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Politikwissenschaftler über Milieustudie„Eine dra­matische Entwurzelung“

Die alten BRD-Parteien kommen vor allem in der Mitte der Gesellschaft immer weniger an. Weil sie nicht an einem Strang ziehen, sagt Robert Vehrkamp.

Immer mehr Menschen ­treffen ihre Wahl­entscheidung aus ihrer Lebensrealität heraus. Eine Szene in der Münchner Innenstadt Foto: Matthias Balk/picture alliance
Ulrike Winkelmann
Interview von Ulrike Winkelmann

taz: Herr Vehrkamp, die Zustimmung zur Regierung ist wirklich mies, aber wir wissen ja: Umfragewerte sind bloß Umfragewerte, und die politische Lage schwankt sowieso immer stärker. Warum also sollten uns Zustimmungszahlen interessieren?

Bild: privat
Im Interview: Robert Vehrkamp

Senior Advisor im Programm „Demokratie und Zusammenhalt“ der Bertelsmann Stiftung und Gastprofessor am Institut für Demokratieforschung der Leuphana Universität in Lüneburg.

Robert Vehrkamp: Weil sie zwar keine verlässliche Prognose für künftiges Wahlverhalten mehr sind, aber weiterhin Stimmungsbilder zeigen, die sich verfestigen und politisches Denken und Handeln dann auch prägen können – am Ende auch das Wahlverhalten.

Was lesen Sie aus den aktuellen Sinus-Studien ab, die Sie soeben ausgewertet haben?

Unser zentraler Befund lautet: Wir haben ein erkennbares Problem in der gesellschaftlichen Mitte. Die gesellschaftliche Mitte verliert an Zukunftszuversicht und wird dadurch empfänglicher für Populismus, wendet sich zunehmend von den etablierten demokratischen Parteien ab.

In der taz befassen wir uns ja eher gern damit, die sogenannte Mitte zu dekonstruieren.

Es stimmt schon, die alte bürgerliche Mitte, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr. Die neue Mitte ist segmentierter und gespalten in ein nostalgisches und ein pragmatisches Milieu. Immer mehr Menschen treffen ihre Wahlentscheidung aber vor allem aus den Lebensrealitäten ihrer Milieus heraus. Feste Parteibindungen sind rückläufig. Der Erklärungswert der Milieus für das Wahlverhalten nimmt deshalb weiter zu.

Und diese neue, zweigeteilte Mitte will die mittigen Parteien nicht mehr?

Die Zustimmung zu den ­Bonner Parteien sammelt sich in den Milieus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht. Die Mitte-unten-Milieus fühlen sich erkennbar entkoppelt.

Die Ampel hat ein wenig mehr verloren als andere Koalitionen zu diesem Zeitpunkt einer Legislaturperiode. Aber die Verluste der Ampel zahlen nur zum geringsten Teil auf das Konto von CDU und CSU ein – und zum viel größeren Teil auf das AfD-Konto und das des Wagenknecht-Bündnisses. Wenn Sie die Parteien der Bonner Republik zusammenzählen – also Union, FDP, SPD, Grüne –, kommen die in den beiden Mitte-Milieus auf gerade noch 50 Prozent Zustimmung. Und da sind die Nichtwählenden schon rausgerechnet. Es würde sich aktuell also nur etwa jeder dritte Wahlberechtigte für eine der Ampelparteien oder die Union entscheiden. Das ist eine dra­matische Entwurzelung. Gleichzeitig sehen wir eine wieder deutlich stärkere soziale Konfliktlinie: Die Zustimmung zu den ­Bonner Parteien sammelt sich in den Milieus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht. Die Mitte-unten-Milieus fühlen sich erkennbar entkoppelt.

Die Ampel als Elitenveranstaltung. Wie konnte das passieren?

Ergebnisse der Sinus-Studie

Trübe Aussichten Nur noch jeder vierte (26 Prozent) der Menschen im nostalgisch-bürgerlichen Milieu, der traditionellen, von Abstiegsängsten bedrohten Mittelschicht, blickt optimistisch in die Zukunft. Der Verlust an Zuversicht seit 2022 fällt sowohl dort als auch im adaptiv-pragmatischen Milieu, der jungen und zielstrebigen Mitte, mit etwa 20 Prozentpunkten doppelt so hoch aus wie im Durchschnitt.

Schuldenbremse lockern Mehr Schulden aufzunehmen, fände eine Mehrheit der Menschen mit mittleren Einkommen in Ordnung, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass dieses Geld für zukunftsweisende Investitionen, wie Schulen, den öffentlichen Nahverkehr oder besseren Klimaschutz, verwendet würde. Den Angaben zufolge würden dann 73 Prozent der Befragten für eine höhere Schuldenaufnahme plädieren.

Keine Mehrheit für Ampel Von den „nostalgisch-bürgerlichen“ hätten Ende Februar nur 17 Prozent die Ampelparteien gewählt. 28 Prozent würden ihr Kreuz bei CDU und CSU machen, 34 Prozent bei der AfD und 9 Prozent bei der neuen Partei von Sahra Wagenknecht (BSW). Bei der veränderungsbereiten „adaptiv-prag­matischen Mitte“ käme die Ampel auf 26 ­Prozent, die Union auf 30 Prozent, die AfD auf 27 Prozent. Das BSW würde hier nur 4 Prozent holen, wenn bereits jetzt Bundestagswahl wäre. (taz, mit Material von dpa)

Die Elite fällt in einer Krise eben weicher als die Mittelschicht und die sozial prekären Milieus. Die Ampel wird aber auch für Dinge verantwortlich gemacht, für die sie nicht verantwortlich ist. Diese Regierung kann nichts dafür, dass Russland die Ukraine überfallen hat, aber sie bekommt die allgemeine Gereiztheit nach Corona voll zu spüren, verstärkt durch Inflation und sonstige Kriegsfolgen. Das wäre einer unionsgeführten Regierung nicht anders ergangen.

Sie beschreiben eine Spaltung, die der in den USA ähnelt – die Entkopplung, die populistische Neigung. Haben sich viele PolitikbeobachterInnen nicht nun monatelang an der tröstlichen Analyse des Soziologen Steffen Mau festgehalten, dass es die gesellschaftliche Spaltung eigentlich gar nicht gebe?

Wir sind nicht die USA, aber ich habe Maus Buch „Triggerpunkte“ schon etwas anders gelesen, nicht ganz so verharmlosend, wie es einige interpretiert haben. Die Autoren weisen ja durchaus darauf hin, dass es Triggerpunkte gibt und dass sie vermieden werden sollten – vor allem bei den Spaltungsthemen, wie Ungleichheit, Migration und Klima. Und wenn die Parteien das nicht beachten, kann das zu Spaltungen führen. Die öffentliche Diskussion über das Buch war mir da etwas zu abwiegelnd.

Worauf kommt es also an?

Auf die konstruktive Lösung der Probleme, die den Alltag der Menschen bestimmen, von denen sie genervt sind und nicht das Gefühl haben, die Parteien kümmern sich ausreichend darum. Unsere These ist deshalb, dass ein Miteinander der demokratischen Parteien besser wäre als gegenseitige Blockade und ständiger Streit. Die bisherigen Konfliktstrategien – innerhalb der Ampel, aber auch zwischen Ampel und Opposition – verstärken den Eindruck einer alltagsfernen Selbstbezogenheit der Parteien. Das zahlt sich vor allem für die populistischen und Rechtsaußen-Parteien aus.

Was wäre die Alternative?

Die Zinsen und Energiepreise sinken, die Inflation ist gestoppt und die Konjunktur könnte nächstes Jahr deutlich besser sein als dieses. Die demokratischen Parteien sollten diese Chance nutzen, die Stimmung in den Mitte-Milieus wieder zu drehen. Aber die Regierung muss etwas dafür tun, und die demokratische Opposition müsste auch etwas dafür tun, wenn sie von den Verlusten der Regierung stärker profitieren will als jetzt. Es braucht noch einmal ein großes Reformpaket mit Investitionen in Schulen, Verkehr, Krankenhäuser – also in Bereiche, die die Lebensrealität der Menschen prägen. Aber dazu muss die Schuldenbremse gelockert werden. Das geht nur mit der Union.

Glauben Sie dran?

Nein, deshalb muss die Ampel es allein hinkriegen, mit dem Haushalt 2025 noch einmal ein großes Reformpaket zu verbinden. Es ist vielleicht ihre letzte Chance, aber es ist eine!

Müssen wir uns nicht eigentlich an mehr demokratischen Streit gewöhnen, waren denn die Merkel-Jahre nicht eher unnormal streitlos?

Ja, das wird auch in Deutschland das „neue Normal“ werden – und in einer künftigen, vielleicht unionsgeführten Regierung nicht anders sein. Ein Merz als Kanzler, mit beispielsweise Söder und Kühnert im Kabinett, wäre jedenfalls nicht von vornherein konfliktfreier als die jetzige Ampel. In Mehrparteienkoalitionen müssen die Parteien untereinander leisten, was die alten Volksparteien früher innerparteilich geleistet haben. Wie das gehen kann, hat die Ampel in ihren Koalitionsverhandlungen vorgemacht. Der gelungene Verhandlungsprozess und der sehr gute Koalitionsvertrag sprechen für sich. Aber die Ampel hat das dann nicht hinreichend in den Regierungsalltag ihrer Koalitionspraxis übersetzt. Ihr Koalitionsmanagement ähnelt noch immer viel zu sehr der Regierungspraxis, mit der Helmut Kohl in den 80er und 90er Jahren seine schwarz-gelbe Lagerkoalition gemanagt hat. Das funktioniert aber nicht mehr.

Was schwebt Ihnen vor? ­Partys statt Koalitionsausschuss?

Genau! Und dann eine Studie zur Wirkung der Cannabis-Freigabe auf das Koalitionsklima (lacht). Aber im Ernst: Etwas mehr Koalition sollten die Ampelparteien schon wagen. Im Kanzleramt koordinierte Ressortabstimmungen und Koali­tionsausschüsse sind für die Orchestrierung komplexer Mehrparteienkoalitionen einfach nicht mehr ausreichend. Die Koalitionsstrukturen müssten sehr viel stärker parlamentarisiert werden. Die Regierungsfraktio­nen müssen mehr miteinander zu tun bekommen, an gemeinsamen Themen arbeiten, sich für gemeinsame Themen auch gemeinsam verantwortlich fühlen. Interfraktionelle „Missionsausschüsse“ wären dafür ein Modell, in denen die Koalitionsfraktionen institutionalisiert, also laufend an ihren wichtigsten gemeinsamen Anliegen arbeiten.

Viele haben aus dem Dauerstreit den Schluss gezogen, dass es auf den Kanzler ankomme – der sei für Machtworte zuständig.

Das ist Adenauer-Nostalgie oder Schröder-Mythos, je nachdem! In einer polarisierten Mehrparteienkoalition kann es keine Basta-Kanzler mehr ­geben. Aus der Richtlinienkompetenz ist längst eine Modera­tions­kompetenz geworden. Richtlinienentscheidungen des Kanzlers gibt es nur noch, wenn die Koalitionspartner quasi darum betteln, wie beim Atomausstieg. Mehrparteienkoalitionen ticken eben ganz anders als Einparteienregierungen oder Lagerkoalitionen. Die skandinavischen Länder haben seit Jahrzehnten viele Erfahrungen mit solchen Strukturen. Dazu gehört auch das Regieren mit flexiblen Mehrheiten, was ja bei uns immer irreführend als „Minderheitsregierung“ bezeichnet und damit von vornherein schlechtgeredet wird.

Also lieber eine rot-grüne Minderheitsregierung als die Ampel?

Nicht unbedingt, aber das Regieren mit flexiblen Mehrheiten als Instrument auch in Mehrheitskoalitionen zu nutzen, das sollten wir schon lernen!

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24 Kommentare

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  • Eine Gesellschaft kann auf Dauer nun einmal nur dann funktionieren, wenn ihre Mitglieder für einander einstehen.



    Wenn jeder „Mitte“ (lies: „normal“) oder „Elite“ (selbsternannte „Leistungsträger“) sein will und deshalb Vorrechte für sich einfordert, bricht die Gesellschaft irgendwann auseinander.



