Russen in Lettland: Tausenden droht die Abschiebung
Rund 20.000 russische Bürger*innen sollen einen Sprachtest machen. Etwa 5.000 haben die Aufforderung ignoriert. Das hat Konsequenzen.
Ingmar Lidaka, Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Staatsbürgerschaft, Migration und sozialen Zusammenhalt sowie Abgeordneter der Regierungspartei „Vereinigte Liste“, bezifferte die Anzahl der Betroffenen auf 5.000 bis 6.000. Sie hätten auf eine Aufforderung nicht reagiert und seien offenkundig weder an der Prüfung noch an einer Aufenthaltserlaubnis interessiert.
Das Innenministerium bestätigte die Information. Die Menschen hätten nach der Aufforderung drei Monate Zeit, Lettland zu verlassen. Wer sich dennoch weiter im Land aufhalte, könne mit einer Geldstrafe belegt werden. Auch staatliche Leistungen könnten wegfallen. So würden beispielsweise Renten nicht mehr gezahlt. Aus dem Innenministerium hieß es dazu, die Menschen hätten das Recht, sich um ein Visum oder eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu bemühen, sofern es hierfür eine Grundlage gebe.
Der Abgeordnete Lidaka befürchtet, dass es zu Abschiebungen kommen könnte. Auch wenn Politiker*innen abwiegeln und sagen, dass das nicht passieren werde – das Gesetz sieht Ausweisungen vor. Sie hoffen nun, dass sich die Gesetzgebung noch ändert. „Aber ich befürchte, dass dies nicht vor dem 1. September passiert“, sagt Lidaka. Laut Grenzschutz müsse das Gesetz durchgesetzt werden, zitiert ihn rus.lsm.lv.
Lettland hat rund 1,9 Millionen Einwohner*innen, rund ein Viertel sind russische Muttersprachler*innen. Bei ihnen handelt es sich mehrheitlich um zwischen 1940 und 1990 eingewanderte Personen beziehungsweise deren Nachkommen. Ein Teil hat sich nicht einbürgern lassen (dafür ist ein Sprachtest für Lettisch Voraussetzung) und den Status Nichtbürger*in. Dieser ist häufig mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel verbunden.
Es wächst Kritik an dem neuen Gesetz
Nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 wurden die Aufenthaltsregelungen für Russ*innen verschärft. Jetzt müssen Kenntnisse der lettischen Sprache auf dem Niveau A2 nachgewiesen werden. Passiert dies nicht, wird die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Lettland annulliert. Die betroffene Person erhält eine befristete Aufenthaltserlaubnis und ein Jahr Zeit, um die Sprache zu lernen. Wer die Prüfung nicht vor dem 1. September bestanden hat, kann sie bis zum 30. November auf Antrag noch einmal nachholen. Nach Angaben der lettischen Behörden gelten die neuen Anforderungen für rund 20.000 russische Staatsbürger*innen mit ständigem Wohnsitz im Lettland im Alter von 17 bis 74 Jahren.
Derweil wächst die Kritik an dem neuen Gesetz. „Wir glauben, dass jeder Fall individuell behandelt werden sollte. Wir müssen verstehen, warum diese Menschen die Sprache nicht beherrschen, die Prüfung nicht bestehen und was wir tun können, um sicherzustellen, dass sie die Sprache lernen“, sagt Martin Lewuschkan, Vorsitzender der Bürgerbewegung „Russische Stimme für Lettland“. Derzeit könne der Staat pro Jahr nur noch 400 Personen Lettisch-Sprachkurse anbieten.
Auch bei Lettlands Nachbarn Estland – von knapp 1,3 Millionen Einwohner*innen gehören 25 Prozent der russischen Minderheit an – ist Sprache derzeit wieder Thema. Laut einem Gesetz von 2022 soll Estnisch in Schulen perspektivisch zur einzigen Unterrichtssprache werden. Um dieses Ziel in allen Klassenstufen zu erreichen, ist eine mehrjährige Übergangsphase vorgesehen. Ab dem 1. August 2023 müssen Schulen jedoch mit einer Geldstrafe von knapp 10.000 Euro rechnen, wenn ihre Lehrer*innen nicht über ausreichend gute estnische Sprachkenntnisse verfügen. Angaben der estnischen Sprachaufsichtsbehörde zufolge betreffe das rund 2.500 Pädagog*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“