Rechte Umsturz-Aufrufe: „Schließt euch an!“
Rechte sehen einen „Tag X“ aufkommen – und rufen Polizisten, Soldaten und Verfassungsschützer zum Widerstand auf.
Es ist nach taz-Informationen Tagesordnungspunkt 34. Dort geht es um die „Zuverlässigkeitsüberprüfung“ bei der Polizei. Neubewerber*innen sollen künftig strenger geprüft werden und die Polizeien direkten Zugriff auf Daten des Verfassungsschutzes erhalten. „Wir wollen eine Regelabfrage, um diejenigen, die offensichtlich etwas auf dem Kerbholz haben, gar nicht erst in den Polizeidienst zu lassen“, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch der taz. Es gehe um Rechtsextremisten, Reichsbürger, aber auch Clan-Mitglieder. „Wir müssen darauf achten, dass unsere Sicherheitsbehörden nicht unterlaufen werden von Leuten, die unseren Staat, aus welchen Gründen auch immer, ablehnen.“
Tatsächlich gibt es hier ein Problem – nicht nur bei der Polizei. Zuletzt waren etwa hessische Polizisten aufgeflogen, die sich in rechtsextremen Chatgruppen sammelten. Und just an diesem Mittwoch wurden in Mecklenburg-Vorpommern ein früherer und drei aktive SEK-Polizisten verhaftet, die Munition aus dem Landeskriminalamt entwendet und sich teils in der Prepper-Szene mit Umsturzfantasien beschäftigt haben sollen. Und es gibt Kräfte in der rechten Szene, die genau solche Vorgänge befeuern.
Höcke ruft Verfassungsschützer zum Widerstand auf
Es war Januar, als Stephan Kramer, Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, hellhörig wurde. Da hatte im sächsischen Groitzsch Björn Höcke, der AfD-Rechtsaußen aus Thüringen, in einem Lokal auf der Bühne gestanden, bei einem Treffen des „Flügels“, des weit rechten Sammelbeckens der AfD. Presse war nicht zugelassen, aber der Verfassungsschutz hatte das Treffen auf dem Schirm.
Damals hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD gerade zum „Prüffall“ erklärt, Kramers Landesamt hatte dies schon Monate zuvor getan. Nun stand Höcke vor langen Tischreihen, eine Deutschlandfahne umhüllte sein Rednerpult. Höcke zürnte: Das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei „ein unglaublicher politischer Skandal“. Er wisse von etlichen Verfassungsschützern, die „vor Wut kochen, weil sie sich als neutrale Staatsdiener missbraucht fühlen“, wenn sie die AfD beobachten sollten. Dann adressierte Höcke diese „redlichen Beamten“ direkt: Sie hätten das Recht, sich unrechtmäßigen Weisungen zu verweigern – das sogenannte Remonstrationsrecht. „Machen Sie von diesem Recht Gebrauch!“
Es war ein offener Aufruf an Staatsbedienstete, sich gegen den Staat zu stellen – und längst nicht der erste. Der „Flügel“ sprach später von einer großartigen Rede Höckes und verbreitete das Video davon im Internet.
Der Aufruf erreichte auch Stephan Kramer, den Thüringer Verfassungsschutzchef, zuständig für Höcke und seinen AfD-Landesverband. Zu beiden will sich Kramer, wegen des laufenden Prüfverfahrens, nicht weiter äußern. Nur so viel: „Wir haben den Aufruf sehr aufmerksam registriert.“
„Versuch, den Staat von innen zu zersetzen“
Ein Einzelfall sei dieser nicht, versichert Kramer aber. Die Widerstandsaufrufe an Staatsbedienstete hätten in der neurechten Szene System. Es sei ein „perfides“ Vorgehen. „Natürlich haben besonders Beamte, aber auch Angestellte im öffentlichen Dienst, das Recht, ja sogar die Pflicht, aufgrund ihrer Verfassungstreue, die Ausführung unrechtmäßiger Vorschriften zu verweigern“, sagt Kramer. „Aber diese Aufrufe zum vermeintlichen Widerstand, wie sie von rechts außen kommen, zielen auf etwas anderes. Sie sind der Versuch, den Staat durch seine eigenen Staatsdiener, quasi von innen zu zersetzen.“
Seit Jahren schon buhlt die rechtsextreme Szene um Polizisten, Soldaten und Verfassungsschützer und fordert diese zum „Widerstand“ gegen die herrschende Politik auf. Inzwischen stimmt auch die AfD mit ein. Die Sicherheitsbehörden reagieren unterschiedlich: Einige scheinen die Aufrufe als rechtsextremes Getöse abzutun, andere rüsten sich ernsthaft.
