Naturschützer über Koalitionsbildung: „Jamaika ist beim Klima absurd“
Deutschland habe für Klimaschutz gestimmt, meint Kai Niebert, Chef des Deutschen Naturschutzrings. Aber mit dem Fokus auf Industriepolitik.
taz: Herr Niebert, Sie sagen: Wahlgewinnerin ist das Klima. Wie kommen Sie denn darauf?
Kai Niebert: Sämtliche Umfragen vor und nach der Wahl zeigten ganz klar: Klimaschutz und soziale Sicherheit waren die wahlentscheidenden Themen. Ich würde sagen, das war eine ehrliche Klimawahl: Es wurde Sicherheit im Wandel gewählt.
Aber in jedem jetzt möglichen Regierungsbündnis säßen mindestens zwei Parteien, deren Wahlprogramme nicht für Deutschlands Beitrag zur Begrenzung der Erderhitzung bei 2 Grad ausreichen, von 1,5 Grad ganz zu schweigen.
Ja, die neue Regierung wird nachsteuern und mehr liefern müssen als das, was gerade auf dem Tisch liegt. Die Architektur steht dafür mit dem Klimaschutzgesetz. Jetzt müssen ein Sofortprogramm und konkrete Instrumente her. Aus den Stimmergebnissen für SPD, Grünen und FDP wird klar: Deutschland will Klimaschutz als industriepolitisches, gesellschaftspolitisches und marktwirtschaftliches Projekt.
wurde 1979 geboren. Er ist Chef des Deutschen Naturschutzrings, Professor für Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit an der Uni Zürich – und SPD-Mitglied.
Also im Gegensatz etwa zu einem Gerechtigkeitsprojekt, für das vielleicht Rot-Grün-Rot gestanden hätte?
Diese industriepolitische Haltung hat Olaf Scholz immer betont. Annalena Baerbock hat darüber hinaus aber deutlich gemacht, dass es mehr braucht, nämlich auch einen gesellschaftspolitischen Ansatz. Die FDP bringt als Komponente das ein, wovor Scholz Respekt hat: einem CO2-Preis mehr Gestaltungsmacht zu geben. In einer Ampelkoalition müsste Scholz als Erstes die Rückverteilung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sicherstellen.
Eine Jamaikakoalition aus Union, FDP und Grünen hingegen hielte ich beim Klima für absurd. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird das Maß aller Dinge werden. Und den hat die Union gebremst statt vorangetrieben.
Die FDP hat sich im Wahlkampf gegen steigende Benzinpreise ausgesprochen, obwohl sie Klimaschutz fast nur über einen CO2-Preis liefern will, also über teureres Benzin, Heizöl und -gas. Glauben Sie überhaupt, dass die FDP damit Ernst machen will?
Im Wahlprogramm verspricht jede Partei ihre reine Lehre, im Falle der FDP also rein marktbasierten Klimaschutz. Aber mit der reinen Lehre kommt man eben nicht durch Koalitionsverhandlungen. Kluge Köpfe wie der FDP-Abgeordnete Lukas Köhler wissen, dass man einen Instrumentenmix braucht.
Wie sieht es unabhängig von der Regierungsbildung aus: Ist der neue Bundestag beim Klima kompetenter als der alte?
Der neue Bundestag ist auf jeden Fall weniger klimainkompetent. Im alten Bundestag gab es Abgeordnete auf der Unionsseite, die eigene Interessen verfolgt und die Energiewende ausgebremst haben. Die sind nun nicht mehr dabei. Zudem haben die Wähler den klaren Auftrag Klimaschutz gegeben.
Und sonst?
Es gibt grandios viele neue und viel mehr Gesichter bei den Grünen, die werden Dampf machen. Und auch bei der SPD wird es spannend: Die Listen wurden ja aufgestellt, als die Partei weit entfernt von jedem Gedanken an eine Regierungsbeteiligung war. Da sind etliche neue, junge Gesichter dabei, die im Wahlkampf Klimaschutz als Industrieprojekt, als Gewinnerthema erlebt haben. Das müssen sie nun auch leben.
Klar ist auf jeden Fall: Wir brauchen nicht nur einen Klimakanzler, sondern eine Klimaregierung, damit die Klimaneutralität eine Chance hat.
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