Flüchtlingspolitik in Italien: Worte härter als Taten

Italiens neue Rechtsregierung wollte „illegale“ Flüchtlingseinreisen beenden. Jetzt ließ sie erstmals widerwillig einige Menschen an Land.

Flüchtlinge und Migrantinnen bei der Ankunft in Roccella Jonica, Kalabrien, 30. Oktober Foto: Imago / Valeria Ferraro

BERLIN taz | Nach über zwei Wochen an Bord des Rettungsschiffes „Humanity 1“ konnten in der Nacht auf Sonntag 144 aus Seenot gerettete Flüchtlinge und Mi­gran­t:in­nen im sizilianischen Catania an Land gehen. 35 weiteren verweigerte Italien die Einreise. Sie müssen weiter auf der „Humanity 1“ ausharren – ebenso wie rund 890 Schiffbrüchige an Bord von drei anderen NGO-Rettungsschiffen.

Es war das erste Mal, dass Italien gerettete Mi­gran­t:in­nen an Land ließ, seit das rechtsextreme Regierungsbündnis von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am 22. Oktober die Amtsgeschäfte übernommen hatte.

Die unter deutscher Flagge fahrende „Humanity 1“ hatte bei drei Rettungseinsätzen am 22. und 24. Oktober insgesamt 179 Schiffbrüchige an Bord genommen. Die NGO hatte seither nach eigenen Angaben 21 Mal bei den Behörden um die Erlaubnis gebeten, einen Hafen ansteuern zu dürfen. Die Lage auf dem Schiff hatte sich seither immer weiter verschärft.

Am Freitag hatte der Kapitän der „Humanity 1“ ein Schreiben erhalten, das von den drei italienischen Ministern für Inneres, Verteidigung und Verkehr signiert worden war. Darin verbot Italien dem Schiff, länger in italienischen Hoheitsgewässern zu verweilen, als „Hilfsmaßnahmen für Menschen in Notlagen und in prekären Gesundheitszuständen erforderlich sind“. Lediglich „besonders vulnerable Personen“ würden von dem außerhalb des Hafens ankernden Schiff an Land gebracht werden.

143 von 179 Geflüchteten dürften von Bord gehen

Gegen 22 Uhr am Samstagabend wies die italienische Rettungsleitstelle dann den Kapitän an, in den Hafen von Catania einzufahren. Dort forderten die Behörden die Schiffsärztin der „Humanity“ auf, zu benennen, welche der Menschen an Bord sich in einem „prekären Gesundheitszustand“ befinden, sagte Wasil Schauseil, der Sprecher von SOS Humanity, am Sonntag der taz.

Als die Ärztin geantwortet habe, dass dies bei allen 179 der Fall sei, seien eine Krankenschwester des Roten Kreuzes und zwei Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Gesundheitsministeriums an Bord gekommen. Sie hätten die Mi­gra­nt:in­nen untersucht und entschieden, dass 143 Menschen von Bord gehen dürfen. Die 36 übrigen seien gesund genug, um an Bord zu bleiben. Einer von ihnen kollabierte darauf und wurde von Sanitätern von Bord geholt.

Der Kapitän und der Missionsleiter wurden von der Polizei befragt und am Sonntag aufgefordert, Italiens Hoheitsgewässer mit den 35 verbliebenen Mi­gran­t:in­nen zu verlassen. Die Regierung will, dass die Staaten, unter deren Flagge die Rettungsschiffe fahren, die Menschen aufnehmen. Im Fall der „Humanity“ ist das Deutschland. Das Seerecht sieht indes vor, dass Schiffbrüchige im nächsten sicheren Hafen an Land gehen dürfen.

Mirka Schäfer, SOS Humanity

„Das Dekret des Innenministers ist zweifellos rechtswidrig“

„Das Dekret des italienischen Innenministers ist ohne Zweifel rechtswidrig“, sagt Mirka Schäfer von SOS Humanity. „Flüchtende an der italienischen Grenze zurückzuweisen verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention sowie internationales Recht.“ Der Kapitän weigerte sich deshalb, der Aufforderung Folge zu leisten. „Es ist meine Pflicht, die Rettung der Menschen aus Seenot mit der Ausschiffung aller Überlebenden im Hafen von Catania als sicherem Ort abzuschließen“, wird er von der NGO zitiert.

Denkbar ist, dass Italiens Justiz deshalb gegen ihn vorgeht. „Wir bereiten uns juristisch auf alles vor“, sagt Wasil Schauseil.

Derweil warten drei weitere Schiffe dringend auf eine Einfahrmöglichkeit in einen Hafen: Die „Geo Barents“ von Ärzte ohne Grenzen hat 572 Menschen an Bord, die die Crew zwischen dem 27. und 29. Oktober gerettet hatte. Die „Ocean Viking“ der NGO SOS Méditerranée kreuzt mit 234 und die „Rise Above“ der deutschen NGO Mission Lifeline mit 93 Menschen an Bord im Mittelmeer.

Rechte Wahlkampfrhetorik

Meloni hatte im Wahlkampf ein hartes Vorgehen gegen die NGOs angekündigt. Im Wahlprogramm ihrer Partei Fratelli d’Italia ist nur vage die Rede von der „Bekämpfung der Aktivitäten von NGOs, die illegale Einwanderung erleichtern“. Später hatte Meloni mehrfach davon gesprochen, dass eine „Seeblockade“ die einzige Möglichkeit sei, die illegale Einwanderung zu stoppen und der „illegalen Ausreise nach Italien ein Ende zu setzen“.

Doch so einfach ist es nicht. Dem von Meloni zum Verkehrsminister degradierten Ex-Innenminister Matteo Salvini hängt bis heute juristisch nach, dass er in seiner Amtszeit als Innenminister 2019 Schiffen mit Geretteten die Einfahrt in Italiens Häfen verbot. Weil er sich deshalb bis heute wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauchs vor Gericht verantworten muss, kam er als Innenminister nicht mehr infrage.

Am Sonntag begrüßte Salvini die neue Richtlinie im Umgang mit den Rettungsschiffen, die er zusammen mit dem Verteidigungs- und dem Innenminister unterzeichnet hatte. „Wir wollen nicht länger Geisel dieser ausländischen und privaten NGOs sein, die die Routen, den Verkehr, den Transport und die Migrationspolitik organisieren“, sagte Salvini in einem Face­book-Video.

„Das Dekret der neofaschistischen Regierung Italiens ist ein neuerlicher Versuch, menschenrechtliche Grundsätze durch Bürokratie auszuhebeln“, sagte Ruben Neugebauer von der Initiative Civil Fleet der taz. Es zeige den „zutiefst menschenfeindlichen Charakter dieser Regierung“, so Neugebauer. „Wir hoffen, dass weder diese Regierung noch das Dekret lange bestehen werden.“ 15 Rettungsschiffe in der zivilen Flotte seien ein „klares Zeichen dafür, dass das Ertrinkenlassen und Zurückweisen an Europas Seegrenze kein Konsens ist.“

Neben den vier Schiffen, die derzeit mit Geretteten auf dem Mittelmeer unterwegs sind, sind elf weitere private Rettungsschiffe im Einsatz oder bereiten sich auf einen vor: Die „Aita Mari“, „Open Arms Uno“, „Astral“, „Sea-Watch 3“, „Sea-Eye 4“, „Emergency“, „Aurora“, „Louise Michel“, „Sea-Punks“, „Nadir“, „Imara“ und die „Mare Ionio“. Erst am Freitag hatte die NGO Sea Watch ihr neues und bislang größtes Schiff, die „Sea Watch 5“, im Hamburger Hafen getauft.

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