Neuer Kurs im Wirtschaftsministerium: Der Wind hat sich gedreht

Radikale Gegner der Energiewende gewinnen an Einfluss – und bremsen die Windkraft aus. Selbst die Industrie protestiert.

Ein Bauwagen steht vor Windrädern. Drauf steht, dass alles unter einem Kilometer Abstand krank macht

Die Windkraftgegner sind überall – auch im Bundeswirtschaftsministerium Foto: Paul Langrock / Agentur Zenit

Berlin taz | Der 5. September 2019 war ein angenehmer Spätsommertag in Berlin. Im Bundeswirtschaftsministerium hatte Peter Altmaier (CDU) zum „Windgipfel“ geladen: Vertreter der Industrie, der Behörden und der Länder saßen zusammen, um sich gegen die Krise zu wappnen. „Wir möchten, dass diese Branche erhalten bleibt und dass sie eine Zukunftsperspektive hat“, erklärte der Minister nach dem Treffen.

Direkt nach dem Gipfel hatte Altmaier noch einen internen Termin: In der Eingangshalle des Wirtschaftsministeriums, eines wuchtigen wilhelminischen Baus in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, warteten etwa hundert Mitarbeiter des Ministeriums. Bei Butterbrezeln und Getränken wurde der Leiter der Abteilung „Energie­politik – Strom und Netze“ verabschiedet. Urban Rid, der für die erneuerbaren Energien und die Energiewende bereits im Kanzleramt und im Umweltministerium zuständig war, hatte die Abteilung seit 2013 geführt.

Mit launigen Vorträgen und Reden wurde der Beamte in Pension geschickt und seine Nachfolgerin begrüßt: Stephanie von Ahlefeldt. Im roten Kleid machte sie bei dem Empfang Small Talk. Aber unter den Mitarbeitern des Ministeriums sorgten sich nicht wenige, dass nun ein anderer Wind wehen würde. Denn mit der Neubesetzung ist diese Schaltstelle der Energiewende in die Hände derjenigen geraten, die dieses Projekt schon immer bekämpft haben.

Zuvor hat von Ahlefeldt nämlich im Büro von CDU-Fraktionsvize und Union-Mittelstandschef Carsten Linnemann gearbeitet. Der hatte schon vor fünf Jahren ein Ende der rechtlichen Privilegien sowie Mindestabstände für Windräder gefordert, um die Kommunen vor „immer mehr Bauanträgen für neue Anlagen“ zu schützen. Davor war sie für den CDU-Abgeordneten Michael Fuchs tätig, einen energiepolitischen Hardliner, der den Atomausstieg bis heute für einen Fehler hält und bei jeder Gelegenheit gegen die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung polemisiert, die er für „Planwirtschaft“ hält.

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Die Sorge der Mitarbeiter hat sich bewahrheitet. Von Ahlefeldt agiere auch im neuen Job „als verlängerter Arm der Energiewendegegner“ aus der CDU-Fraktion, erzählt ein Insider. Mit ihr sei ein „echter Richtungswechsel“ im Ministerium erfolgt. Der Gesetzentwurf zur Zukunft der Windkraft, den die neue Chefin vorantreibt, setzt vor allem die Abstandsregel für Windanlagen, die im Klimapaket auf 1.000 Meter festgelegt wurde, so restriktiv um, dass Experten ein Ende der Windkraft an Land befürchten.

Dabei liegt die Branche derzeit ohnehin am Boden. Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Deutschland nur 86 Windräder neu aufgestellt. 2017 waren es insgesamt noch 1.792. Der Einbruch liegt zum Teil daran, dass wegen einer Umstellung der Förderung der Bau vieler Anlagen vorgezogen wurde. Zudem weisen die Kommunen immer weniger Flächen für Windkraft aus, und immer mehr geplante Projekte werden durch Klagen verhindert oder verzögert. Der größte deutsche Windradhersteller Enercon hat darum in der vergangenen Woche den Abbau von 3.000 Arbeitsplätzen bekannt gegeben. Insgesamt sind in der Branche bereits mehrere 10.000 Jobs verloren gegangen.

In dieser Situation müsste die Bundesregierung gegensteuern und die Hindernisse für den Wind-Ausbau verringern. Doch es geschieht das Gegenteil.

Von Ahlefeldt gilt als Expertin in diesen Fragen. „Sie weiß genau, an welchen Stellschrauben sie drehen muss, um etwas zu bewegen, und sie dreht gerade an allen Schrauben gleichzeitig“, heißt es im Ministerium: Denn die 1.000 Meter Abstand von Windrädern zu Wohngebieten standen zwar schon im Klimaschutzprogramm, das die Koalitionsspitzen verabschiedet haben. Die entscheidende Frage war dort aber offengeblieben: Wofür genau gilt sie?

