piwik no script img

SPD unter neuen VorsitzendenSchwan kritisiert Kühnert

Der Juso-Chef agiere machtpolitisch „ohne allzuviel Rücksicht“, sagt die SPD-Politikerin. Er sei inzwischen „die eigentliche Autorität“ in der Partei.

Gesine Schwan meint, Kühnert agiere ohne Rücksicht Foto: Christian Ditsch

Berlin taz | Gesine Schwan geht davon aus, dass die designierten SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken „keinen sehr großen Spielraum haben werden“. Viel werde vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert abhängen, der sich auf dem SPD-Parteitag am Wochenende in Berlin zu einem ihrer Stellvertreter wählen lassen will, sagte die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission im Interview mit der taz. „Er ist nicht nur der Königsmacher, sondern auch der eigentliche Stratege und die eigentliche Autorität“, sagte Schwan der taz.

Das heiße allerdings auch, dass Kühnert „viel Verantwortung auf sich lädt – und zwar für alle in der Partei und nicht nur für den eigenen Flügel“, sagte Schwan. „Man muss schauen, wie er damit umgeht.“

Sicherlich sei Kühnert „einer der ganz wenigen, die Format haben“, so Schwan. Aber sie habe in den vergangenen Monaten „dazugelernt, dass er komplexer ist als ich gedacht habe“. Denn der 30-Jährige sei auch jemand, der „ohne allzu viel Rücksicht vorgeht, wenn es sich um Macht handelt“. Das habe sie „vorher so nicht angenommen“.

Viele fänden es zwar richtig, dass Politik so sein müsse, sie jedoch nicht. „Denn es sät Misstrauen, wenn der Eindruck entsteht, dass es nicht in erster Linie ums Argument geht, sondern um Machtstrategien“, sagte die 76-jährige Politikwissenschaftlerin, die beim Mitgliederentscheid um den SPD-Vorsitz gemeinsam mit Partei-Vize Ralf Stegner kandidiert hatte, jedoch in der ersten Runde ausgeschieden war.

Schwan erwartet nicht, dass es auf dem Parteitag größere Turbulenzen geben wird. „Mir scheinen alle Weichen erstmal so gestellt, dass alles glatt geht und es keine problematischen Überraschungen gibt“, sagte sie. Sie glaube denn auch nicht, dass ein Ende der Großen Koalition bevorsteht. Denn das wäre „einfach analytisch derzeit sehr unsinnig“. Hierbei gehe es nicht um eine Prinzipien-, sondern um eine Abwägungsfrage.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

27 Kommentare

 / 
  • "Schwan kritisiert Kühnert. Er sei inzwischen „die eigentliche Autorität“ in der Partei."

    Das macht einem doch Hoffnung, wenn nach so vielen Jahrzehnten wieder ein echter Sozialdemokrat die Autorität in der SPD ist. Vielleicht wirft die SPD ja jetzt auch endlich mal die neoliberale Agenda 2010 von Gerhard Schröder über Bord.

    Wenn die SPD nicht endlich eine Kehrtwende um 180 Grad vollzieht, dann wird sich der Bürger nämlich demnächst fragen: SPD? – Kann die Partei endlich weg oder braucht die noch jemand?

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Ricky-13:

      "Wenn die SPD nicht endlich eine Kehrtwende um 180 Grad vollzieht, dann wird sich der Bürger nämlich demnächst fragen: SPD? – Kann die Partei endlich weg oder braucht die noch jemand?"

      Das Problem ist doch, dass die Partei nach jeder 180-Grad-Wende sogleich die nächste macht. Die drehen so lange Pirouettten, bis alle kotzen!

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Seit Schröder konnte ich überhaupt keine 180 Grad-Wende bei der SPD beobachten. Andrea Nahles redete ständig von einer „Erneuerung der SPD“. Es wurden medienwirksam die Farbnuancen im Parteilogo verändert und ansonsten kam da nothing, nada, niente und sonst gar nichts in Richtung Erneuerung.

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Immerhin drehen die sich noch! So ist es halt wenn man konkrete Verantwortung übernimmt.

        Andere Parteien dümpeln sich seit Jahrzehnten mit ihren immergleichen Wahrheiten in der Opposition herum und drehen sich auch nur wenn sie mal dran sind.

        Wer mich mehr drehen kann fährt i.d.R. vor den Baum.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Ricky-13:

      Demnächst? Die Frage haben die meisten Wähler für sich schon entschieden.

  • „Der Juso-Chef agiere machtpolitisch ohne allzuviel Rücksicht, sagt die SPD-Politikerin.“

    Soll es denn etwa rücksichtsvoll in Bezug auf die designierten SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sein, hier jetzt - schwerlich nachprüfbar - zu verkünden, dass „die eigentliche Autorität“ bei Kevin Kühnert liegt? Bei mir kommt das rüber wie der beleidigte Nachtritt einer unterlegenen Kandidatin zu Lasten der mehrheitlich Gewählten und auf Kosten des Juso-Vorsitzenden. „Machtpolitik“ ohne Macht eben. Souveränität und Solidarität sieht anders aus, Frau Schwan.