    Die Politik zieht es halb, halb sinkt sie hin. Bertelsmann und Springer fordern immer wieder als „Wissenschaft“ oder „Presse“, mehr für Leistungsträger und Normale zu tun. Alle anderen werden ausgegrenzt. Und dann wundert man sich, wenn das die Bürger:innen stresst, unter Druck setzt, ihnen Angst macht und sie letztlich denen in die Arme treibt, die ein einfaches äußeres Merkmal fürs Normale haben, nämlich die Kartoffeligkeit, und eines für die Leistung, nämlich den Gesamtbetrag an vermiedenen Steuern.

  • >Die alten BRD-Parteien

    Was sind denn alte BRD-Parteien? Gibt es die BRD nicht mehr?

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Weil sie nicht an einem Strang ziehen, sagt Robert Vehrkamp."



    --



    Ach, zögen doch alle an einem Strang...



    Bertelsmann stets. mittenmang -



    D a s ist der Demokratie-Untergang.



    taz.de/Unsicherhei...bb_message_4680037

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @95820 (Profil gelöscht):

      Wenn sich noch Springer dazu gesellt,



      gibt es Duelle um die Welt:



      taz.de/Schlagabtau...nd-Voigt/!6004119/

  • Es liegt daran, dass die Mehrheit der Menschen nicht in der mittleren bis oberen Blase lebt.



    Sie kämpfen täglich mit Problemen und Anforderumgen,von denen die Blase keine Ahnung hat.

    Jetzt sollen die Preise von Fleischwaren und Eiern steigen. Ein Politiker, der dazu im Fernsehen befragt wurde, machte die Sorge der Menschen davor lächerlich.



    Es handle sich ja nur um ein pasr Cent.



    Für die Blasenbewohner ist dies nicht mal einen Gedanken wert.

    So richtig die Massnahmen sind. So völlig lebensfern sind sie jedoch in der Wirklichkeit.

    Die Zahl der Obdachlosen steigt. Wie die Autorin eines Beitrages hier, muss auch ich jeden Tag an ihnen vorbei. Ich lebe nicht in Berlin somdern in einer mittelgrossen Stadt. Es sind in einer Strasse über 20



    Menschen, die in Hauseingängen liegen. Einige im Eingang des ehemaligen Galeriagebäudes und von C&A.

    Wir lassen immer noch mehr Menschen ins Land, ohne die,die jetzt schon da sind ,überhaupt menschenwürdig zu versorgen und unter zu bringen.

    Jede/r, der Schutz benötigt soll dies auch bekommen. Aber so kann es nicht weitergehen.

    Ein Blasenbewohner fährt wohl im Auto vorbei und sieht das nicht. Die Anderen sehen es, bemerken es im eigenen Alltag und wenden sich von dieser Politik ab.



    Das wird noch mehr nach rechts rücken. Es ist beängstigend!

    • @MIA R.:

      "Ein Blasenbewohner fährt wohl im Auto vorbei und sieht das nicht. "

      Doch aber wad nicht sein darf sein, darf nicht sein.

  • Gibt es denn irgendwo einen Fragenkatalog zur Selbsteinordnung analog der Sinus-Milieustudie ?



    Ich wüsste jetzt nicht so genau wie ich mich verorten sollte zumal Eigen- und Frendwahrnehmung, gern mal stark abweichen.

  • Das Interview krankt daran, dass der Bertelsmann-Angestellte mithilfe der Sinus-Milieus versucht Politik zu erklären.

    Die sogenannten Sinus-Milieus halten keiner empirisch-wissenschaftlichen Überprüfung statt. Sie sind eine reine Erfindung der Sinus Gmbh, die damit Umsatz macht.

  • Ich habe meinen politischen Standpunkt (ehemals Anhänger der Liberalen nach Art der Bonner Republik, mit Sinn für soziale Fragen) im Laufe der Jahre immer wieder überprüft aber nie verändert. Und musste mit Schrecken feststellen, dass alle "Bonner Parteien" inzwischen nach rechts und populistisch an mir vorbei gezogen sind* - selbst rot & grün, die früher mal links von mir standen. Tja.

    *gleiches gilt auch für erschreckend viele Medien

    • @B. Iotox:

      Ein "Trend" der in vielen westlichen Industrieländern zu beobachten ist. Zu viele reale und gefühlte Krisen, die politisch oder wirtschaftlich nicht gelöst werden, erwecken die konservative Seite bei den Bürgern und das kann dann noch gesteigert werden.

  • Machen die Parteien wirklich soviel falsch?

    Ich glaube es ist eher die Bevölkerung selber, die sich in verschiedene Richtungen entwickelt - die Parteien bedienen ihr Klientel und können nicht alle gleichzeitig bedienen, das ist zu gegensätzlich. Die CDU hat unter Merkel genau die Politik "ihrer" Wähler gemacht und wurde dafür auch gefeiert und gewählt. Jetzt will der Wähler aber nicht mehr das, was er vorher unbedingt wollte. Die Wähler der Grünen (und anderen Parteien) haben auch konstant, zunehmend und über Jahre gesagt, dass sie viel mehr Klimapolitik wollen und ein riesiges Versagen in der Vergangenheit sehen. Jetzt haben wir mehr Klimapolitik, aber der Wähler will jetzt etwas anderes (z.B. billige Energie für die Wirtschaft). Viele Wähler der SPD und Linken wollten mehr soziale Gerechtigkeit - jetzt sind die Sozialetats zu hoch.

    Natürlich sollten Parteien auch ihren Kurs korrigieren, aber viel von dem "Durcheinander" scheint mir aus der Bevölkerung, vom Wähler zu kommen. Die Parteien irren oft mehr hilflos zwischen den sich ändernden Trends umehr, als dass sie die Auslöser wären. Das Potenzial der Parteien die Situation zu verbessern ist daher vielleicht auch begrenzt.

    • @Markus Michaelis:

      Ja, der Wähler will etwas unmögliches: Fortschritt und ewiges Wachstum: wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Aber ohne die negativen Folgen. Die Naturgesetze kann man aber nicht abwählen.



      Je besser die KI wird, umso dümmer werden die Menschen in der Mehrheit. Die haben in der Demokratie aber das Sagen!

  • Daß Vertrauen in die "etablierten"Parteien schwindet kann doch niemanden wundern. Die Ampel -Etablierten liefern nicht viele echte Ergebnisse, mehr Absichten und Worte. Und von der CDU kann man kaum mehr erwarten. Wo sind denn die Wohnungen? Bestenfalls Planungsdaten in Computern. Wo sind die Elektrotrassen? Verkehrswende? Im Schleichgang, wenn überhaupt. Wer braucht eine SPD, wenn selbst die Kinderarmut auf Höchstniveau einfach ignoriert - von der FDP erwartet man nichts anderes.



    Aber AFD oder Linke, bzw BSW sind auch kein Licht am Ende des Tunnels. Sondern drei Lichter, die viel zu schnell näher kommen...

  • Ab durch die Mitte

    Zitat: „Die alten BRD-Parteien kommen vor allem in der Mitte der Gesellschaft immer weniger an. Weil sie nicht an einem Strang ziehen,“

    Wenn alle Parteien an einem Strang zögen, würden sie ununterscheidbar. Dies wäre dann eben gerade die Ursache für ihre schwindende Akzeptanz „in der Mitte der Gesellschaft“. Was denn sonst?

  • es klingt so als seien alle mittigen Parteien an einer vernuftbasierten Politik und Problemlösung interessiert, das ist aber leider nicht so. Parteien bedienen Partikularinteressen und auch Klischeevorstellungen der eigenen Wählerschaft (und zwar alle Parteien), deshalb ist die FDP z.B. so für die Schuldenbremse und gegen eine Wirtschaftsförderung die evidenzbasiert einen Aufschwung bringen kann. Über das Wie kann man streiten, es geht aber um das Ob. Und wenn einer gar nict will, hilft auch ein Kompromiss nichts.