Nach dem Entwurf des Ministeriums soll jedes Ensemble aus mehr als fünf Wohngebäuden auch außerhalb von Ortschaften als „Wohnbebauung“ gelten, und als Grenze gilt bereits die Grundstücksgrenze oder auch nur ein ausgewiesenes Wohngebiet. Auch für Gebiete, in denen bereits jetzt ein Windrad steht, sollen keine Ausnahmen gelten. Diese Windräder könnten nach Ende ihrer Lebensdauer also nicht durch neue ersetzt werden.

Bei der Debatte zum Klimaschutzgesetz am Freitag im Bundestag sorgte dann auch die Windkraft für Wirbel, obwohl es eigentlich um andere Themen ging. „Sie haben die Verantwortung für dieses Land, aber Sie deindustrialisieren es“, rief der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer der Regierung zu. „Sie vergolden jeden Arbeitsplatz in der Braunkohle mit 2 Millionen Euro, aber der Verlust Tausender Jobs in der Windenergie ist dem Minister nicht einmal eine Presseerklärung wert.“

Doch nicht nur Grüne, Linkspartei und Umweltverbände kritisieren die Pläne. Auch mehrere Wirtschaftsverbände, darunter unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie, protestieren in einem gemeinsamen Brief an Peter Altmaier: „Es ist uns unerklärlich, dass an einer Regelung zu bundeseinheitlichen Mindestabständen festgehalten wird, obwohl klar ist, dass damit das Ziel von 65 Prozent erneuerbarer Energien in 2030 nicht gehalten werden kann.“

Und auch ein Gutachten, das das Wirtschaftsministerium selbst in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem klaren Ergebnis: Wenn der 1.000-Meter-Abstand zu Ortschaften gilt, sinkt die für Windparks zur Verfügung stehende Fläche nur um 10 Prozent, schreiben die Experten. Gilt der Abstand aber auch für Wohnhäuser außerhalb von Ortschaften, reduziert sich die Fläche um 40 Prozent. Die Strommengen, mit denen die Regierung bei ihrem Klimaziel für 2030 für Windkraft an Land kalkuliert, wären damit nicht zu erreichen.

Die neue Ab­teilungsleiterin agiere „als verlängerter Arm der Energie­wendegegner“ aus der CDU, sagt ein Insider

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat bereits Einspruch eingelegt. Das Kabinett wird den Entwurf darum nicht wie zunächst geplant am kommenden Montag verabschieden. Und auch Wirtschaftsminister Altmaier deutet Kompromissbereitschaft an, wenn er erklärt, eine Lösung zu suchen, die es ermögliche, „dass wir unsere Ausbauziele auch in Zukunft erreichen“.

Als Grund für die nun geplante Regelung nennt Altmaier den wachsenden Widerstand gegen neue Windräder. „Heute haben wir die Situation, dass es bundesweit rund 1.000 Bürgerinitiativen gibt, und zwar überall dort, wo Windräder auf Wohnbebauung treffen“, sagte er am Donnerstag. „Das bedeutet, dass wir uns mit dem Thema Akzeptanz beschäftigen müssen.“ Im vergangenen Jahr hatte das Ministerium auf eine Anfrage der FDP noch geantwortet, dass kein Zusammenhang zwischen höheren Mindestabständen und stärkerer Akzeptanz von Windrädern nachgewiesen sei.

Oberster Windkraftgegner arbeitet im Ministerium

Jetzt schwenkt das Ministerium mit dem Verweis auf die fehlende Akzeptanz trotzdem auf den Kurs der radikalen Windkraftgegner ein. Das zeigt sich auch am Umgang mit der bundesweiten Initiative „Vernunftkraft“. Diese Gruppe, die nicht nur Windkraft generell ablehnt, sondern jegliche Klimaschutzbemühungen in Deutschland für unnötig hält, ist im Ministerium schon lange vertreten: Ihr 1. Vorsitzender Nikolai Ziegler arbeitet dort als Referent für Digitalisierung. Mit der Energiepolitik des Hauses hatte er in der Vergangenheit aber nichts zu tun.

In jüngster Zeit soll sich Ziegler über enge Kontakte zum zuständigen CDU-Staatssekretär Thomas Bareiß aber auch beim Thema Windkraft eingebracht haben, ist zu hören. Am Windgipfel am 5. September nahm er selbst nicht teil, konnte aber vor dem Ministerium fünf Vernunft-Mitstreiter*innen begrüßen, die beim Spitzentreffen dabei waren – und offenbar Gehör fanden: „Der Minister hat mein Statement und die der anderen Vernunftkraft-Mitstreiter wohlwollend angehört“, schrieb die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Susanne Kirchhof anschließend an die Mitglieder. Und jubelte: „Wir dringen mit unserer Botschaft durch.“

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