Psychologe über Klima-Angst: „Das ist eine rationale Reaktion“
Besonders Jugendliche fürchten sich vor der Klimakrise, sagt Umweltpsychologe Gerhard Reese. Ein Gespräch über die psychischen Folgen der Klimakrise.
taz: Der IPCC hat im sechsten Sachstandsbericht zum ersten Mal die psychischen Folgen der Erwärmung erläutert. Womit ist zu rechnen, wenn es wärmer wird?
ist 41 und Professor für Umweltpsychologie an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.
Gerhard Reese: Der IPCC-Bericht gibt eigentlich wenig Grund zu Optimismus. Daraus folgt, dass die Klimakrise einen stärkeren negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit haben wird – weltweit. Besonders betroffen sind Kinder, Jugendliche, Ältere und Vorerkrankte – also Gruppen von Menschen, die in besonderem Maße schutzbedürftig sind. Die sogenannte „Klimaangst“, die Menschen bereits verspüren, ist aus meiner Sicht eine völlig rationale und nachvollziehbare Reaktion.
Wie verbreitet ist „Klimaangst“ in Deutschland?
Es gibt mittlerweile ein paar Studien, die zeigen, dass es das Phänomen „Klimaangst“ gibt, wenngleich ich persönlich die konkreten Messungen dazu noch unzureichend finde. Bisher ist es kein flächendeckendes Phänomen, auch nicht bei jungen Menschen. Aber vieles deutet darauf hin, dass das stärker wird.
Internationale Studien haben gezeigt, dass eine Mehrheit der Befragten zwischen 16 und 25 sich sehr große klimabedingte Sorgen um die Zukunft macht. Wir müssen aber unterscheiden zwischen einer Klimaangst, wie wir sie in Deutschland empfinden, und einer wirklich existenziellen Angst, wenn die Heimat buchstäblich weggeschwemmt wird, wie bei gefährdeten Inselstaaten.
Was kann man gegen „Klimaangst“ tun?
Wirklich etwas dagegen tun im Sinne von „heilen“ oder „verringern“ können wir nicht. Viel wichtiger ist die Frage: Wie gehen wir mit Klimaangst und allgemein mit Ängsten um unsere Lebensgrundlage um? Die Angst ist ja nach allem, was wir wissen, durchaus begründet. Wir sollten also schauen: Was macht die Klimaangst mit den Leuten und was sind die Bedingungen, unter denen Menschen trotz – oder wegen – einer solchen Angst bereit sind, sich zu engagieren, statt in Apathie zu verfallen.
Trotz der Warnungen der Klimawissenschaftler reagieren Politik und Gesellschaft nur langsam. Welche psychologischen Gründe gibt es hierfür?
Es liegt nicht daran, dass wir nicht wüssten, was zu tun ist – die Lösungen liegen auf dem Tisch. Auf politischer Ebene ist sicherlich ein Problem, dass es mächtige Lobbys gibt, die Klimaschutz verzögern. Auf gesellschaftlicher Ebene dürfen wir nicht vergessen, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben, die Konsum fördert, belohnt, verinnerlicht hat. Wir brauchen Regelungen, die eine nachhaltigere Form von Konsum vereinfachen und Unternehmen etwa zu Kreislaufwirtschaft verpflichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen