Prozess gegen früheren KZ-Wachmann: Mit 100 auf die Anklagebank

Im Herbst soll sich in Brandenburg ein früherer KZ-Wachmann vor Gericht verantworten. Ein Gutachten bestätigte die Verhandlungsfähigkeit des 100-Jährigen.

Eingang zum Häftlingslager mit dem "Turm A" auf dem Gelände der Gedenkstätte Sachsenhausen

Eingang zum Häftlingslager auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen Foto: Kristin Bethge/dpa

NEURUPPIN dpa/epd | Ein 100 Jahre alter ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen soll sich ab Anfang Oktober vor dem Landgericht Neuruppin in Brandenburg verantworten. Ein medizinisches Gutachten habe inzwischen die zeitweise Verhandlungsfähigkeit des 100-Jährigen bejaht, teilte Gerichtssprecherin Iris le Claire am Montag auf Anfrage mit.

Der ehemalige SS-Wachmann soll laut Anklage der Staatsanwaltschaft durch seine Tätigkeit im Hauptlager des ehemaligen KZ von 1942 bis Februar 1945 wissentlich und willentlich Hilfe zur grausamen und heimtückischen Ermordung von Lagerinsassen geleistet haben. Dabei soll es unter anderem um die Erschießung von sowjetischen Kriegsgefangenen im Jahr 1942 und Beihilfe zur Ermordung von Häftlingen mit dem Giftgas Zyklon B gegangen sein. Der 100-Jährige ist in 3.518 Fällen wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

Stephanie Bohra vom Berliner NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors sagte gegenüber der Zeitung Welt am Sonntag: „Mord verjährt nicht, darum müssen sich auch ältere Semester vor Gericht verantworten. Es geht um die Aufklärung von Verbrechen, und ehemalige Häftlinge haben die Gelegenheit, zu berichten, was dort passierte.“ Rechtsanwalt Thomas Walther, der Nebenkläger in den letzten NS-Verfahren vertritt und den Angaben zufolge auch am Neuruppiner Prozess beteiligt ist, hält diesen für notwendig: „Viele Nebenkläger gehören dem gleichen Alter wie der Beschuldigte an und hoffen auf Gerechtigkeit.“

Seit dem Urteil gegen den ehemaligen KZ-Aufseher John Demjanjuk im Jahr 2011 besteht die Justiz nicht mehr auf den oft unmöglichen Nachweis individueller Schuld. Auch die allgemeine Dienstausübung in einem Lager, in dem erkennbar systematische Massenmorde stattfanden, kann juristisch geahndet werden. Für die Hinterbliebenen der getöteten Lagerinsassen ist die juristische Aufarbeitung wichtig.

Im KZ Sachsenhausen waren zwischen 1936 und 1945 nach Angaben der dortigen Gedenkstätte mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende Häftlinge kamen dort durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche und Misshandlungen um oder wurden Opfer systematischer Vernichtungsaktionen.

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