Rechtsruck und Städtebau: „Rechte stoßen in die Mitte vor“
Braucht auch die Architektur eine Brandmauer? Der Kritiker Philipp Oswalt über identitäres Bauen und welche Bedeutung der Molkenmarkt in Berlin hat.
taz: Herr Oswalt, viele Diskussionen hierzulande rutschen derzeit ins offen Populistische ab. Gilt das auch für die Debatten um Architektur?
Philipp Oswalt: Das kann man schon länger beobachten. Zum einen gibt es dieses radikale Bashing moderner Architektur. Dazu kommt noch das unreflektierte Propagieren historischer Bauformen.
In der Facebook-Gruppe Architektur-Rebellion Berlin werden auf eine sehr aggressive Art und Weise Architektinnen und Architekten, die modern bauen, an den Pranger gestellt.
Dahinter steckt die generelle Behauptung, die Moderne sei gescheitert. Deshalb dürfe nur noch traditionell gebaut werden. Das hatten wir schon beim Weimarer Dächerstreit 1930.
Philipp Oswalt
geboren 1964, ist Professor für Architekturtheorie an der Uni Kassel. Von 2009 bis 2014 war er Leiter des Bauhauses in Dessau. Zuvor hat er für die Bundeskulturstiftung das Projekt „Schrumpfende Städte“ geleitet.
Worum ging es da?
Um den Bau von Siedlungen wie Onkel Toms Hütte. Die Modernisten haben gesagt, wir brauchen das flache Dach, nur das sei modern und funktional. Die Konservativen haben gesagt, wir dürfen die Seele unseres Volkes nicht verkaufen und brauchen das Satteldach. Die eine Position war ideologisch so aufgeladen wie die andere.
Auch der Wunsch nach Schönheit spielt heute immer wieder eine Rolle. Das scheint durchaus einen Nerv zu treffen.
Da bin ich mir nicht so sicher. Als Beispiele werden immer die Neue Altstadt in Frankfurt am Main genannt oder der Neumarkt in Dresden.
Oder auch die Bebauung um den Alten Markt in Potsdam.
Gerade in Potsdam scheut man aber auch Bürgerbefragungen. Eine Abstimmung zum Wiederaufbau der Garnisonkirche wurde von der Politik abgeblasen, weil man wusste, dass man sie verloren hätte. Die einzige Befragung, die es gab, war in Magdeburg zur Wiedererrichtung der Ulrichskirche, und auch das wurde deutlich abgelehnt. Auch der Wiederaufbau des Berliner Schlosses war in Umfragen immer umstritten.
Ihr neues Buch heißt „Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik“. Eine These darin lautet: Hinter der Rückkehr zum Schönen verbirgt sich ein erinnerungspolitischer Revisionismus. Was genau soll da revidiert werden?
Man muss da nur die Junge Freiheit lesen. Die Argumentation, wie die Zeitung Herrn Boddien dankt …
… dem Gründer des Fördervereins Berliner Stadtschloss.
Das zeigt, dass es bei Rekonstruktionen wie dem Berliner Schloss um Narrative und eine Identitätskonstruktion geht, die auf essenzialistischen Ideen von Herkunft und Ursprung basieren. Aber natürlich sind das fiktive Konstrukte.
Weil die Gesellschaft viel diverser und heterogener ist, als es diese eine Herkunftserzählung glauben machen will.
Und weil es auch sehr auf Preußen beschränkt ist. Als Frankfurter muss ich lachen, wenn mir das Berliner Schloss als Nationalsymbol verkauft werden soll. Der Frankfurter Bürgermeister hat sich umgebracht, als die Stadt von den Preußen besetzt wurde.
Die Vergangenheit wird idealisiert und alle Schattenseiten und Brüche, die es gab, sollen unter den Teppich gekehrt werden.
Ganz genau. Und die Brüche sollen durch das Wahre, Schöne und Gute ersetzt werden. Von den ganzen Abgründen, die sich dahinter verbergen, will man nichts wissen.
Sowohl beim Stadtschloss als auch bei der Garnisonkirche waren auch Spender aus rechtsextremen Netzwerken beteiligt. Warum spielt das in der Diskussion keine größere Rolle?
Das finde ich auch erstaunlich. Gerade bei der Garnisonkirche, da wurde das ganze Projekt von einem Rechtsextremen angeschoben.
Max Klaar, ein ehemaliger Offizier der Bundeswehr.
An dessen Grundkonzeption ist im Grunde nicht viel geändert worden. Da wird ganz besonders deutlich, wie es am Beispiel von Architekturprojekten der extremen Rechten gelingt, in die Mitte vorzustoßen.
In der Politik wird gerade wieder sehr intensiv über eine Brandmauer gegen rechts diskutiert. Bräuchte die Architektur auch eine solche Brandmauer?
Gerade bei einem Staatsbau wie dem Stadtschloss sollte es strenge Regeln geben. Aber was passiert? Der Förderverein distanziert sich noch nicht einmal von einem antisemitischen Spender und behauptet, die Leugnung des Holocaust sei eine Frage der Meinungsfreiheit.
Nun heißt es immer wieder, das Humboldt Forum mache aus dem Stadtschloss allein durch seine Bespielung ein anderes Gebäude.
