Neue Partei von Corona-Skeptikern: Der Großverschwörung auf der Spur

In mehreren Städten gehen „Coronaskeptiker“ auf die Straße. Nun könnten sie ein Sammelbecken finden: die Neupartei „Widerstand 2020“.

Ein Anhänger von Widerstand 2020 wird bei den Berliner Protesten gegen die Corona-Verordnungen abgeführt.

Ein Anhänger von „Widerstand 2020“ wird bei den Berliner Protesten abgeführt Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Es sind euphorische Meldungen, die der „Widerstand 2020“ derzeit verbreitet. Mehr als 100.000 Mitglieder zähle man bereits. Mehr als die AfD, Linke oder FDP. „Wir sind eine Bewegung, die nicht mehr aufzuhalten ist“, postuliert die Neupartei. Die Frage ist nur: Was für eine Bewegung?

Erst am Wochenende waren die Logos vom „Widerstand 2020“ wieder zu sehen. Auf Kundgebungen von CoronaskeptikerInnen in Berlin, Stuttgart, München oder Frankfurt. In der Hauptstadt treffen diese sich bereits seit Wochen, in Stuttgart kamen am Samstag nun gar bis zu 5.000 DemonstrantInnen zusammen. Infektionsschutz wie Abstandhalten oder Mundschutz wurden da nicht immer eingehalten. Das überrascht nicht: Es ist der Konsens der ProtestlerInnen, die derzeitigen Coronamaßnahmen für völlig überzogen zu halten.

Und nun haben sie sogar eine Partei: den „Widerstand 2020“. Man sei eine „Mitmachpartei“, „jeder hat eine Stimme“, wirbt diese. Man befinde sich im Widerstand „gegen den politischen Umgang, den wir gerade erleben, gegen das Außerkraftsetzen unserer Grundgesetze und gegen die Machtausnutzung unserer Regierung“. Verfolgt werde „ein Ziel der Menschlichkeit“, heißt es blumig. Eine „wahrhaftige Demokratie“, eine „echte Veränderung im System“, bei der es nicht um Macht und Geld gehe. Das Grundgesetz brauche „eine dringende Reform“.

Mit einem Klick zum Mitglied

Was und wie groß der „Widerstand 2020“ tatsächlich ist, bleibt derweil unklar. Denn die gut 100.000 Mitglieder sind bisher nur Behauptung. Auf der Webseite der Neupartei reicht eine Anmeldung per Webformular, Mitgliedsbeiträge werden noch nicht erhoben. Die Partei erklärte inzwischen, Mitglieder würden durch eine E-Mail-Bestätigung verifiziert, fehlerhafte Datensätze gelöscht. Wie viele reale Personen sich hinter den Anmeldungen befinden und wer sich am Ende wirklich engagiert, bleibt damit offen.

Gegründet wurde die Partei nach eigenen Angaben am 21. April von einem Trio, via Zoom-Videokonferenz: Es sind Bodo Schiffmann, ein HNO-Arzt aus Baden-Württemberg, der in Sinsheim eine Ambulanz für Schwindelerkrankungen betreibt. Ralf Ludwig, ein Leipziger Anwalt. Und Victoria Hamm, eine angehende Psychologin aus Lehrte. In der niedersächsischen Stadt hat die Partei laut Satzung auch ihren Sitz. Adresse war anfangs die einer Hannoveraner Briefkastenfirma, bei der auch die AfD Niedersachsen ihre Anschrift hat. Ein Zufall, so die Partei. Beim Bundeswahlleiter heißt es indes, von der Partei seien bisher noch keine Unterlagen eingegangen. Mitgründer Ludwig beteuert, diese seien auf dem Weg.

Mitgründer Schiffmann hält Corona für „medialen Hype“

Das Gesicht von „Widerstand 2020“ ist ohne Frage Bodo Schiffmann. In Videos meldet sich der Arzt fast täglich zum Thema Corona zu Wort – und Zehntausende rufen die Beiträge auf. Das Coronavirus wird von Schiffmann dabei der Grippe gleichgestellt, es sei ein „medialer Hype“. Die Politik reagiere überzogen, öffentlich-rechtliche Medien würden „Massenpanik“ verbreiten, immer wieder raunt Schiffmann von Zensur. Den Virologen Christian Drosten nennt Schiffmann „unsäglich“. Einen Impfstoff gegen das Coronavirus brauche es nicht, auch kein Maskentragen. Auch Bill Gates bezeichnet Schiffmann als „Gegner“. Dem wirft die Skeptikerszene vor, er profitiere an der Impfstoff­entwicklung gegen Corona. Mit einem dieser Anheizer, dem Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen, traf Schiffmann sich jüngst zum Interview. Dabei trug er ein Alu-Kügelchen am Revers – als Erkenntniszeichen der selbst ernannten „Querdenker“.

Schiffmanns Ausführungen sind auch Programm für „Widerstand 2020“. Bei der Kundgebung in Stuttgart stand auch Parteimitgründer Ralf Ludwig auf der Bühne. „Es geht darum, unsere Freiheit zu nehmen“, klagte auch er über die Coronamaßnahmen. So könne er seit Wochen seine Tochter in Mallorca nicht mehr besuchen. Und: „Wir sollen nicht mehr über unseren Körper frei entscheiden dürfen.“ Die Politik plane eine „absolute Gesundheitskontrolle“, jeder solle geimpft werden, warnte Ludwig. Die ZuhörerInnen quittierten das mit Buhrufen.

Man wolle Freiheit und einen „liebe­vollen Umgang“,so Parteigründer Ludwig

Tatsächlich scheinen sich etliche ImpfgegnerInnen auf den Kundgebungen gegen die Coronamaßnahmen oder in den neu gebildeten Telegram-Chatgruppen zu bewegen. Die Angst vor einem Impfzwang ist dort allgegenwärtig. Daneben tummelt sich eine wilde Melange Besorgter oder selbst ernannter „Corona-Rebellen“, links wie rechts, einige Verschwörungstheoretiker, andere Esoteriker. Sie alle pochen auf ein Ende der Corona-Einschränkungen mit Verweis auf ihre Grundrechte – der Schutz anderer vor Ansteckung ist nicht ihr Thema. Das Coronavirus halten sie für harmlos, einige gar für nicht existent. Und sie rufen nun zum Widerstand gegen die Regierungspolitik auf.

Das Ziel: ein „liebevoller Umgang“

Das greift nun auch der „Widerstand 2020“ auf – und findet in der Szene Anklang. Die konkreten politischen Ziele bleiben jedoch vage. „Oberstes Ziel sind unsere Freiheitsrechte“, erklärt Parteigründer Ralf Ludwig der taz, der zu Uni-Zeiten für den CDU-nahen Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) aktiv war. Man wolle „Machtstrukturen begrenzen“, die in der Coronakrise nicht funktioniert hätten. Politik solle im „liebevollen Umgang“ miteinander gemacht werden. Über den Weg dorthin soll „der Schwarm“ entscheiden, mittels einer App, die sich in Entwicklung befinde.

Eine politische Einordnung seiner Partei lässt Ludwig offen. Aber er verweist auf die Satzung, in der sich von „totalitären, diktatorischen und faschistischen Bestrebungen“ distanziert wird. Mit der derzeitigen Demokratie kann der „Widerstand 2020“ aber offenbar auch nicht viel anfangen. „Verfassungsgerichte handeln entgegen unseren Rechten, Politiker entscheiden willkürlich“, schreibt die Partei – ungeachtet von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das zuletzt etwa Untersagungen von Demonstrationen aufhoben. Der Gegenvorschlag von Ludwig: ein „Notstandsparlament“. Dabei würden 700 „mündige Bürger“, die in den vergangenen fünf Jahren politisch nicht aktiv waren, die Bundestagsabgeordneten ablösen. Das Ziel: „Wir können verhindern, dass nicht die uns retten, die uns den Brand erst zugeführt haben.“

