Russischer Einfluss in Sudan: Machtkampf der Generäle
Seit einer Woche führen die beiden mächtigsten Militärchefs in Sudan Krieg. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
1. Seit einer Woche wird in Sudan gekämpft. Was ist da los?
Es bekämpfen sich zwei Flügel der Streitkräfte mitten in den Städten, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Die paramilitärische Truppe RSF (Rapid Support Forces) trat am 15. April in den Aufstand gegen die Armee. Sie besetzte handstreichartig Militäreinrichtungen im ganzen Land und griff in der Hauptstadt Khartum das Regierungsviertel mit dem Präsidentenpalast und dem Armeehauptquartier sowie den internationalen Flughafen an.
Die Armee reagierte mit Luftangriffen und Raketenbeschuss. RSF-Milizionäre und Armeesoldaten lieferten sich in Khartum und anderen Städten Straßenschlachten. Viele Militärbasen wurden schnell wieder von der Armee zurückerobert, aber die RSF-Kämpfer flüchteten in zivile Wohnviertel und griffen weiter an, sodass der Krieg sich in die Gebiete der Zivilbevölkerung verlagerte. Sudans Luftwaffe bombadiert die RSF auch in zivilen Häusern, beide Seiten setzen bedenkenlos in den Städten schwere Artillerie und Raketen ein, es wurden sogar Hubschrauber abgeschossen.
Die Zahl der Toten und Schwerverletzten geht in die Tausende: 413 Tote und 3.551 Verletzte zählte die Weltgesundheitsorganisation WHO bis Freitag, aber die Angaben gelten als lückenhaft. Kriegsopfer können meist nicht geborgen oder ärztlich versorgt werden. In umkämpften Städten können sich die Menschen nur noch unter Lebensgefahr bewegen, Strom- und Wassersysteme sind zusammengebrochen, Lebensmittelversorgung ist nicht mehr möglich. Die Notlage wird jeden Tag größer.
2. Sudan ist ein sehr armes Land. Wieso gibt es da so starke Armeen und Milizen und woher haben sie ihre Waffen?
Seit Sudans Unabhängigkeit 1956 regiert fast permanent das Militär. Die Streitkräfte wurden im Laufe der Jahrzehnte immer größer, zunächst von der Sowjetunion und Ägypten ausgerüstet und aufgebaut, auch von Jugoslawien und zuletzt vor allem von der Volksrepublik China. Sudan verfügt also über Hunderte Panzer und erhebliche Mengen an Kampfjets und Kampfhubschraubern, es hat auch eine eigene Rüstungsindustrie. Primäre Aufgabe der Streitkräfte war immer die Aufstandsbekämpfung.
Jahrzehntelang kämpfte Sudans Militärdiktatur gegen Befreiungsbewegungen in Südsudan, das trotzdem 2011 seine Unabhängigkeit erlangte, und auch gegen Rebellen in Darfur. In diesem Rahmen stellte Sudan immer wieder Milizen auf, die die Drecksarbeit der Aufstandsbekämpfung machten. Zeitweise hatte Sudan Millionen junge Männer unter Waffen. Aus Milizen, die in Darfur staatlichen Terror verübten, ging die RSF hervor. Die wurde dann später mit EU-Geldern zu einer Grenzpolizei für Sudan umgewidmet und gleichzeitig weiter zur Rebellenbekämpfung eingesetzt.
3. Müsste die Militärherrschaft nicht längst vorbei sein? 2019 gab es einen Volksaufstand, Militärdiktator Omar Hassan al-Bashir wurde gestürzt.
Die hohen Generäle in Bashirs Umfeld setzten im April 2019 den Diktator ab, als Hunderttausende wütender Protestierender in Khartum das Regierungsviertel belagerten. Sie versprachen, Sudan zur Demokratie zu führen, und der Armeechef, General Abdelfattah al-Burhan, wurde übergangsweise Staatschef an der Spitze einer zivil-militärischen Übergangsregierung, mit RSF-Kommandant Hamdan Daglo Hametti als Stellvertreter. Danach jedoch gingen die beiden mehrfach gemeinsam mit Gewalt gegen die Demokratiebewegung vor. Die RSF verübte im Juni 2019 Massaker an Demonstranten, die Armee setzte im Oktober 2021 die zivil-militärische Übergangsregierung ab. Sie haben eine neue Übergangsstruktur zugesagt, aber noch nicht umgesetzt.
Einen Erfolg der Demokratisierung wollen die Generäle verhindern. Sudans Militär dominiert die Wirtschaft. Der Armee und der RSF gehören Hunderte Unternehmen, darunter Banken, Bauunternehmen und Handelsfirmen. Die Demokratiebewegung will das Wirtschaftsreich der Generäle zerschlagen, aber das lassen diese nicht zu. Burhan und Hametti sind faktisch die beiden mächtigsten Politiker Sudans und haben jeweils mit Armee und RSF ihre eigene Hausmacht.
4. Warum bekämpfen sich die beiden Generäle dann jetzt?
Weil die Armee verlangt, dass die RSF sich ihr unterordnet. Die Demokratiebewegung und die internationalen Partner Sudans sind sich einig, dass eine Militärreform, die dem Nebeneinander mehrerer Streitkräfte ein Ende setzt, die Voraussetzung für Sudans Demokratisierung ist. Burhan sieht das als seine Chance: Wenn er die Milizen abschafft, kann er als Armeechef seine Macht in ein ziviles System hinüberretten. Die RSF soll sich also quasi auflösen – am besten noch vor den Wahlen, also in den nächsten zwei Jahren. Die RSF will das erst hinterher, in einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren, und ihr Chef Hametti will dann für sich und seine Getreuen garantierte Posten im Generalstab. Seit Wochen warnten Beobachter, dieser Konflikt könnte mit der Waffe ausgetragen werden. Nun ist es so weit.
5. Wie sind die beiden Kontrahenten Burhan und Hametti einzuschätzen?
Armee- und Staatschef Burhan, geboren in einem Dorf nördlich von Khartum, gehört zur traditionellen arabischen Offizierselite, die in Sudan seit der Unabhängigkeit das Sagen hat – ein elitärer Kreis mit engen Verbindungen zur Militärelite Ägyptens, die Sudan als ihren Hinterhof betrachtet. RSF-Führer Hametti kommt aus einer Händlerfamilie in Darfur, er gehört also zu den von Khartum verachteten Peripherien Sudans, die man notfalls mit Gewalt kleinhält. Es passt dazu, dass Burhan nun als Garant von Recht und Ordnung auftritt – „ein Volk, eine Armee“ forderte er in einer Fernsehansprache in der Nacht zum Freitag – während Hametti, die Pose des Revolutionärs einnimmt, der das Volk zu verteidigen vorgibt, der die Generäle herausfordert, für die er immer die schmutzige Arbeit gemacht hat und die ihn jetzt nicht respektieren.
6. Hat Hametti Unterstützung aus dem Ausland?
Die RSF mit geschätzt 70.000 Mann ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Staat im Staate geworden. Den Anfang machte noch zu Bashirs Amtszeit die EU-Finanzierung von Sudans Grenzschutz, umgesetzt von der RSF. Später schickte die RSF bis zu 40.000 Kämpfer nach Jemen, um auf der Seite der von Saudi-Arabien finanzierten Militärkoalition gegen die pro-iranischen Huthi-Rebellen zu kämpfen. Dieser Einsatz wurde von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziert, angeblich mit 3 Milliarden US-Dollar.
Dubai, eines der Emirate, ist Umschlagplatz für Gold, das aus oder über Sudan exportiert wird, unter anderem von der russischen Firma „Meroe Gold“, die zum Firmengeflecht der Söldnertruppe Wagner gehört. Der Goldhandel wird teilweise über eine Bank im Besitz von Hametti-Familienangehörigen und prominenten Geschäftsleuten der Emirate abgewickelt. Wagner-Firmen betreiben Goldbergbau in der Zentralafrikanischen Republik, wo Wagner-Kämpfer die Regierung gegen Rebellen schützen. RSF-Kämpfer sind auch in Libyen beim ebenfalls von Wagner unterstützten ostlibyschen Warlord Khalifa Haftar aktiv gewesen.
Es gibt also ein breites internationales Unterstützernetzwerk für Hametti, teils außerhalb der Legalität. Wagner soll zuletzt den Rücktransport von RSF-Kämpfern aus dem Ausland nach Sudan und ihre Neuausrüstung ermöglicht haben.
7. Ist Russland also in den Krieg verwickelt?
Sudan mit seinem traditionell sowjetisch geprägten Militär ist für Russland ein wichtiger Bestandteil seiner Strategie, in Afrika den Einfluss des Westens zu schmälern. Seit Jahren wird über eine russische Marinebasis in Port Sudan am Roten Meer verhandelt, analog zu den russischen Basen in Syrien. Die läge an einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt und gegenüber von Saudi-Arabien. Sowohl Hametti als auch Burhan haben sich dafür ausgesprochen. Hametti befand sich zufällig am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, dem 24. Februar 2022, zu Gesprächen darüber in Moskau. Die Realisierung setzt allerdings die Ratifizierung durch eine reguläre Regierung in Sudan voraus.
8. Wie könnte eine Konfliktlösung aussehen?
Der erste Schritt wäre, eine Waffenruhe herbeizuführen und dann ein Gesprächsformat einzurichten, das Burhan und Hametti zusammenbringt. Hieran arbeiten die USA und Ägypten mit Unterstützung weiterer Länder, die diese Chance auch nutzen wollen, um ihre gefährdeten Landsleute aus Khartum ausfliegen zu können – das geht erst, wenn die Kämpfe dort abflauen. Die Hoffnung ist, dass das muslimische Zuckerfest an diesem Wochenende eine Beruhigung der Lage mit sich bringt, die eine Evakuierungsaktion und neue Gespräche ermöglicht. Doch auch am Freitag, dem letzten Tag des Fastenmonats Ramadan, wurde in Khartum weiter gekämpft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus