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Neue Härte in HamburgAusländerbehörde verschäft Lehrlingsmangel

Hamburg weist vermehrt junge Geflüchtete aus, die eine Lehrstelle und damit ein Aufenthaltsrecht haben. Sozialarbeiter fordern ein Ende dieser Praxis.

Von Abschiebung bedroht: Kundgebung in Hamburg-St.- Pauli für Khalid und Hatrouch Foto: Jonas Stora

Luna Freund ist Sozialarbeiterin in der Hamburger Einrichtung „Heimathafen“, die sechs junge Geflüchtete betreut. „Wir sind ein engagiertes Team aus Leuten, die ihren Job wirklich lieben“, sagt sie. Doch die pädagogische Arbeit werde immer schwieriger. „In den letzten Monaten kamen wöchentlich Ablehnungsbescheide von Asylanträgen bei unseren Jugendlichen an“, berichtet sie. „Teilweise gab es auch schon konkrete Androhung von Abschiebung.“ Das reiße den Jugendlichen den Boden unter den Füßen weg.

Sie betreut zum Beispiel Khalid, der kurz nach seiner Ankunft in Deutschland vor gut zwei Jahren zur Schule kam, schnell Deutsch lernte und heute im Fußballverein spielt. „Khalid ist zudem ein humorvoller und lebensbejahender junger Mensch, der mit seiner freundlichen Art schnell Anschluss gefunden hat“, schreibt Luna Freund in einer Onlinepetition für den Jungen. Khalid hat gerade seinen Ersten Schulabschluss (ESA) bestanden und kann ab August eine Ausbildung zum Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft beginnen. Auch Khalids Mitbewohner Hatrouch soll abgeschoben werden. Er geht noch zur Schule und hat auch ab Sommer einen Ausbildungsplatz.

Eigentlich sieht der Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes vor, dass einem Ausländer eine Ausbildungsduldung zu erteilen ist, wenn er eine Ausbildung in einem anerkannten Lehrberuf beginnt. Doch nun soll den jungen Männern zum Verhängnis werden, dass sich nicht innerhalb der ersten sechs Monate nach ihrer Einreise ihre Identität eindeutig klären ließ. Beide waren bei ihrer Einreise über 18, hatten aber unbestreitbar Anspruch auf Jugendhilfe für junge Volljährige, die bis 21 greift.

Die sie unterstützenden Sozialarbeiter geben zu bedenken, dass die Jungen bei der Einreise kein Deutsch konnten und auf Übersetzer angewiesen waren. Es sei für sie nicht leicht gewesen, alle Abläufe zu durchschauen und beispielsweise Papiere aus der Heimat zu besorgen.

Amt für Migration sieht keinen Spielraum

Das in Hamburg zuständige Amt für Migration erklärt zum Schicksal der beiden gefragt, man könne sich aus Datenschutzgründen zu Einzelfällen nicht äußern. Doch grundsätzlich sei man auch bei der Ausbildungsduldung daran gebunden, dass die „Erteilungsvoraussetzungen“ erfüllt seien. „Wenn diese Erteilungsvorausetzungen nicht erfüllt werden – zum Beispiel im Falle einer Täuschung über die Identität – ist sie dann rechtlich ausgeschlossen“, sagt Sprecher Christian Schridde. Da gebe es auch keinen Ermessensspielraum.

Das schätzt Carola Ensslen, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion, anders ein. „Es gibt Spielräume bei der Beurteilung der Mitwirkungsfristen“, sagt die Juristin. So dürfe in dem zumeist dem Antrag auf Ausbildungsduldung vorausgegangenen Asylverfahren kein Kontakt zum Herkunftsland erwartet werden. „Und wer nicht weiß, was er genau tun soll, darf nicht im Nachhinein ‚bestraft‘ werden“, sagt Ensslen. Die Behörde habe hier eine Hinweis- und Beratungspflicht. Auch das Gesetz sehe ein Ermessen vor, sollte die Identitätsklärung nicht rechtzeitig gelingen. Der etwaige Vorwurf einer „Identitätstäuschung“ spiele ihres Erachtens bei Ausbildungsduldungen nur eine untergeordnete Rolle. „Nur wenn bei aufenthaltsspezifischen Delikten eine Strafe über 90 Tagessätzen ausfällt, kann keine Duldung oder Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“, sagt Ensslen. Oft werden solche Verfahren aber sogar­ ­eingestellt.

Die Linken-Politikerin sieht Anzeichen dafür, dass der rot-grüne Hamburger Senat hier eine härtere Gangart fährt. „Ich werde aus verschiedensten Beratungseinrichtungen damit konfrontiert, dass insbesondere sehr schnell Beschäftigungsverbote verhängt werden, wenn Identitäten nicht vollständig geklärt sind.“

Keine Abschiebung aus der Jugendhilfe

Luna Freund und ihre KollegInnen fordern, dass aus Jugendhilfeeinrichtungen grundsätzlich nicht abgeschoben wird. Andernfalls könne man die Arbeit gar nicht mehr machen. Es sei extrem schwierig, unter solchen Bedingungen pädagogisch zu arbeiten. Die drohenden Abschiebungen seien nicht nur menschlich, sondern auch integrationspolitisch fragwürdig: „Denn in Hamburg herrscht akuter Fachkräftemangel. Gerade im Verkauf bleiben viele Ausbildungsstellen unbesetzt“, sagt Freund.

Das Amt für Migration erklärt zur Forderung, aus der Jugendhilfe nicht mehr abzuschieben: „Diese Forderung ist uns nicht bekannt.“ Auf eine Anfrage der Linken, wie viele Abschiebungen aus Jugendhilfe es in 2024 und 2025 gab, antwortet der Senat gar: „Keine“. Noch hat Luna Freund Hoffnung, dass der Eingabeausschuss der Bürgerschaft ihren Schützlingen helfen wird.

Grüne fordern für junge Geflüchtete Verlässlichkeit

Immerhin bei der Grünen-Fraktion stößt das Anliegen auf offene Ohren. „Als Grüne Fraktion ist unsere Position klar: Der vorhandene Ermessensspielraum im Aufenthaltsrecht sollte im Sinne der jungen Menschen genutzt werden“, sagt die fluchtpolitische Sprecherin Lena Zagst.

In den letzten Monaten kamen wöchentlich Ablehnungsbescheide von Asylanträgen bei unseren Jugendlichen an

Luna Freund, Sozialarbeiterin

Rot-Grün habe sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, gut integrierten Geflüchteten durch Schulbesuch, Ausbildung und Arbeitsverhältnisse eine Bleibeperspektive zu eröffnen. Man setze sich in Bund und Land dafür ein, dass viele junge Menschen von der Regelung zur Verlängerung des Aufenthalts profitieren. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel wäre es fatal, das Potenzial junger Menschen nicht zu nutzen, sagt Zagst. Das Hamburger Projekt „Übergänge in Ausbildung und Arbeit“ spiele hier eine wichtige Rolle und müsse „ins Regelsystem überführt“ werden.

Vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, wenn Jugendliche, die eine Lehre beginnen und in Häusern der Jugendhilfe betreut werden, abgeschoben werden, sagt Lena Zgast: „Gerade in dieser Lebensphase braucht es Schutz, Perspektive und Verlässlichkeit“.

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1 Kommentar

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  • Es ist schade, dass Deutschland das Auge oder beide Augen nicht mehr zudrückt. Das Problem ist, dass CDU, CSU und SPD abschieben wollen. Die Zahl der Migranten, die unbegründet einen Asylantrag stellen, soll massiv gesenkt werden und das geht nur, wenn man sehr hart mit Menschen umgeht.



    Und ob das hier in der taz steht, es wird einfach gemacht, weil die Bevölkerung auf diesen Kurs längst eingeschworen ist. Und ob wir wirklich so einen hohen Bedarf an Arbeitskräften haben, dass wir die gesetzlichen Auflagen lockern, nein, das wird nicht passieren.



    Wer einen Asylantrag stellt, muss eine Begründung abliefern, die stand hält. Wer aus bestimmten Ländern stammt, ist damit fast immer aus dem Rennen.



    Und der Antrag nach §41 SGB VIII muss rechtzeitig und begründet gestellt werden. Dann kann ein junger Mensch bis zum 21. Lebensjahr hier bleiben. Sonst aber nicht. 18 ist die Grenze, wer da nicht extrem positiv auffällt und Asylargumente geliefert hat, der hat kaum noch eine Chance.



    Ich glaube, dass Grundproblem liegt in der Öffentlichkeit in den Medien, jeder Mensch der bleiben kann oder der gehen muss, wird politisiert, wird medialisiert, wird transparent. Die Diskussion hört nicht auf.