Schüsse in München: Die Suche nach Antworten

Die Polizei weiß ziemlich genau, was der Attentäter in der bayrischen Hauptstadt in seinen letzten Stunden getan hat. Aber nicht, warum.

Mannschaftswagen der Polzie stehen in Reihe hintereinander, vorne stehen Polizisten in Uniform und im Hintergrund ein abgesperrter Tatort

Polizeieinsatz nahe des israelischen Generalkonsulats und NS-Dokumentationszentrums am 5. September Foto: Revierfoto/imago

München taz | Was wäre passiert, wenn Emra I. in der Nähe des israelischen Generalkonsulats nicht sofort Polizisten angetroffen hätte? Welche Gefahr ging wirklich von dem 18-Jährigen aus? Welchen Plan verfolgte er? Hatte er überhaupt einen konkreten Plan? Die Fragen sind auch am Tag nach den Schüssen vor dem israelischen Generalkonsulat in München noch immer offen. Und unklar ist, ob es je eine eindeutige Antwort darauf geben wird.

Diesen Eindruck konnte auch eine Pressekonferenz nicht zerstreuen, in der Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitagnachmittag einen Überblick über den aktuellen Ermittlungsstand gaben. Immerhin lässt sich der Tatverlauf inzwischen schon relativ präzise beschreiben.

So weiß man nach der Schilderung von Christian Huber, dem Leiter der Abteilung Einsatz der Münchner Polizei, dass der Täter am Donnerstagmorgen um 6.30 Uhr seine Wohnung im Salzburger Land verlassen hat und mit dem Auto nach München gefahren ist. Kurz vor 9 Uhr stellte er den Wagen in der Münchner Maxvorstadt ab und machte sich auf den Weg in Richtung des NS-Dokumentationszentrums. Er war dann wohl rund zehn Minuten in dem Areal zwischen Karolinenplatz, Dokumentations­zentrum und israelischem Generalkonsulat unterwegs, betrat zwei der umliegenden Gebäude und gab insgesamt mindestens neun Schüsse aus einem alten Karabiner ab, einer ehemaligen Schweizer Wehrmachtswaffe.

In der Nähe des Karolinenplatzes traf er schließlich auf fünf Polizeibeamte, die ihn aufforderten, die Waffe abzulegen. Als er in Richtung der Polizisten schoss, nahmen diese ihn unter Beschuss. Er starb noch vor Ort.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Identität des Mannes wurde anhand eines gefundenen Führerscheins schnell festgestellt: Emra I., ein 18-jähriger Österreicher mit bosnischen Wurzeln. Ebenso, dass er vor Ort allein handelte, für die Bevölkerung also nach seiner Ausschaltung keine Gefahr mehr bestand. Das stand schon nach Minuten fest.

Nur die Antworten, die helfen würden zu verstehen, was da am Donnerstag geschah, kann bislang niemand geben. In ein typisches Raster scheint der Täter nicht zu passen. Er könne nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, sagte denn auch Gabriele Tilmann auf der Presse­konferenz, dennoch gelte es nun, diverse Ermittlungen anzustellen. Die Leitende Oberstaatsanwältin ist Chefin der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET), die in Deutschland die weiteren Ermittlungen übernommen hat.

Gab es im Hintergrund Mittäter, Helfer, Unterstützer, Mitwisser? War Emra I. in ein Netzwerk eingebunden? Was war die eigentliche Tatmotivation? All dem müsse nun nachgegangen werden, so Tilmann. Bisher wisse man nichts über irgendwelche Verlautbarungen des Täters. Es gebe nur eine – freilich naheliegende – Arbeitshypothese: dass es sich um eine islamistisch beziehungsweise anti­semitisch motivierte Tat handelte. Dafür sprächen der Tatort am israelischen Generalkonsulat und dem NS-Dokumentationszentrum und der Tatzeitpunkt, der Jahrestag des Münchner Olympia-Attentats.

Wer war Emra I.? Von den österreichischen Behörden war zu hören, dass er mit seinen Eltern im Salzburger Land, in Neumarkt am Wallersee, gewohnt habe. Dort war er schon im vergangenen Jahr wegen Islamismusverdachts ins Visier der Polizei geraten. Wie die Salzburger Polizei mitteilte, sei gegen ihn ein Waffenverbot verhängt worden, das frühestens 2028 ausgelaufen wäre.

Die Ermittler waren auf den damals 17-Jährigen aufmerksam geworden, nachdem er Mitschüler verletzt und bedroht hatte. Auf seinem Mobiltelefon soll damals islamistische Propaganda gefunden worden sein. Es hätte auch Hinweise gegeben, dass er sich in den Jahren 2021 bis 2023 mit Anleitungen zum Bombenbau beschäftigt habe. In einem Online-Spiel hatte er zudem offenbar islamistische Gewaltszenen nachgestellt.

Die Ermittlungen wurden im April dieses Jahres jedoch eingestellt. Laut Staatsanwaltschaft Salzburg hätten keine Beweise vorgelegen, dass sich Emra I. radikalisiert oder islamistische Propaganda verbreitet habe. Der junge Mann habe sich auch nicht in islamistischen Kreisen bewegt oder besonders religiös gelebt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben