Nein der Jusos zum Koalitionsvertrag: Fliehkräfte noch vor dem Start
Die SPD wird Ja sagen zum Koalitionsvertrag. Aber dass sich Union und SPD schon jetzt in den Haaren liegen, ist kein gutes Zeichen.

D ie Jusos wollen Nein zum Koalitionsvertrag sagen. Ist das nur eine Art Reflex? Junge SPD-Linke können keine Regierung abnicken, in der Friedrich Merz und Alexander Dobrindt den Takt vorgeben und Bürgergeld und Migrationspolitik rasiert werden? Es ist etwas komplexer. Juso-Chef Philipp Türmer hat bislang Realpolitik und eher gesinnungsfeste Äußerungen fein gemixt und dosiert. Dass die Jusos nun auf Oppositionskurs gehen, ist etwas mehr, als noch mal die Fahne hochzuziehen, ehe man sie für vier Jahre einrollt. Das Juso-Nein ist Ausdruck eines sozialdemokratischen Unbehagens in der Regierung, das über die SPD-Linke hinausreicht.
Das große Aber lautet: Alle Alternativen sind schlimmer als Schwarz-Rot. Die Juso-Idee, die SPD solle mal eben Migration und Bürgergeld nachverhandeln, löst dieses Dilemma nicht. Den Koalitionsvertrag aufzumachen, heißt, das übersichtliche gegenseitige Vertrauen zu erschüttern. Ein neuer Deal würde der SPD auch eher schaden, weil es Gegenforderungen aus der Union hageln würde. Merz steht in der Union viel stärker unter Beschuss als Lars Klingbeil in der SPD.
Die SPD wird am Ende Ja sagen. Ihr Bauchgrimmen ist aber ein Puzzleteil in einem ernüchternden Bild. Die Regierung der Mitte setzt, schon bevor die Namen der MinisterInnen bekannt sind, Fliehkräfte frei. Die SPD glaubt, 15 Euro faktisch vereinbart zu haben, Merz hält das für offen. Die CSU glaubt, die Mütterrente fest vereinbart zu haben, SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hält das für offen. Die SPD hält weniger Steuern für Normalverdiener für gesetzt, Merz nicht.
Es fehlt an Führung
Normalerweise trennt das Ende der Koalitionsverhandlungen ein Vorher, den Streit, vom Nachher, der Einigung. Bei Schwarz-Rot ist nach den Koalitionsverhandlungen vor dem Streit. Worauf man sich eigentlich geeinigt hat, ist unklar. Das erinnert ungut an die Ampel. Allerdings begann der Ampel-Stress erst nach zwei Jahren; Schwarz-Rot bringt das Kunststück fertig, sich schon vor dem Regieren in den Haaren zu liegen. Lars Klingbeil kündigte vor zwei Wochen an, dass es bei Schwarz-Rot „keine schön klingenden Sätze“ geben werde, die alle verschieden verstehen, und „am Ende feststellen, dass kein Geld da“ sei. Dieser Satz ist nicht gut gealtert.

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Was fehlt, ist Führung. Merz scheint noch immer ein Getriebener seiner krachenden „Jetzt wird alles anders“-Rhetorik zu sein. Die SPD ist normal unglücklich mit ihrer Rolle als Juniorpartner. Aber die Zeiten sind nicht normal. Die schwarz-rote Führung muss jetzt klären, was sie vereinbart hat. Sonst scheitert diese Regierung schneller, als uns lieb sein kann.
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