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Niedersachsen vor der WahlMittelalte Männer mit Macht

Niedersachsen? Kam von dort nicht eine Politikerschwemme über Berlin? Der Mechanismus dahinter ist vor allem ein Problem für Frauen.

Niedersachsen-Erfahrung: Außenministerin Baerbock und EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen Foto: Thomas Koehler/Photothek/picture alliance

Hannover taz | Neben Schweine­nackensteaks und abgasmanipulierten Mittelklassewagen waren sie einst der Exportschlager Niedersachsens: Männer mit Machtambitionen im mittleren Alter. Es gab eine Zeit, da besetzten auffällig viele Niedersachsen wichtige Positionen in Berlin. Allen voran natürlich Gerhard Schröder, der in der Hauptstadt als Lobbyist eine große Karriere machte.

Manch einem mag hier schon ein Fehler aufgefallen sein. Denn Schröder ist kein gebürtiger Niedersachse. Er wuchs in armen Verhältnissen in Nordrhein-Westfalen auf, erarbeitete sich den Weg zum Jurastudium an der Uni Göttingen, wurde Sozialdemokrat und schlug später Wurzeln in Hannover. Dort wurde er Ministerpräsident. Das reicht dicke, um als Niedersachse durchzugehen, auch wenn ihm heute manche die eine oder andere Zugehörigkeit gern wieder absprechen wollen.

Als er Kanzler wurde, nahm sich Schröder seinen engen Mitarbeiter Frank-Walter Steinmeier (SPD) aus Hannover mit nach Berlin. Gebürtig zwar ebenfalls Nordrhein-Westfale, zeigte Steinmeier auf dem Weg durch die Kabinette bis zum Schloss Bellevue eine niedersächsische Kernkompetenz: Sturmfestigkeit. Der Skandal um den Bremer Murrat Kurnaz, der beinahe fünf Jahre lang unschuldig in Guantánamo festgehalten wurde, blieb für ihn ein laues Lüftchen. Dabei soll es insbesondere der damalige Kanzleramtschef Steinmeier gewesen sein, der sich gegen eine Freilassung Kurnaz’ ausgesprochen hatte und damit seine Haftzeit unnötig verlängerte. Gegenüber dem Spiegel sagte er später: „Ich würde mich heute nicht anders entscheiden.“

Steinmeier ist wohl derjenige mit dem kräftigsten politischen Sitzfleisch. Aber die Liste lässt sich lange fortsetzen, natürlich mit Sigmar Gabriel (SPD) und Christian Wulff (CDU); aber auch der 2020 verstorbene Thomas Oppermann (SPD), Jürgen Trittin (Grüne), der ebenfalls verstorbene Peter Struck (SPD) und nicht zu vergessen Philipp Rösler (FDP) ­gehören als ehemalige Bundesminister oder Fraktionschefs auf diese Liste.

Exilpolitiker schüren Misstrauen

Manch einen hat die frühere Ballung niedersächsischer Exilpolitiker in den verschiedenen Regierungen misstrauisch gemacht. Von der „Hannover-Connection“ war zu lesen. Noch heute gibt es diese Vorstellung in den Köpfen von Menschen, die nicht aus dem Bundesland zwischen Harz und Nordsee stammen. Gerade im Landtagswahlkampf kommt sie wieder hervor.

Das ist kein Wunder, denn all diese Geschichten hatten so schön viel Skandalpotenzial. Filzig, klebrig, Niedersachsen: Auch Unternehmer Carsten Maschmeyer mischte damals mit und suchte sich gute Freunde in der Politik, Gefälligkeiten inklusive. Man traf sich auf Sommerfesten und in der VIP-Lounge von Hannover 96. Zeitlich spielte all das nach der Veröffentlichung des im Kern niedersächsischen Werks „How much is the fish“ von Scooter-Frontsänger H. P. Baxxter – noch so ein deckhaargefärbter Mann aus der niedersächsischen Provinz, der die große Bühne suchte.

Eine Ballung niedersächsischer Politiker in Machtpositio­nen gibt es heute nicht mehr – in die vielen Schlagzeilen um die „Maschsee-Mafia“ wurde längst Fisch eingewickelt. Einzig Hubertus Heil (SPD) aus dem Wahlkreis Gifhorn/Peine ist als Arbeitsminister Teil des aktuellen Kabinetts. Schröder war ein Mann mit Macht, der sich andere Männer mit Macht an seine Seite geholt hat. Die wiederum haben gerne mit anderen Männern zusammengearbeitet, die sie schon von Kaminabenden oder in Niedersachsen vielleicht vom Kohl­essen kannten.

Es ist ein Mechanismus, der phasenweise nicht nur viele Niedersachsen an die Macht spült, sondern dauerhaft auch wenig Frauen an die Spitze. Männer fördern andere Männer – es sei denn, Werkzeuge wie eine paritätische Quote für Wahllisten und Ämter verhindern dies.

Von der Leyen war auf Ochsentour in Niedersachsen

So fehlt in der damaligen Liste nur der Name einer einzigen Frau, die bis heute deutschlandweit bekannt ist. Ursula von der Leyen (CDU) hat in Niedersachsen die politische Ochsentour durchgezogen, bevor ihre politischen Ämter immer wichtiger wurden. Wie es besser geht, zeigen aktuell vor allem die Grünen. Aus einer Partei, für die es selbstverständlich ist, dass Frauen mindestens die Hälfte der Macht zusteht, kommen starke Politikerinnen. Annalena Baerbock ist in Niedersachsen aufgewachsen, bevor es sie nach Hamburg und Berlin gezogen hat. Das reicht dicke für den Platz auf einer neuen Liste.

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25 Kommentare

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  • Aktuell wird eine Wahlbeteiligung von 60,8 % genannt. Dies ist eine, neben jenen, die hier leben, aber nicht wählen dürfen, eine recht große Gruppe: 39,2 % der Wahlberechtigten haben also nicht gewählt.

  • Mein Eindruck ist ein anderer: Frauen haben es mit einer politischen Karriere viel leichter als Männer. Wenn sie sich für eine solche entscheiden (was aber viel seltener als bei Männern der Fall ist), haben sie auch ohne Quote gute Chancen auf Listenplätze oder Spitzenkandidaturen. Lediglich im linken Lager ist die innerweibliche Konkurrenz recht groß.



    Dass Macho-Männer wie Schröder & Co. sich lieber mit Männern umgeben, ist nichts ungewöhnliches. Sobald aber ein Frau mit Format kommt, ziehen die doch den Schwanz ein.

    Im Westen (und dazu gehört ja Niedersachsen) mag das noch nicht so deutlich sein, aber im Osten verdienen Frauen im Durchschnitt schon mehr als Männer. Frauen sind in Behörden und Verwaltungen mindestens gleich häufig an der Spitze. Irgendwann sieht man das auch in gewählten Positionen.

  • Schon eine komische Diskussion hier: Für mich stellt sich die Frage so: Die Parteienlandschaft war jahrzehntelang eine Domäne sich gegenseitig belauernder Männer. Solange es einigermassen funktioniert, tut sich das keine kluge Frau an, sich da einmischen zu wollen. Heute, wo sich zeigt, wohin uns dieses marode Parteiensystem gebracht hat, wo qualifiziertere Bewerber*innen vom Mob niedergehalten werden, fällt auf, dass Frauen ja gar nicht beteiligt waren, es sei denn, sie verfügten über spezielle Beziehungen. Vor 60 Jahren jubelte ein Sportlehrer vor der Klasse: 'Männer machen Geschichte!' Und das kommt dann dabei heraus, ein Gewohnheitsrecht, auch ohne entsprechende Qualifikation und Ausbildung mitreden zu dürfen: Mann muß sich nur nach den Kapitalinteressen richten. Lohnt es sich, noch im alten Parteiengebilde aufzuräumen oder brauchen wir ganz andere demokratischere Strukturen ?