  • Selten so eine tiefsinnige Beobachtung aus der SPD über die SPD gelesen.

    Was Gesine Schwan da beobachtet, gilt m.M. für 99 Prozent aller Führungsfiguren in der SPD. Solange die SPD davon überzeug ist, auf dem richtigen Kurs zu segeln, interessiert das auch niemanden.

    Erst wenn es schwierig wird, wird darüber geredet.

    Das eigentliche Problem der SPD ist aber, dass sie ihren Markenkern als Partei des sozialen Ausgleichs, als Partei der Arbeitnehmer und Normalos verloren hat.

    Die Menschen mit einem normalen oder geringen Einkommen wählen heute nicht mehr automatisch SPD, sondern evetl. die Grünen oder CSU oder AfD - es ist bunt geworden.

    Dazu kommt noch, dass der Glaube an einen Staat der Ungerechtigkeit ausgleicht, stark abnimmt. Dieser 'Ausgleich' war aber mal das Markenzeichen der SPD.

    Wenn die SPD Ungerechtigkeit nicht beseitigen und ungerechte Verhältnisse weder mildern, noch ausgleichen kann, wofür ist sie dann gut?

    = Sie ist die Bühne von Menschen, die nach Macht streben, die sie aber nicht mehr so erhalten können, wie sie das noch erwarteten.

    Diese Äußerungen hier zeigen ja auch noch das Selbstbewusstsein von einer Parteiführung, die hohe Ergebnisse bei Bundestagswahlen realistisch voraussetzen kann.

    Aber die SPD könnte sich schon bald zwischen 10 und 15 Prozent einpendeln. Dann bräuchten sie keine Kanzlerkandidaten mehr, sie hätten dann einen Spitzenkandidaten sowie früher die Grünen oder die FDP.

    Das wirklich Interessante ist doch, dass das langsame Absinken der SPD kaum noch jemanden wirklich traurig stimmt. Auch Kühnert oder die neue Führung können das Problem der SPD in kurzer Zeit beseitigen. Dazu müsste die SPD eine realistische Machtalternative konstruieren können. Und diese müsste attraktiv sein - wer glaubt daran?

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Der deutsche Jurist und Nationalökonom Max Weber hat in seinem Essay "Politik als Beruf" die Frage was zeichnet einen guten Politiker aus versucht zu beantworten.

    ..."Weber benennt in seinem Aufsatz jene Charaktereigenschaften, die auch als Maßstab für heutige Spitzenpolitiker dienen sollten: "Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft - Verantwortungsgefühl - Augenmaß...."

    Noch kann ich keine gravierenden Abweichungen von diesen Punkten bei Kevin Kühnert sehen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @05158 (Profil gelöscht):

      Schöner Hinweis.

      Wenn es eine unabhängige Komission gäbe, die die Weber'schen Tugenden überprüfen würde: die Parlamente unseres Landes wären danach mächtig 'entschlankt'.

      Das Dickenbashing mit Hinweis auf ausgewählte Politiker, insebsondere bei der Union, erspare ich mir mal.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Frau Schwan schwant, dass Kevin Kühnert "komplexer ist, als ich gedacht habe".

    Ja - und? Ist Komplexität nun ein Qualitätsmerkmal - oder eines fehlender Qualität?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ambivalent mit deutlicher Negativtendenz, würde ich sagen. "Respektvoller Ekel" wäre überspitzt

      Sie meint, glaube ich, in erster Linie, dass der (oberflächlich betrachtet) geradeheraus Juso-typisch die reine Lehre vertretende kleine Kevin eben nicht nur geradeheraus und reinlehrig - und auch ganz und gar nicht klein - ist, wenn man hinter die Fassade schaut. Insofern ist Komplexität wohl hier als mager verschleierter Vorwurf der Falschheit an Einen zu verstehen, der nach außen immer den Unkomplexen gibt. Gerade eine prototypische Professorin wie Frau Schwan, die den Gral der intellektuellen Ehrlichkeit immer in der Professorinnentasche dabei hat, findet das sicher nicht schmeichelhaft. Sie erkennt aber an, dass er die Rolle handwerklich prima ausfüllt.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Normalo:

        Mag sein, dass Frau Schwan auch etwas an Kevin Kühnert anerkennt.

        Gleichwohl sollte (gerade eine derart gebildete Frau) das Erlernte auch anwenden und sich in ihrer wohlfeilen Terminologie von ihren Emotionen nicht in die Irre führen lassen. Falschheit wohnt somit auch Frau Schwans Aussagen inne.

        "Respektvoller Ekel" klingt gut. Das halte ich angesichts des vielen Trennenden zwischen beiden für durchaus angemessen.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      "Komplexität" ist wohl als Euphemismus zu sehen, z. B. für "oportunistischer Wendehals", "Intrigenspinner", "Puppenspieler"...

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @80576 (Profil gelöscht):

        Alles eine Frage der Interpretation. Ich halte mich da gerne an die Etymologie. Das gibt Struktur - und verhindert Beliebigkeiten.

        Anders als ich denken Sie wohl eher in Kategorien von Führung und Verführung. Dass es sich hier um erwachsene Menschen mit eigenem Willen handelt, wissen Sie schon?

