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Neue Brexit-EinigungPragmatismus setzt sich durch

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

London und Brüssel haben das das Unmögliche möglich gemacht. Boris Johnsons Gegner im Unterhaus müssen sich jetzt gut überlegen, was sie tun.

Jaaaaaa, Brexit! Wenn Boris Johnson sich da mal nicht zu früh freut… Foto: AP Photo/Frank Augstein

W er hätte das gedacht. Monatelang hieß es von EU-Seite stets, der mit Theresa May ausgehandelte Brexit-Deal sei der „beste“ und „einzige“ Deal, ihn wieder aufzuschnüren sei völlig unmöglich und der Nordirland-Backstop sei alternativlos. Den Sommer über suggerierte das Trommelfeuer der veröffentlichten Meinung, Boris Johnson steuere den No-Deal-Crash an und sei deshalb ein unzuverlässiger Clown, ein gefährlicher Populist, jedenfalls kein ernst zu nehmender Verhandlungspartner. Und jetzt?

Jetzt haben London und Brüssel das Unmögliche möglich gemacht und einen neuen Brexit-Deal erarbeitet. Jean-Claude Juncker und Boris Johnson sind ein Herz und eine Seele. Und auch die EU-Staaten billigen den Deal. Der ungeliebte Nordirland-Backstop, der den alten Theresa-May-Deal im britischen Parlament durchfallen ließ, ist gestrichen. Das Vereinigte Königreich muss nicht mehr, wie bisher vorgesehen, ohne Mitspracherecht Teil des EU-Zollgebiets bleiben, solange es den Europäern gefällt – nicht einmal Nordirland muss das.

Es gibt nun eine zwar komplexe, aber von beiden Seiten akzeptierte Lösung, die zumindest auf dem Papier einen pünktlichen Brexit möglich macht und damit ein zutiefst destruktives Kapitel der britischen Politik und der britisch-europäischen Beziehungen beendet. Pragmatismus und gegenseitiges Vertrauen haben am Ende die Oberhand behalten – in Brüssel, in London, in Dublin.

Natürlich kann dieser Deal immer noch im britischen Parlament durchfallen und eine Regierungskrise auslösen, die alles wieder infrage stellt. Aber die Johnson-Gegner im Unterhaus, die in den letzten Wochen Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um einen No-Deal-Brexit unmöglich zu machen, müssen sich jetzt gut überlegen, was sie tun.

Man braucht dafür keinen EU-Einheitsstaat

Kann man immer nur zu allem Nein sagen? Erst den No-Deal stoppen und dann den Deal blockieren? Erst die Bindung an die EU bewahren wollen und dann gegen etwas stimmen, das dieselbe EU ihrem eigenen Parlament zur Annahme empfiehlt?

Möglicherweise wird eine kurze technische Verschiebung des Brexit-Datums nötig werden, um den Ratifizierungsprozess in Brüssel und London zum Abschluss zu bringen. Aber ansonsten sollten jetzt beide Seiten ein neues Kapitel in ihren Beziehungen aufschlagen und an den wirklich wichtigen Dingen arbeiten: An einem starken Europa, in dem die EU mit allen Nicht-EU-Mitgliedern zusammen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintritt und einen Gegenpol bildet zu Trump, Xi und Putin. Man braucht dafür keinen EU-Einheitsstaat, sondern ein pluralistisches Europa der inneren Vielfalt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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30 Kommentare

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  • Dass dieser Deal jetzt geschlossen werden könnte (und vorher nicht), hat rein innerbritische Gründe: Der Backstop war nötig, weil May notgedrungen die Position eingenommen hatte, dass Großbritannien und Nordirland nur als einheitlich Zollraum aus der EU ausscheiden können. SIE brauchte nämlich für ihre Regierungsmehrheit noch die DUP, und die war und ist strikt gegen jede Abtrennung Nordirlands vom restlichen britischen Wirtschaftsraum. Johnson muss diese Rücksicht nun nicht mehr nehmen, da er auch mit der DUP keine stabile Mehrheit mehr hinbekommt und eh Neuwahlren anstrebt. Also konnte er Mays Position an der Stelle aufgeben.

    Für die EU ist die jetzt gefundene Lösung funktionell dem Backstop - zumindest annähernd - gleichwertig: Es gibt keine Zollgrenze auf der irischen Insel, ohne die EU-Außengrenze zu kompromittieren. Das war von vornherein ihr wesentliches Anliegen.

    • @Normalo:

      "Für die EU ist die jetzt gefundene Lösung funktionell dem Backstop - zumindest annähernd - gleichwertig..."

      Der Backstop hätte ganz GB wirtschaftlich fest an die EU gebunden. Und zwar so lange, wie es der EU passt. Das ist ein gewaltiger Unterschied zur neuen Reglung.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Aus britischer Sicht schon. Aus europäischer Sicht wäre das zwar hübsch gewesen, aber der Deal ging auch ohne. Eine wesentlich ähnliche Lösung war ja auch schon unter May diskutiert worden, aber sie lehnte aus Rücksicht aud die DUP ab.

        Nur weil Boris behauptet, der wahre Absicht hinter dem Backstop sei gewesen, den Brexit ins Leere laufen zu lassen, muss das noch lange nicht stimmen...

        • @Normalo:

          "Nur weil Boris behauptet, der wahre Absicht hinter dem Backstop sei gewesen, den Brexit ins Leere laufen zu lassen, muss das noch lange nicht stimmen..."

          Einiges spricht dafür, weil es der maximale Gewinn für die EU gewesen wäre. Aber Sie haben natürlich recht, dass es schwer wäre, stichhaltige Beweise für die Hintergedanken der verantwortlichen Politiker vorzulegen. Dabei sind wir auf die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit angewiesen.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Mein Vorschlag:



        Zweites Referendum mit der Wahl:



        BoJo-Brexit ODER Remain.

        Könnte man schon Ende November oder Anfang Dezember durchführen.

        Wer ist dagegen?



        Mit welchem Grund?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wieso sollten die Remainer für ein Brexit-Abkommen votieren, das England eindeutig ärmer machen wird? Und das darauf abzielt, England radikal zu deregulieren?

        Das möchte ich DoJo gern fragen.

        (Ich könnte mir vorstellen, dass auch DoJo so wie BoJo seine Hoffnungen auf die "schöpferische Zerstörung" setzt, nur, anders als BoJo, eher auf die Chance einer Labour-Regierung, England sozialistisch zu machen, wenn der Brexit und die Deregulierung das Land hinreichend verwahrlost und radikalisiert haben. - Ist nur mal eine Spekulation.)

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        May hätte schon auch gern diese Johnson-Lösung vorgeschlagen - aber sie durfte nicht. Johnson & Co waren kategorisch leidenschaftlich dagegen.

        Die EU hätte diese Grenzziehung für die Handelsunion auf dem Meer zwischen Irland und England ebenfalls akzeptiert. Aber diese Lösung durfte von May nicht eingebracht werden.

        Man lese mal nach, was die rabiaten Brexiter bisher vorgebracht haben gegen genau die Nord-Irland-Zollunions-Lösung, die jetzt das Ei des Kolumbus sein soll.

        • @Leo Brux:

          Alles nett. Aber ich wollte nur auf den Unterschied zwischen beiden Abkommen hinweisen.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        dafür kann jetzt das Nordirische Lokalparlament in 4 Jahren doch noch den NoDeal Brexit herbeiführen - mit harter Grenze innerhalb Irlands.

        • @danny schneider:

          Die harte grenze ja. No Deal nicht mehr. Sollte er wieder Erwarten durchkommen, ist der Deal in Kraft. Boris kann sich auf die Schulter klopfen...

  • Wenn jetzt tatsächlich die Quadratur des Kreises geglückt sein sollte, freue ich mich darauf in den nächsten Jahren die Verwürfelung der Kugel zu beobachten. Radikal Steuern und Zölle senken dazu weiter deregulieren, um für unterbezahlte Scheißjobs und asoziale Banker attraktiv zu bleiben, dabei die Umwelt- und Sozialstandards der EU im Kern weiterhin gelten lassen, die Staatsausgaben (z.B für das NHS) kräftig zu erhöhen - und das alles ohne den Haushalt zu sprengen, der schließlich kritisch von Ratingagenturen überwacht wird (ein System für das wir uns auch bei den britischen Konservativen bedanken dürfen). Wer Lügner wählt...

  • 0G
    07954 (Profil gelöscht)

    Diesen "neuen" Deal oder eben doch kein Brexit sollte das britische Volk per 2. Referendum jetzt entscheiden. Wäre wohl wishful thinking, but keep hope alive.

  • 0G
    06313 (Profil gelöscht)

    "Aber ansonsten sollten jetzt beide Seiten ein neues Kapitel in ihren Beziehungen aufschlagen und an den wirklich wichtigen Dingen arbeiten: An einem starken Europa, in dem die EU mit allen Nicht-EU-Mitgliedern zusammen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintritt und einen Gegenpol bildet zu Trump, Xi und Putin. "

    Und das geht in der EU nicht? Dazu muss also GB aus der EU raus, um sein eigenes Süppchen zu kochen und Rosinenpickerei zu betreiben? Das ist einfach nur nationalistisches Brexiteer Gerede. Zumal B.J. ein großer Fan von Trump zu sein scheint und sich beide gegenseitig auf die Schulter Klopfen.

  • Na da sind wir ja alle gespannt, wie das neue "Europa der Vaterländer" Friedenspolitik betreiben wird. Mit dieser Logik müssten jetzt erstmal auh die Katalanen sich abspalten und die Flamen und Norditalien von Süditalien sowieso. Vielleicht Uch Bayern, aber ohne die Franken. Vielleicht könnten die Badenser dann auch mit dem Elsass besser....Irgendeine nostalgische Imperialismus-Saga für den inneren Zusammenhalt kann man überall Wiederaufleben lassen.

  • Überschrift: Sieg des Pragmatismus, Inhalt: Sieg des in der veröffentlichten Meinung [Rechtspopulistensprech!] zu Unrecht niedergeschriebenen Boris Johnson.



    Und wer genau will nochmal den europäischen Einheitsstaat? Hier wird leeres Stroh gedroschen.



    Im Übrigen ist dieser Deal besser als ein No-Deal, kurzfristig zumindest. Die Einigung wurde möglich weil die britische Seite ihre Maximalforderungen aufgeweicht hat: zwischen Nordirland und UK läuft jetzt im Grunde eine Zoll- und Handelsgrenze, mit "points of entry", Kontrollen von Ziel und Herkunft von Waren usw. [das zumindest haben auch die nationalistischen Idioten der DUP verstanden] Es wird Rückerstattungen geben, ein Bürokratiemonster, das das "Raumschiff Brüssel" wie eine Seifenkiste wirken lassen wird. Das ganze ist komplex, aber Theresa Mays rote Linien sind gefallen. Boris Johnson wird das auf seine unnachahmliche Art sicher mit einem Halbsatz zu erklären wissen.

  • Ekelhaft dieser Nationalismus!



    Furchtbar die Auswirkungen für alle Seiten.



    Nur Viktor Orban und Tschechiens Babis freut es.



    Die EU benutzen, hochstapeln und austreten.

  • Kann man immer nur zu allem Nein sagen? Erst den No-Deal stoppen und dann den Deal blockieren?

    Kann man, macht man. zumindest das britische parlament. darum wird der dal auch nicht durchkommen, corbyn wird weiter getrieben von seinen machtfantasien alles blockieren, und die EU wird wieder auf los stehen. dann soll es neuwahlen geben, oder ein zweites referendum, oder beides. und die EU soll daneben stehen und warten, bis sich alle zerstrittenen briten endlich auf etwas geeinigt haben, was alle zufrieden macht? genau aus dem grund sollte die EU auf keinen fall mehr bei diesem chaos mitmachen und die briten ohen deal austreten lassen. letztendlich wird sich nichts an dieser situation aendern, die letzten umfragen ergeben immer noch eine mehrheit fuer einen brexit. also, hopfen und malz verloren, dann sollen die inseln durch ihr fegefeuer gehen, auch wenn es schmerzlich ist. schade drum, aber bitte: LEAVE NOW.

  • Kann man immer nur zu allem Nein sagen? Erst den No-Deal stoppen und dann den Deal blockieren?