Schon 2016, auf dem Höhepunkt der Asyldebatte, hatte AfD-Mann Höcke Polizisten zum Widerstand gegen die Bundesregierung aufgerufen. Sie dürften die Flüchtlingspolitik Merkels nicht weiter umsetzen, sagte er in Erfurt. Andernfalls könnte es sein, dass man sie nach einem Machtwechsel „vor Gericht stellt“. „Folgen Sie dieser bösartigen Frau nicht länger!“, verlangte er.
Auch Jürgen Elsässer, der Herausgeber des weit rechten Compact-Magazins, hatte 2015 Soldaten aufgefordert, Grenzstationen zu besetzen und sich, wegen der Zuwanderungspolitik, gegen die Bundesregierung zu stellen. „Wartet nicht auf Befehle von oben!“, appellierte Elsässer. In einer Situation, in der „von der Staatsspitze selbst Gefahr für dieses Volk ausgeht, seid Ihr nicht mehr an Befehle dieser Staatsspitze gebunden“. Später wandte er sich an „alle verantwortungsbewussten Kräfte im Staatsapparat“: Sie sollten Flüchtlingszentren „abriegeln“, Moscheen und Grenzen schließen, „kein Moslem darf mehr rein oder raus“. „Wir sind im Krieg“, verstieg sich Elsässer.
Auch auf den Pegida-Aufzügen in Dresden erklang die Aufforderung an Polizisten und Soldaten, die Seiten zu wechseln. Die Polizisten müssten ein „klares Signal“ setzen, dass „ihr für den Massenmissbrauch nicht zur Verfügung steht“, rief dort 2016 die einstige Frontfrau Tatjana Festerling, die später mit einer Bürgerwehr an der bulgarischen Grenze Flüchtlinge abwehren wollte. Ob Polizisten wirklich mittragen wollten, „täglich hundertfach“ wegen Einsätzen zu „religiös verfeindete[n] Asylforderer[n]“ ausrücken zu müssen? Festerlings Appell: „Schließt euch uns an!“ Die Menge wiederholte skandierend: „Schließt euch an!“
Tatsächlich scheinen einige diesen Schritt bereits gegangen zu sein. In der AfD sind heute allein 7 der 91 Bundestagsabgeordneten ehemalige Polizisten; 12 Abgeordnete und 8 Mitarbeiter waren einst bei der Bundeswehr, 4 Abgeordnete zuvor Staatsanwalt oder Richter.
Bei der Bundeswehr wurde 2017 ein Soldat festgenommen, der den Schritt in den Widerstand offenbar ebenfalls gegangen war: Franco A. Dieser soll einen Anschlag geplant haben, wegen der „aus seiner Sicht verfehlten Ausländer- und Flüchtlingspolitik“, so die Bundesanwaltschaft. Später deckte die taz das sogenannte „Hannibal“-Netzwerk auf, in dem Soldaten, Polizisten und anderen Behördenmitglieder über einen „Tag X“ fantasierten, einige wollten laut Bundesanwaltschaft Linke „festsetzen und mit ihren Waffen töten“.
Und in Sachsen stach der JVA-Bedienstete Daniel Z., nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Chemnitzer im Sommer 2018, den Haftbefehl eines zunächst verdächtigen Asylsuchenden an Rechtsextreme durch – denn er beobachte „jeden Tag, dass die meisten Menschen über die Veränderungen in unserem Land belogen werden“.
Die Widerstandsappelle, die die rechte Szene an Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz richtet – in Teilen scheinen sie Gehör zu finden. Und die Sicherheitsbehörden haben das notiert.
Man gehe „konsequent vor“, sagt die Polizei
„Jeder dieser Fälle ist einer zu viel“, sagte jüngst Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts, auf einer Pressekonferenz in Berlin, als er nach Rechtsextremen in den eigenen Reihen gefragt wurde. „Das sind Dinge, die kann und will sich eine Polizei nicht leisten. Deshalb muss man konsequent dagegen vorgehen.“
Nur was heißt das? Und geschieht das wirklich?
In Dresden sitzt Horst Kretzschmar in seinem kleinen Büro an einem runden Besprechungstisch, ein kräftiger 59-Jähriger, weißes Polizeihemd, raspelkurze Haare, ein früherer Ringer. Nur ein paar Flure weiter hat der Landesinnenminister sein Büro. Seit 40 Jahren ist Kretzschmar bei der Polizei, seit Jahresbeginn ist er in Sachsen ihr oberster Mann: als Landespolizeipräsident.
Rechtsextreme und Rechtspopulisten suchten „eine besondere Nähe“ zur Polizei, sagt Kretzschmar. „Sie loben die Sicherheitsbehörden an jedem Ort und an jeder Stelle.“ Gerade deshalb sei es wichtig, sich immer wieder zu vergewissern, dass die Polizei in der Mitte der Gesellschaft stehe und ihren Dienst neutral ausübe, sagt Kretzschmar. „Und das tut sie auch.“
Aber es ist immer wieder Sachsen, das besonders im Fokus steht. Hier, wo Pegida seinen Ursprung hat. Wo zwei Polizisten sich in Dienstlisten mit dem Namen des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt eintrugen und ein LKA-Mitarbeiter bei einem Pegida-Aufzug mitlief und ein ZDF-Team bedrängte. Wo der Justizbeamte Daniel Z. den Chemnitz-Haftbefehl durchstach. Und wo Björn Höcke seinen Widerstandsaufruf an die Verfassungsschützer absetzte.
Horst Kretzschmar, Landespolizeipräsident Sachsen
„Solche Aufrufe sind uns bekannt“, sagt Kretzschmar. Immer wenn montags in Dresden Pegida demonstriere, erhalte die Polizei Lob. „Das hinterlässt natürlich Spuren“, gesteht Kretzschmar. „Jeder dieser Botschaften müssen wir doppelt so oft in Einsatzbesprechungen entgegenwirken. Es darf keinen Zweifel an der Neutralität der Polizisten geben.“
Kretzschmar wirkt bemüht, keinen Generalverdacht gegen seine 12.000 Polizisten in Sachsen zu erwecken – aber auch keinen Zweifel an roten Linien zuzulassen. „Alle Menschen sind verführbar, Polizisten auch“, sagt der Polizeichef. „Vielleicht sogar etwas leichter, weil sie an den Brennpunkten dieser Gesellschaften arbeiten.“ Man sei regelmäßig dabei, sich zu überprüfen. Gibt es Gruppen oder Chaträume in der sächsischen Polizei, die an den rechtsextremen Rand abdrifteten, die den Widerstandsaufrufen folgten? Kretzschmar verneint das: „Aus heutiger Sicht haben wir, im Hellfeld, keine Erkenntnisse auf irgendeine Widerstandsgruppe in unserer Polizei.“
Aber was geschieht im Dunkelfeld? Und dringt der Appell zur Wachsamkeit wirklich bis auf die unteren Ebenen vor?
Kretzschmar verweist auf die Ausbildung und den Amtseid, in denen Polizisten auf ihre Verfassungstreue eingeschworen werden. Und auf Besprechungen und Fortbildungen, wo dieses aufgefrischt werde. „Entscheidend sind die Revier- oder Dienstgruppenführer“, sagt Kretzschmar. Diese müssten offene Augen haben, auf die Sprache ihrer KollegInnen achten. „Wird etwa ein Straftäter Kanake genannt? Dann muss sofort eingeschritten werden, sonst verfestigt sich so was“, sagt Kretzschmar. „Und bei klaren Verfehlungen muss zum Disziplinarrecht gegriffen werden, auch als Signal in die Belegschaft. Wir brauchen eine konsequente Führung.“
Wie ernst es der rechtsextremen Szene ist, daran besteht in den Sicherheitsbehörden kein Zweifel. Teile der rechtsextremistischen Szene befänden sich in „Vorbereitung für ein vermeintliches ‚Bürgerkriegsszenario‘“, heißt es in einem aktuellen, vertraulichen Papier des Bundesamts für Verfassungsschutz. Und: „Bei vielen Akteuren prägend ist ein diffuses Widerstandsmotiv.“
Björn Höcke würde nicht zum bewaffnetem Widerstand aufrufen. Dennoch verfolgt auch er einen Umsturzplan. Für die nötige „politische Wende“, heißt es in seinem jüngsten Buch, brauche es neben einer „protestierenden Bürgerbasis“ noch eine weitere Front: eine aus „den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates“, die „auf das Remonstrationsrecht zurückgreifen“ könnten.
Höckes Aufruf von Groitzsch an die Verfassungsschützer war also kein Zufall. Er war Strategie.
Der Geheimschutz kümmert sich
Die Sicherheitsbehörden versuchen diese Vereinnahmungsstrategie zu durchkreuzen. In den Polizeien der Länder gibt es dafür eine zuständige Abteilung: den Geheimschutz. Wie viele Mitarbeiter dort jeweils arbeiten, darüber herrscht Stillschweigen. Würden aber Widerstandsaufrufe an Polizisten bekannt, werde aus der Abteilung Geheimschutz heraus die Belegschaft sensibilisiert, heißt es im Bundeskriminalamt. Gehe es um konkrete Ansprachen an einzelne Polizisten, gebe es „individuelle Sensibilisierungs- und Beratungsgespräche“.
Daneben soll in den Ländern auch der Staatsschutz in den Landeskriminalämtern aufpassen. Der beobachtet die rechtsextreme Szene. Bemerke man dort plötzlich einen Polizisten, würde der sofort angesprochen, sagt Polizeichef Kretzschmar mit Blick auf Sachsen. Im Einzelfall drohten Disziplinarmaßnahmen. „Das wäre wieder so ein Moment, wo Führung gefragt ist.“
Der Verfassungsschutz schrieb Angestellte an
Auch beim Verfassungsschutz hat man reagiert. Thüringens Amtsleiter Stephan Kramer versichert, sie hätten die rechten Widerstandsaufrufe „im Blick“. Auch im Verfassungsschutzverbund wird auf die Sicherheitsüberprüfung verwiesen, der Mitarbeiter unterzogen würden. Gebe es hier „tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel“ an der Verfassungstreue, könne dies disziplinarische Folgen haben, so eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Dennoch verschickte auch die Geheimschutzbeauftragte im Bundesamt zum Jahresanfang 2019 ein Schreiben an die Mitarbeiter: Diese sollten prüfen, ob sie „durch Kontakte zu AfD-Mitgliedern oder eine eigene Mitgliedschaft in dieser Partei in sicherheitsrelevante Konfliktsituationen geraten können“. Falls dem so sei, könne man dies „in einem vertrauensvollen Gespräch“ erörtern. Eventuell sei „ein Wechsel in einen anderen Arbeitsbereich des BfV sinnvoll“. Inzwischen hat die AfD Klage eingereicht wegen dieses Schreibens: Dieses sei „unverhältnismäßig“ und schrecke Parteimitglieder ab.
Angesprochen auf den Höcke-Aufruf, sagt eine Sprecherin des Bundesamts, es gebe das Remonstrationsrecht auch für Verfassungsschutzmitarbeiter, aber nur bei Einhaltung des Dienstwegs. Weise ein Vorgesetzter die Bedenken zurück, müsse der Betroffene den Anordnungen Folge leisten. „Ein allgemeines Recht zum Widerstand besteht nicht“, so die Sprecherin. „Fälle von Arbeitsverweigerung werden, wie in jeder Behörde, entsprechend gewürdigt und sanktioniert.“
Zugeknöpfte Bundeswehr
Bei der Bundeswehr ist man zurückhaltend, was den Umgang mit dem Problem angeht. Wer beim Verteidigungsministerium in Berlin anfragt, wie Aufrufen zur Befehlsverweigerung von rechts begegnet wird, dem sagt ein Sprecher, er werde beim Militärischen Abschirmdienst nachfragen, ob dieser zu einer Auskunft bereit sei – bittet aber um Verständnis, wenn dies nicht der Fall sein sollte. Genau dies ist der Fall: Der MAD sagt nichts, obwohl ihm die entscheidende Rolle bei der Identifikation extremistischer SoldatInnen zukommt. Schöpfen Vorgesetzte Verdacht, sind sie zur Meldung beim MAD verpflichtet.
Ansonsten verweist das Verteidigungsministerium an das Zentrum Innere Führung, ein grauer Sechsstöcker am Stadtrand von Koblenz. Ein Gespräch lehnt die Einrichtung ab, Fragen beantwortet sie immerhin schriftlich. „Wir werden Ihnen nicht die Antworten geben können, die Sie gerne hätten“, warnt ein Sprecher. Das Thema ist, nach dem Franco-A.-Skandal und den Hannibal-Enthüllungen, heikel.
Dabei spricht das Zentrum den Fall Franco A. auf seiner Webseite offen an: als „Verstoß gegen die Grundsätze der Inneren Führung“. Hier zeige sich, dass „diejenigen, die in der Kritik stehen, die Innere Führung nicht verinnerlicht haben – und dass Vorgesetzte das nicht erkannt haben“.
Was die Bundeswehr tut, damit sich ihre Soldaten nicht gegen die politische Führung wenden, ist seit Januar 2015 in einer 60-seitigen Dienstvorschrift festgehalten. Sie regelt den Umgang mit Soldaten, „bei denen extremistische Verhaltensweisen erkannt oder vermutet werden“. Auch sind darin vorbeugende Maßnahmen bei Personalgewinnung und Ausbildung geregelt. Ein Sprecher des Zentrums Innere Führung verweist zudem auf „erhebliche Ausbildungsanteile“ für Kompaniefeldwebel, Einheitsführer und Bataillonskommandeure, um „Extremismus möglichst bereits im Anfangsstadium zu verhindern“.
Soldat*innen „vom falschen Weg abhalten“
Die Vorschriften zielten vor allem darauf, „subkulturell geprägte Rechtsextremisten und die neonazistische Szene einschließlich der ‚Autonomen Nationalisten‘“ von der Bundeswehr fernzuhalten. „Mitläufer“ und „für Extremismus anfällige“ Soldat*innen will die Bundeswehr „vom falschen Weg abhalten“.
Bei den Bewerbungsgesprächen soll man etwa auf Tätowierungen achten, die auf extremistische Gesinnung hindeuten. Eine routinemäßige Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden ist nicht vorgesehen. Diese erfolgt vor der Einstellung nur, wenn es „konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende Verfassungstreue“ gibt. Standardmäßig wird nur ein Führungszeugnis verlangt. Ausnahme sind die „sicherheitsempfindlichen Dienstposten“. Wer also keine SS-Runen auf der Haut trägt und sich beim Bewerbungsgespräch zusammenreißt, kann es durchaus zum einfachen Dienst an der Waffe schaffen, wenn er eine einschlägige Nazi-Vita, aber keine entsprechenden Vorstrafen hat.
Die Vorgesetzten, so will es das Verteidigungsministerium, sollen „jede Gelegenheit“ nutzen, um bei ihren Untergebenen ein „freiheitliches und demokratisches Bewusstsein“ zu fördern. Denn bei Soldat*innen, die für extremistisches Gedankengut anfällig sind, sei oftmals „weniger ein extremistisches ideologisches Konzept die Grundlage ihres Denkens“, sondern vielmehr „ein Defizit an Werten und Orientierungen“ – gefestigte Neonazis hält man offenbar für ein Randphänomen innerhalb der extrem rechten Soldaten. Um das „Defizit an Orientierungen“ auszugleichen, ist in der Ausbildung „Extremismus“ eines der acht Pflichtthemen – behandelt werden muss unter anderem das Thema „Extremismus: Flucht in Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit“. Auf dem Lehrplan steht auch „Interkulturelle Kompetenz“.
