Niederlage des grünen Co-Chefs: Respekt, Herr Habeck
Grünen-Chef Robert Habeck wird verhöhnt, weil er über die Niederlage bei der Kanzlerkandidatur spricht. Doch er bricht mit alten Männlichkeitsidealen.
Kaum hatte die Zeit das Interview veröffentlicht, in dem Robert Habeck über seine Niederlage gegen Annalena Baerbock spricht, ging das korinthenkackerhafte Geningel auf Twitter los. Ein „Emotionsbrötchen“ sei Habeck und „wehleidig“, er könne es eben nicht ertragen, die zweite Geige zu spielen, und überhaupt: Warum kriegen Frauen, die einen Schritt zurückgetreten sind, keine langen Interviews, in denen sie erklären dürfen, wie es ihnen geht?
Nun neigt Habeck mit Sicherheit zu Selbstbezogenheit und Pathos, und auch sein Einordnen ins Glied ist – wie alles bei den Grünen – perfekt inszeniert und Eigen-PR. Aber bei all dieser Mäkelei sollte doch der wichtigste Punkt nicht verloren gehen: Was Habeck gerade macht, ist vorbildlich und ehrenwert. Der Mann, dem seit Jahren ein übergroßes Ego vorgeworfen wird, stellt sich in den Dienst der Sache. Er macht das etwas melodramatisch, zugegeben, Habeck bleibt Habeck. Aber er macht es eben auch redlich, ehrlich und ohne södereske Gemeinheiten.
In der Zeit räumt er eine „persönliche Niederlage“ ein. „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen. Und das werde ich nach diesem Wahlkampf nicht.“ Der Montag, an dem er Baerbock als Kanzlerkandidatin vorschlug, sei der „schmerzhafteste Tag“ in seiner politischen Laufbahn gewesen. Das ganze Interview ist nicht larmoyant und selbstmitleidig, wie es manche sehen, sondern bullshitfrei, ehrlich und nah an der Realität.
Es ist ja so: Baerbock und Habeck haben die K-Frage nicht harmonisch und freundschaftlich entschieden. Beide wollten den Job unbedingt, beide halten sich für besser als den oder die andere. Aber Baerbock hatte in diesem Duell die besseren Karten, um sich durchzusetzen – und das wird sie ihm unmissverständlich klargemacht haben.
„Todeszone“ der Politik
Vielleicht haben sie sich angebrüllt, vielleicht irgendwann eisig geschwiegen, man weiß es nicht. Aber Habeck hat nicht verzichtet, wie das Zeit-Team twitterte, mitnichten war es eine generöse Geste. Habeck musste verzichten, gegen seinen Willen und gezwungenermaßen. Das ist kein Drama, sondern der Normalfall, solche Wettbewerbe sind in der Politik die Regel.
Aber, auch das ist eine Binse, natürlich lässt das Verletzungen zurück, auch Politiker sind Menschen. Habeck arbeitet seit Jahren daran, die Grünen ganz nach vorne zu bringen. Er bewarb sich bereits 2017 um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl – und unterlag nur knapp Cem Özdemir. Habeck hat wesentliche Teile des geistigen Fundaments gebaut, auf dem die Grünen heute stehen.
Schon in seinem 2010 erschienenen Buch über linken Patriotismus lassen sich viele der Grundzüge nachlesen, mit denen die Grünen heute erfolgreich sind. Joschka Fischer hat das Kanzleramt mal die „Todeszone der Politik“ genannt, eine eiskalte Welt, kaum Sauerstoff, überall Abgründe. Nun wird Baerbock die letzten Meter bis zum Gipfel vorangehen, sie wird – falls der Aufstieg gelingt – den prominenten Platz in den Geschichtsbüchern bekommen.
Und Habeck sollte so tun, als lasse ihn das unberührt, wie manche Twitteristas finden? Das ist, als wünsche man sich von der Politik bruchlos erzählte Geschichten, aber nicht die ambivalente Wahrheit. Eine beschönigende Ausflucht hätte Habeck sowieso niemand geglaubt – und JournalistInnen hätten versucht, die „wahre Geschichte“ aufzuschreiben.
Mittelalter weißer Mann oder Weichei?
Die Kommunikation einer solch heiklen Angelegenheit ist schwierig, und vielleicht ist Habecks Ton nicht in allen Nuancen geglückt. Aber wenigstens versucht er nicht, seine Niederlage mit zuckrigem Tortenguss zu überziehen.
Und die Versuchung war sicher groß. Die Grünen haben ja eine ängstliche Kontrollfreakhaftigkeit verinnerlicht, die fürchterliche Phrasen produziert. Verglichen mit dem sonstigen Storytelling setzt Habeck gerade auf Klartext, womit er die interessierte Öffentlichkeit ernst nimmt.
Interessant ist, wie quer Robert Habeck zu den unterschiedlichen Rollenbildern des Männlichkeitsdiskurses liegt. Für linke Feministinnen ist er der mittelalte weiße Mann, der der Frau nicht schnell genug Platz gemacht hat. Für alternde Boomer ist er ein wehleidiges Weichei oder, wie Franz Josef Wagner für die Bild schrieb, „ein sonderbarer Mann“.
Vorsichtige Gegenthese: Wir brauchen mehr von solch sonderbaren Männern. Habeck hat für seinen Umgang mit dieser Niederlage vor allem eins verdient: Respekt.
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