Norbert Röttgen zum Ukraine-Krieg: „Die Uhr tickt“
Der CDU-Außenpolitiker fordert ein Energie-Embargo gegen Russland und kritisiert Wirtschaftsminister Robert Habeck scharf. Dieser handele unentschlossen.
taz: Herr Röttgen, „Wir waren eine Nachkriegswelt, jetzt sind wir eine Vorkriegswelt“, so hat der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev den Einschnitt durch den Angriffskrieg in der Ukraine beschrieben. Was sagen Sie?
Norbert Röttgen: Wir leben in einer Welt, in die der Krieg als Mittel der Politik zurückgekehrt ist. Der Starke missbraucht seine Macht und ignoriert das Recht des vermeintlich Schwächeren selbst zu entscheiden, wie er leben und mit wem er sich verbünden will. Es liegt jetzt in unserer Verantwortung, dass wir auch nicht den geringsten Erfolg dieser Methode zulassen, sondern dass sie geächtet und abgewehrt wird.
Sie haben kürzlich gesagt, Sie wünschten der deutschen Politik einen Bruchteil des Mutes der Ukrainer. Agiert die Bundesregierung aus Ihrer Sicht feige?
Wenn man den nötigen Mut nicht aufbringt, ist man noch nicht feige. Es erfordert Mut, sich einzugestehen, was der Krieg auch für uns bedeutet und dass wir eigene Nachteile und Risiken eingehen müssen, um unseren Frieden und unsere Freiheit zu schützen.
56, CDU, ist einer der profiliertesten Außenpolitiker im Bundestag. Von 2009 bis 2012 war er Bundesumweltminister, von 2014 bis 2021 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, dem er weiterhin angehört. Er kandidierte zweimal erfolglos für den CDU-Vorsitz, zuletzt unterlag er im Dezember 2021 Friedrich Merz.
Und was die Bundesregierung eingeht, reicht nicht?
Die Frage ist doch, was wir tun sollten, um diesen Krieg zu einem Ende zu führen. Ich meine, wir sollten alles tun, was wir können, außer selbst Krieg zu führen. Dazu zählt dann auch ein Energie-Embargo.
Das heißt, Sie wollen sofort und vollständig den Bezug von Gas, Öl und Kohle aus Russland stoppen.
Ich glaube, dass es anstrengend, aber machbar ist, und darum sollten wir es tun. Doch stattdessen breitet der Wirtschaftsminister Katastrophenszenarien aus. Ich erwarte von ihm, dass er erklärt, was wirtschaftlich geht, wie seine Substitutionsstrategie ist und was er tut, um einen deutschen Beitrag zur Beendigung dieses Krieges zu leisten.
Robert Habeck sagt, die Folgen eines solchen Sofortembargos wären Lieferengpässe, Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Armut. Sehen Sie diese Gefahr nicht?
In der Ukraine werden die Menschen zerbombt und unser Vizekanzler beschreibt das Elend in Deutschland. Die überwiegende Mehrheit der Ökonomen spricht zwar von einer immensen Herausforderung, doch keiner von ihnen erwartet solche Szenarien. Sicher wird es Einschränkungen in der Wirtschaftsleistung geben, doch sie liegen nach den Projektionen deutlich unterhalb derer der Pandemie.
Habeck spricht von bis zu fünf Prozent.
Die Prognosen liegen zwischen 0,5 und 3 Prozent. Fest steht: Wir kommen bis zum nächsten Winter. Das heißt, es gibt Zeit und Möglichkeiten zu substituieren. Es wird Engpässe geben, mit denen muss man umgehen. Ich wünsche mir, dass der Minister das so rational und faktenbasiert dargelegt, wie Ökonomen es tun. Diese Katastrophenszenarien sind deplatziert und geradezu eine Einladung an Putin, sie von sich aus gegen uns einzusetzen.