        Aber wenn ein Objekt, wie hier dei Ihnen die SPD, offenbar obsessiv besetzt ist, wird es kompliziert - weniger komplex.

        P.s. Damit Sie sich nicht in weiteren Begriffen verlieren: meine Verwendung von 'Objekt' und 'obsessiv' ist der Terminologie der Psychologie entnommen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Dieser kleine Kerl ohne Anzug ist also der eigentliche King?

      Verstehe einer diese Partei.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Da sage ich nur: Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters.

        Ich habe Kevin Kühnert bislang noch nicht als den großen (kleinen) Bestimmer wahrgenommen.

        Bin ich ein Fall für den Augenarzt?

  • 0G
    06313 (Profil gelöscht)

    "Denn der 30-Jährige sei auch jemand, der „ohne allzu viel Rücksicht vorgeht, wenn es sich um Macht handelt“. Das habe sie „vorher so nicht angenommen“."

    Mir ist das schon früher aufgefallen, wenn ich seine Auftritte im Fernsehen verfolgt habe. Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht am Napoleon-Syndrom leidet.

    • @06313 (Profil gelöscht):

      "… ob er nicht vielleicht am Napoleon-Syndrom leidet."

      Solange Kevin Kühnert nicht an einem "Schröder-Agenda-2010-Größenwahn" leidet, ist doch alles gut.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @06313 (Profil gelöscht):

      Erstaunlich.

      Ich wähnte Sie bislang auf der Seite der Differenzierer, nicht der Vereinfacher.

      Wenn Ihnen etwas auffällt, wozu Ihnen Frau Schwan eine Steilvorlage gegeben hat: so what?

      Möchten Sie jetzt mit Aussagen darüber brillieren, was Sie NICHT wissen und was andere vielleicht haben KÖNNTEN?

      Gibt es dafür keine passendere Foren?

      Noch kurz zu Kevin Kühnert: bei seinen öffentlichen Auftritten sind keine Anzeichen von Leid für mich erkennbar. Und die Zuschreibung von Frau Schwan (die Sie zur Realität erklären): auf wieviel Prozent aller Politiker trifft die zu???

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Viele fänden es zwar richtig, dass Politik so sein müsse, sie jedoch nicht. „Denn es sät Misstrauen, wenn der Eindruck entsteht, dass es nicht in erster Linie ums Argument geht, sondern um Machtstrategien“, sagte die 76-jährige Politikwissenschaftlerin"

    Deswegen nimmt die SPD bekanntlich auch keine Firmenspenden an und hat die hunderte Millionen schweren Kampagnen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft immer aufs heftigste politisch bekämpft.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      ... klar! Auch eine Zusammenarbeit mit der Bertelsmannstiftung hat sie sich verbeten. ;)

  • Ich kann nicht ganz nachvollziehen wo Kühnert rücksichtsloses Handeln zur Machtergreifung entgegen eigentlicher Prinzipien an den Tag gelegt haben soll. Normalerweise gehen derartie Vorwurfe mit Beispielen einher, wenn etwas dran wäre...

    • @El Duderin0:

      Kühnert hat die letzten Monate immer die NoGroko Kampagne angeführt, er hat noch vor 2 Wochen auf dem Juso-Kongress gesagt, die SPD müsse "raus aus der neoliberalen Pampa", die "bleierne Schwere der der ewigen großen Koalition" müsse "überwunden werden", und vor dem Hintergrund für Borjans/Esken geworben. Jetzt sind Borjans/Esken gewählt und das erste, was man von Kühnert hört, ist der Satz , dass raus aus der GroKo kein Problem löse.



      Sorry, aber wie deutlich muss es noch werden? Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit? In den 2 Woche, vor und nach der Urwahl hat die SPD die geballte Wucht des Establishments in sämtlichen Mainstreammedien zu spüren bekommen. Medien, die die SPD in den letzten Jahren immer nur kritisiert haben und die vor der Urwahl gesagt haben, Scholz sei der beste Mann und nach der Urwahl, es sei das Ende der SPD, dass es nicht Scholz geworden ist. Verdammt noch mal, Kühnert richtet sein Fähnchen nach dem Wind aus, das ist echt überdeutlich geworden!

    • @El Duderin0:

      Es wäre von Frau Schwan extrem unprofessionell, wenn sie hier Parteiinterna ausplaudern würde.

      • @rero:

        Und irgendwelche Andeutungen zu machen ist nicht unprofessionell? Es wäre ganz nett wenn die lieben Genossen Schwan, Lauterbach, Schröder etc. der neuen Führung bei aller angebrachten Skepsis erstmal eine Chance geben, zu scheitern oder erfolgreich zu sein und sich mal wieder mit Lösungen der aktuellen Probleme in Deutschland zu beschäftigen statt mit der eigenen Partei (ich sage das als Scholz-Wähler.

        • @Ruediger:

          Sie hat hier deutlich ihre Meinung gesagt, wie sie zu ihm steht. Das ist durchaus professionell.

          Tratsch dann nicht mehr.

        • @Ruediger:

          "Scholz-Wähler"



          Mein Beileid ;)