Neue Regierung in Italien: Roms Gruselkabinett
So seriös sie sich geben mag – die Wahl ihrer MinisterInnen enthüllt Melonis Absichten. Frauen, Queers und Flüchtenden stehen harte Zeiten bevor.
G iorgia Meloni ist am Ziel. Die neue Ministerpräsidentin Italiens übernahm am Sonntag die Amtsgeschäfte von ihrem Vorgänger Mario Draghi. Es ist eine radikale Wende: Nach Draghi, dem Chef einer von fast allen Parteien getragenen Notstandsregierung, der Person gewordenen Garantie für die Zuverlässigkeit Italiens in Europa, kommt jetzt die Anführerin einer stramm rechten Koalition, die Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) ans Ruder.
Doch trotz ihres Triumphs, trotz des klaren Wahlsiegs vor vier Wochen und der dann erfolgten schnellen Regierungsbildung, vermeidet Meloni jedes Triumphgeheul. Auf ihrem Spielplan steht nicht die Inszenierung einer radikal rechten Wende, sondern ein vor allem für das internationale Publikum, für Europa, für die Finanzmärkte komponiertes Stück: Rom bleibt seriös und zuverlässig.
Zwar scheiterte Meloni mit ihrem Ansinnen, Schlüsselpositionen wie das Außen- und das Finanzministerium an parteilose Technokraten mit internationalem Renommée zu vergeben – niemand ihrer Wunschkandidaten fand sich bereit; stattdessen kamen ihre Koalitionspartner von Forza Italia und der Lega in den beiden Ressorts zum Zug.
Doch anders als sein Parteichef Silvio Berlusconi ist der neue Außenminister Antonio Tajani ein Mann, der sich – als früherer EU-Kommissar und EP-Präsident – den Ruf erarbeitete, klar proeuropäisch und in der Ukrainekrise antirussisch positioniert zu sein.
Alphamännchen in die Schranken gewiesen
Auch der neue Finanzminister Giancarlo Giorgetti von der Lega kann geradezu als Gegenentwurf zu seinem Parteichef Matteo Salvini gelten: als Politiker nicht des harten, ja hetzenden Auftritts, sondern als immer den Kompromiss suchender Mann der leisen Töne, der sich nicht umsonst seiner Freundschaft zu Mario Draghi rühmt.
Erfolgreich war Meloni auch damit, ihre beiden Koalitionspartner, die Alphamännchen Berlusconi und Salvini, in die Schranken zu weisen. Berlusconi wollte seiner Partei den Zugriff aufs Justiz- und aufs Wirtschaftsministerium sichern. Die Justiz interessiert ihn, weil immer noch Prozesse gegen ihn laufen, die Wirtschaft, weil das Ressort auch für die Medien – und damit für sein TV- und Verlagsimperium zuständig ist. Berlusconi ging leer aus.
Nicht gut lief es auch für Salvini, der gern das Innenministerium ergattert hätte, um aus dieser Position das Revival seiner Politik der „geschlossenen Häfen“ gegen Flüchtlinge und NGOs zu bringen, die er schon in seiner Zeit als Innenminister in den Jahren 2018-19 umgesetzt hatte. Stattdessen wird mit dem Präfekten Matteo Piantedosi jetzt ein Technokrat Chef des Innenressorts.
Kein Grund sich zu entspannen
Den Ball flach halten: Dies scheint, wie schon im Wahlkampf und direkt nach dem Wahlsieg jetzt auch bei der Kabinettsbildung Melonis Richtschnur zu sein. Radikal rechte Akzente setzt sie jedoch auch – dort, wo keine unmittelbare Gefahr für Italiens Stabilität droht. So berief sie Eugenia Roccella zur Ministerin für „Familie, Geburten, Gleichstellung“.
Die stramme Katholikin fiel vor allem mit ihrem Kampf gegen eingetragene Lebenspartnerschaften und gegen die legale Abtreibung – in ihren Worten: „Abtreibung ist kein Recht“ – auf. Die LBGTQI-Verbände sind entsetzt. Auch der neue Bildungsminister Giuseppe Valditara verfolgt einen allzu klaren Kurs. Auf sich aufmerksam machte er als Autor von Büchern wie „Immigration – die große humanitäre Farce“ oder: „Das römische Reich, zerstört von den Immigranten“.
Kein Grund also, sich entspannt zurückzulehnen: Giorgia Meloni mag auf Samtpfoten daher kommen, sie mag eisern entschlossen sein, international Schäden zu vermeiden, doch ihre reaktionäre Agenda bleibt intakt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles