rote Rathaus zu verzichten.

Franziska Giffeys Intermezzo in der Berliner SPD und als Regierende Bürgermeisterin hallt viel länger nach als gedacht

Die Partei – daran sind sich in der SPD alle einig – ist erkennbar tief gespalten in der Frage, wohin die politische Reise gehen soll und mit wem. Giffeys jüngst bei „Markus Lanz“ geäußerter Satz „Jetzt steht an, dass Berlin mich braucht“, wirkt da wie Hohn. Was Berlin und die SPD brauchen, ist eine Exit-Option, wie man Giffey gesichtswahrend wieder loswerden kann. Doch das kann dauern, denn bisher ist niemand in Sicht, der als künftige Spit­zen­kan­di­da­t*in bereitstehen könnte. Und die nächste Wahl ist bereits 2026.

Schlechte Aussichten für Rot-Grün-Rot

Für CDU-Chef Wegner sind das gute Aussichten. Während die SPD um sich selbst kreist, kann er durchregieren und dabei auf die Unterstützung der fünf SPD-Senator*innen hoffen. Fast alle gehören zu Giffeys alter Garde: Sie müssen durchhalten, solange die Partei sie erduldet. Nicht zuletzt für die Bau- und Liegenschaftspolitik und die Umsetzung des Enteignen-Volksentscheids lässt das wenig hoffen.

Doch eine schwache, weil gespaltene SPD verringert auch die Möglichkeit für eine baldige Neuauflage des linken Bündnisses mit Grünen und Linken. Bei den Wahlen im Februar hatte diese Koalition noch eine Mehrheit von 5 Prozentpunkten. In drei Jahren könnte der bei einem weiteren Bedeutungsverlust der Linken auf Bundesebene und einer unklarer Ausrichtung der Berliner SPD zusammengeschmolzen sein. Immerhin üben die Sozialdemokraten schon mal, wie es ist, in einem Bündnis nicht mehr stärkste Kraft zu sein – die Grünen, die im Februar nur mehr 53 Stimmen hinter der SPD landeten, werden sich für das Training bedanken.

Denn vor allem diese beiden Parteien müssen ihr Verhältnis untereinander in den nächsten drei Jahren klären, damit eine Zusammenarbeit wieder infrage kommt. Wichtig ist dabei: Wo unterscheiden sich eine linke SPD und die Grünen? Doch darüber reden lässt sich erst, wenn absehbar ist, wer die perspektivisch richtigen An­sprech­part­ne­r*in­nen in der SPD sind.

So hallt Franziska Giffeys Intermezzo in der Berliner SPD und als Regierende Bürgermeisterin viel länger nach als gedacht. Ihr Kurs hat Berlins Sozialdemokraten in eine inhaltliche und personelle Krise geführt, gleichzeitig die CDU gestärkt und für nachhaltigen Zwist im linken Lager geführt. Nicht schlecht, möchte man spöttisch sagen, dafür, dass Giffey erst seit zweieinhalb Jahren Co-Parteichefin ist. Wären da nicht die vielen Herausforderungen, allen voran die Klimakrise einschließlich einer nötigen Verkehrswende, die auch Berlin vor massive Probleme stellen und progressive Politik nötig machen statt simpler Besitzstandswahrung.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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