Podien-Einladungen für die AfD: Eine Bühne für Rechtsextreme
Wie soll man mit der AfD umgehen? Der Deutsche Bauernverband und mehrere Industrie- und Handelskammern bieten AfD-Politikern immer wieder ein Podium.
H annes Gnauck trägt einen strengen Seitenscheitel. Genau so einen, wie ihn viele Rechtsextreme mögen. Der Brandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete sieht nicht nur rechtsextrem aus – er ist es auch: Mitte 2021 wurde bekannt, dass der Militärische Abschirmdienst den Soldaten Gnauck als Extremisten eingeordnet hatte.
Im Oktober 2022 wurde Gnauck Bundesvorsitzender der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative für Deutschland. Die ist vom Bundesamt für Verfassungsschutz im April 2023 als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ kategorisiert worden, schon seit 2019 galt sie als „Verdachtsfall“. Gnauck selbst hatte im Kreistag Uckermark unter anderem vor einer „gesellschaftszersetzenden Asylmaschinerie“ und einer „höllischen Symbiose aus Wirtschaftseliten, radikaler Linker und Erfüllungsgehilfen der Migrationslobby“ gewarnt, wie er in einem Interview der Märkischen Oderzeitung bestätigte.
Trotzdem bot die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostbrandenburg auf ihrer Internetseite vergangenes Jahr neben den anderen Bundestagsabgeordneten aus dem Kammerbezirk auch Hannes Gnauck die Möglichkeit, seine „Erfahrungen nach einem halben Jahr der neuen Legislatur“ zu schildern. Und zwar unkommentiert und ohne Einordnung, also anders als etwa Medien wie die taz mit Wortmeldungen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen umgehen.
Unter einem großen Porträtfoto, am Revers einen Anstecker der Jungen Alternative, durfte sich Gnauck unwidersprochen als Opfer „des Umgangs der etablierten Fraktionen mit der AfD-Fraktion“ präsentieren. Mit der „planlosen Sanktionspolitik gegen Russland“ verschärfe sich die wirtschaftliche Lage, schrieb Gnauck. Außerdem konnte er auf der IHK-Website angeblich „anstehende Versorgungsengpässe“ kritisieren.
Auch andere IHKs, Handwerkskammern sowie der Deutsche Bauernverband haben der AfD ein Forum gegeben und sie zu Podiumsdiskussionen eingeladen. Auf den Internetseiten mancher dieser Verbände konnte die AfD ebenfalls unkommentiert ihre Propaganda verbreiten. Das zeigen eine taz-Umfrage unter den Organisationen sowie Veröffentlichungen der Verbände. Es ist die erste überregionale Auswertung zu dieser Frage.
Die Ergebnisse belegen, dass die meisten befragten Verbände wie Gewerkschaften, Umweltgruppen und Industrieorganisationen die AfD nicht einladen. Die Kammern und der Bauernverband aber verpassen dieser Brandmauer gegen die rechtsradikale Partei Risse. Das könnte dazu beitragen, dass immer mehr Menschen die AfD als normale und damit wählbare Partei wahrnehmen. Die AfD erreicht derzeit in Meinungsumfragen besonders hohe Werte um die 18 Prozent.
„Organisationen wie der Bauernverband oder die Industrie- und Handelskammern sollten die AfD nicht zu Podien einladen und ihr keine Bühne geben“, sagt Hendrik Cremer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte, das vom Bundestag finanziert wird. „Die AfD vertritt keine legitimen Positionen, sondern greift die freiheitlich-demokratische Grundordnung an.“ Denn die Programmatik der Partei sowie Äußerungen von führenden AfD-Politikern zielten darauf ab, die in Artikel 1 des Grundgesetzes verbriefte Garantie der gleichen Menschenwürde für alle abzuschaffen.