  • Toll, die EU hat nachgeben und jetzt genau dem zugestimmt was man Monatelang als NoGo verkauft hat:

    * ein anderer, nicht EU- Staat wird unsere Grenzen kontrollieren



    * ein fremdes Parlament bestimmt über den Grenzstatus innerhalb Irlands - ohne EU Veto!

    Johnson hat maximal gewonnen, die EU maximal die Hosen runter gelassen und die Problem in die Zukunft verlagert.

    Obwohl jeder Experte gesagt hat: den größten Schaden beim harten Brexit hat UK, hat unsere Führungselite die Pampers gestrichen voll und dem Pausenrüpel das Pausenbrot gegeben.

    Bravo!

  • wieder mal Dank an Herrn Johnson (nicht Boris). In Sachen Brexit hat keine Quelle so gut informiert wie die taz, die restlichen Medien hatten eine Einheitsmeinung, die nur vereinzelt mit Information angereichert wurde. Hauptsache war Meinungsmache.

    • @Dr. McSchreck:

      Schließe mich teilweise an - voll, was die Einheitsmeinung betrifft.

      Die "Informationen" in den Artikeln von Dominic Johnson waren leider aus meiner Sicht weitgehend nur die "faktische Alternative", die die Johnson-Regierung bevorzugte und eine recht unverfälschte Wiedergabe der dem zugrundeliegenden Meinung.

      Aber auch das war informativ. Ich wünschte, wir hätten irgendwo in der Presselandschaft eine ähnlich einseitg wohlwollende Berichterstattung über Trump. Dann könnte man vielleicht auch seine Gedanken und den Grund für seine Popularität als deutscher Multilateralist besser nachvollziehen.

      • @Normalo:

        Es könnte natürlich sein, dass DJ einfach nur die Stimmung in GB realistisch wiedergibt...

  • Das sind keine guten Neuigkeiten, damit gewinnt wieder einmal die Square-Mile. Nur ein No-Deal, ist ein fairer Deal!

  • Ein starkes Europa kann es nur mit und in der EU geben, mit dem Brexit zeigen die Briten, dass sie lieber alleine stark sein wollen. Nationalstaaterei war aber leider schon immer der Grundstein allen Übels und wird es auch hier wieder sein. Ob Gesetze in Brüssel oder in London gemacht werden spielt für den einzelnen keine Rolle, aber das zu begreifen ist den Nationalstaatlern nicht möglich. Sie denken immer noch, eine Staatszugehörigkeit sei eine Leistung oder mache sie zu etwas besserem. Weit gefehlt. Nur weil man Brite, Deutscher oder Franzose ist, ist man noch lange nichts.

    • @Gnutellabrot Merz:

      warten wir mal den Samstag ab.......

    • @Gnutellabrot Merz:

      "Ob Gesetze in Brüssel oder in London gemacht werden spielt für den einzelnen keine Rolle, aber das zu begreifen ist den Nationalstaatlern nicht möglich. "

      Schauen Sie sich mal die Kompetenzen der Parlamente in London und Brüssel an. Der Unterschied ist gewaltig.

      Allerdings ist die Sinnvolle Antwort nicht der Austritt aus der EU, sondern die (reale) Stärkung der Europaparlaments.

  • Schauen wir uns dieses Spektakel mal entspannt an:



    Den Vorschlag, NI im Zollverband zu halten und die Kontrollen in die Grenze zu UK und Übergang in anderes nicht-EU-Gebiet zu verlegen, gab es doch recht früh.



    Die Realisierung scheiterte an drr DUP.

    Nun streicht man es rtwas anders an, nennt es Zollpartnerschsft anstelle Zollunion undsxhert sich eben nicht mehr um die DUP.

    Dafür gab es mehrere Jahre Theater aus UK-innenpolitischen Gründen.



    Was für eine Farce.

  • ' ... ein pluralistisches Europa der inneren Vielfalt ...' - genau das ist die Europäische Union. Das Gerede vom Einheitsstaat ist Brexiteer-Sprech. Nein, danke.

    • @Christoph :

      Danke! Hätt ich nicht besser formulieren können...