Prominente gegen Coronapolitik: Ein zweiter Versuch
Erst #allesdichtmachen, nun #allesaufdentisch: Künstler:innen und Wissenschaftler:innen verbreiten wirre Skepsis gegen die Coronamaßnahmen.
Sie haben es wieder getan: Nach #allesdichtmachen haben Kunstschaffende nun #allesaufdentisch initiiert, die nächste Exposition unserer Corona-Irrtümer. Sind das trotzige Kinder, die ihre TV- und Tatort-Prominenz zum nächsten Volksaufstand der Coronaleugner und Impfgegner hergeben? Ganz so einfach ist es nicht.
Viele Protagonisten der ersten politischen Kunstaktion haben sich ausgeklinkt, und statt des kecken, meist schwer danebengegangenen Satireformats haben Volker Bruch und seine Mitstreiter nun ein diskursives Format gewählt, für das man Stunden braucht.
Statt leicht verdaulicher Videoschnipsel bekommt man auf der Webseite jetzt längere Gespräche mit einer Schar von Experten und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen (darunter auch der taz-Autor Ulf Erdmann Ziegler), die sich zum Teil als Dissidenten ihrer Fächer mit abweichenden Meinungen zu erkennen geben. Schon die Länge und Vielzahl dieser Onlinegespräche, bei denen sich die Kunstschaffenden in der Regel stark zurückhalten, wird das Interesse an der Aktion bald abflauen lassen.
Interessant ist der Selbstwiderspruch, den gleich das erste Video aufdeckt: Bruch befragt den Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen von der LMU München zum Faktencheck. Meyen vertritt die Meinung, Faktenchecks, an sich eine gute Sache, seien von finanzstarken „philanthropischen Stiftungen“ gekapert worden und zum Machtmittel des Establishments (wir hören: der politisch-medialen Klasse) geworden.
Quacksalber und Scharlatane
Was Bruch und Meyen hier postulieren, ist also ein Faktencheck des Faktenchecks. Damit passiert, was für alle Verschwörungsmythen gilt: Aus Unvollkommenheiten, die auch bei jedem guten Faktencheck vorkommen, wird eine generelle Skepsis, die mit weiteren, vermeintlich objektiven, aber oft weit aus der Luft gegriffenen Fakten gestützt wird.
Bruch und Co wollen sagen: Wir sind die besseren Faktenchecker. Das Handwerk und das nie ganz einzuholende Objektivitätsideal des Journalismus wird damit diskreditiert, freie Bahn haben Quacksalber und Scharlatane wie hier der texanische Arzt Peter McCollough, der sich mit hochproblematischer Desinformation selbst ins Abseits gestellt hat, aber die Autorität seines weißen Kittels vorführen darf.
Viele von Bruch angefragte Diskutanten haben bei dieser Aktion nicht mitgewirkt. Bei renommierten Personen wie Mai Thi Nguyen-Kim, Lothar Wieler, Christian Drosten, Hans-Jürgen Papier, Melanie Brinkmann erscheint auf der Webseite dann eine schwarze, wohl vorwurfsvolle Kachel mit dem Insert „Absage“ oder „Keine Antwort“, ebenso bei Politikern wie Jens Spahn und Karl Lauterbach und TV-Größen wie Harald Lesch und Richard David Precht. Sie wollten oder konnten nicht, und man kann das als Vorwurf ans Establishment lesen, sich kritischen Nachfragen nicht stellen zu wollen.
Keine Qualitätskontrolle
„Alles auf den Tisch“ suggeriert, dem großen Publikum würden Meinungen und Erkenntnisse vorenthalten, dass also Zensur stattfinde. Beim Durcharbeiten durch die Videos habe ich kein einziges Argument vernommen, das in der Coronadebatte nicht schon oft vorgebracht worden ist. Einige Gespräche, wie mit dem Philosophen Markus Gabriel über Wahrheit, sind durchaus hörenswert, wie es überhaupt kein Teufelszeug ist, sich abweichenden Meinungen auszusetzen. Ich empfehle die Webseite sogar, um sich mit Impfgegnern auseinandersetzen zu können.
Ein grundsätzliches Problem der öffentlichen Kommunikation von Wissenschaft wird hier sichtbar. Die Initiatoren der beiden Videoaktionen, die übrigens begnadete Schauspieler, aber durchweg schlechte Interviewer und Moderatoren sind, reklamieren Pluralismus. Das ist in der Tat ein hohes Gut der öffentlichen Meinung wie der wissenschaftlichen Diskussion, in denen Skepsis und Falsifikation echte Tugenden sind.
Das spricht allerdings nicht dafür, nun alle möglichen Meinungen gleichberechtigt und unsortiert nebeneinander stehen zu lassen. Methodisch gesicherte empirische Evidenz kann man nicht mit beliebigen Ansichten beiseiteschieben und einen Konsens, der im Peer-Review einer Vielzahl von Studien über Jahrzehnte hinweg zu Themen wie Impfrisiken erarbeitet worden ist, nicht durch ein Pathos zerstören, das bisweilen an Giordano Bruno oder Galileo Galilei erinnert.
Dissidentische Sturheit hat in der Vergangenheit wissenschaftlichen Fortschritt bisweilen gefördert, öfter aber behindert. Viel zu lange haben an den Haaren herbeigezogene Minderheitsmeinungen die Anerkennung der Tatsache menschengemachten Klimawandels hinausgezögert, und im Extrem bringt man Schülern neben der Evolutionstheorie auch die religiöse Schöpfungslehre nahe, wie im US-Bundesstaat Tennessee, wohlgemerkt nicht im Religions-, sondern im Biologieunterricht. Pluralismus muss durch Qualität verdient werden und ergibt sich nicht aus dem Wegfallen von Qualitätskontrolle.
In unangenehmer Gesellschaft enden
Kritiker der Wissenschaftsförderung durch Unternehmenseinfluss und Interessenkollisionen wie der Volkswirtschaftsprofessor Christian Kreiß verfallen bei #allesaufdentisch in pauschale Verdammungsurteile über „gekaufte Forschung“, die am Ende so gut wie jede wissenschaftliche Erkenntnis (außer der eigenen natürlich!) in Verdacht stellt, von interessierter Seite manipuliert worden zu sein. So endet man, wie Kreiß selbst, in der unangenehmen Gesellschaft von Reichsbürgern und als gescheiterter Direktkandidat der Querdenkerpartei „Die Basis“.
Querdenken, hier ex cathedra und im weißen Kittel, wird zur bloßen Attitüde, zum Habitus prinzipiellen Dagegenseins. Der nachvollziehbare Impetus der Schauspieler, Musiker, Theaterdirektoren und Kunstschaffenden, die sich hier politisch exponieren, war die unverhältnismäßige Betroffenheit von Lockdownmaßnahmen. Doch schaden sie ihrer Sache, wenn sie die Legitimation von Pandemiemaßnahmen insgesamt von Leuten in Zweifel ziehen lassen, die mit Titeln und Positionen renommieren.
Und zur Stilkritik: Der Generalverdacht gegenüber allem Etablierten und Professionellen rechtfertigt nicht einen derart schlechten und unsortierten Auftritt.
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