„Darüber hinaus haben Führungspersonen der Partei bereits erkennen lassen, dass sie Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der Ziele der AfD anstreben.“ Zudem hätten Politiker der Partei nationalsozialistische Verbrechen relativiert und sich zum Nationalsozialismus bekannt. Cremer sieht in der AfD mittlerweile eine so große Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, dass das Bundesverfassungsgericht sie auf Antrag verbieten könnte.
„Die AfD ist daher auch nicht wie jede andere demokratische Partei zu behandeln“, sagt Cremer. Es mangele aber in vielen Institutionen an einem Bewusstsein für die Gefahr, die von der AfD ausgehe.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht bei der Partei so viele Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen, dass es die AfD als „Verdachtsfall“ führt. So hat ihr heutiger Ehrenvorsitzender, Alexander Gauland, 2018 als Bundessprecher der Partei gesagt, die Nazizeit sei „nur ein Vogelschiss in unserer über tausendjährigen Geschichte“. Das wurde als Verharmlosung des Hitler-Regimes kritisiert.
AfD-Kommunalpolitiker griffen bereits mehrfach Andersdenkende gewaltsam an. Der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio rief 2020 kaum verhohlen zu einem gewaltsamen Umsturz auf, indem er sagte: „Setze ein Zeichen für die Beendigung der Herrschaft des Unrechts, setze ein Zeichen an den Iden des März.“ Mit dieser Zeitangabe sind gemeinhin die Tage um die Ermordung Julius Cäsars gemeint.
Alice Weidel, Chefin der AfD-Fraktion im Bundestag, schimpfte im Parlament 2018 über „Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“. Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erteilte ihr dafür einen Ordnungsruf, weil sie alle Frauen mit Kopftuch diskriminiert habe.
Dennoch wird die AfD von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) nicht klar ausgegrenzt. Diese Institution soll die Interessen der Unternehmen in wirtschaftlichen Fragen vertreten und organisiert die regionalen IHKs. DIHK-Sprecher Frank Thewes antwortet auf die Frage, ob sie die AfD einlade, nur vage: „Zu Veranstaltungen und zum Austausch laden wir Referentinnen und Referenten bzw. Diskussionsteilnehmerinnen- und teilnehmer wie Gäste in der Regel themenabhängig ein.“ Tatsächlich war Alice Weidel im Mai 2017 bei einer DIHK-Diskussion mit anderen Parteien über Steuerfragen dabei. Im April 2019 war der damalige AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen Podiumsteilnehmer einer Diskussion im Vorfeld der Europawahl.
Auf lokaler Ebene gibt es aus jüngerer Zeit noch mehr und teils umstrittenere Kontakte zur AfD. „Wir versuchen, die AfD wie auch jede andere Partei oder Wählergruppe zu behandeln“, schrieb der wochentaz Norma Groß, Sprecherin der IHK Ostbrandenburg, auf deren Internetseite sich der Rechtsextremist Gnauck präsentieren durfte. So habe man zu einer Podiumsdiskussion Ende März mit den Kandidaten für die Landratswahl im Kreis Oder-Spree auch den AfD-Kandidaten Rainer Galla eingeladen, ergänzte Groß. Wenig später verpasste Galla nur knapp einen Sieg in der Stichwahl.
Die IHK Neubrandenburg lud Mitte August 2021 zu einem „Wahlforum mit den Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern“ Leif-Erik Holm von der AfD ein. Vergangenen März und Mai trat er bei der dortigen Kammer als Kandidat für die Schweriner Oberbürgermeisterwahl auf, wo er am 10. Juni in der Stichwahl steht.
Auch im Westen gingen IHKs so vor. Im Mai 2022 etwa veranstaltete die IHK Mittlerer Niederrhein laut Geschäftsbericht vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eine „Wahlarena“, wobei auch ein AfD-Kandidat auf dem Podium saß. Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag kündigte auf taz-Anfrage an, vor der Landtagswahl im Oktober 2023 auf seiner Homepage die SpitzenkandidatInnen aller Parteien zu Wort kommen zu lassen, die bereits im Landtag sitzen oder in Umfragen über oder nahe der Fünfprozenthürde liegen – also auch die AfD. Auch Videotalks unter dem Titel „3 Fragen, 3 Antworten“ werde es mit der Partei geben.
Den Hintergrund der AfD-Kontakte von Industrie- und Handelskammern erklärt DIHK-Sprecher Thewes so: „Die Deutsche Industrie- und Handelskammer ist als Kammer des öffentlichen Rechts per Gesetz zur politischen Neutralität verpflichtet.“ In den Kammern müssen alle Unternehmen Mitglied sein, die gewerbesteuerpflichtig sind. Offenbar befürchten die Institutionen, dass die AfD sich in ihre Veranstaltungen einklagen könnte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„Wir haben keine andere Wahl, als die AfD wie andere Parteien zu behandeln“, sagt zum Beispiel Lutz Mäurer, Sprecher der IHK Mittlerer Niederrhein. Er nennt ein Urteil des saarländischen Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2019: „Dort wurde entschieden, dass die NPD mit dem Verweis auf verfassungsfeindliche Ziele nicht von IHK-Podiumsdiskussionen ausgeschlossen werden darf.“ Allerdings gab die IHK Saarland damals nach der ersten Instanz auf und lud den NPD-Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl in Saarbrücken ein. „Wir haben keinen Widerspruch eingelegt“, sagte Kammersprecher Mathias Hafner.
Andere IHKs sind anders vorgegangen. Die Kammer in Düsseldorf etwa sagte ihre Debatte vor der Bundestagswahl 2021 ab, nachdem die Kandidaten Thomas Jarzombek (CDU) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ihre Teilnahme verweigert hatten, weil auch eine AfD-Politikerin eingeladen worden war. Man wolle sich „nicht mit Anti-Demokraten auf eine Bühne“ setzen, schrieb Strack-Zimmermann damals. Als Ersatz stellte die IHK eine schriftliche Stellungnahme der AfD zu den vier Themenschwerpunkten der Diskussion online. Auch die IHK Regensburg blies ein für Mitte Juli 2021 geplantes Podium ab, da Grüne, SPD und Linkspartei aus Protest gegen die AfD abgesagt hatten.
Die Handwerkskammern Dresden, Oberfranken oder Hamburg hingegen hatten die AfD auf Wahlpodien zu Gast. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks teilte der wochentaz mit: „Bei Veranstaltungen im Haus des Deutschen Handwerks, die sich an die Gesamtheit der gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages richten, wird nicht differenziert.“ Fragen zu den Gründen ließ der Verband unbeantwortet.
Der Umgang mit der AfD könnte sich ändern, wenn der Verfassungsschutz die Partei insgesamt als verfassungsfeindlich brandmarkt oder sie sogar verboten wird. „Ich kann mir vorstellen, dass einige Verbände auf solche Schritte warten“, sagt Eric Linhart, Politikprofessor an der Technischen Universität Chemnitz.
Anders als die öffentlich-rechtlichen Kammern muss der Deutsche Bauernverband (DBV) keine Klage der AfD fürchten, wenn er auf Einladungen an die Partei verzichten würde. Schließlich ist er ein privatrechtlich organisierter Verein. Dennoch heißt es auf taz-Anfrage beim Bauernverband: „Der DBV lädt gewählte Abgeordnete aus allen im Bundestag vertretenen Parteien ein, beispielsweise zum Agrarpolitischen Jahresauftakt.“
Bei der diesjährigen Ausgabe dieser Diskussionsveranstaltung mit Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsparteien im Januar saß auch AfD-Chefin Weidel auf dem virtuellen Podium, wie ein Video im offiziellen Youtube-Kanal des Bauernverbands zeigt. Wie aus dem Verband zu hören ist, lade er die AfD immer dann ein, „wenn es darum geht, das im Bundestag vertretene Parteienspektrum in öffentlichen Podien abzubilden“. Bei Einladungen zu Empfängen und parlamentarischen Veranstaltungen gelte es zudem, „die protokollarischen Mindestanforderungen einzuhalten“. Im Bauernverband sind nach eigenen Angaben 90 Prozent der knapp 300.000 landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland organisiert.
