Queere Sichtbarkeit: Bundestagsgruppe darf nicht zum CSD
Erstmals dürfen queere Mitarbeitende des Bundestags nicht als Gruppe beim Berliner CSD laufen. Am Verbot gibt es Kritik aller demokratischen Parteien.

Außerhalb des Dienstes stehe den Mitarbeitenden eine Teilnahme frei. Göttke war im Mai von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner vorgeschlagen worden. Ob er auf ihre Weisung handelte, beantwortete die Pressestelle nicht.
Das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird dagegen mit eigenem Wagen beim CSD vertreten sein. Ministerin Karin Prien (CDU) sagte der taz: Der Wagen sei „ein wichtiges Zeichen für die Anerkennung und den Respekt vor der Vielfalt in unserer Gesellschaft – gerade angesichts zunehmender Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität weltweit und leider auch in Deutschland“. Klöckners Vorgängerin im Amt, Bärbel Bas (SPD), hatte in ihrer Funktion als Bundestagspräsidentin 2023 am Berliner CSD teilgenommen.
Kritik an der Entscheidung
Auch bei Mitarbeitenden der Bundestagsverwaltung stieß die Entscheidung auf Unverständnis. Am Mittwoch fand im Bundestag eine Personalversammlung statt, an der mehrere Hundert Mitarbeitende teilnahmen. Wie die taz aus Teilnehmerkreisen erfuhr, wurde auch dort die CSD-Entscheidung kritisiert: Man erlebe einen „internationalen Rollback“, Homosexuelle müssten anderswo um ihr Leben fürchten. Da sei es kein gutes Zeichen, wenn man im Deutschen Bundestag nun Debatten über die Teilnahme am CSD führe.
Der Verein Berliner CSD kritisierte die Entscheidung der Bundestagsverwaltung scharf. Sie sei „eine aktive politische Absage an queere Sichtbarkeit“, so der Vorstand. Da die Absage in den Pride Month falle, käme sie „einer bewussten Entscheidung gegen die Community gleich“. Wer die Teilnahme von queeren Netzwerkgruppen staatlicher Institutionen untersage, kündige den Konsens auf, dass Grundrechte sichtbar verteidigt gehören. Der CSD erwartet am 26. Juli unter dem Motto „Nie wieder still“ wie in den Vorjahren Hunderttausende Teilnehmer*innen.
Kritik am Verbot kam auch aus CDU, SPD, Grünen und Linken. Die Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), sagte, sie halte es für „ein falsches und unnötiges Signal“. Gerade in Zeiten, in denen CSD-Demonstrationen abgesagt und Vielfaltsfeste angegriffen würden, brauche es „große Solidarität und sichtbare Unterstützung“.
„Entsetzt und enttäuscht“
„Entsetzt und enttäuscht“ zeigte sich die LSU, die Interessenvertretung queerer Menschen in der Union. Die Entscheidung sei „ein Rückschritt“, so LSU-Bundeschef Sönke Siegmann. Man appelliere an die Verantwortlichen, „diese Haltung zu überdenken.“ Auch der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete, Jan-Marco Luczak, forderte eine Lösung jenseits der Neutralitätspflicht.
Die grüne Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik bezeichnete das Verbot als „schwerwiegenden politischen Rückschritt, für den Julia Klöckner die Verantwortung trägt.“ Klöckner müsse erklären, „wie sie sicherstellen will, dass queere Mitarbeitende auch in Zukunft als Teil einer offenen, diversen Parlamentskultur sichtbar sein dürfen“. Wer diese Sichtbarkeit verweigere, gestalte politische Realität, so Slawik.
Die Absage an das Regenbogennetzwerk reiht sich ein in weitere Entscheidungen Klöckners um queere Sichtbarkeit im Bundestag. Mitte Mai hatte sie mitgeteilt, dass die Regenbogenflagge am Christopher Street Day nicht mehr neben der Bundestags- und Europaflagge über dem Reichstagsgebäude wehen wird. Die Bundesflagge repräsentiere „das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und gegen Diskriminierung“ ausreichend, hieß es dazu in einer Pressemitteilung.
Petition auf „All Out“
Auf „All Out“ wurde eine Petition gestartet, die bereits mehr als 10.000 Unterstützer*innen hat. Entscheidungen wie diese seien „enttäuschend und politisch kurzsichtig“, schreiben die Initiator*innen. Gerade in einer Zeit, in der queere Menschen weltweit und hierzulande zunehmend unter Druck geraten, brauche es „öffentliche Zeichen staatlicher Solidarität“.
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