Niedergang der Linken im Osten: Die linke Krise
Die niederschmetternden Wahlergebnisse der Linken im Osten bedrohen auch ihre bundesweite Existenz. Wie soll es weitergehen?
Meiwald, 53 Jahre alt, saß zehn Jahre für die sächsische Linke im Dresdner Landtag. Seit Sonntag ist die einstige sportpolitische Sprecherin raus. Ihr Listenplatz 19 galt eigentlich als sicher: Die Umfragen sagten der Linken Ergebnisse um die 15 Prozent voraus. Doch am Sonntag wählten nur knapp über 10 Prozent der WählerInnen Meiwalds Partei.
Sie sei immer noch durch den Wind, erzählt Meiwald am Mittwoch. Das Wahlergebnis traf sie unvorbereitet. „Das ist jetzt nicht euer Ernst!“, habe sie gedacht, als die ersten Prognosen kamen. In Brandenburg, wo ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wurde, das gleiche Debakel. 133.000 Zweitstimmen hat die Partei in beiden Ländern im Vergleich zu 2014 verloren. In den Landtagen ist sie jetzt nahezu halbiert.
Bei der Wahlparty der Linken in Dresden ist am späten Sonntagabend nur noch Frustsaufen angesagt. „Schreibst du mal ’ne Pressemitteilung. Ich kann das nicht mehr“, sagt ein Genosse zum anderen. Am Montag steht immer noch keine Pressemitteilung im Netz. Wie soll man in Worte fassen, was viele GenossInnen nicht begreifen?
Spurensuche
Die ostdeutsche Linke, die in den 90ern als PDS im Osten zur Volkspartei aufstieg, ist zurück auf dem Stand von 1990.
Man sucht nach Gründen: Der Wahlkampf sei geprägt gewesen von der Auseinandersetzung zwischen AfD und CDU. Leute, die eigentlich Linke wählen wollten, seien zur CDU gegangen, um zu verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird. Als Erklärung reicht das kaum aus. Die Linke hat an alle Parteien verloren – an AfD und CDU, aber auch an Grüne und SPD. Sogar an die FDP.
Die Wählerinnen im Osten waren immer eine Bank für die Partei, die vor 12 Jahren aus der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) im Westen und der PDS im Osten hervorging. In der Parteizentrale in Berlin gilt die Faustformel: Um 7 bis 8 Prozent bei Bundestagswahlen zu erreichen, muss die Linke im Osten etwa 20 Prozent einfahren. Doch nach dieser Formel käme die Partei derzeit nicht einmal über die 5-Prozent-Hürde.
Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg besiegeln nicht nur das Ende der einstigen Ostpartei. Sie stürzen die Linke auch als Gesamtpartei in eine existenzielle Krise.
Sterbende Genossen
Der Niedergang im Osten zeichnete sich seit Längerem ab. Als sich der Bundestag 2017 konstituierte, hatte die Fraktion erstmals deutlich mehr Abgeordnete aus den alten als aus den neuen Ländern. Die taz fuhr damals nach Dippoldiswalde, in das Büro von Meiwalds Kreisverband.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Damals schilderten die Mitarbeiter, wie es ist, wenn die Zahl der Mitglieder, die sich ins Jenseits verabschieden, schneller steigt als die Zahl der Neueintritte: dass man kaum noch jemanden finde, der als Abgeordnete für den Kreistag kandidiert; dass die Beitragseinnahmen sinken und man daher Mitgliedern zu runden Geburtstagen nur noch Glückwunschkarten statt Blumen schicke. Heute, nur zwei Jahre später, wird das Dippoldiswalder Büro wohl über kurz oder lang geschlossen.
Seit Montag sucht die Linke fieberhaft nach einem Weg aus der Krise. Im Osten denken nicht wenige, dass die Ursachen dafür auch in der Vereinigung von WASG und PDS liegen. Diese sei auf Kosten des Ostens gegangen.
So sieht es auch die Brandenburger Linke-Vorsitzende Anja Mayer. Unterschiede seien damals zu wenig anerkannt worden, sagt sie. Mayer wuchs in Rothenburg ob der Tauber auf und lebt seit 2015 in Potsdam. Viele halten sie für eine Urbrandenburgerin, vielleicht weil sie als Arbeiterkind so bodenständig tickt. „Wir haben viel Zeit für Debatten aufgewandt, die nichts mehr mit den Leuten zu tun hatten“, sagt Mayer. Wie lange habe man sich etwa über die Frage gestritten, ob es im Programm nun „Freiheit und Sozialismus“ oder „Freiheit durch Sozialismus“ heißen müsse.
Betreuungslandkreise so groß wie das Saarland
Der Rentnerin, die von 850 Euro leben muss, ist es wahrscheinlich völlig schnuppe, dass sich „Freiheit und Sozialismus“ durchsetzte. Die fragte Mayer im Wahlkampf eher, warum die Linke in Brandenburg noch immer nicht die Renten erhöht habe, obwohl sie doch seit zehn Jahren regiere. „Dass das auf Bundesebene geregelt werde, lassen die Menschen als Antwort nicht gelten.“
In Brandenburg hat die Linke 7 von 17 Mandaten verloren. Das heißt: 7 von 17 Landkreisen sind nunmehr „Betreuungswahlkreise.“ Da die Partei aus diesen keine Vertreter mehr in den Landtag entsenden kann, übernimmt ein Abgeordneter aus einem Nachbarlandkreis den verwaisten Kreis. Das trifft etwa auf den Landkreis Oder-Spree zu, ein Gebiet, annähernd so groß wie das Saarland.