Tatsächlich ist die Stiftung Humboldt Forum sehr um Political Correctness bemüht. Das Problem ist, dass das nicht funktioniert. Die Erscheinung des Gebäudes von außen wird getrennt wahrgenommen von der Programmierung im Inneren. In Potsdam stören die Pläne zur Bespielung im Inneren die Identifikation der Rechtsextremen mit diesem Bauwerk überhaupt nicht. Dabei wäre es gar nicht so schwierig, da den Stecker zu ziehen
Wie hätte der Stecker beim Stadtschloss gezogen werden können? Indem man vielleicht Teile des Palastes der Republik integriert hätte?
Zum Beispiel. Oder bei der Garnisonkirche die Rettung des Rechenzentrums. Und der Verzicht auf die Haube und den militärischen Bauschmuck. Die Koexistenz von Rechenzentrum und nur zum Teil wiederaufgebautem Kirchturm wäre eine interessante Lösung, weil sie deutsche Geschichte sichtbar macht. Noch ist das auch nicht entschieden, gerade gibt es eine Pattsituation. Aber natürlich gibt es bei dieser Unvollständigkeit immer das Problem, dass sie vervollständigt werden kann.
In Berlin ist der Molkenmarkt Schauplatz eines Streits, bei dem es nicht nur um Städtebau geht, sondern auch die damit verbundenen Botschaften. Mit Erfolg hat Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt einen modernen Entwurf verhindert und setzt mit aller Macht auf historisierende Lösungen.
Der Molkenmarkt ist ein gutes Beispiel für eine immer weiter voranschreitende Ideologisierung der Debatte. Teilweise wird das zum Kulturkampf stilisiert. Jetzt historische Bauten eins zu eins rekonstruieren zu wollen, geht in Richtung einer rechten Identitätspolitik.
Wie weit reicht denn dieses identitäre Element der Architektur hinein in die Berliner Landespolitik?
Petra Kahlfeldt gehört zu dem im Architekten- und Ingenieurverein organisierten Netzwerk, zu dem auch dessen Chef, Tobias Nöfer, gehört. Da verbinden sich ideologische Positionen mit Politikerinnen und Politikern aus der SPD und einzelnen Investoren. Das hat sich über Jahre entwickelt und ist sehr einflussreich.
Zu diesem Netzwerk kommt noch die Stiftung Mitte Berlin, die von Marie-Luise Schwarz-Schilling gegründet wurde und sich als Lobbyorganisation für die Rekonstruktion der Berliner Altstadt versteht. Frau Schwarz-Schilling und Frau Kahlfeldt wohnen im selben Haus.
Zu diesem Klüngel gehört noch Holger Friedrich, der Besitzer der Berliner Zeitung, für den das Büro Kahlfeldt ein Haus gebaut hat.
Ihr Geld hat Frau Schwarz-Schilling mit der Accumulatorenfabrik Sonnenschein gemacht.
Dieses Vermögen kommt zum Teil aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern im NS-Regime, die zur Herstellung von Rüstungsgütern gezwungen wurde. Darüber hinaus hat die Fabrik den größten Umweltskandal in West-Berlin verursacht. Und aus Schummeleien ihres werten Gatten Christian Schwarz-Schilling als skandalumwobenem Postminister in der Ära Helmut Kohl.
Auch da gibt es keinen Aufschrei.
In der Psychologie spricht man von Deckerinnerung. Die Geschichte von der guten heilen Welt der Vergangenheit wird in den Vordergrund gerückt und soll alle Abgründe überdecken.
Am Ende, so fürchten es Grüne und Linke, könnte der Molkenmarkt nicht nur ein Beispiel für historisierende Architektur werden, sondern auch ein exklusives Quartier. Benedikt Goebel, Vorstand der Stiftung Mitte Berlin und einer der Administratoren der Facebook-Gruppe Architektur-Rebellion Berlin, hat gesagt, der Molkenmarkt sei ein Quartier für die Schönen und Reichen.
Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Dreistigkeit solche Dinge artikuliert werden.
Wird am Molkenmark ausgefochten, in welche Richtung das Bauen in Berlin geht?
In Berlin stehen an vielen Ecken Entscheidungen an. Im Hinblick auf die Gestaltung der Stadtmitte ist es aber die bedeutsamste Entscheidung.
Ihr Kollege Stephan Trüby hat den Begriff der „rechten Räume“ geprägt. Sie selbst sehen das etwas kritisch, weil retrospektive Elemente schon immer zum Bauen gehört haben. Wo verläuft denn die Grenze zwischen konservativen und rechten Räumen?
Wir sind eine plurale Gesellschaft mit unterschiedlichen Haltungen und sollten auch in der Lage sein, mit konservativen Positionen umzugehen, solange diese keinen liberalen und demokratischen Grundkonsens verlassen. Ich kann durchaus verstehen, wenn man an bestimmten Stellen in der Stadt die Rückbeziehung auf Strukturen der Stadtgeschichte nachvollziehbar machen will. Aber halt nicht im Sinne einer orthodoxen, unreflektierten Nachbildung des Historischen. Da gibt es eine Radikalisierung, die einen identitären Dreh bekommt. Erstmals waren wir damit in den 1990er Jahren unter dem Senatsbaudirektor Hans Stimmann konfrontiert.
Bei Wiederaufbauprojekten gibt es neben der konservativen Wende auch das Thema Stadtmarketing und den Tourismus, den das alles generieren soll. Was ist denn der entscheidende Treiber, das Ideologische oder das Ökonomische?
Das Ideologische.
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