Rechtsexpert*innen über Klimaprotest: „Wir müssen die Räume verteidigen“
Die Handlungsspielräume von Klimaprotest werden kleiner, warnt die Umweltrechtsorganisation Green Legal Impact. Der Staat gehe immer härter vor.
taz: Frau Thiel, Herr Schönberger, man hört es in letzter Zeit immer wieder, vor allem in Bezug auf die Letzte Generation: Klimaaktivist*innen stehen unter Terrorverdacht, ihre Wohnungen werden durchsucht, ihre Telefone abgehört. Geht die Nachfrage nach Ihren juristischen Beratungen durch die Decke?
Tatjana Thiel: Ja. Allein wenn wir uns jetzt die letzten vier, fünf Jahre ansehen, seit die Gruppen von Fridays for Future aktiv sind. Auch die sind unter anderem auf uns zugekommen und haben berichtet, dass sie anfangs ohne Probleme Kundgebungen anmelden konnten. Das habe sich mittlerweile geändert. So gäbe es sehr oft Auflagen, gegen die auch gerichtlich vorgegangen werden muss.
ist Volljurist und arbeitet als Referent bei Green Legal Impact. Zuvor war er unter anderem im Bundesumweltministerium, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sowie in verschiedenen Verwaltungsrechtskanzleien tätig.
Oder eine Auflagenbeschränkung kommt erst einen Tag vor der Demonstration, sodass man sich fast gar nicht mehr dagegen wehren kann. Das betrifft dann zum Beispiel Demonstrationen, die eine bestimmte Route gehen sollen, und dann steht in der Auflagenbeschränkung, dass die Route nicht genehmigt wird. Aber es war eben sehr wichtig, dass man da langgeht, weil dort die Autobahn ist oder der Ort, dem im Hinblick auf Umwelt das Unrecht geschieht.
Philipp Schönberger: Man hat ja auch ein Recht darauf, genau dort hinzugehen.
ist diplomierte Ökonomin mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitsthemen. Vor ihrer Arbeit bei Green Legal Impact hat sie unter anderem die Verwaltungs- und Vereinsstrukturen beim Vegetarier*innenbund ProVeg aufgebaut.
Thiel: So ist es. Die Wahl des Ortes ist von der Verfassung her geschützt.
Dabei wird ja oft mit dem Rechtsstaat argumentiert, wenn es gegen Klimaaktivist*innen geht.
Schönberger: Ja, auch Justizminister Marco Buschmann hat in einer Fernsehsendung gesagt, er sei hier, um den Rechtsstaat gegen Klimaaktivist*innen zu verteidigen. Aber das geht am Kern von Rechtsstaatlichkeit vorbei. Rechtsstaatlichkeit soll eben gerade Macht begrenzen und verhältnismäßiges Handeln von staatlichen Institutionen garantieren, auch im Umgang mit Protest.
In dem Zusammenhang ist die Forderung nach härteren und schnelleren Strafen genau das, was der Idee von Rechtsstaatlichkeit zuwiderläuft. Es ist daher unsere zentrale Forderung, dass auch in einem aufgeladenen Kontext wie den Klimaprotesten Verfahren rechtsstaatlich ablaufen.
Sie finden das Vorgehen gegen Klimaprotest also nicht verhältnismäßig?
Schönberger: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ein ganz zentrales rechtsstaatliches Element, geht derzeit oft über Bord, sowohl beim Einsatz von Schmerzgriffen als auch generell bei Polizeigewalt. Eine kürzlich veröffentlichte, relativ umfangreiche Studie zum Thema Gewalt und Polizeigewalt zeigt: Die Erfahrung macht nicht nur die Klimabewegung. Protest und Aktivismus finden oft in Konfrontation mit dem Staat statt und der Staat setzt sich mit allen Mitteln heftig zur Wehr.
In anderen Regionen der Welt sieht das aber noch mal ganz anders aus, oder?
Thiel: Wenn wir darüber sprechen, wie Freiheitsrechte für Demonstrierende in Deutschland eingeschränkt werden, ist das immer im Vergleich mit dem, was beispielsweise in Kolumbien passiert, zu sehen. Dort werden wirklich Aktivist*innen auf Demos erschossen. Man kann auch sagen, das kann man natürlich überhaupt nicht vergleichen. Wir dürfen bei unserer Arbeit nicht vergessen, dass wir im Verhältnis sehr privilegiert sind. Zugleich entsteht aus dieser privilegierten Position eine Verantwortung.
Schönberger: Ich denke, es ist uns allen sehr bewusst, dass wir eine sehr privilegierte Ausgangssituation in Deutschland haben. Aber die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft verkleinern sich. Menschen nutzen ihre Freiheiten, um staatliche Machtstrukturen infrage zu stellen. Und diese reagieren darauf, indem die Handlungsspielräume verkleinert werden.