Ist es da eine Option, sich verstärkt auf die Städte zu konzentrieren, wo die Mitgliederzahlen immerhin nicht sinken? „Nein“, meint Mayer. Sie sei nicht bereit eine einzige Region aufzugeben.
Doch die Frage, welcher Zielgruppe sich die Linke künftig zuwendet, stellt sich schon. Sahra Wagenknecht, die scheidende Fraktionsvorsitzende, äußerte am Wahlabend die Überzeugung, dass die Linke zu sehr als Teil des grünliberalen Establishments wahrgenommen werde. Man müsse sich mehr um die Unzufriedenen kümmern, den Umgang mit AfD-Wählern, von denen früher ja viele mal links gewählt hätten, überdenken.
Fluchen über Wagenknecht
AfD-Wähler zurückholen? „Die Leute wissen schon, wen sie wählen“, sagt Mayer. „Der Zug als Protestpartei ist abgefahren“, meint auch Verena Meiwald aus Sachsen. Wagenknechts Vorschlag erntet Kopfschütteln. Oder unterdrückte Flüche. Ist sie nicht gerade mit ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“ krachend gescheitert? Und hat nicht der Streit über die Ausrichtung der Partei, der zwischen Wagenknecht und Parteichefin Kipping als öffentlicher Machtkampf ausgefochten wurde, die Partei gelähmt und zu den schlechten Ergebnissen beigetragen?
Zusätzlich ziehen sich weitere Konflikte durch die Partei: Entlang von Themen wie der Globalisierung, dem Klimawandel, der Zukunft der EU. In der Linken gibt es da die gleichen Bruchlinien, die auch durch die Gesellschaft gehen. Aber sie kann sich weder für eine Seite entscheiden, noch schafft sie es, beide miteinander zu versöhnen. Deshalb werden auch ihre Positionen dazu, wie man den Klimawandel bekämpfen, die EU gestalten oder Migration regeln soll, entweder gar nicht oder dissonant wahrgenommen.
Mayer redet vom Gebrauchswert der Linken, der nicht klar erkennbar sei. Nicht in Brandenburg und Sachsen, nicht im Bund und nicht in Europa. Sie findet: Weder dürfe man die besseren Grünen noch die Alternative zur AfD für Enttäuschte werden. Die Linke müsse ein klar sozialpolitisches Profil zeigen.
Aber was, wenn die Menschen Sozialpolitik zwar für ein wichtiges Thema, aber nicht für wahlentscheidend halten? Sogar die Linke-Wähler finden, so die Wahlumfragen von infratest, dass der Linken neue politische Ideen fehlen.
Keine Tabus
Am Montag nach den beiden Landtagswahlen traf sich der 44-köpfige Parteivorstand im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Es fielen mehrfach Begriffe wie „Strategiedebatte“ und „Neuaufstellung“. Nach Angaben von Teilnehmerinnen sollen die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger klargemacht haben, dass es keine Tabus gebe, alles müsse auf den Tisch, auch die personelle Aufstellung. Aber bitte erst nach dem 27. Oktober. Der Parteivorstand ging mit: Keine Personaldebatten bis zur Landtagswahl in Thüringen.
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In Thüringen kämpft Bodo Ramelow, einziger linker Ministerpräsident, um sein Amt. Seit fünf Jahren regiert hier die Linke zusammen mit SPD und Grünen.
Beim Jahresempfang der Linke-Landtagsfraktion am Mittwochabend in Erfurt ist der Sommer zurück. Rund 420 Gäste sind gekommen, darunter der Vorsitzende des Bauernverbandes, der Rektor der Uni Jena, die MinisterInnen von SPD und Grünen. Was für ein Kontrast zu Dresden: Hier feiert eine selbstbewusste Fraktion, die mit sich selbst im Reinen ist.
Fast. First Dog Attila leckt der Journalistin die Hände, doch sein Herrchen knurrt, als man nach möglicherweise negativen Auswirkungen der Landtagswahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg fragt: Er stehe hier als Ministerpräsident, blafft Ramelow, der immerhin mal Fusionsbeauftragter für die Vereinigung von WASG und PDS war: Wenn es um die Linke gehe, müsse man die Partei fragen. Ob er sich im Wahlkampf Besuch aus Berlin wünsche, etwa von Parteichefin Kipping? „Sie stört mich nicht“, bescheidet Ramelow. Sehr gnädig.
Stabilisierung in Thüringen
Die Thüringer Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sieht das Wahldebakel als Herausforderung. Sie sagt: „Die Wahlen zeigen uns, dass Bodo Ramelow der Wahlentscheider sein wird.“ Wer ihn wolle, müsse die Linke wählen. Die Thüringer Linke macht genau das, was in Sachsen und Brandenburg gelungen ist: den Ministerpräsidenten als Gegenpol zu einer halbstarken AfD aufstellen. Die Strategie könnte sogar aufgehen, denn Ramelow erfreut sich großer Zustimmung. Selbst im konservativen Spektrum.
Mit einem Wahlerfolg in Thüringen wäre die Linke zumindest stabilisiert. Aber gerettet wäre sie damit noch lange nicht.
Es ist nicht die erste schwere Krise für die Partei. 2002 flog die PDS aus dem Bundestag. Drei Jahre später wurde Hartz IV eingeführt, und Oskar Lafontaine kam. Auf eine solche Fügung können die heutigen Linken kaum hoffen. Wenn sie sich 2020 zum Parteitag treffen, werden sie wieder inbrünstig singen: „Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun.“ Stimmt.
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