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Offener Brief jüdischer IntellektuellerSie verharmlosen Antisemitismus

Gastkommentar von Larissa Smurago

Über 100 in Deutschland beheimatete jüdische Intellektuelle haben die Verbote propalästinensischer Demonstrationen kritisiert. Eine Erwiderung unserer Autorin.

Mahnwache nach versuchtem Brandanschlag auf eine jüdische Gemeinde in Berlin am 20.10.2023 Foto: M. Golejewski/AdoraPress

I n einem am 22. Oktober in der taz veröffentlichten offenen Brief appellieren über 100 in Deutschland lebende jüdische Künstler:innen, Schrift­stel­le­r:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen für Meinungsfreiheit und fordern, Proteste von Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und ihren Un­ter­stüt­ze­r:in­nen zu erlauben. Während die Forderung, das Versammlungsrecht für alle gelten zu lassen, berechtigt ist, scheinen die Unterzeichnenden die Realität vieler Proteste schlicht zu verleugnen. Sie verharmlosen damit Antisemitismus und verhöhnen dessen Opfer.

Mahnwachen und Proteste sind – sofern sie friedlich verlaufen – im Grundgesetz verbrieft und gehören damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Gedenkveranstaltungen für die israelischen Opfer der Hamas kommen weltweit ohne antimuslimische Hetze aus. Während die Verhaftung friedlich Demonstrierender und wahllose Repressionen unabhängig vom Anlass des Protests aufs Schärfste zu verurteilen sind, geht die Behauptung der Unterzeichnenden, es gäbe „keine glaubwürdige Verteidigung“ für aktuelle Versammlungsverbote völlig an der Realität vorbei.

Bei ähnlichen Kundgebungen, sei es nun in New York, London oder Sydney („gas the Jews“), waren immer wieder antisemitische Parolen zu hören. Weltweit gibt es eine Explosion antisemitischer Delikte. Auch bei Protesten in Deutschland ist nicht erst seit dem 7. Oktober Sympathie für die Hamas und antisemitische Hetze zu vernehmen. Wurden antisemitische Vorfälle auf Protesten gegen Israel hierzulande bislang meist geduldet, sollen – angesichts des größten Massakers an Juden nach 1945 – derzeitige Verbote Vergleichbares verhindern.

Perfide kehren die Unterzeichnenden das Ganze jedoch um. Sie instrumentalisieren die Gefahr einer Wiederholung der deutschen Geschichte und behaupten, das Problem bestehe nicht in antisemitischen Vorfällen, sondern im Versammlungsverbot. Klar ist: Das Versammlungsverbot darf niemals diejenigen treffen, die ihre Ansichten friedlich kundtun wollen.

Larissa Smurago

wurde in Sankt Petersburg geboren und ist Philosophin und Autorin, etwa für die „Jüdische Allgemeine“. Sie lebt in Berlin.

Auch Kulturschaffende in Israel kritisieren die Regierung

Gewaltlose Proteste sind aber kaum zu erwarten, wenn Aufrufe titeln: „Wir werden Neukölln zu Gaza machen. Zündet alles an.“ Den Unterzeichnenden sind mögliche Beweggründe für zu beklagende antisemitische Straftaten wie den Brandanschlag auf eine Synagoge oder das Markieren von Wohnorten jüdischer Menschen mit Davidsternen allerdings „unbekannt“. Wer die Gleichsetzung von „jeglicher Kritik“ an Israel mit Antisemitismus zurückweist, wird noch lange über die Ursache des derzeitigen Anstiegs antisemitischer Taten grübeln.

Sicherlich ist es grundsätzlich möglich, die Gräueltaten der Hamas zu verurteilen und auch Israel zu kritisieren. Viele Kulturschaffende in Israel und auch viele der Unterzeichnenden sind seit Jahren vehemente Kri­ti­ke­r:in­nen der dortigen Regierung und prangern zurecht Missstände an. Nicht selten jedoch erweckten die reflexartigen Erwiderungen auf die brutalen Morde des 07. Oktober, die häufig mit Verweisen auf die israelischen „Besatzer“ gespickt waren und ein Selbstverschulden suggerierten, den Eindruck, hier würden Morde legitimiert und die Motivation der Mörder rationalisiert.