Das ist etwas, was alle sozialen Bewegungen, alle politischen Bewegungen weltweit erfahren und natürlich auch die Klimabewegungen. Oder konkret bezogen auf strafrechtliche Ermittlungen, wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung bei der Letzten Generation: Obwohl es auf dem Papier eigentlich sehr klar war, dass das sehr weit von dieser Straftatbestimmung entfernt ist, wird sie genutzt, um Menschen einzuschüchtern und abzuschrecken.
Was heißt das dann für die Klimabewegung in Deutschland?
Schönberger: Das heißt, dass man ein Bewusstsein dafür braucht, dass wir diese Räume verteidigen müssen, dass sie aber auch nicht vom Himmel gefallen sind. Dass darum in der Vergangenheit gekämpft wurde und dies auch keine Selbstverständlichkeit ist. Ich glaube, die Klimabewegung ist einer der Bereiche, wo das am stärksten sichtbar wird.
Und umso dramatischer die Klimakrise fortschreitet, umso weiter das auseinanderklafft, was uns die Wissenschaft sagt, was wir tun müssen und was die Politik tut, umso mehr wird sich auch Protest radikalisieren: einfach nur aufgrund der Radikalität dieser Lage und dem, was damit verbunden ist. Und das wird natürlich dazu führen, dass Staaten immer repressiver handeln. Es stellt sich die Frage, wie Staat und Gesellschaft es gestalten: Schaffen wir es, adäquat auf die Klimakrise zu reagieren oder passiert es eben nicht und die Politik verliert sich stattdessen in repressiven Angeboten.
Mittlerweile gibt es viele Versuche, das Recht auch zum Durchsetzen von Klimaschutz zu nutzen …
Schönberger: Die Besonderheit ist im Umweltrecht, dass die Betroffene, die Natur, sich im Prinzip nicht selbst wehren kann in unserem Rechtssystem. Es braucht Menschen, die sich für ihre Belange einsetzen und sie einklagen. Und wir versuchen – und ich glaube, Juristen überall auf der Welt versuchen es – die Foren, die sich bieten, zu nutzen. So wie die Schadenersatzklagen des peruanischen Bauern, der Energiekonzern RWE verklagt, oder auch die Klagen gegen VW und andere Automobilkonzerne.
Da klagen Einzelpersonen, die darlegen müssen: Ich bin vom Klimawandel sehr wahrscheinlich ganz konkret betroffen. Das macht es natürlich auch oft schwierig. Ich finde es deshalb auch wichtig zu betonen, dass man Klimaklagen immer nur als ein Puzzlestück in einer größeren politischen, gesellschaftlichen Auseinandersetzung verstehen kann. Es gibt oft diese Hoffnung, dass wir mit Klagen das Ruder herumreißen. Das Recht hat emanzipatorisches Potenzial, aber ist doch sehr limitiert. Es ist etwas, was systemimmanent agiert.
Da war der berühmte Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts eine Überraschung?
Schönberger: Es sind sich eigentlich alle einig, dass es den vor Fridays for Future nicht gegeben hätte, weil natürlich Richterinnen und Richter auch Menschen sind, die Zeitung lesen, die Kinder haben und die das natürlich auch mitbewegt, was gesamtgesellschaftlich passiert.
Thiel: Da schließt sich sozusagen der Kreis, warum es wichtig ist, die Aktivist*innen zu unterstützen. Sie können einen gesellschaftlichen Diskurs pushen. Für uns ist es wichtig zu sagen: Die Leute sitzen auf der Straße oder gehen demonstrieren oder begeben sich mit ihren Körpern blockierend irgendwohin, wo in ihren Augen ein Unrecht passiert. Dabei kann es nicht nur um Strafverteidigung – bei Vorwürfen wie Nötigung und Hausfriedensbruch – gehen, sondern es muss aus unserer Sicht auch um deren Argumente gehen.
Es gibt hier kein klares Strafmaß, sondern die Leute gehen in einen Braunkohletagebau oder setzen sich auf die Straße, weil hier ein Unrecht passiert. Und genau das sollte in der Strafverteidigung eine Rolle spielen. Wenn jemand mit einer bestimmten Motivation auf die Straße geht, dann kann es auch sein, dass dieser Jemand dann mit dieser Motivation ins Gericht geht und sagt, er möchte die Diskussion hier fortführen. Dabei geht es um den demokratischen Prozess und darum, dass jemand nicht einfach so aus Spaß das Gesetz übertritt, sondern zivilen Ungehorsam leistet, um ein höheres Ziel zu erreichen. Das soll auch der Richter oder die Richterin berücksichtigen.
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