Habeck sagt auch, dass wir die Sanktionen möglicherweise mehrere Jahre durchhalten müssen. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass wir das bei überstürztem Handeln nicht schaffen?
Es ist selbstverständlich, dass wir eine nachhaltige Strategie brauchen. Habeck spricht selbst von einer möglichen Abkopplung von russischer Kohle und russischem Öl bis Ende des Jahres. Offensichtlich gibt es hier also kurzfristigen Handlungsspielraum.
Sie sind dafür, auch das Gas sofort zu kappen, wovon wir besonders abhängig sind.
So wird es kommen. Putin geht jetzt zu einem Zerstörungs- und Vernichtungskrieg über. Die Leiden der Ukrainer werden noch verheerender werden. Sehr bald wird ein Punkt erreicht sein, an dem in Europa niemand mehr bereit ist, diese Kriegsverbrechen mit 600 Millionen Euro täglich zu finanzieren. Der Druck auf die Bundesregierung wird wachsen, wie das schon bei Swift und der Frage nach Waffenlieferungen war.
Ihre Fraktion fordert, Nord Stream 1 abzuschalten. Macht das Sinn?
Ich unterstütze das, es ist ja Teil meiner Forderung. Damit wäre das ganze Nord-Stream-Kapitel beendet.
Warum sind Sie so sicher, dass die Unterstützung der Bevölkerung hält? Jetzt schon regen sich alle über die hohen Spritpreise auf. Habeck warnt auch vor massiven gesellschaftlichen Verwerfungen und einer Gefahr für die Demokratie – was im Sinne Putins wäre.
Ich bin über diese Argumentation entsetzt. Jeder muss angesichts dieses brutalen Angriffskriegs seine Verantwortung definieren. Ist es denn die Verantwortung des Wirtschaftsministers, den Leuten jeden Tag zu sagen, dass sie in Aufruhr geraten werden und ihnen die Empathie fehlt? Dass die Gelbwesten bestimmt morgen kommen, wenn die Preise weiter steigen? Oder liegt die Verantwortung nicht viel mehr darin, den Menschen zu erklären, dass uns eine schwierige Zeit bevorsteht, die dann noch viel schwieriger wird, wenn Putin gewinnt. Herr Habeck sollte auch diese Kosten einmal darlegen.
Sanktionen wirken besser, wenn man ihr Ziel benennt, also auch den Zeitpunkt, wann sie zurückgenommen werden. Was ist aus Ihrer Sicht das Ziel der Sanktionen?
Das Ziel ist, die russische Wirtschaft möglichst umfassend und hart zu treffen. Um einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Krieg Russland wirtschaftlich erschöpft und die russische Bevölkerung nicht mehr bereit ist, diesen Krieg zu unterstützen.
Wäre es nicht sinnvoll, die Oligarchen stärker unter Druck zu setzen, in der Hoffnung, dass sie sich gegen Putin wenden?
Harte, persönliche Sanktionen gegen die russische Herrschaftselite gehören dazu. Jede beschlagnahmte Jacht ist ein Zeichen gegen den Krieg. Doch ein Aufstand der Oligarchen gegen Putin ist zu bezweifeln.
Gäbe es überhaupt die Möglichkeit, dies zu tun? Es zeigt sich ja jetzt, wie schwierig ein Vorgehen gegen die Oligarchen ist. Hätte die Bundesregierung daran nicht spätestens seit der Annexion der Krim etwas ändern müssen?
Ja, die Gesetzgebung gegen Geldwäsche und Kleptokratie hätte in ganz Europa verschärft und die Umsetzung verbessert werden müssen, spätestens seit 2014.
Was halten Sie von einer „Friedensmission“ der Nato, die Polen jetzt gefordert hat?
Das bedeutet, dass die Nato in den Krieg mit der Atommacht Russland ziehen würde. Unvorstellbar und verantwortungslos.