    Wenn die FDP eben glaubt der Markt regelt es schon, also eigentlich eine Form der Nichtpolitik vertritt, kann man sich auf keine Form der Politik einigen, die beides tut, Wirtschaft fördern und kein Geld ausgeben, wenn der eine prozyklisch handeln will der andere proaktiv, dann passt das einfach nicht. Die CDU tickt da ganz ähnlich, wie soll da ein Konsenz entstehen? Ein Zusammenarbeiten , das dem großen Ganzen dient? Das ist schlicht unmöglich (das war übrigens schon immer so, nur waren die Rahmenbedingungen günstiger, weshalb das nicht so auffiel). Zu glauben, es müssten alle Parteien der Mitte sich nur einmal zusammensetzen.... ein Wunschtraum.



    Wenn einer Unsinn möchte und der andere etwas Rationelles im Sinn hat (einmal ganz parteineutral formuliert) ist auch ein Kompromiss eben immer noch Unsinn , bei 4 oder 5 Parteien, na das ist Mathematik, die Wahrscheinlichkeit für rationale Lösungen sinkt mit der Anzahl der am Kompromiss teilhabenden. Wenn Lindner Wirtschaftswachstum ohne Investitionen erzeugen will, ist das zwar ein hehres Ziel wird aber nicht klappen.



    Allein deshalb ist es illusorisch zu glauben, alle müssten nur einmal richtig miteinander reden.



    Ohne das Gefühl eines handelnden Staates, ein Staat der Entscheidungen trifft (das dürfen auch mal falsche sein) wird das nichts mit der afd-kleinhalterei. Das wird einfach nichts.

    • @nutzer:

      Das glaube ich auch.

      Die Menschen wollen das Gefühl eines sich kümmernden Staates, der einen Plan hat.

      Dann darf dieser Staat gelegentlich auch Fehler begehen.

      Und wenn alle wieder Eigenverantwortung schreien: Eigenverantwortung geht doch nur, wenn die Dinge, die Einzelne gar nicht regeln können, sicher geregelt sind:

      Wohnen ohne große Erbschaften.



      Krankenhäuser.



      Bildung mit normalen Einkommen.



      Verkehrsinfrastruktur.



      Wasser, Energie, fubktionierende Verwaltung usw.

      Nur, wenn diese Dinge sicher sind, kann der einzelne Mensch wirklich freie, eigenverantwortlich Entscheidungen treffen.

      Denn ansonsten sind wir die ganze Zeit nur mit Überleben und Vorsorge beschäftigt.

    • @nutzer:

      Als Antwort, oder Frage, nochmal von einer anderen Seite, was ich schon in meinem Post schreibe: liegt das wirklich so sehr an den Parteien? Ein Problem scheint mir auch hier der Wähler selber: er erwartet die Umsetzung *richtiger* Lösungen. Das Problem ist aber oft (meist?), dass es keine im höheren Sinne richtigen Lösungen gibt. Schuldenmachen kann richtig oder falsch sein, dass hängt von sovielen Dingen ab, die unbekannt sind, die Zusammenhänge sind komplex, es hängt davon ab, mit welchen Maßnahmen man es kombiniert etc. Das gilt für alle anderen Entscheidungen auch.

      Eigentlich kann man daher nur sagen: wir entscheiden uns JETZT für oder gegen Schulden (oder irgendwas), aus diesen und jenenen Überlegungen - und wir werden laufen anpassen, je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln.

      Der Wähler erwartet aber absolute Aussagen, Maßnahmen, Programme, die richtig sein sollen und dann auch nicht mehr korrigiert werden. Solange man diese Erwartung hat, dürfte es schwierig bleiben?

      • @Markus Michaelis:

        der fehler besteht doch darin, die schuldenbremse als popanz aufzubauschen, dass es schier unmöglich ist diese der realität anzupassen.



        wenn man das werkzeug nicht der realität anpasst, sondern sich verpflichtet alles mit diesem einen werkzeug zu reparieren und andere werkzeuge zu verteufeln, dann ist genau dieser dogmatismus das problem.



        klar, schulden machen ist nicht per se gut, es geht immer um aufwand und ertrag, nützt es, um das gewünschte ziel zu erreichen?



        aber genau diesen dogmatismus haben die parteien selbst eingeführt, aus (ökonomischer) unwissenheit, aus dem bauchgefühl heraus, weil es sich den wählern gut verkaufen ließ und lässt, klar, wer findet es nicht gut, wenn wir in D unsere tugenden beweisen können.



        die politik hat sich nicht darauf verständigt lösungen für probleme zu finden, sondern sich die hände gebunden, um zu beweisen wir sind besser als andere, wir sind sparsam. es wird über völlig falsche themen diskutiert. und die schuldenbremse medial in den fokus gestellt, nicht das problem, der rezession, der deindustrialisierung, das abgehängt werden von zukunftstechnologien...



        dieses feld wurde medial von den parteien bestellt und beackert, jetzt ist es nicht einfach wieder zu ändern, jetzt will ein großteil der wähler, dass was ihnen jahrelang als lösung verkauft wurde. jetzt will die wählerschaft die pinzette und nicht den akkuschrauber.

      • @Markus Michaelis:

        natürlich liegt das an den Parteien, bzw. wie die Parteien in D funktionieren. Laut GG sollen sie bei der Willensbildung _mitwirken_ das ist aber schon lange obsolet denn die Parteien wollen in _allen_ Lebensbelangen mit entscheiden und haben die "Mitwirkung" Monopolisiert. Damit sind sie praktisch überfordert und fahren den Laden gegen die Wand, speziell weil dann noch Ideologie eine Rolle spielt vs Realität.

  • Ersteinmal vielen Dank für dieses wirklich interessante Interview.

    ...." nicht an einem Strang ziehen " - kommt schon auf die Thematik an.



    Bei dem gerade verabschiedeten EU-Asylgesetz - reichte offenbar leider - überwiegend ein Strang.



    Ausnahme bei der Abstimmung gab es überwiegend bei der Linken...

    Ansonsten gehe ich durchaus konform, gerade auch was die Quintessenz, des



    lernens vom Umgang mit Mehrheitskoalitionen angeht, sehe ich auch so - sowohl für unsere politischen Volksvertreter, wie auch für uns Wähler.

    Auf eine innovative Zukunft für unsere Demokratie.

  • "Die Zustimmung zu den ­Bonner Parteien sammelt sich in den Milieus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht. Die Mitte-unten-Milieus fühlen sich erkennbar entkoppelt."

    Das ist leider das Hauptproblem. Und wenn man dann noch berücksichtigt, dass auch die etablierten Parteien immer populistischer agieren (die SPD kann man hier vielleicht ein wenig in Schutz nehmen), dann sollte man nicht irritiert sein, dass Wähler gleich "Originale" wählen.

    • @Alexander Schulz:

      die SPD braucht man überhaupt nicht in Schutz nehmen, die ist ein Teil des Problems. Die sagt im Vorfeld etwas und stimmt dann gegenteilig ab, hat ja nicht umsonst den Ruf der "Umfallerpartei".

      • @Thorsten Gorch:

        Deswegen schreib ich ja auch nur ein wenig in Schutz nehmen. Lediglich im Vergleich zu den anderen etablierten Parteien fällt auf, dass es noch überproportional viele Sachpolitiker gibt und etwas weniger Populismus.

  • Wunderschön dieser Facettenreichtum in der deutschen Sprache. Zur "nostalgisch-bürgerlichen" und "adaptiv-pragmatischen" wird sich zukünftig noch die "maladaptiv-romantische" gesellschaftliche Mitte hinzugesellen.

    Ich habe vor gut 20 Jahren die deutsche Sprache erlernt, um Goethe, Kafka, Brecht und Kleist im Original lesen zu können. Aber seit Mandarinninen (in einem anderen Artikel der taz) bin ich raus und wende mich wieder Shakespeare, Shaw und Byron zu.

    Und zum Thema: Wer nicht gelernt hat seine Politik auch entsprechend zu kommunizieren, der darf sich nicht wundern, dass er vom Wähler nicht mehr verstanden wird und dieser sich anderen Parteien zuwendet oder der Wahlurne fernbleibt.

    Der Großteil der Wähler trifft seine Wahlentscheidung aufgrund einer ganz simplen Logik. "was tut die Politik für mich?"