Auffällig, aber nicht gerade verwunderlich ist, dass sich unter den Unterzeichnenden kaum post-sowjetische oder Nachkommen post-sowjetischer Jüdinnen und Juden finden, die jedoch einen Großteil der jüdischen Bevölkerung Deutschlands ausmachen.

Viele Israelis sind nach Deutschland ausgewandert

Die Kontingentflüchtlinge ließen zwischen 1990 und 2003 die jüdischen Gemeinden hierzulande um ein Dreifaches anwachsen. Sie und ihre Nachfahren haben die Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland überhaupt erst ermöglicht, sie nachhaltig geprägt und damit dazu beigetragen, dass seit 2010 unter anderem auch immer mehr Israelis nach Deutschland ausgewandert sind.

Viele der Unterzeichnenden sind Expats, die ihre Heimatländer nicht aus Not verlassen haben, sondern um in Deutschland zu arbeiten. Mag sein, dass sie sich aufgrund des Privilegs, nicht vor Antisemitismus geflohen zu sein, a priori als Unterdrücker sehen und in vorauseilender Selbstkritik die Seite der vermeintlich Unterdrückten ergreifen.

Ihre Äußerungen zeugen von einer Lebensrealität, die mit der eines Großteils postsowjetisch-deutscher Jüdinnen und Juden jedoch wenig zu tun hat. Ihre Haltung, nach der Israelkritik nichts mit Antisemitismus zu tun hat, ist nicht repräsentativ. Marginalisiert ist sie dennoch nicht, bisweilen ist sie so willkommen – man erinnere sich an die Causa Wolff – dass sie über jeden Zweifel erhaben ist.

Dass man für den Brief das wohl bekannteste und mittlerweile doch recht abgedroschene Zitat von Rosa Luxemburg, „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenken“, gebraucht, zeugt nicht bloß von der Banalität dessen, was sich als Argument geriert.

Trauer sollte friedlich kundgetan werden

Luxemburg, die beim Anblick eines ausgepeitschten Büffels ihre Tränen nicht zurückhalten konnte über das Leid des „liebsten Bruder[s]“, ist wohl kaum eine gute Kronzeugin für Menschen, von denen es einigen offensichtlich schwerfiel, die auf brutalste Weise ermordeten Jüdinnen und Juden ebenso unmissverständlich und ohne reflexartige Relativierungen zu betrauern wie die Toten auf palästinensischer Seite. Von der Disproportionalität der Trauer zeugt auch, dass die israelischen Geiseln in dem Brief mit keinem Wort erwähnt werden.

Es bleibt zu hoffen, dass in Deutschland Trauer um palästinensische Opfer friedlich kundgetan werden kann – und auch, dass die Trauernden dabei in Zukunft nicht des Zuspruchs privilegierter jüdischer Intellektueller bedürfen.

* Anmerkung der Redaktion: Eine stark gekürzte Version dieses Briefes wird in der Printversion der taz gedruckt.

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37 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Frau Smurago beschreibt die Unterzeichnenden als privilegierte Expats, die sich 'a priori als Unterdrücker sehen und in vorauseilender Selbstkritik die Seite der vermeintlich Unterdrückten ergreifen'. Die Unterzeichnenden stammen größtenteils aus Israel und haben wahrscheinlich die Entrechtung, Enteignung und Vertreibung der indigenen nicht-jüdischen Bevölkerung (a.k.a. Palästinenserinnen) selbst erlebt. Ihr Urteil ist eher a posteriori entstanden, aufgrund ihrer Zeit als Besatzungssoldatinnen in den besetzten Palästinensischen Gebieten. Sie genießen Meinungsfreiheit hier im Westen und sehen nicht ein, dass diese Freiheit den Palästinenser*innen entzogen wird, und protestieren dagegen.

    Der offene Brief der jüdischen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen ist eines der effektivsten Mittel gegen Antisemitismus. Der Brief zeigt, dass Jüdinnen und Juden keine homogene Masse sind, die Kritik an der Besatzung nicht für Antisemitismus halten. Palästinenser*innen lesen die Verteidigung ihres Rechts auf friedliche Meinungsäußerung und schöpfen Kraft und Hoffnung durch die weiteren Manifestationen der Solidarität seitens von Menschen jüdischen Glaubens oder Herkunft. Das Schreiben hilft den Menschen, die Gleichsetzung von Juden mit Israel abzulehnen und somit hilft es, Antisemitismus zu bekämpfen.

    Es verwundert mich nicht wirklich, dass unsere jüdischen Mitbürgerinnen, die einmal Kontingentflüchtlinge waren, und deren Nachfahren unter den Unterzeichnern fehlen. Diese Menschen hatten Anfang der 90er Jahre die Wahl zwischen einer Zukunft in Deutschland und einer in Israel. Sie haben sich bewusst gegen den Judenstaat und für die Bundesrepublik Deutschland als ihre neue Heimat entschieden und tun das weiterhin. Unter meinen (wenigen) Bekannten aus diesem Umfeld hält sich das Interesse am Geschehen im Nahen Osten generell in Grenzen. Die Behauptung, dass der verstärkte Zuzug israelischer Juden nach Deutschland irgendwie mit der Entstehung der neuen jüdischen Gemeinden in Deutsch

  • Schade, dass so gar kein Verständnis übrigbleibt für die Perspektive der Unterzeichnenden, die doch vor allem einer tiefen Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit für ALLE entspringt. Kann das wirklich falsch sein??



    Enttäuschend ist auch, dass die Autorin ihnen anscheinend die Deutungshoheit absprechen will. Auch die vielen Unterstellungen über diese sind mir unverständlich (ich glaube nicht, dass sie sie alle persönlich kennt).



    Aus meiner bescheidenen Sichtweise hätte die Perspektive auch ohne Anfeindung neben dem Offenen Brief Platz finden können. (Was sie nun ja eigentlich auch tut. Danke, TAZ, für das Ermöglichen der Diskussion!)

  • ,,Vor 30 Jahren ..."

    vielleicht ist genau dies das Problem:



    anstatt sich mit Lichtenhagen, mit Mölln und mit Solingen zu beschäftigen, vor 30 Jahren und gegen den Rechtsradikalismus vorzugehen und sich mit Türk*innen und Vietnames*innen zu solidarisieren, hat man auf universalistisch-humanistischer Ebene seinen Senf zu Israel abgegeben.

    Jetzt haben wir den Salat.

  • Na ja, ich denke mal: Menschen sind Menschen, es spielt keine Rolle ob Juden, Palästinenser oder sonstige.

    Bei Vielen, die angeblich gegen Antisemitismus zu kämpfen vorgeben, vermisse ich diese menschliche Gleichheit.

    Man kann ja nicht den christlich-europäischen Pogromismus gegen die jüdische Bevölkerung seit über 1000 Jahren damit wieder gut machen, indem man meint, Opfer dürfen sein, Hauptsache andere Opfer.

    Denn Menschen sind Menschen, ob Juden oder nicht.

  • Bei der Hamas werden plötzlich Demonstrationsverbote ausgesprochen. Wenn Qannon, 3. Weg oder die AfD marschieren, sind das dann keine antisemitischen Demos? Qannon und 3. Weg sind auch oftmals gewalttätig. Warum werden deren Demos denn nicht verboten?

    • @Realdemokrat:

      Hamas als Terrororganisation ist verboten, Demos pro-Hamas sind damit automatisch auch verboten.

  • Bei der Diskussion um die Meinungsfreiheit sollte man vielleicht nicht immer nur auf das schauen, was polizeilich erlaubt und verboten ist, sondern auch auf das, was faktisch möglich ist. Mit einer Israel Fahne durch Neukölln zu laufen ist z.B. sehr viel gefährlicher als mit einer Palästina Fahne durch Charlottenburg oder Mitte zu spazieren.

  • Mir gefällt dieser Diskurs um das "Verhöhnen" der Opfer nicht. Die Replik auf die Autorin liegt doch auf der Hand: Die Besatzung als "Missstände" zu bezeichnen, hat dann sicher auch etwas "verhöhnendes". Mir gefällt auch die zugrundeliegende Verdachtshaltung nicht (auf beiden Seiten): jenes Argument erinnert/gemahnt an, suggeriert dass, legt die Sichtweise nahe - kurzum: mir wird zu viel geraunt.



    Schön und bemerkenswert fand ich diesen Satz: "Gedenkveranstaltungen für die israelischen Opfer der Hamas kommen weltweit ohne antimuslimische Hetze aus" - worauf meine Entgegnung wäre: für das antimuslimische Element sorgt die israelische Regierung ("human animals") schon selber. Ich denke auch, dass das, was zum Nahost-Konflikt in Deutschland gesagt wird, neben der Shoah über eine weniger thematisierte Aussagebedingung ermöglicht wird, nämlich weit verbreiteten anti-muslimischen Rassismus.



    Die Taten der Hamas sind furchtbar und nicht zu rechtfertigen. Punkt. Kein Aber.



    Die Vorstellung, dass diese Taten geschehen sind, weil sich palästinensische "human animals", die von Natur aus nicht anders können als Antisemiten zu sein (Sarrazin'scher Kulturrassismus ist weit verbreitet), zusammengesetzt haben mit dem Ziel maximales Leid unter Israelis anzurichten ist absurd. So sehr man auch moralische Eindeutigkeit will und - fokussiert auf den 07.10. - umstandslos bekommt, sie führt zu keiner Lösung (nicht mal zu einer Idee einer Lösung, außer vielleicht Nakba 2.0), wenn sie den Kontext der Besatzung nicht ernst nimmt.

  • Nur stimmt es nicht.

    Palästinenser dürfen Demonstrationen abhalten, und Demonstrationen finden ja auch statt.

    Untersagt werden nur jede mit einer negativen Gefahrenprognose.

    Das ist aber bei allen Demonstrationen so.

    Es mag sogar so sein, dass manche Gefahrenprognosen vor Gericht keinen Bestand haben werden.

    Zu behaupten, Juden seien beim Abhalten von Demonstrationen privilegiert, ist aber sachlich falsch.

    Auch wenn es sich um die Behauptung einer Ha'aretz-Korrespondentin handelt.

  • Wow, was für ein guter Kommentar!

    Eine ganz andere Dimension als dieser 100-Künstler-Brief, der intellektuell nun leider nicht so überzeugen konnte.

    Und was für ein schönes Beispiel für die Empathiefähigkeit Rosa Luxemburgs! Die Frau wird weiterhin unterschätzt.

  • ""Stop genocide against Palestinians"



    (...) Aus einer solchen Aussage folgt hier sofort die Ableitung, das es gegen Israel gewendet..."



    Ganz ernsthaft: wie könnte eine solche Aussage _nicht_ gegen Israel gerichtet sein? Gegen wen denn sonst? Die Hamas?



    "...und zwangsläufig antisemitisch ist."



    Da Israel primär als ein jüdischer Staat gesehen wird, liegt dieser Schluss nahe, ja.

    Und dass Juden diesen Spruch benutzen, löst diese Gedankenkette nicht auf. So bin ich mir recht sicher, derartige Sprüche in Israel selbst nicht hören zu können. Die Implikationen hieraus wiederum sind vielfältig.

  • Vor 30 Jahren war es durchaus diskursfähig in Deutschland, zu sagen: Wir sehen die Verfolgung und Ermordung so vieler Menschen im Holocaust durch Nazi-Deutschland. Und wenn wir nun sehen, dass aus den Unterdrückten, Verfolgten und Ermordeten von damals nun ihrerseits Menschen werden, die unterdrücken, genauer: deren staatliche Institutionen unterdrücken, dann ist es gerade wegen der historischen Schuld am Holocaust unsere Aufgabe, sich gegen die Unterdrückung (nämlich die des palästinensischen Volkes durch Israel) zu stellen. Damals war so eine Haltung diskursfähig, inzwischen ist dies fraglich.

    Und ich sehe sie nicht als anti-semitisch, sondern als Ausdruck einer humanistischen Haltung, in der alle Menschen gleichwertig sind, wo es ums gute Leben für jüdische, palästinensiche und andere Menschen geht, nicht weil sie j., p. oder ... sind, sondern weil sie Menschen sind.

    Und auf Basis dieser Haltung muss auch gefragt werden können, was es braucht, dass dort wieder Frieden entsteht und ob da die staatliche Verfasstheit, also u. a. der Staat Israel, das richtige ist, um das gute Leben für j. und p. Menschen zu erreichen. Und wie sie aus der Gewalt-Spirale rauskommen, in der sie seit Jahrzehnten verstrickt sind, allerdings mit deutlichem Machtgefälle.

    Danke noch an die Verfasserin, Larissa Smurago, dass sie ihren Text mit der Trauer um die Opfer der anderen(!) Seite schließt.

    • @Brombeertee:

      Wer Israel nicht kritisieren kann, ohne im gleichen Atemzug den Holocaust durch absurde Vergleich zu relativieren, ist offensichtlich eher an Schuldabwehr interessiert als an Schicksal der Palästinenser:innen.

    • @Brombeertee:

      Ihre Gleichsetzung von "Unterdrückung" hier und da ist nicht nur schief, sondern auch schräg, und mehr als das.

      Selbstverständlich ist die systematische, nach rassistischen Kriterien durchgeführte Unterdrückung von Juden in NS-Deutschland, die in den größten Genozid der Geschichte mündete, nicht dasselbe wie das israelische Besatzungsregime auf der Westbank.

      Die dort immer wieder vorkommenden Menschenrechtsverletzungen und die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik kann und soll man kritisieren. Dies geschieht aber, und allein das schon ist ein zentraler Unterschied zum damaligen Deustchland, nicht zuletzt aus der israelischen Gesellschaft heraus.

      Was Sie völlig unterschlagen, ist, dass die israelische Besatzung nicht die Eroberung zum Ziel hatte, sondern die Sicherheit des Staates Israel. Anders als von der NS-Ideologie imaginierte "Weltjudentum" haben Hamas & Co. bis heute das Ziel der Vernichtung des jüdischen Staates.

      • @Schalamow:

        In meinem Post steht keine Gleichsetzung, sondern es wird auf die Tragik Bezug genommen, dass aus Unterdrückten Unterdrückende wurden. Und es wird an die damalige freiere Atmosphäre erinnert. Und daran, dass es alle Menschen sind.

      • @Schalamow:

        Ok, und was haben die weiterhin stetig und stark anwachsende Zahl von bisjetzt 700 000 radikal jüdischen Siedlern in der Westbank, deren illegitime Gebietsansprüche, Palästinensern immer mehr Land wegnimmt und ihre Bewegungsfreiheit auf ihren eigenen Land zum Schutz der illegalen Siedler inhuman eingeschränkt, mit Israels Sicherheit zu tun? Genau das Gegenteil ist doch der Fall!

        • @Edda:

          Was ich von der israelischen Siedlungspolitik halte, habe ich gesagt.

          Die Vorstellung, Israel müsse nur die Westbank räumen, und alles werde gut, ist aber realitätsfern.

          Israel hatte den Gaza-Streifen geräumt, einschließlich der dortigen Siedlungen. Das hatte Hamas nie daran gehindert, ihre Angriffe auf Israel fortzusetzen, bis hin zu den Massakern vom 7. Oktober.

          En beträchtlicher Teil der Palästinenser will keine 2-Staaten-Lösung, sondern schlicht die Vernichtung des Staates Israel. So lange das so ist, wird aber Israel die militärstrategisch wichtige Westbank zum eigenen Schutz nicht räumen (können).

      • @Schalamow:

        Die Siedlungspolitik darf man aber nicht kritisieren!

        Das sage ich nicht in einem dummen Ton à la "Juden dürfen alles!!!"

        Es ist wahr, nur wenige in Israel befürworten die Siedlungspolitik. Doch im Allgemeinen ist Kritik auf eine Handlung von Israel ist ausschließlich immer ein antisemitischer Deckmantel, der den Juden als Menschen, der die Religion ausübt, als Ziel hat.

