Regierungskrise in Thüringen: Ein genialer Plan
Bodo Ramelow schlägt eine CDUlerin für den Übergang vor. Das wäre ein überraschend eleganter Weg aus der Krise.
W as für ein charmanter Vorschlag! Die frühere CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht soll neue Ministerpräsidentin in Thüringen werden. Übergangsweise. Die Personalie, die ihr Amtsnachfolger Bodo Ramelow von der Linkspartei selbst ins Spiel gebracht hat und den die rot-rot-grüne Delegation am Montagabend in den Gesprächen der verdutzten Viererabordnung von der CDU präsentierte, könnte ein eleganter Ausweg aus der derzeitigen vertrackten Lage in dem östlichen Bundesland sein.
Wenn man dem Szenario folgt, würde der Landtag zunächst auf Antrag eines Drittels der Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit seine Auflösung beschließen. Im zweiten Schritt würden mindestens 46 der 90 Thüringer Landtagsabgeordneten Lieberknecht zur neuen Ministerpräsidentin wählen.
Sie würde damit den unglückseligen Thomas Kemmerich von der FDP ablösen, der sich vor knapp zwei Wochen mit den Stimmen seiner Partei, der CDU und vor allem der AfD ins Amt heben ließ und kaum 72 Stunden später wieder zurücktrat.
Lieberknecht wäre die erste christdemokratische Ministerpräsidentin in der Geschichte der Bundesrepublik, die mit Stimmen der Linken ins Amt kommt – wenn auch nur für kurze Zeit. Sie soll eine sogenannte technische Regierung mit gerade mal drei Minister:innen führen: für Finanzen (von der SPD), Justiz (von den Grünen) und die Führung der Staatskanzlei (von der Linken). Aber was in Thüringen passiert gerade nicht zum ersten Mal?
Der Gewerkschaftsfuchs trumpft auf
Spätestens 70 Tage nach Auflösung des Landtags müssen laut Landesverfassung Neuwahlen stattfinden. Dann wäre Lieberknechts Mission beendet. Und die Linkspartei und ihr Spitzenkandidat Bodo Ramelow würden versuchen, sich von den Wähler:innen das Votum für eine stabile Mehrheitsregierung zusammen mit SPD und Grünen abzuholen. Ihre Chancen, glaubt man den aktuellen Umfragen, stehen nicht schlecht. Wenn Rot-Rot-Grün dies gelänge, wäre das Thüringer Minderheitsexperiment Geschichte.
Ein ungewöhnlicher, ja verwegener Plan, aber ein ziemlich genialer. Ein Plan, der raus aus dem Dilemma führte, dass die Linkspartei und die AfD die beiden stärksten Fraktionen stellen und es gegen beide Parteien zusammen keine regierungsfähige Mehrheit gibt – jedoch die CDU als drittgrößte Fraktion und selbsterklärte Partei der Mitte weder mit der einen noch der anderen Partei koalieren kann oder will.
Man ahnt, warum die Lokführergewerkschaft GDL vor fünf Jahren den damaligen Thüringer Oppositionsführer Bodo Ramelow als Schlichter im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn bestellte. Damals vermittelte der erfahrene Gewerkschaftsfuchs schon einmal erfolgreich in einem scheinbar aussichtslosen Konflikt – und zwei Jahre später, als er bereits Ministerpräsident war, erneut.
Die Chancen, dass sein heutiger Plan aufgeht, stehen ebenfalls nicht schlecht. Seit dem Tabubruch vor zwei Wochen, als sich CDU und FDP mit der Rechtsaußen-Partei des amtlich bestätigten Faschisten Björn Höcke verbündeten, um den linken Ministerpräsidenten Ramelow auf – jawohl – Teufel komm raus aus dem Amt zu jagen, ist die Linkspartei in Thüringen in Umfragen auf 40 Prozent geklettert. Christ- und Freidemokraten sind dagegen abgesackt. Der FDP droht sogar der Verlust der parlamentarischen Existenz.
Eine missliche Situation für die CDU
Kaum verwunderlich, dass sich die CDU jetzt windet. Das Verhandlungsquartett der Fraktion würde gern weiterhin darauf setzen, dass Ramelow noch einmal antritt. Um ihm dann im dritten Wahlgang durch Enthaltung die Wahl zum Ministerpräsidenten zu ermöglichen. Danach könne man ja, so das Angebot, pragmatisch zusammenarbeiten. Oder auch nicht. Der Schein – also die Beschlusslage der Bundes-CDU, keine Bündnisse mit AfD oder Linkspartei einzugehen – bliebe gewahrt. Und man wäre um Neuwahlen vorerst herumgekommen.
Doch das will die Linkspartei nicht. Sie ist von ihrem Ultimatum „Ramelow oder Neuwahlen“ abgerückt und hat einen gangbaren Ausweg aus dem Thüringer Dilemma angeboten. Die CDU befördert das in eine missliche Situation: Wie will sie erklären, warum sie ihre eigene Politikerin nicht mittragen kann? Am Dienstag ab 13.30 Uhr wird weiter verhandelt.
Aber warum sollte Lieberknecht das tun? Warum sollte die Frau, die ab 2004 vier Jahre lang Fraktionsvorsitzende und ab 2009 fünf Jahre Landesvorsitzende und Ministerpräsidentin war, ihre Partei in eine Situation hineinmanövrieren, aus der diese allen Umfragen nach geschwächt hervorgehen wird?
Ganz einfach. Weil sie, anders als ihr Nachfolger Mike Mohring, eine aufrichtige Demokratin ist. Die Wahl von Thomas Kemmerich von Gnaden der AfD, die ohne die Stimmen ihrer CDU nicht möglich gewesen wäre, habe sie erschüttert, hatte sie in der der taz am Wochenende bekannt. Sie habe Weimarer Verhältnisse lange für unmöglich gehalten, aber nun sei sie in Sorge.
Wenn Lieberknecht sich auf die Führung einer Übergangsregierung einlässt, dann wird sie das nicht tun, weil sie Ramelow oder der Linken einen Gefallen tun will. Sondern um zu zeigen, dass die demokratische Mehrheit im Landtag jenseits der AfD gemeinsam zu Lösungen fähig ist. Dass die demokratischen Institutionen trotz Kratzern weiterhin intakt und arbeitsfähig sind.
Sie würde ihren Namen und ihre Autorität hergeben, um den Schaden an der Demokratie, den CDU und FDP durch Rückgratlosigkeit und Machtgier mit verursacht haben, zu beheben. Einen höheren Dienst kann sie ihrem Land und auch ihrer Partei nicht erweisen.
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