Mit dem Infragestellen der bestehenden Demokratie ist Ludwig nicht allein. Noch schärfer formulieren es die Organisatoren der Berliner Proteste. Alle Parteien seien derzeit dem Regierungskurs „unterworfen“, die Medien „gleichgeschaltet“, heißt es in deren Flugschrift. Die staatlichen Institutionen würden „gegen die Menschen instrumentalisiert“. Ein „dystopisches Digital- und Pharmakonzernkartell drängt zur Macht“. Dagegen habe man „das Recht zum Widerstand“. Auf die Berliner Proteste verweist immer wieder auch „Widerstand 2020“-Gründer Bodo Schiffmann.

Auch seine Mitstreiterin Victoria Hamm schreibt, man müsse dafür sorgen, dass von den Abgeordneten „der Großteil im Bundestag eingetauscht wird“. An anderer Stelle lässt sie Nationalismus anklingen, wenn sie fragt, „warum wir nicht mehr für die wirklich wichtigen und inländischen Probleme tun, anstatt anderen Ländern, die selbst unglaublich schlecht gewirtschaftet haben, zu helfen“.

Rechtsextreme Einflussnahmen

Es ist eine heikle Rhetorik. Denn zuletzt mischten sich auch organisierte Rechtsextreme unter die CoronaskeptikerInnen. In Berlin etwa der frühere NPD-Chef Udo Voigt, in Sachsen „Pro Chemnitz“ oder ein Auer NPD-Funktionär, in Halle der Rechtsextremist Sven Liebich. In anderen Städten reihten sich AfD-PolitikerInnen ein.

Und auch „Widerstand 2020“ haben die Rechtsextremen im Visier: Der Identitäre Martin Sellner bekundet, die Partei sei „in unserem patriotischen Lager in aller Munde“. Er habe mit Schiffmann bereits „ein gutes Gespräch“ geführt. Gleichzeitig kritisiert Sellner den Arzt dafür, in einem Video für die Aufnahme von Geflüchteten plädiert zu haben. Die Partei sei daher in der Migrationsfrage kein Partner und werde ein „Strohfeuer“ bleiben. Aber: Temporär könne man „Widerstand 2020“ durchaus unterstützen, um den „Politikern einzuheizen“.

Der Thüringer Soziologe Matthias Quent warnt vor einer „rechtsextremen Vereinnahmung der Coronakrise“. Verunsicherungen und Protest seien in Zeiten der Pandemie verständlich. Antidemokratische Akteure versuchten aber, diese Proteste für sich zu nutzen. Sie stellten die Krise als Komplott der Politik oder Reichen dar, einige propagierten eine jüdische Verschwörung. Zudem verstärkten die Rechtsextremen Verunsicherungen durch Übertreibungen und Falschmeldungen, so Quent. „Widerstand 2020“ hält der Forscher bisher vor allem für populistisch. Gerade wegen des Zuspruchs auch von Rechtsextremen müsse die Partei hier nun aber „unmissverständliche Distanzierungen“ vorlegen.

„Extremisten nutzen die Krise“

Auch die Sicherheitsbehörden sind hellhörig. „Extremistische Gruppen nutzen die Krise zur weiteren Verbreitung und Verstärkung ihrer jeweiligen ideologischen Narrative“, heißt es in einem internen Lagebild zur Coronapandemie. Minderheiten werde eine Schuld an der Ausbreitung vorgeworfen, der Bundesregierung eine „gezielte Desinformationskampagne“.

Die CoronaskeptikerInnen rufen derweil bereits am Samstag erneut zu Kundgebungen in mehreren Städten auf. Und „Widerstand 2020“ will noch diese Woche die Gründung von Landesverbänden anschieben. Anführer Schiffmann ruft Abgeordnete anderer Parteien derweil zum Übertritt auf – dann sitze man womöglich schon bald im Bundestag. „Wir müssen schnell aktiv werden“, appelliert Schiffmann. „Wir haben nicht so viel Zeit.“

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