        Das zeigte die Hamas doch ganz klar: Israel wurde angegriffen, und nur aufgrund der Reaktion(!) Israels erblüht der Antisemitismus in ungeheuren Ausmaßen, anstatt dass der Terrorismus der Hamas verurteilt wird.

      • @Schalamow:

        Hier ein paar Zitate:



        Smotrich: „Ein echter Muslim muss wissen, dass das Land Israel dem Volk Israel gehört, und mit der Zeit werden Araber wie Sie, die das nicht erkennen, nicht hier bleiben … dafür werden wir sorgen.“



        Ariel Scharon: "Sie sollten überall hinrennen, mehr Hügel besetzen, das Territorium ausdehnen. Alles was wir uns nehmen wird in unseren Händen sein. Alles was wir uns nicht nehmen wird ihn ihren Händen sein"



        Quelle: Voice of Israel, Jerusalem, in Hebräisch, 16 Nov 1998.



        Dayan: „Unsere Väter haben die Grenzen erreicht, die im Teilungsplan von 1947 anerkannt wurden. Unsere Generation erreichte die Grenze von 1949. Aber die Sechs Tage Generation war in der Lage, Suez, den Jordan und die Golanhöhen in Syrien zu erreichen. ... Dies ist nicht das Ende; denn nach den augenblicklichen Waffenstillstandslinien wird es neue Linien geben. Aber diese werden über den Jordan hinausreichen, vielleicht in den Libanon, vielleicht nach Zentralasien...“



        Quelle: The Times vom 25. 6. 1969

        • @Moritz Pierwoss:

          Ja, solche Stimmen gab es immer und gibt es auch heute.

          Smotrich ist ein Rechtsextremist, Sharon hat seine Positionen später durchaus korrigiert, und das Dayan-Zitat kann ich nicht überprüfen (beim Googlen lande ich immer auf obskuren israelfeindlichen Seite, die Times v. 25.6.69 habe ich gerade nicht zur Hand).

          Die israelische Besatzung ist aber nicht die Folge eines dahinterstehenden Eroberungsplanes, sondern war die Folge von Angriffen benachbarter arabischer Staaten.

          Die seinerzeit ebenfalls besetzte Sinai-Halbinsel hat Israel 1979 im Zuge des Friedensvertrages mit Ägypten geräumt - übrigens unter dem sehr weit rechts stehenden Menachem Begin.

          Hamas, Al-Fatah und auch Syrien sind zu einem solchen Friedensvertrag bis heute nicht bereit.

          Ansonsten empfehle ich mal die Lektüre der sogenannten Hamas-Charta.

  • Da ist es wieder mein Reizwort im Titel...

    Ich für meinen Teil finde es gut, das es jüdische Stimmen gibt, die für die Rechte der Palästinenser eintreten. Gewalttaten aller Art und antisemitische Propaganda muss unterbunden werden, Trauer um Opfer und Solidarität mit den Menschen muss möglich sein.

    Aber was geht zu weit und was ist okay?

    In Washington zum Beispiel gab es eine große Demo.



    Juden forderten dort "Stop genocide against Palestinians"



    Ja richtig gelesen, eine jüdische Demonstration für die Menschen in Gaza.



    Juden, die der Meinung sind, das die israelische Regierung aus Rache für die Taten der Hamas gerade ein ganzes Volk bestraft und das es falsch ist.

    Wenn ich mir das in schwarz/grün/weiss/rot aufs T-shirt drucke, dann komme ich hier in der Innenstadt an der Polizei vermutlich nicht mehr ohne ein ausführliches Gespräch vorbei. Aus einer solchen Aussage folgt hier sofort die Ableitung, das es gegen Israel gewendet und zwangsläufig antisemitisch ist.

    Ich denke Amira Hass bringt es im Interview zu dieser Demo und der Krise auf den Punkt:

    www.democracynow.o...umanitarian_crisis



    www.democracynow.o...a_hass_daughter_of

    "...And it was also, you know, like, we all need some kind of — this kind of support, which, by the way, Palestinians are not allowed to hold. Jews are allowed to hold demonstrations. I understand that all over Europe there are places where Palestinians are not allowed to hold demonstrations in solidarity with their slain people in Palestine. So, here, again, we are privileged, the Jews, that we can do things that Palestinians are not allowed to, though I know that here there were some. In the States, there were some demonstrations of Palestinians. But Palestinians are being silenced, as here their sensitivity — that their sense of grief is not being respected. ..."

    • @Moonlight:

      Während einer Diskussionsveranstaltung der Deutsch-Istaelischen Gesellschaft in meinem Heimatort fragte eine Teilnehmerin, wie es zu schaffen sei, die palästinensische Bevölkerung in Gaza von der Hamas zu “trennen”. Eine Antwort auf diese Frage habe ich auch nicht - und vermutlich auch nicht die israelische Führung und das Militär, weshalb man wohl bisher mit einem umfänglichen Einmarsch (trotz Ankündigung) zögert - , fest steht jedoch, dass militärische Schläge nicht das geeignete Mittel sein können, dieses Ziel zu erreichen.



      Ähnlich verhält es sich mit der Frage hierzulande, wo es im Grunde auch um eine “Trennung” legitimer, gewaltfreier Proteste von antisemitischen geht. Wie wollen Sie denn da den gordischen Knoten durchschlagen? Etwa, indem antisemitische Herze auf unseren Straßen geduldet wird?



      Wenn es dabei “nur” um das Recht auf freie Meinungsäußerung ginge … auf oben genannter Veranstaltung berichteten jüdische Mitbürger auch anschaulich über die akute Bedrohung hierzulande, welchen Einschnitt der 7. Oktober für sie gebracht und wie ihr Lebensalltag sich für sie seitdem grundlegend verändert habe.



      Sollte man da nicht genauer zuhören statt ausschließlich dem lautstarken pro-palästinensischen Protest auf der Straße.

      • @Abdurchdiemitte:

        Der Schutz der Bevölkerung ist das Kernthema schlechthin in Israel.



        Der 7. Oktober ist das Ergebnis eines totalen Versagen von Regierung, Geheimdienst und Militär.



        Das alles geschah in einer Zeit, in der die rechtsradikale Regierung im eigenen Land massiv unter Druck war.

        Jetzt wird mit aller Härte durchgegriffen, totale Mobilmachung, Ausgabe von Schnellfeuergewehren an Zivilisten, Einmarsch und Unterbindung der Kommunikation in Gaza.

        Letzte Nacht wurden weitere 150 unterirdische Ziele der Hamas in Gaza platt gemacht. Mit allem was oben drüber steht.

        Wieviele zivile Menschenleben das gekostet hat und weiter kostet kann aktuell keiner mehr einschätzen.



        Tote können nicht mehr geborgen werden, Hilfsorganisationen haben nicht mal mehr Leichensäcke.

        Ist das noch Verteidigung oder ist das Krieg gegen Gaza?

        Jüdische Stimmen, die sich gegen die radikalen Kräfte und die Kriegstreiber in Israel stemmen sollten ernsthaft gehört werden.

        Es wird Zeit hier die politische Position in Deutschland zu überdenken. An der Seite Israels zu stehen kann nicht bedingungslos sein.

        • @Moonlight:

          “Der 7. Oktober ist das Ergebnis eines totalen Versagens von Regierung, Geheimdienst und Militär.”



          Was ist das für ein Argument? Gibt das etwa der Hamas das Recht, nach Israel einzudringen, um wehrlose israelische Zivilisten aufs Grausamste abzuschlachten?



          Nein, der 7. Oktober ist das Ergebnis des erbarmungslosen Judenhasses der islamistischen Fanatiker in Gaza.

          • @Abdurchdiemitte:

            Ich habe nicht geschrieben das sich hier irgendwelche Rechte ableiten lassen, schon garnicht für die Hamas.

            Hier in aller Ausführlichkeit, was ich mit Versagen meine:

            apnews.com/article...f26ca171233be01721

            Insbesondere die israelische Regierung kommt hier nicht besonders gut weg. Konkrete Warnungen wurden ignoriert und noch schlimmer die Bevölkerung wurde nicht informiert.

            • @Moonlight:

              Das wird mit Sicherheit auch noch ein Nachspiel haben, was die innenpolitische Diskussion in Israel betrifft. Könnte gut sein, dass Netanyahus Tage als Ministerpräsident gezählt sind. Da liegen wir in der Einschätzung wahrscheinlich nicht weit auseinander.



              Ich meine nur, auch wenn der israelische Sicherheitsapparat komplett versagt hat, ändert das nichts an der Einschätzung der grauenhaften Taten der Hamas und dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen gehört.

  • Vielen Dank für diese Antwort auf den offenen Brief.

  • Danke vielmsls für diese Stellungnahme.



    Ich war sehr geschockt als ich den öffentlichen Brief gelesen habe.

  • Das Recht zu demonstrieren gilt, zumindest solange keine nachweisbaren Anhaltspunkte vorliegen die strafbare Handlungen befürchten lassen. Pro Palästina Demos sind kein Grund diese zu verbieten, was aber leider oft der Fall war. Hier wäre es besser gewesen, wie jetzt immer öfter geschehen, Demos mit Auflagen zuzulassen. Es hat ja auch geklappt, z.B. in Hamburg.

  • Vollkommen richtig, Frau Smurago.

    Über diesen Brief konnte ich nur den Kopf schütteln. Denn nein, wir haben nicht 1980, sondern Ende Oktober 2023. Die Hamas muß vernichtet werden, wenn sie nicht freiwillig aufhört und entsprechende Strafen akzeptiert. Im Augenblick sieht es aber eher so aus, daß die Hamas feige und diktatorisch an ihren Zielen festhält. Also weg damit.

    • @Zebulon:

      Was war denn 1980 anders?

  • In der Jüdischen Allgemeine gibt es auch eine feine Erwiderung auf diesen offenen Brief:

    "Der Offene Brief der 110 Gerechten beweist es: Der Kulturbetrieb in Deutschland ist wieder auf Betriebstemperatur. Endlich, muss man hinzufügen, denn seit der documenta fifteen im letzten Jahr und dem dort von interessierter Seite (die Betreffenden wissen Bescheid! - Red.) inszenierten Antisemitismusskandal, der in Wahrheit eine gezielte Unterdrückung legitimer postkolonialer Kritik an Israel darstellte, war die Zahl der israelkritischen Aufrufe in deutschen Zeitungen auf ein Allzeittief gefallen. Die philosemitischen Eliten hatten zugeschlagen; Deutschland wurde international als Totalausfall in der Israelkritik wahrgenommen.

    Damit hat es nun ein Ende. Ausgerechnet jüdische Intellektuelle in Deutschland wurden ihrer besonderen Verantwortung gerecht. Und ein Letztes: Man muss der Hamas, deren Taten es natürlich zu verurteilen gilt, in gewisser Weise dankbar sein. Denn die »militanten Kämpfer des palästinensischen Widerstands« haben etwas geschafft, was in der Kürze der Zeit keiner für möglich gehalten hätte: Deutschland ist wieder wer in seiner Paradedisziplin. Es lebe die »Israelkritik«! Gerade in diesen bewegten Zeiten!"

    www.juedische-allg...iefen-sind-zuruck/

    • @Jim Hawkins:

      Der ganze Text ist wesentlich spannender/amüsanter/sarkastischer und bei Ihrem Zitat schwankte ich kurz dahin: „Meinen die das Ernst?“

    • @Jim Hawkins:

      Es ist schon interessant zu lesen, wie mit kritischen Stimmen umgegangen wird.

  • Danke für den Kommentar. Das eklatante messen mit zweierlei Maß missfiel mir beim Lesen des Aufrufs, ebenso wie die emotionale Kälte gegenüber den jüdischen Opfern

  • Der Konflikt ist bei uns angekommen.



    Und egal wie wir reagieren und handeln, wird immer die eine oder andere Seite Deutschland für sein tun oder nicht tun kritisieren.



    Das ist es , was mich maßlos ärgert und traurig stimmt.