Nach der US-Präsidentschaftswahl: Die verwundete Demokratie

Der Sieg Trumps zeigt uns, dass Zuhören nicht mehr reicht. Das alte Amerika bäumt sich auf und es ist Zeit, aufzustehen und laut zu widersprechen.

Menschen halten Transparente, recken die Arme in die Luft und rufen

Zeit, zu widersprechen Foto: reuters

Niemand hat das geglaubt. Niemand hat es vorhergesagt. Clinton lag in allen Umfragen vorn. Es wirkte, als Trump vor einem Jahr antrat, noch lächerlicher und unglaubwürdiger als der Brexit, der viele Europäer aus dem Tiefschlaf gerissen hat. Letzte Nacht hat die Welt erlebt, dass nichts mehr lächerlich und unmöglich ist in diesem postfaktischen Zeitalter. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird zur Satire seiner selbst.

Es kommt ein Mann an die Macht, der monatelang alle Prinzipien, auf denen eine pluralistische Demokratie fußt, verbal mit Füßen getreten hat. Er hat all das, was Obama in den letzten Jahren als Stil und Anmut in das Amt des Präsidenten brachte, mit Spott und Hohn versehen. Das Unbegreifliche: Es ist einer ins Weiße Haus eingezogen, der weder ein politisches Programm hat noch Erfahrung in der Politik. Einer, dessen Reichtum auch auf der billigen Arbeitskraft von Einwanderern beruht, er sie deswegen aber nicht respektiert. Der weiße ungebildete Mann aus der Arbeiterklasse hat Trump nun den Einzug ins Weiße Haus gesichert. Wie viele wünschen sich jetzt, diese Wählergruppe hätte in Bernie Sanders ihr Sprachrohr gefunden.

Wie sollen wir unseren Kindern etwas erklären, wenn wir es selbst nicht verstehen? Was Trump ins Amt gehievt hat, ist mit dem, was wir Populismus nennen, nicht mehr zu greifen. Trump hat kein Programm, kein Leitbild, keine Erfahrung – was er hat, sind Bekanntheit, Reichtum und Unverfrorenheit. Die Wähler wählen einen, der am und im Establishment entlang reich wurde, um dem Establishment eins auszuwischen. Die Widersprüche unserer Zeit sind kaum mehr zu verstehen.

Eines ist jedoch klar: Es ist das alte Amerika, das man überwunden glaubte, das sich hier aufbäumt. Einen WhiteLashnannte es der CNN-Kommentator Van Jones – ein Backlash einer Nation, die sich im Wandel befindet, zurück in die alte Weltordnung.

Unbekanntes Land

In dieser vertrauten Weltordnung wird es auch keine Frau an der Spitze der USA geben. Hillary Clinton muss den Platz nun einem Mann überlassen, von dem sie sagte, dass er nicht einmal seinen Twitter-Account im Griff habe. Und die vielen, die dachten, Georg Diez hätte in seinem Essay „Die bizarre historische Logik“ über die Möglichkeiten eines Siegs von Trump die Welt viel dunkler gezeichnet, als sie ist, müssen jetzt, da Donald Trump in einem Land wie den Vereinigten Staaten gewinnen konnte, einsehen: Der Marsch durch die Institutionen soll nun in eine andere Richtung gehen.

Bisher zeigten die Wahlergebnisse der Jugend immer bessere Aussichten für eine offene, liberale Welt. Doch jetzt wird die Jugend von morgen mit anderen Vorbildern konfrontiert, mit anderen Werten. Mit dem Wahlkampf eines brüllenden Präsidenten, der Einwanderer monatelang beleidigt oder kriminalisiert hat. Das Beste daran könnte sein, dass es der Anfang einer großen Bewegung wird und wir wieder einen wie Bob Dylan brauchen werden, der die Melodien für die Revolution singt.