  • Ich bewundere und schätze starke Personen (m,w,d), die _ohne Quote_ ihre Positionen erreicht und ausgebaut haben. z. B. Merkel, von der Leyen. Ihre politischen Einstellungen teile ich jedoch nicht.

    Menschen (m,w,d), die über (irgend) eine Quote hohe Ämter in der Politik erreicht haben, leisten sicherlich auch wertvolle Arbeit.

    • @Zweitkorrektur:

      Frau Merkel war zweifach Quote, Ossin und Frau. Ihr Verdienst ist, daß sie all die Löschen, die sie ins Schaufenster gestellt haben, in den Fundus geschickt hat. Kohl, Merz, Koch u.s.w.



      Frau Leyen hatte durch ihren Vater, den stockkonservativen MP Albrecht Thronfolgerechte.

      • @WeisNich:

        Die Ossi-Frau-Quote ist nicht vergleichbar mit der Quote der Grünen (beispielsweise).



        Auch von der Leyen ist nicht durch eine Quote - im Stile der Grünen - in Amt und Würden geraten.

        Dass man immer - auch bei den Quoten-Parteien Personen benötigt, die eine ander protegieren bleibt ja unbenommen. Insofern haben Sie Recht - nur sind diese beiden Frauen (Merkel / v.d.Leyen) keine "Quoten-Frauen", im Sinne der Grünen beispielsweise.

        • @Zweitkorrektur:

          Frau Merkel hat ja dann auch überrascht.



          Das liegt an der Ostdeutschen Herkunft. Auf dicke Hose machen wie die Westminster ist nicht das Ding der Ossis.

  • Die Misere ist geschlechterunabhängig.

    Die etablierten Pareien brauchen unbedingt mal einen Wink mit dem Zaunpfahl.



    Mit einem Zaunpfahl der nachwirkt.

    Mit einem Zaunpfahl von links.

    Letztlich sind ja nur noch die Linken übrig geblieben, die zuminstest im Ansatz die kleinen Leute im Blick haben.

    Auch wenn sie natürlich von den "Großen" ständig diffamiert und verunglimpft werden.

    Beginnend mit Corona mussten wir alle erkennen, dass die etablierten Parteien unwillig sind. Und jetzt in der Krise ist es unübersehbar !

    "Unfähig" wäre entschuldbar - aber sie sind unwillig die Menschen wirklich zu unterstützen.

    Da ist das eigene Hemd soviel näher als die Jacke dass einem der Kragen platzen könnte !

    Mittlerweile ist ja völlig klar, dass politische Erfahrung und langjährige politische Arbeit der einstigen Volksparteien nur eines bewirken:

    Den Stallgeruch der Herrschenden anzunehmen und letztlich an den Fäden der Mächtigen zu zappeln.

    Leider bedeutet es nicht, bessere Politik zu machen oder gegen die Einflüsterungen der Lobbiisten resistent zu sein.

    Das Gegenteil ist der Fall!

  • "Mittelalte Männer mit Macht"

    Die wuppen das - nach wie vor

  • Ein wesentlicher Faktor für die „Niedersachsen-Connection“ ist die räumliche Nähe zu Berlin: als einziges westdeutschen Flächenland bieten Niedersachsen und Hannover die Möglichkeit, abends schnell Treffen in der Parteizentrale und mir Bundespolitikern wahrzunehmen. Das war insbesondere vor der Pandemie ein relevanter Vorteil gegenüber Hessen, NRW, BaWü etc.

    • @Marianne Schmeink:

      Zusätzlich sind die meisten großen Medienanstalten und -häuser nordlastig. Das zeigt sich ziemlich in dem, was und wie berichtet wird.

    • @Marianne Schmeink:

      Aber räumliche Nähe ist für mich kein "Mechanismus", wie ihn die Überschrift nahelegt.

  • Truss, May, Meloni, LePen, Weidel, Storch, Petry, Merkel mit Frauen wird es auch nicht besser. Kein Wunder dass Annie Ernaux versteht, woher die heutige Hoffnungslosigkeit kommt.