Wir haben jetzt Putins Krieg und seine Drohung, Atomwaffen einzusetzen. Zudem besteht die Gefahr, dass der nächste US-Präsident wieder Trump heißt. Was heißt das für Deutschland und Europa?
Dass die Uhr tickt. Es kann sein, dass es bei einer russischen Aggression bleibt, sich der Systemwettbewerb mit und die Abhängigkeit von China intensiviert, und dass die USA in einer weiteren Amtszeit von Donald Trump nicht mehr bereit sind, als europäische Schutzmacht zu fungieren. Wir müssen diese verbleibenden zweieinhalb Jahre, das ist wahnsinnig wenig Zeit, nutzen, um Europa selbst verteidigungsfähig – im politischen, ökonomischen und militärischen Sinn – zu machen.
Wie ernst nehmen Sie Putins Drohung, Atomwaffen einzusetzen?
Ich sehe sie als Teil einer Einschüchterungstaktik. Es dient Putins Zielen nicht, sich militärisch mit 30 Staaten, darunter den USA, anzulegen.
Wie kann Putin einen Weg aus diesem Krieg finden?
Für Putin gibt es keinen Weg zurück, er muss gewinnen.
Und was heißt das, wenn er gewinnt?
Ich glaube, wirklich gewinnen kann er nicht mehr. Er kann zerstören. Soziokulturell hat er schon das glatte Gegenteil seines Unternehmens erreicht, er hat die Ukraine als Nation zementiert, wie sie es in ihrer Geschichte wahrscheinlich noch nie war. Er hat jetzt über 40 Millionen Ukrainer gegen sich. Ein Land, das bereit ist, mit jedem Mann und jeder Frau zu kämpfen, ist nicht zu erobern oder zu kontrollieren.
Eine Verhandlungslösung können Sie sich nicht vorstellen.
Wie sollte die denn aussehen? Dass die Ukraine sich diesem Angriffskrieg fügt und einen Teil des Landes abgibt? Welche glaubwürdigen Sicherheitsgarantien kann Russland der Ukraine überhaupt geben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin genug bekommt, um diesen Krieg propagandistisch zu rechtfertigen.
Wir haben jetzt 30 Jahre lang in einer Friedensordnung gelebt, deren Grundlage Kooperation, Gespräche und Kompromisse waren. Wie könnte die neue Ordnung aussehen, die nach diesem Krieg kommt?
Also ich würde eher von 25 Jahren sprechen. 2014 war klar, Russland akzeptiert diese Ordnung nicht mehr, ist aggressiv und destruktiv. Nach diesem Krieg müssen die Europäer über Europa anders denken und handeln als bislang. Wir müssen eine neue, weitergehende Idee von Europa entwickeln, zu der die Länder zwischen der EU und Russland gehören. Und es muss klar sein, dass auch Russland Teil dieser europäischen Friedensordnung ist. Doch so lange, wie es bei seiner aggressiven Außenpolitik bleibt, wird die Idee von Europa darin bestehen, Sicherheit gegen Russland zu suchen. In dem Augenblick, in dem sich das in Russland wandelt, sollte die Tür geöffnet sein.
Und bis dahin gibt es eine Aufrüstungsspirale.
Das ist zu befürchten.
Angela Merkel sagt man nach, sie habe die Dinge immer vom Ende her gedacht – bei Russland hat das nicht funktioniert. Hat sie zu sehr auf Verständigung gesetzt? Von der Abhängigkeit von russischen Gas ganz zu schweigen. Ist ihre Russlandpolitik gescheitert?
Das, was wir jetzt über die Energieabhängigkeit von Russland oder den Charakter von Nord Stream 2 als politische Waffe gegen die Ukraine feststellen, war lange zu sehen. Aber wenn man diese Realität annimmt, hat das eben Konsequenzen. Anstrengende Konsequenzen. Nord Stream 2 war keine Erfindung von Angela Merkel. Aber die Koalition hat das Projekt laufen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich