Sämtliche AfD-Kandidaten scheitern: Kein Ausschuss für die AfD
Keiner der AfD-Kandidaten wurde in den Vorsitz eines Bundestagsausschusses gewählt. Die Rechten sind wütend, die demokratischen Parteien zufrieden.
Schon vor Beginn der konstituierenden Sitzung des Innenausschusses am späten Nachmittag bemühte Hess mit Blick auf die anderen Ausschüsse die AfD-typische Opferinszenierung: „Hier wird mit allen parlamentarischen Gepflogenheiten gebrochen“, sagte er. Optimistisch wirkte er nicht. Im Anschluss sprach er von einem „schwarzen Tag für die Demokratie“.
Konstantin von Notz, langjähriger Innenpolitiker der Grünen, sagte im Anschluss: „Also ich sehe kein demokratietheoretisches Problem. Wenn man für ein solches Amt Antritt, muss man eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen.“ Es gebe gute Gründe, dass Hess nicht ins Amt gewählt worden sei, so von Notz. Er betonte, dass der Ausschuss arbeitsfähig sei. Kommissarisch werde der Ausschuss nun von der Linken Petra Pau, der dienstältesten Abgeordneten im Gremium geleitet. Auch im Gesundheitsausschuss übernimmt der dienstälteste Abgeordnete kommisarisch das Gremium: der CDU-Politiker Hubert Hüppe.
Die Vorsitze der Ausschüsse werden in einem mehrstufigen Verfahren im Ältestenrat verteilt, jeder Fraktion stehen gemäß Fraktionsstärke mehrere Ausschüsse zu. In den Ausschüssen findet ein großer Teil der parlamentarischen Arbeit statt, wo Regierung und Opposition in der Regeln konstruktiv zusammen arbeiten. Das ist aber offenbar aus Sicht der demokratischen Parteien mit der AfD nicht möglich. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten die Parteien den völkischen AfD-Abgeordneten Stephan Brandner nach dessen zahlreichen Eskapaden vom Vorsitz des Rechtsausschusses abgewählt.
Völkische Wortbeiträge und Desinformation
Die demokratischen Fraktionen hatten vor allem mit Blick auf den Innenausschuss bereits in den Tagen zuvor durchblicken lassen, dass sie einen AfD-Kandidaten im Innenausschuss nicht mittragen würden.
Dass sie nun gleich alle AfD-Vorsitzenden von vorneherein durchrasseln ließen, ist für den Bundestag ein Novum und dürfte auch der fortschreitenden Radikalisierung der AfD geschuldet sein, deren Fraktion personell etwas kleiner, aber auch extremer geworden ist. Gleich in den ersten Plenarsitzungen des Bundestages verdeutlichte die AfD mit der Missachtung von Corona-Regeln, völkischen Wortbeiträgen und Desinformationen, wie sie zur parlamentarischen Demokratie steht.
Die Vorschläge für die Vorsitze haben diesen Eindruck noch bestärkt: Für das Amt im Innenausschuss hat die AfD auf ihrer Fraktionssitzung am Dienstag mit Hess einen ehemaligen Polizisten nominiert, der die Gefahr rechtsextremer Netzwerke relativiert, Linksextremismus aber für extrem gefährlich hält. Er war in einer Polizeieinheit mit der vom NSU ermordeten Michèle Kiesewetter tätig – zusammen mit Personen aus dem Umfeld des Uniter-Netzwerkes, zwei Mitgliedern eines deutschen Ablegers des Ku-Klux-Klans sowie dem V-Mann „Corelli“, der sich im NSU-Umfeld bewegte.
Obwohl Hess mit diesen Kolleg*innen arbeitete, hält er Gegenmaßnahmen und Aufklärung von Rechtsextremismus in der Polizei für eine „Hexenjagd“. Er hatte nach seiner Nominierung am Dienstag behauptet, den Vorsitz des Innenausschusses neutral ausfüllen zu wollen. Dies schien angesichts seiner politischen Überzeugungen wenig glaubhaft.
Auch das sonstige Personal ist radikal
Auch unabhängig von der Personalie Hess gab es viel Kritik am AfD-Vorsitz im sicherheitsrelevanten Innenausschuss: Nicht zuletzt, weil der AfD selbst eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz droht und der Vorsitzende in dieser Funktion einen kurzen Draht zu Sicherheitsbehörden braucht sowie einen privilegierten Zugang zu sensiblen Informationen erhält. Ein AfD-Mann in dieser Position gilt für viele im Parlament als Sicherheitsrisiko, auch weil Teile der Partei bereits unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen.
Ein Stellvertreter für den bisher nicht existenten Vorsitzenden des Innenausschusses wird vermutlich im Januar gewählt. Der Vize-Vorsitz, der dann de facto der Vorsitzende werden dürfte, steht der SPD zu. Zuletzt wurde für das Amt Lars Castellucci gehandelt.
Vor allem die Grünen waren dafür kritisiert worden, dass die AfD in dem Verfahren auf den Innenausschuss hatte zugreifen können. Die Grünen hatten für sich den vergleichsweise unwichtigen Vorsitz im Europa-Ausschuss reklamiert, ein Posten den der bei den Ministerposten leer ausgegangenen Toni Hofreiter übernehmen soll. So erst kam die AfD in die Position, den Vorsitz im Innenausschuss besetzen zu können.
Und der nächste Clash ist schon in Sicht: Im Januar steht die Besetzung des geheimsten Gremiums des Bundestages an. Dann soll das parlamentarische Kontrollgremium besetzt werden, in dem etwa der Verfassungsschutz unter strengster Geheimhaltung der Bundesregierung berichtet. In der vergangenen Legislatur saß für die AfD Roman Reusch in dem Gremium. Über Rechtsextremismus soll dann nur geredet worden sein – wenn Reusch nicht anwesend war. Schwer vorstellbar, dass die AfD-Teilnahme an der Runde in dieser Legislatur einfach so durchgeht.
Als „erkannter Extremist“ eingestuft
Aussagekräftig ist auch, welches Personal die AfD sonst noch in die verschiedenen Ausschüsse schickt. Im Klima-Ausschuss etwa unterstreicht die Partei einmal mehr, dass sie der parlamentarische Arm der militanten Verschwörungsideolog*innen ist.
Mit Karsten Hilse schlägt die Partei einen Mann für den Vize-Vorsitz im Klimaausschuss vor, der den menschengemachten Klimawandel systematisch leugnet. Seit vergangenem Jahr wurde Hilse mit Verbreitung von Desinformationen und Auftritten in der Querdenken-Bewegung zum wohl bekanntesten Aluhut-Träger der AfD. Er trat sogar mit Querdenken-Shirt im Bundestag auf. Dort beschäftigte er auch Michael Limburg, den Vizepräsidenten des Vereins EIKE, der sich gründete, um den Klimawandel zu leugnen.
Gereon Bollmann, den die AfD als Vize-Vorsitzenden in den Umweltausschuss schicken will, bestreitet ebenfalls den menschengemachten Klimawandel und spricht im Zusammenhang mit dem grassierenden Coronavirus von einer „Plandemie“. Er veröffentliche außerdem Bilder von einer Feier am 20. Juli 2019, dazu schrieb er: „Ja es gibt noch unser Deutschland. Radolfzell am Bodensee. Sonnabend, den 20. Juli 2019! Alle blond, jedes Mädchen mit Zopf, deutsches Liedgut. Wir werden nicht aufgeben!“
In den Verteidigungsausschuss schickte die AfD Hannes Gnauck, der während seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr zuletzt keine Uniform mehr tragen oder Kasernen betreten durfte. Der Grund dafür: Der Militärgeheimdienst MAD stufte den Soldaten wegen Kontakten zu extrem rechten Organisationen als „erkannten Extremisten“ ein.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, dass der 20. Juli der Geburtstag Adolf Hitlers gewesen sei. Das ist falsch. Wir haben Hitler daher aus diesem Text geschmissen.
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