Nach dem Eklat im Oval Office: Europa, wohin?
Die internationale Ordnung fällt gerade in Trümmer. Das Problem: Europa ist kein einheitlicher Akteur, sondern ein höchst widersprüchliches Gebilde.
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D as Bündnis von Europa und den USA als demokratische, kapitalistische Formation, in der USA die Sicherheit Europas garantierte und global als mitunter neoimperialer Weltpolizist auftrat, geht zu Ende. Die Nato spielt für Trump in der neuen Raubtierwelt keine besondere Rolle mehr. Die Nato wirkt wie eine Fassade, die stehen geblieben ist.
Die neue postwestliche Weltordnung entsteht in eruptiven Schüben. Das Trump-Regime sendet Schockwellen, die die politische Klasse in Europa fassungslos überwältigt. Das Tempo des Umsturzes ist schneller als die Fähigkeit, eingravierte Denkmuster auf den Müll zu befördern. Was selbstverständlich war, verschwindet. Die Zeit rast. JD Vance’ Diffamierung der europäischen Demokratien in München war ein Symbol der neuen US-Politik, die Demütigung von Ukraines Präsident Selenskyj im Oval Office ist das nächste.
Diese Botschaften bedürfen keiner raffinierten Ausdeutung: Die USA überlassen die Ukraine Putin. Sie verweigern der Ukraine Sicherheitsgarantien. Deswegen verdrehen Trump & Vance rüde die Rolle von Täter und Opfer und inszenieren Selenskyj als Putin: als den Diktator, der den Krieg nicht beenden will und mit dem Atomkrieg spielt.
Die europäischen Politiker überschlagen sich mit Solidaritätsadressen an Kiew. Das ist nötig, um der Ukraine angesichts finsterer Demütigung den Rücken zu stärken. Aber es ist keine Antwort. Die Lage der Ukraine ist schon mit der 180 Milliarden-Dollar-Hilfe und Hightech-Waffen aus den USA prekär. Die Ukraine hat massive Probleme, genug Soldaten zu rekrutieren.
Die EU steht nun vor mehrfachen Dilemmata – und unter Zeitdruck. Moralisch ist es geboten, der Ukraine jetzt Milliardenhilfen zukommen zu lassen. Die EU darf Trump bei der kalten Opferung der Ukraine nicht folgen. Aber was ist die Strategie? Die Formel, die Ukraine müsse aus einer Position der Stärke verhandeln können, wirkt wie eine Beschwörungsformel, die einen bösen Verdacht verdrängen muss. Läuft die EU Gefahr, sich in der Rolle als Ersatz-USA zu überfordern? Auf jeden Fall gilt es bei der Unterstützung der Ukraine eine Grenze zu markieren: dass Europa in einen Krieg mit Russland ohne Schutzschirm der USA verwickelt wird, ist das finsterste aller Szenarien.
Europa muss vielleicht schneller als gedacht 80.000 US-Soldaten ersetzen, die abgezogen werden könnten. Um weiter eine glaubhafte konventionelle Abschreckung zu garantieren, sind laut Schätzungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft dreistellige Milliardenbeträge nötig. Diese Ressourcen zu mobilisieren, wird kompliziert. Polen und Portugal, Litauen und Luxemburg teilen nicht die gleichen Ängste und Interessen.
Gleichzeitig muss sich Europa aus der engmaschigen Sicherheitsabhängigkeit von den USA lösen. Das ist ein komplexer Prozess, der von Geheimdiensten bis zur digitalen Sicherheit reicht. „Aufrüstung“ meint nicht nur, ein paar tausend Panzer zu bauen. Es geht um das strategische Ziel, Europa von den USA abzukoppeln. Das wird teuer. Wer zahlt?
Der Trumpismus fusioniert extremen Neoliberalismus mit amerikanischem Isolationismus und der Monroe-Doktrin. Die internationale Ordnung, die, wie unfertig auch immer, auf dem Recht beruhen sollte, fällt dabei in Trümmer – zugunsten einer Geopolitik, die an das späte 19. Jahrhundert, die Ära des Imperialismus, erinnert. Derzeit entsteht eine Neuaufteilung der Welt, in der USA, China und Russland als regionale Ordnungsmächte mit Einflusszonen gedacht werden, die sich gegenseitig nicht ins Gehege kommen sollen. Es ist besser, das nüchtern zu analysieren, als nach jeder Provokation von Trump moralisch empört aus allen Wolken zu fallen.
In größerem Rahmen betrachtet stellt sich die Frage, welche Rolle Europa in der neuen Weltordnung spielt. Wird die EU ein globaler Player bleiben, der die Reste der Vertragsordnung zu schützen versucht? Oder wird sie selbst Objekt imperialer Interessen? Putins Drohungen Richtung Georgien und dem Baltikum, Trumps Drohung an Dänemark wegen Grönland sind Vorzeichen dieses Szenarios.
Förderprogramm für den Rechtspopulismus?
Hinter der Abwägung zwischen Moral und Realpolitik bei der Unterstützung der Ukraine steht die eine schwierige Frage. Ist es wichtiger, die EU oder die Ukraine zu schützen? In der offiziellen Rhetorik sind diese Ziele deckungsgleich: Die Ukraine verteidigt demnach unsere Freiheit. Aber es ist doppelbödiger, zwiespältiger. Europa ist kein einheitlicher Akteur, sondern ein feingliedriges, widersprüchliches Gebilde. Die Homogenisierung der EU hat Grenzen. Zudem ist die EU in fragiler Verfassung. Der Rechtspopulismus ist auf dem Vormarsch.
Bis jetzt ist es gelungen, die Fliehkräfte des Neonationalismus in den soliden, strapazierfähigen EU-Strukturen einzuhegen. Dass Salvini und Meloni ihre antieuropäische Rhetorik einstellten, als sie an der Macht waren, zeigte diesen Mechanismus. Die EU ist stabil über gegenseitige Interessen miteinander vertäut. Aber auch das ist kein Gesetz für die Ewigkeit. Falls die Aufrüstung der EU zu Lasten des Sozialstaates geht, ist das ein Förderprogramm für den Rechtspopulismus.
Die Zerstörung der EU ist das gemeinsame Ziel von Putin und Trump. Den Tech-Oligarchen sind EU-Regeln für Social Media ein Dorn im Auge. Ein zersplittertes Europa ist einfacher zu kontrollieren und zu manipulieren. Hinter dem möglichen Zusammenbruch der Ukraine schimmert somit ein abgründiges Szenario – die Implosion der EU. Naivität gegenüber dem russischen Imperialismus ist ebenso schädlich wie moralgetriebene Überforderungen der EU.
Die Bundesrepublik ist ökonomisch, politisch und mental enger mit den USA vernetzt als alle anderen EU-Staaten. Wir steuern vielleicht auf die tiefste Krise seit 1949 zu. Der Kanzler in spe, Friedrich Merz, verteidigt lieber die Schuldenbremse als Europa. Noch eine Sorge mehr.
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