piwik no script img

Scholz und PistoriusJournalismus oder Pferdewette?

Man wundert sich über die Hysterie, mit der manche Medien über die K-Frage innerhalb der SPD berichtet haben. Da war wenig Sachliches und viel Hysterie dabei.

Olaf Scholz soll vom SPD-Vorstand als Kanzlerkandidat für die Neuwahl des Bundestags nominiert werden Foto: Michael Kappeler/dpa

E s sind noch etwa 90 Tage bis zur Bundestagswahl. Wie gut, dass die knapp bemessene Zeit dazu führt, im Wahlkampf Prioritäten zu setzen. Nur die drängendsten Fragen werden diskutiert: Wie kann der Aufstieg der Autoritären gestoppt werden? Wie können Rezession und Inflationsangst bekämpft werden? Hat der SPD-Kandidat eine randlose Brille oder eine Glatze?

Zwei Wochen hat das Land über den Wahltermin diskutiert, um nun eine Personalie durchs deutsche Dorf zu treiben. In der Kandidatendebatte der SPD ging es, materiell betrachtet, um die Frage, ob ein konservativer Sozialdemokrat oder ein sozialdemokratischer Konservativer die Partei in den Wahlkampf führt. Der Eifer wäre verständlich, wenn es zwischen den Kandidaten politische Unterschiede gäbe oder wenn Scholz wie Joe Biden nicht regierungsfähig wäre. Warum aber sollte der Minister einer gescheiterten Regierung erfolgreicher sein als ihr Kanzler – wegen eines Beliebtheitsrankings? Ein Wechsel des Kandidaten wäre schnell verpufft, WählerInnen sind ja nicht doof.

Die K-Fragen-Hysterie dieser Woche ist ein Beispiel dafür, dass Medien nicht einfach Wirklichkeit beschreiben. Man spürte in manchen Beiträgen eine Lust, Pistorius hoch- und Scholz runterzuschreiben. Wenn man tagelang jede Einzelmeinung eines SPD-Mitglieds aus der dritten und zweiten Reihe zur Breaking News aufbläst, wird die Aussage, die SPD sei gespalten, zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Natürlich hat die SPD-Spitze zur Debatte beigetragen. Aber man kann (wie die taz) über die K-Frage auch nüchtern berichten und feststellen, dass das Rumoren an der Basis medial angeheizt und so eindeutig nicht war.

Nun ist einseitige Medienschelte oft etwas billig, denn Meldungen über Personalfragen werden auch gern gelesen. Vielleicht ist es ein gemeinsamer Eskapismus von uns MedienmacherInnen und Ihnen, den MediennutzerInnen: Gerade weil die Herausforderungen erdrückend sind und die Angebote, sie zu lösen, so unzureichend, ist es befreiend, sich mit Köpfen zu beschäftigen. So aber fehlt nach der ganzen Aufregung die Energie für die größeren Fragen. Nicht wer für die SPD antritt, ist doch die spannende Frage, sondern: wofür.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die linksliberalen Parteien, also auch die Grünen, haben ein Problem. Sie hoffen weiterhin, dass sie mit einem Kurs auf die Mitte Wahlen gewinnen können. Aber die Merkel-Jahre sind vorbei, und ihre Voraussetzungen – Wachstum, billiges Geld und Gas, Probleme in die Zukunft verdrängen – sind es auch. Die Grünen scheinen dennoch die Fehler von Kamala Harris wiederholen zu wollen: Pathetisch von Demokratie sprechen, popkulturelle Anspielungen, damit erreicht man keine Mehrheit. Wenn SPD und Grüne gewinnen wollen, müssten sie aus der Merkel-Logik ausbrechen. Sie müssten mit einer Umverteilungspolitik die Interessen der Mehrheit bedienen, statt mit der Union um den kleiner werdenden Kuchen zu kämpfen, der deutsche Mitte heißt. Doch dafür sind weder Habeck noch Scholz oder Pistorius die geeigneten Kandidaten.

Dennoch sollte der Blick auf den Wahlkampf 2021 Demut lehren. 90 Tage vor der Bundestagswahl stand die SPD in Umfragen auch bei 14 Prozent. Nun spricht viel dafür, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Wie aber kommt man dazu, wie manche Kollegen bei den Illustrierten, Minuten nach der Nachricht von Pistorius’ Verzicht in die Glaskugel zu schauen? Im Spiegel wird geleitartikelt, dass die SPD ein einstelliges Ergebnis holen werde, ein Stern-Kollege legt sich fest, das Kanzlerduell sei nun „entschieden“. Derweil jubelt man bei Politico, dass man die Nachricht von Pistorius’ Rückzug eine Minute früher vermeldet habe. Ist das noch Journalismus oder schon Pferdewette?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Scholz hatte 21 unter anderem die Themen Respekt und Mindestlohn.

    Beim ersten hat er gezeigt, dass er das wohl nicht ernst meinte. Unter anderem durch die Behauptung oktober 22 alle hätten mehr ohne zu akzeptieren, dass die unteren Lohngruppen durch zusätzliche Belastungen weniger hätten.

    Erneute Gespräche über einen Mindestlohn würden ihn als Heuchler darstellen, da ja gerade an die EU geschrieben wurde die MindestlohnRichtlinie wurde umgesetzt. Die 60 Prozent von den dort gesprochen finden sich in dem de als Papier nicht und ist nicht verbindlich... Aktuell liegen wir bei um die 50 Prozent.

    Was bleibt ist die Hoffnung auf Demenz bei den Wählern. Ich wünsche mal kein viel Glück, da wir wirklich eine soziale Partei in Deutschland benötigen und dafür braucht es wohl ein harte Wahlniedeelage, wobei auch die letzten Wahlen schon gezeigt haben, wie gekonnt man die Ergebnisse ignoriert und mit sich selbst nicht in Zusammenhang bringt.

    Diesbezüglich denke ich der Autor im Spiegel hat recht, scholz wird keine Rolle spielen bei der Wahl zum Kanzler.

  • Der SPIEGEL-Leitartikel von Christoph Hickmann vor einigen Tagen:

    "Olaf Scholz bewirbt sich für die SPD noch einmal ums Kanzleramt. Das lässt nur einen Schluss zu: Ihm und seiner Partei ist nicht mehr zu helfen."

    Die Frage ist m.E. dabei immer wer wen wirklich helfen möchte.

    Jetzt, also heute, wahrscheinlich aus unerwiderter Liebe, schiebt der SPIEGEL das nächste Borstenvieh auf die Piste::

    "Verteidigungsministerium will offenbar 825 Millionen Euro für Ausgeh-Uniformen ausgeben



    Das Ressort von SPD-Minister Boris Pistorius plant laut einem Medienbericht die Anschaffung neuer Dienstanzüge für formelle Anlässe."

    Die Flitterwochen sind gottseidank vorbei, bevor sie beginnen konnten.

    • @Waage69:

      ...das Wort "gottseidank" ist überflüssig, da der letzte Satz nur eine Feststellung ist.

      • @Waage69:

        Im Gegenteil, das Wort zeigt, warum eine solche "Feststellung" behauptet wurde.

        • @Janix:

          Dummerweise war der Satz außerhalb der Anführungszeichen nicht Teil des Spiegelzitats sondern ein leicht ironischer Schlusssatz von mir. Ironie führt meist zu Missverständnissen, ich werde versuchen mich da künftig mehr zurückzunehmen.

  • Naja, aus meiner "altersmilden" - kleiner Scherz, da ich mehr als 20 Jahre länger dabei bin als Herr Augustin - Sicht muss ich feststellen, es gibt heutzutage exponentiell mehr Medien aller Art und eine exponentiell erhöhte Geschwindigkeit der Informationsverbreitung.

    Und vor allem gibt es eine exponentiell erhöhte Anzahl von Journalisten oder anderen Medienschaffenden, die allesamt eine Story brauchen, um Ihre Brötchen zu verdienen. Dies gilt es von der exponentiell erhöhten Anzahl der Mediennutzer (uns allen) auszuhalten.

    Letzten Endes ist das alles doch prima Unterhaltung. Esgilt nach wie vor:

    "Wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie längst verboten."



    Doch das gilt lediglich für autoritären Regime.

  • Ist das noch Journalismus oder schon Pferdewette?



    ----



    Weder noch, mMn. !



    Es geht, soweit ich das übersehen kann, "um Clicks"! Die einzige Währung, Maßzahl, usw. die für viele KollegInnen zu zählen scheint! :-(



    Da ist der "Niveau-Limbo" immer weiter nach unten, mit eingerechnet! :-((

    • @Sikasuu:

      Da kann man hier Nahostnahes schreiben, das zieht noch mehr, weil es so schön polarisiert.



      Ich ziehe dabei immer noch den Hut vor der taz. Auch sie mag aber aufpassen. Zu viel Lifestyle und der Bild Nachgeplappertes.

  • "Warum aber sollte der Minister einer gescheiterten Regierung erfolgreicher sein als ihr Kanzler – wegen eines Beliebtheitsrankings? Ein Wechsel des Kandidaten wäre schnell verpufft, WählerInnen sind ja nicht doof."