Die Mobilisierung der Wähler scheint in erster Linie eine Mobilisierung der Antidemokraten zu sein

Denn die Stimmen der USA, die für Menschenrechtsbewegungen und Menschenrechte kämpfen, werden nicht verstummen. Der Ökonom Paul Krugman schrieb letzte Nacht von seinem „unbekannten Land“. Weder er noch die Leser der New York Times scheinen dieses Land zu kennen. Er schreibt, es könnte sich um einen „Failed State“ handeln, in dem Demokratie doch nicht siegt. Viele spotten jetzt, linke Demokraten erfreuten sich an demokratischen Wahlen nur, wenn die Ergebnisse in ihr Weltbild passen. Das stimmt so nicht. Aber linke Demokraten werden sich nie an Wahlen erfreuen, wenn sie autoritäre Herrscher mit demokratischen Mitteln an die Macht bringen. Wenn politische Propaganda auf Kosten von Minderheiten geht und so Mehrheiten zusammenbringt. Aber all das hat Deutschland in den letzten Wochen zu Genüge analysiert. Wir wissen bald mehr über die USA als über uns selbst.

Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, so etwas könne nur in den USA passieren. Genug Menschen hier würden sich über eine Wiederherstellung der Welt von gestern freuen, ohne an die langfristigen Konsequenzen zu denken. Die internationale Rechte in Europa steht bereit und reibt sich die Hände, wenn ihr plötzlich das Mutterland der Menschenrechtsbewegungen vorangeht. Hat sich nicht in den letzten Jahrzehnten die Linke bei ihren Wertediskursen auf die liberalen, vielfältigen USA berufen? Es ist, als wollten nun einige das Ganze auf Teufel komm raus noch einmal spiegelverkehrt. Als wäre das, was wir die letzten Jahrzehnte in Europa gelebt haben, nicht auch ein Ausweg aus dem Geisteszustand gewesen, der uns jetzt wieder einzuholen scheint.

Auf dem Rücken anderer

Auch in den USA ist es, ähnlich wie zuletzt bei der gescheiterten Präsidentschaftswahl in Österreich, ein Kampf des Ländlichen gegen das Urbane. Europa und die USA haben derzeit mehr gemeinsam, als viele meinen. Es ist, im Gegensatz zu Europa, der Sieg des ungebildeten weißen Mannes, der normalerweise nicht wählen geht. Gemeinsam ist beiden wiederum: Die Mobilisierung der Wähler scheint eine Mobilisierung der Antidemokraten zu sein. Sie riskieren, als ginge es um nichts, sie waren ohnehin an der Politik nicht beteiligt, meinen sie, und wollen nun dennoch als Betroffene die Quittung geben. Einer Politik, die, zugegebenermaßen, viel zu viele auf der Strecke gelassen hat.

Ich sitze hier am Pariser Platz beim Brandenburger Tor, anlässlich einer Konferenz über die Seele Europas. Gegenüber steht die US-Botschaft und die Flagge weht vor eben noch strahlend blauem Himmel. Meine Freunde aus den USA schreiben, es werde jetzt erst recht gekämpft. Klopf dir den Staub ab, wenn du hinfällst, und fang ganz von vorn an, so lautet sinngemäß einer der berühmtesten Liedtexte des Landes, das eben einen für uns völlig unberechenbaren Staatschef gewählt hat. Einer wie Trump würde auch diesen Sinatra-Song missbrauchen, um seinen Sieg zu feiern, den er auf dem Rücken anderer errungen hat. Es ist jetzt an uns, dafür zu kämpfen, dass der gemeinte Neubeginn einer ist, der eine humane Geschichte erzählt und nicht von der Erniedrigung anderer lebt.

Auf der Europa-Konferenz hier wird viel vom Zuhören geredet. Wir müssten jetzt besser zuhören, all jenen, die Werte liberaler Demokratien nicht teilen. Ich teile diese Meinung des Zuhörens nicht. Es ist die Zeit des lauten Widersprechens angebrochen. Man darf seinen Feinden nicht ähnlich werden. Aber man darf auch nicht anständig den Kopf senken, argumentieren, als würde man gehört, wenn man merkt, es geht um Deutungshoheit und letztlich Macht. Es geht darum, wer diese Welt stärker prägen darf.

Es muss jetzt laut und klar geredet und gekämpft werden. Es muss knallhart widersprochen werden. Es kann nicht sein, dass ab jetzt in der Politik die Sprache des Härteren gewinnt, der Showmensch am Ende der Wahlkampfshow einen Schlüssel zur Welt in der Wirklichkeit erhält. Und das nur, weil wir ihm zugehört haben und dachten, das reicht.

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ist Autorin und leitet das Interkulturelle Zentrum Heidelberg. Im Frühjahr erschien bei Hoffmann und Campe ihr Band „Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“ Sie twittert zum Zeitgeschehen unter @jagodamarinic.

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