Scholz eröffnet nächsten Wahlkampf: Die Kalküle des Kanzlers
Die SPD setzt auf Respekt und „normale“ Menschen – in Abgrenzung gegen Eliten und den „woken“ Mainstream. Das ist ein gefährliches Spiel.
![Scholz und Schwesig bei Bild Scholz und Schwesig bei Bild](https://taz.de/picture/5275113/14/28991157-1.jpeg)
D irekt nach der Bundestagswahl sah die politische Landschaft noch anders aus. Damals erschienen die kleinen Parteien als die Großen. Grüne und FDP inszenierten sich selbstbewusst, fast überheblich, mit Robert Habeck und Christian Lindner als Königsmacher in den Hauptrollen. Olaf Scholz schwieg dazu. Er dürfte das eitle Theater mit Amüsement betrachtet haben.
Wie die Rollenverteilung heute aussieht, kann man an den ersten Übereinkünften der Ampel gut ablesen, im Sondierungspapier, im Koalitionsvertrag und an der Verteilung der Etatmittel. Die Dokumente sind mit einer sozialdemokratischen Melodie unterlegt, in der neuen Regierung haben die Sozialdemokrat:innen Geld zu verteilen: 227,2 Milliarden Euro für die SPD-Ministerien, 65,8 Milliarden für die FDP und nur 39,1 Milliarden für die Grünen. Die Kernthemen der anderen, Klima und Finanzen, sind nur die Begleitmusik.
Dass die stärkste Partei den Ton bestimmt, kann nicht überraschen. Aber Scholz trägt seine Melodie schon seit dem Sommer mit einem Unterton vor, der hellhörig macht und der jetzt von symbolträchtigen Entscheidungen begleitet wird. Die Rede ist viel von sogenannten normalen Menschen, in Abgrenzung gegen die Eliten und im Kern damit gegen jenes aufgeklärte bürgerliche Klientel, das Grüne und FDP repräsentieren.
Im Sommer rang Scholz darum, diese normalen Menschen mit dem Begriff des „Respekts“ für sich zu gewinnen und hatte damit hinreichend Erfolg. Er verband den Begriff mit der handfesten Versprechung von 12 Euro Mindestlohn. Etwa für die „Anerkennung auch für die, die fleißig sind im Warenlager oder die einen Truck fahren“.
Für „NYT“ der Retter der Sozialdemokratie
Und er flocht gerade genug Klimaschutz ein, um zu den Grünen hin wählbar zu bleiben. Scholz versucht, auf diese Weise eine neue sozialdemokratische Koalition zu formen, mit Arbeiter:innen und Angestellten im Zentrum. Die New York Times feierte ihn schon als Retter der europäischen Sozialdemokratie.
Die Sozialdemokratie verdient es, gerettet zu werden, und nichts ist dagegen zu sagen, einen Teil der abwandernden Arbeiterklasse wieder einzufangen. Die Frage ist nur, zu welchem Preis und was das für die rot-grün-gelbe Koaltion bedeutet.
Von der Formulierung, „Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind nicht bei denen, die sich für was Besseres halten“, ist der Weg nicht weit zu einer Erzählung von der elitären neuen Mittelklasse, die sich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung bereichert und den Mainstream diktiert, einen woken, natürlich.
Es gibt ein Medium in Deutschland, das dieses Narrativ seit einigen Jahren mit großer Lust bedient und es zum Widerstandsmotiv stilisiert: die Bild-Zeitung. Wie der neue Kanzler seine Politik ausrichtet, ließ sich innerhalb kurzer Zeit gleich zweimal beobachten: Eine Woche vor seiner Wahl stellte sich Scholz zu Bild-TV, um ausgerechnet dort die Impfpflicht anzukündigen. Es war ein Anklang an das alte Motto seines alten Bosses Gerhard Schröder: „Zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS und Glotze.“
Und an dem Wochenende, an dem Bild drei prominente Virolog:innen als eine Bande von „Lockdown-Machern“ an den Pranger stellte, war Scholz erneut zu Besuch bei Springer. Er trat dort samt Ampelpartnerinnen für die Spendengala „Ein Herz für Kinder“ auf. Ein kritisches Wort zur infamen Kampagne der Bild? Blieb aus. Merkel wäre das nie passiert. Anders als Scholz hat Merkel den Mindestabstand eingehalten.
Scholz ist kein Rechter, genauso wenig aber ein Instinktpolitiker. Er kalkuliert, er weiß, was er tut. Scholz hat soeben den Wahlkampf für 2025 begonnen, für die SPD und gegen seine Koalitionspartnerinnen.
Darin liegt die erste große Bruchlinie der neuen Koalition: Denn es ist ja die Kernklientel der Grünen und der Liberalen, die Scholz da verbal wie nonverbal beschießt. Wenn nicht alles täuscht, wird es nicht ein rot-grünes Lager mit einem liberalen Farbtupfer geben, sondern zwei kleinere Parteien, die hart zu kämpfen haben, um sich gegen den Chef im Kanzleramt zu behaupten.
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass vor allem die in kurzer Zeit mehrfach gedemütigten und desillusionierten Grünen daran schwer zu kauen haben werden.
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