    Einspruch, euer Ehren! Erstens: WählerInnen sind doof. Sie wählen aus Impulsen heraus, wie "der sieht ja gut aus", "der wirkt vertrauenswürdig (basierend auf dem Aussehen)", "der hat aber nette Kinder", "der redet so verschwurbelt". Alles komplett ohne Inhalte. Und so erklären sich auch Wahlplakate. Und so wird ein einziges Foto, auf dem jemand zufällig im Hintergrund lacht, während unser Grüßaugust salbungsvolle Worte im Ahrtal sagt, zum absoluten Verhängnis für die Wahl (keine Sorge, bin alles andere als ein Laschet-Fan).

    Und aufgrund dessen sind die Beliebtheitswerte eines Menschen enorm wichtig fir Wahl. Tausendmal wichtiger als die Inhalte.

    Und wenn man das anders sieht, dann hat man vielleicht analog zum komplett wirklichkeitsfrenden "homo oeconomicus" den "homo democraticus" im Kopf, der rational aufgrund objektiver Informationen seine Wahlentscheidung trifft. Wrong!

    Dass Medien hier alles entscheiden sind, ist leider richtig.

    • @Jalella:

      Ich sehe das auch so: das Ausschlachten eines kurzen unbedachten Lachers war übelster Kampagnenjournalismus und hat seinerzeit die Bundestagswahl mit entschieden. Ob Jamaika besser funktioniert hätte als die Ampel, kann man nicht wissen, im Rückblick ist es zumindest nicht ganz auszuschließen. Vielleicht hätte man den Grünen in dieser Konstellation nicht nur einen höheren Wehretat sondern auch eine klimapolitisch m.E. zwingend gebotene Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke aus dem Kreuz leiern können im Gegenzug hätte es eine neu organisierte Kindergrundsicherung und ein Tempolimit gegeben... hätte, hätte...

      Andererseits kann man aber auch mit Blick auf die aktuelle Situation feststellen: letztlich ist 2021der Kandidat Kanzler geworden, der den Druck der Medien besser ausgehalten hatte.

      • @Waage69:

        Ich bin übrigens bei Ihnen: ein Lacher und die Kampagne der Springerpresse gegen Laschet und für Lindner (?!!) sollten nie mehr eine Wahl beeinflussen. Auch keine anderen Kampagnen von Springer & Co.



        Scholz bot eine gute Bilanz in Stadt und Bund, die CDU/CSU war inhaltlich und personell ausgeblutet. Sie hatte gar nicht mehr die Puste, um ihre Fehler selbst aufzuräumen. Endlich die Energiewende war überfällig. Ein Tempolimit als Innovationspeitsche auch für die behäbige Autoindustrie wäre es ebenso.

        Laschet hingegen war dabei jedoch das beste Angebot der Union und wäre es heute noch. Ich sähe ihn gerne in wichtigeren Positionen als derzeit, das Sozialchristliche wird leider von einem fiesen Neoliberalismus verdrängt.

  • Kersten Augustin beschreibt genau das, was mich in letzter Zeit umgetrieben hat.

    Danke!

    So völlig unbeteiligt war die Taz zwar auch nicht - aber vielleicht ist es auch nicht einfach, immer das richtige Maß zu finden.

  • Gut, dass es in der taz die „Wahrheit“ gibt.

  • ich finds clever: 1 Partei hier hat 2 Kanzlerkandidaten und inszeniert mithilfe der Medien hier einen Zirkus drumrum, der alle anderen 1-Mann - Parteien daneben völlig verblassen lässt.



    Jede Wette, Kanzlerkandidatenvielfalt gewinnt.

    • @poesietotal:

      Die Union hätte m.E. nur Günther oder einen reaktivierten Laschet als seriöse Angebote. Die SPD hat tatsächlich gerade Personal als ihre Stärke: Scholz' Erfahrung und Moderation, Pistorius' Erfahrung und Beliebtheit, und da könnten wohl noch mehr Kanzler(in), etwa in den Bundesländern.



      Vergessen wir aber die anderen Parteien nicht.

  • "Aber man kann (wie die taz) über die K-Frage auch nüchtern berichten..."



    Herr Augustin scheint seine eigene Zeitung nicht zu lesen!😂

    • @JEDERHATSEINEMEINUNG:

      Sie sagen es.



      Eine seiner Kolleginnen arbeitet sich extrem an dem Thema ab.

  • Ach was! ©️ Vagel Bülow

    “Nun spricht viel dafür, dass Geschichte sich nicht wiederholt.“

    Stimmt! Wollnich



    Insbesondere wenn’s eh nur ne Farce war •

    • @Lowandorder:

      Um das versteckte Brumaire-Zitat weiterzuspinnen: Manchmal kann es auch gleich mit der Farce beginnen.

  • Ich habe mich hier im Forum schon ausgelassen, warum "Sportberichterstattung" hier weder angemessen, noch irgendwie zielführend ist.



    Die taz hat dabei schon auch etwas mitgemacht, mit viel zu vielen Artikeln über ein Null-Thema, oder?