    • @WernerS:

      Es hat wohl niemand ernsthaft behautet (bzw. ist eine derartige Behauptung auf meiner Bewusstseinsebene nicht gelandet), dass Frauen besssere Menschen sind. Daher kann es mit Frauen (bzw. queeren Personen) auch nicht besser werden..

  • eine diskriminierende Überschrift ... und zur Illustration zeigt uns die TAZ ein Bild einer alten Frau mit Macht, die nicht einmal in ihr aktuelles Amt gewählt wurde: Frau von der Leyen war keine SpitzenkandiDatin sondern hatte einfach nur gute Beziehungen zu einer anderen alten Frau mit Macht.

    • @Newjoerg:

      Na endlich mal eine gute Netzwerkerin,



      die darüber hinaus auch noch sehr organisiert ist.Sie spricht mehrere Sprachen, hat Berufserfahrung, 7 Kinder usw.. Sie kann zuhören und poltert nicht herum um einen Platz in Talkshows zu ergattern. Im Gegensatz dazu sind Sarah Wagenknecht oder ein Gregor Gysi nur Schaumschläger die heiße Luft produzieren.

  • Auch von der Leyens Karriere ist ohne den Vater schwer vorstellbar. Mich wundert bei der Aufzählung dessen, was bleibt, wer fehlt, oder dass man sich auf's Kabinett begrenzt, aber es sind auch dann großteils Männer, also besser wird's nicht. Herr Klingbeil, immerhin SPD-Chef, wäre da. Tilman Kuban wäre da. Und dann ist da noch ein gewisser Olaf Scholz. Osnabrück, niedersächsischer wird's nicht. Gehört der nicht zu seinem Kabinett?

  • Überschrift: "Der Mechanismus dahinter ist vor allem ein Problem für Frauen."

    Im Artikel wird der Mechanismus nicht thematisiert und mir ist es nicht gelungen, auf Basis der gegebenen Informationen "den Mechanismus dahinter, der vor allem ein Problem für Frauen" ist, zu erkennen.

    Schade. War ich doch auf den Mechanismus gespannt.

    "... die Grünen. Aus einer Partei, für die es selbstverständlich ist, dass Frauen mindestens die Hälfte der Macht zusteht... " - ja gut, ich glaube jetzt kaum, dass andere Parteien Frauen nicht auch "mindestens" die Hälfte der Macht zugestehen.

    Starke und kluge Frauen haben sich in den letzten Jahren den Teil der Macht genommen, der ihnen zusteht: Merkel, von der Leyen.

    Natürlich kann man für starke Frauen auch gleich Plätze reservieren. Ist bequemer.

    Kommt eben darauf an, wie man Politik versteht: Als Kampf der stärksten untereinander oder als Zuteilung der Positionen, auf Basis von Geschlecht / Gender.

    Jede, wie sie mag: Jeder, wie er mag.

    • @Zweitkorrektur:

      Die Frage stellt sich anders: Welche Frau geht schon in eine (wohlmöglich noch schlagende) Verbindung ? Genauso verhielt sich das mit der 'Politik' !

  • Was ist denn die Aussage des Artikels? Männerbashing?

    • @Dirk Osygus:

      Ich habs auch nicht verstanden. Inhaltliche Nullnummer irgendwie. Eher ein Nicht- Artikel, der mich als Leser etwas ratlos zurücklässt.

  • 0G
    06455 (Profil gelöscht)

    Völli egal, wer politisch durchkommt.



    Von ihrer mangelnden Kenntnis her und dem politischen Fehlgespür unterscheiden sich die Geschlechter nicht.



    Das obige Bild zeigt das auf.

    • @06455 (Profil gelöscht):

      Das denke ich auch. Gib Frauen Geld und Macht, und sie sind keinen Deut besser als Männer mit Geld und Macht.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Carsten S.:

        Wer ohne Geld und Macht



        noch lacht,



        beweist der Menschen Pracht.

    • @06455 (Profil gelöscht):

      "Das obige Bild zeigt das auf."

      Genau das dachte ich auch.