Weidel nutzte ihren Auftritt beim Bauernverband, um bei den Landwirten um Stimmen zu werben. Wenn ein Teil der Agrarfläche – wie von der EU geplant – der Natur überlassen werde, würde das dazu führen, „dass unsere eigene Versorgungssicherheit gefährdet wird“: „Wir machen uns dadurch vom Ausland vermehrt abhängig.“
Weidels diskriminierende Ausfälle waren während der Diskussion kein Thema. Die AfD-Chefin vermied schrille Töne und sagte das, was viele Bauern über Umweltschutzpolitik denken. Auch der Bauernverband argumentiert immer wieder gegen „Stilllegungen“ von Äckern und Weiden. Sehr skeptisch steht er aber der grundsätzlichen Kritik der AfD an der EU gegenüber, da EU-Agrarsubventionen die meisten Höfe mitfinanzieren.
Im Gegensatz zu anderen Agrarorganisationen lasse er sich nicht von der AfD als Sachverständiger zu Anhörungen in Parlamenten einladen, heißt es beim Bauernverband. Auch nichtöffentliche Gespräche fänden nicht statt. Vertreter des Verbands nähmen auch nicht an AfD-Veranstaltungen teil.
Ein Sprecher der Bauernprotestbewegung LSV Deutschland dagegen sagte einen geplanten Auftritt auf einer AfD-Werbeveranstaltung Ende März erst ab, nachdem er ihn zunächst verteidigt und die eher linke Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in der taz sein Verhalten kritisiert hatte. Das Lobbyunternehmen Freie Bauern Deutschland GmbH bestätigte seinerzeit, es spreche außer etwa mit Grünen, SPD, FDP und Linken auch mit der AfD. Die Freien Bauern hätten sich zudem als Sachverständige von der AfD in den Bundestag einladen lassen. Nach Erscheinen des Artikels begann die Organisation einen Rechtsstreit mit der taz.
Dass Verbände auch großen Abstand zur AfD halten können, zeigt zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund. Dessen Bundesvorstand teilte mit, der DGB lade die AfD zu keinen Veranstaltungen ein. Als Grund nannte ein Sprecher: „Die Politik der AfD ist rassistisch, menschenverachtend, demokratie- und gewerkschaftsfeindlich.“ Ähnlich äußerten sich die Industriegewerkschaft Metall, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und die Gewerkschaft der Polizei.
Auch der Bundesverband des Naturschutzbunds, die Umweltorganisation BUND, der Ökobauernverband Bioland, der ADAC sowie der Sozialverband VdK gaben auf Anfrage an, die AfD nicht einzuladen. So verfahren nach eigenen Angaben ebenfalls der Deutsche Fußball-Bund und der Deutsche Olympische Sportbund.
„Die AfD ist zwar eine demokratisch in den Deutschen Bundestag gewählte Partei, sie ist aber selbst keine demokratische Partei“, begründet der VdK seine Haltung. Immer wieder machten ihre Repräsentanten durch Äußerungen auf sich aufmerksam, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Menschenwürde und dem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe widersprächen.
Selbst die konservative Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schrieb: „Wir laden AfD-Vertreter nicht ein, um bei BDA-Veranstaltungen aufzutreten oder teilzunehmen.“ Der Bundesverband der Deutschen Industrie teilte immerhin mit, die AfD wolle keine Regierungsverantwortung übernehmen, „deshalb laden wir aktiv keine AfD-Politiker zu uns ein“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“