Um extrem rechte Soldaten möglichst schnell zu erkennen, sollen Vorgesetzte ein „besonderes Augenmerk“ auf Anhaltspunkte wie extremistisches „gewaltverherrlichendes“ Liedgut legen. Den Vorgesetzten selbst sei klarzumachen, „dass mögliches Wegsehen, Weghören oder Schweigen bei extremistischen Verhaltensweisen falsch sind“. Unter anderem unterrichtet der MAD dazu KommandeurInnen über extremistische Bestrebungen von Beschäftigen in ihrem Verantwortungsbereich. Wer einschlägig auffällt, kann vom Disziplinararrest bis zur Entlassung bestraft werden.
Whistleblower soll entlassen werden
Zuletzt allerdings gab es Zweifel, wie konsequent die Bundeswehr wirklich gegen Extremisten in ihren Reihen vorgeht. Es geht um den Fall Patrick J. Der Unteroffizier meldete seit 2016 dem MAD gleich mehrere rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr. Einen Hauptgefreiten etwa, der in Chats angab, er kämpfe „gegen die komplette Selbstaufgabe der weißen Nationen“. Oder einen Oberstabsgefreiten, der – einem Reichsbürger gleich – schrieb, sie alle seien nur „dumme Arbeiter, die einer großen GmbH angehören“. Konsequenzen hatte das vor allem für: Patrick J.
Zwar ging die Bundeswehr einigen der Fälle nach. Gleichzeitig aber strengte sie die Entlassung von Patrick J. an. Offiziell, weil der 31-Jährige einen Kameraden einmal ohne dienstlichen Grund habe strammstehen lassen, ein „Missbrauch der Befehlsbefugnis“. Das Personalamt der Bundeswehr nannte aber auch dessen Meldungen zu rechten Umtrieben „übertrieben und haltlos“. Nach öffentlicher Empörung über den Fall intervenierte das Verteidigungsministerium: Die Entlassung ist nun „bis auf Weiteres“ ausgesetzt.
Sieht so der Aufklärungswillen der Bundeswehr gegen rechtsextreme Vorgänge in den eigenen Reihen aus? Die Bundeswehr weist das zurück: Die zuständigen Stellen gingen allen Hinweisen nach. „Jegliche Form von Extremismus hat in der Bundeswehr keinen Platz.“
Der Text ist ein Auszug in veränderter und aktuell angepasster Form aus dem Band „Extreme Sicherheit“, hrsg. von Heike Kleffner und Matthias Meisner, der im September im Herder-Verlag erscheint.
Aber auch den Fall Franco A. verhinderten die internen Vorschriften nicht – obwohl der Soldat schon 2013 in seiner Master-Arbeit seine rechtsextreme Gesinnung offenlegte. Sein Vorgesetzter beließ es bei der Ermahnung, und Franco A. schmiedete später seinen mutmaßlichen Anschlagsplan.
Der Staat soll „in die Zange genommen“ werden
Auch AfD-Mann Höcke, Compact-Herausgeber Elsässer und Pegida-Aktivistin Festerling werden ihre Agenda vorantreiben. Die „Festung der Etablierten“ müsse von mehreren Seiten „in die Zange genommen werden“, erklärte Höcke in seinem jüngsten Buch. Frustrierte Sicherheitsbedienstete seien dabei eine Chance: weil sie die „Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen“.
Auf der Innenministerkonferenz will man jetzt mit dem Vorstoß für eine schärfere Zuverlässigkeitsüberprüfung zumindest für die Polizei etwas dagegensetzen. Es brauche ein einheitliches Vorgehen von Bund und Ländern, heißt es in der Beschlussvorlage. Diese indes bleibt, unter knapp 70 Tagesordnungspunkten, ein Solitär.
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