Open-Source-Software an Universitäten: Angst vor Microsoft

Anbieter von freier Software fürchten, dass ihre Programme durch kommerzielle Angebote ersetzt werden. Die haben oft Datenschutzmängel.

Person am Computer

In der Corona-Krise haben kommerzielle Angebote wie Zoom deutlich an Popularität gewonnen Foto: Maskot/plainpicture

BERLIN taz | Das Coronavirus hat die Lehre an der Carl-von-Ossietzky-Uni in Oldenburg auf den Kopf gestellt. Rund 3.500 Veranstaltungen finden jetzt online statt, die Zahl der Videokonferenzen hat sich verzigfacht. „Corona hat in vier Wochen geschafft, was wir in 10 Jahren nicht erreicht haben – die Lehrenden für die digitale Lehre zu begeistern“, sagt Nico Müller, verantwortlich für den Campusmanagementbereich der Uni Oldenburg.

Trotzdem ist die Uni nicht auf kommerzielle Produkte umgeschwenkt. An der Universität Oldenburg sind 16.000 Studierende eingeschrieben – und so viele benutzen auch die Open-Source-Lernplattform „Stud.IP“.

Open Source bedeutet, der Quellcode der Systeme ist frei verwendbar, meist pflegt eine Community von Freiwilligen die Weiterentwicklung der Lernplattformen.

Anders als an den Schulen, wo sich Open-Source- und proprietäre Plattformen ein Wettrennen liefern, sind die Hochschulen zu 90 Prozent mit quelloffenen Lernmanagementsystemen (LMS) – also Open-Source-Programmen – ausgestattet. Die heißen etwa Moodle, Ilias oder eben Stud.IP, wie an der Uni Oldenburg. In den Systemen werden Seminarunterlagen geteilt und Chats oder Videokommunikation eingebettet.

Bayern und Bawü schon Zoom-Kunden

Obwohl sie an den Unis derzeit kaum Konkurenz haben, fürchten die Open-Source-Anbieter aber einen großen Angriff von Microsoft und dem neuen Videoriesen „Zoom“. Es „besteht die Gefahr, dass die deutschen Bildungseinrichtungen in Abhängigkeit von rein marktwirtschaftlich agierenden Softwarekonzernen geraten“, heißt es in einer Erklärung, die gerade erschienen ist und die von den Vereinen hinter den drei großen Systemen Moodle, Ilias und Stud.IP aufgesetzt wurde. „Die Open-Source-Bildungsplattformen stellen eine kritische Infrastruktur dar, ohne die der Lehrbetrieb an den deutschen Hochschulen nicht aufrecht zu erhalten wäre.“

Die Angst der Open-Source-Community scheint durchaus begründet. Bayern und Baden-Württemberg etwa haben wegen der Coronapandemie bei Zoom Lizenzen für ihre Hochschulen gekauft.

Das Argument für die Kommerz-Anbieter lautet, der Lehrbetrieb funktioniere mit ihnen schlicht besser. „Das ist nicht richtig“, sagt dagegen Cornelis Kater, Leiter des E-Learning Service der Uni Hannover, „es läuft eben oft nicht“. Seine Hochschule habe viel Geld für proprietäre Produkte ausgegeben, deren Code über Jahre nicht weiter entwickelt worden sei. Bei den großen Entwickler-Communities hinter Open-Source-Programmen sei das anders.

Auch Hannovers Leibniz-Universität setzt auf Open Source. In der Coronapandemie musste die Uni ein kommerzielles System durch eines auf Open-Source-Basis ersetzen, um den Ansturm von 2.000 Videokonferenzen täglich zu bewältigen.

Zweifelhafter Datenschutz

Warum lassen sich Lehrende überhaupt auf die teuren Kommerz-Produkte ein, wo es doch die Open-Source-Alternativen gibt? „Da sind oft mehrere Tools miteinander ‚verheiratet‘“, sagt Nico Müller von der Uni Oldenburg. Nutzt man eins der Programme, erscheint es praktisch, auch andere Tools der gleichen Firma zu nutzen.

„Die Lehrenden werden damit regelrecht angefüttert“, sagt Müller. „Die Frage ist nur: Wohin werden die Daten weitergegeben? Ich vermute, bei Zoom wird es noch ein böses Erwachen geben.“

Beim Datenschutz hat Zoom tatsächlich einen zweifelhaften Ruf: So teilte die Firma hinter dem Programm heimlich Daten mit Facebook – und ließ sich ein halbe Million Nutzer-IDs von Hackern klauen. Datenexperten haben Bedenken, was in den Untiefen des Zoom-Codes alles mitgeschnitten werden kann.

Auch um solche Datenschutz-Probleme zu vermeiden, fordern die Vereine hinter Moodle, Ilias und Stud.IP in ihrer Erklärung jetzt „geeignete Finanzierungen“ für Open-Source-Produkte. Vor allem aber drängen die Vereine auf rechtliche Bevorzugung: „Der Gesetzgeber ist gefordert, den Einsatz von Open-Source-Software durch veränderte Vergaberegelungen bei Ausschreibungen besonders zu begünstigen, anstatt sie wie bisher zu benachteiligen.“

Aus dem Bundestag kommen dazu bisher positive Signale. „Ich begrüße die Initiative ausdrücklich“, ließ Anna Christmann von Bündnis 90/Die Grünen mitteilen. Öffentliche Ausschreibungen beförderten unnötig Monopole. „Wir brauchen ein radikales Umdenken der öffentlichen Hand, um Open Source auf allen Ebenen konsequent zu fördern.“

Der hochschulpolitische Sprecher der FDP, Jens Brandenburg, sagte der taz, „wenn die Open-Source-Lösungen auch für die Masse funktionieren, ist das gut. Die Vielfalt kommerzieller Plattformen sollten wir aber nicht verbieten.“ Brandenburg sieht einen Aufbruch an den Hochschulen, den seine Fraktion mit einem Antrag unterstützt. Darin wird die Regierung aufgefordert, „kurzfristig Mittel für das laufende Jahr sowie für Folgejahre aus dem Hochschulpakt für den Ausbau digitaler Lehre zur Verfügung zu stellen.“

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